Das Leiden im Kapitalismus und das Leiden am Kapitalismus – ein Unterschied ums Ganze

Lohnabhängige leiden im Kapitalismus, aufgrund ihres Verhältnisses von Ausgebeuteten zu Ausbeutern. Das empfingen die meisten aber nicht so – es ist keine allgemeine Erkenntnis in der Arbeiterklasse.

Das Leiden sehen auch die Hauptamtlichen in den Gewerkschaftsapparaten. Ihnen geht es jedoch nich darum, das Ausbeutungsverhältnis zu beenden und damit das Leiden abzuschaffen sondern sie sehen ihre Existenzberechtigung darin, das Leiden zu verringern. Das ist geradezu ihre Existenzgrundlage.

Der ursprüngliche Sinn des gewerkschaftlichen Zusammenschlusses war zunächst nur das Ziel, innerhalb der kapitalistischen Arbeitsbedingungen das Optimum durchzusetzen: Man wollte über Arbeitskämpfe den höchstmöglichen Preis für die Ware Arbeitskraft erreichen und den Wert der Ware Arbeitskraft möglichst optimal realisieren. Im Wirtschaftswunder ging es darum, das anteilige Stück vom wachsenden Kuchen zu bekommen.

Eine Leid-Verringerung wollen sie bei ihren Sozialpartnern aushandeln.

Daß Ausbeuter und Ausgebeutete, wie Fuchs und Gans, keine Partner sein können, leugnen sie mittels ihrer Sozialpartnerschaftsideologie. Deshalb müssen sie verhindern, daß die Lohnabhängigen zu der Einsicht gelangen, daß sie nicht nur im Kapitalismus leiden sondern am Kapitalismus!

Mit dieser Verhinderungsabsicht stehen sie nicht nur in einer Front mit ihren Sozialpartnern vom Kapital sondern auch mit allen anderen staatstragenden Kräften.

Diese Bewußtseinsschritte zum „Leiden am Kapitalismus“ sind Schritte von der „Klasse an sich“ zur „Klasse für sich“, im Rahmen einer langen mit mehr Niederlagen als Erfolgen übersäten Bewegung, die gegen die Zumutungen und Niederdrückungen der Arbeitenden durch „das Kapital“ ankämpft.

Der Einsatz von Seiten des Gewerkschaftsapparates für die Belegschaften ist begrenzt

Arbeitskämpfe sollen möglichst vermieden werden. Und falls doch zu viel Druck von unten da ist, soll der Streik dann möglichst kurz sein, ein Kompromiß möglichst schnell abgeschlossen werden. Immer im Blick haben sie ihre Aufgabe, für sozialen Frieden im Betrieb und der Gesellschaft zu sorgen. Das ist schließlich ihre Existenzgrundlage. Der Gewerkschaftsapparat in der heutigen Form konnte nur entstehen in der Phase des jahrzentelangen Aufschwungs nach dem 2. Weltkrieg.

In ihrer Partnerschaftsideologie und ihrer Unterordnung unter die Kapitalinteressen opfern die Gewerkschaftsapparate immer größere Teile der Lohnabhängigen: LeiharbeiterInnen, WerkvertragsarbeiterInnen, Outgesourcte aller Art. Aber auch ihre Hauptklientel, deutsche Facharbeiter, die sich zur Mittelschicht in der Gesellschaft zählen, schmilzt ab. Und immer mehr Arbeitgeber treten aus ihren Verbänden aus und Tarifverträge entfallen in den Betrieben.

Die DGB-Gewerkschaften erodieren also von zwei Seiten, durch die Kapitalistenseite und von der Mitgliederseite her.

Eine Verschärfung der Ausbeutung und des Leidens im Kapitalismus trat z.B. in Chile ein, nachdem die USA den demokratisch gewählten Präsidenten Salvador Allende wegputschten und durch ihren Mann, General Pinochet, ersetzen ließen. Das war die Voraussetzung für die Einführung des neoliberalen Wirtschaftsmodells nach der Schule von Hayek mit den sogenannten Chikago Boys. Die USA und Groß Britannien übernahmen dies Modell des Neoliberalismus. Danach alle anderen westlichen Staaten. Ein Kernmerkmal dieses Wirtschaftssystems war die Privatisierung von Staatsbetrieben und des öffentlichen Sektors.

Es wurde in der BRD sowohl von CDU als auch SPD eingeführt, mit Duldung und Unterstützung der DGB-Gewerkschaften. Alle saßen der Propaganda der Neoliberalen auf, daß der Staat nicht wirtschaften könne und daß die Privaten es billiger könnten. Die DGB-Gewerkschaften hätten eigentlich Alarm schlagen müssen, denn der Neoliberalismus verschlechterte ihre Existenzbedingungen durch einen starken Staat, der nach Keynesianischen Vorstellungen die Nachfrageseite stärkte und damit die Marktmacht der Lohnabhängigen stärkt. Aber die Gewerkschaftsspitzen wie ihre Leitpartei, die SPD, wechselten die Ideologie wie ein abgetragenes Hemd: Vom Keynsianismus zum Hayek´schen Neoliberalismus.

Unfähig, auf Klassenkampf umzuschalten

Sie sind unfähig, auf Klassenkampf umzuschalten, weil sie schon längst Teil des kapitalistischen Systems geworden sind. Einige Linke/Gewerkschaftslinke haben allerdings die schlichte Vorstellung, die Gewerkschaftsvorstände bzw. -apparate seien fähig, wenn sie nur wollten, den Hebel von Sozialpartnerschaft auf Klassenkampf umzuschalten.

In einigen Regionen oder Branchen werden einzelne Hauptamtliche kämpferischer, das läßt sich dann als „konfliktive Sozialpartnerschaft“ einordnen. (Der Sozialwissenschafter Müller-Jentsch prägte diesen Begriff).

Die GewerkschaftssekretärInnen haben recht gute und krisenfeste Gehälter, ein Mehrfaches wie prekär Beschäftigte. Sie zählen sich zur gehobenen Mittelschicht. Zu großen Teilen der Mitglieder und Belegschaften ist schon lange eine Entfremdung eingetreten. Die Vorstände der DGB-Gewerkschaften, die auch einkommensmäßig auf gleicher Augenhöhe wie die Kapitalsvertreter sein möchten – durch ihre vielen Posten in Vorständen und Aufsichsräten- – fühlen sich mit diesen als Elite im Staat.

Der DGB ist ein Gesamtgebilde, ein großes Staatstheater. Für die Mitglieder muß der DGB als notwendige und lohnende Interessenvertretung erscheinen, mit seinen nützlichen Einrichtungen wie Beratung, Rechtsschutz, Streikgeld. Und sie machen Kampagnen wie „Gute Arbeit“ womit sie den Eindruck erwecken wollen, als sei diese im Kapitalismus möglich – wie auch „faire Arbeit“, die sie propagieren.

Dieses Gebilde ist vom Staat geschaffen worden. Auf der Theaterbühne gibt man bei Tarifverhandlungen und Streiks die Stücke „hartes Ringen“ und „Klassenkampf“.

Dieses Spiel ist aus, wenn die Lohnabhängigen unter dem zunehmenden Leidensdruck im Kapitalismus auf der Suche nach den Ursachen ihrer Leiden auf den Verursacher kommen, das kapitalistische System und seine Unterstützer.

Nach dem Willen der Gewerkschaftsvorstände und der Kapitalsvertreter dürfen sie niemals von den Äpfeln vom Baum der Erkenntnis essen. Gegen Linke, die den KollegInnen die Äpfel am Baum der Erkenntnis zeigen, wird scharf vorgegangen, durch Gewerkschaftsausschluß. (Das war vor 50 Jahren schon so!) Da gehen die Gewerkschaftsvorstände zusammen mit ihren Sozialpartnern bei Kapital und Staat. Die Betroffenen bekommen dann noch einen drauf durch Berufsverbote und Entlassung.

Nach all dem hier Geschilderten stellt sich die Frage: In so einer Gewerkschaft soll ich bleiben? Ja, man muß drin bleiben oder eintreten.

Der Gedanke, jetzt eine wirkliche, klassenkämpferische Gewerkschaft zu gründen ist illusorisch und wäre Spalterei. Jeder/jede, der/die wirksam werden will, kann nur im Kollektiv kämpfen: „alleine machen sie dich ein“, dieser Spruch stimmt! Wenn also KollegInnen in den Betrieben sich wehren wollen, müssen sie es kollektiv tun, beim „großen Haufen“ sein. Und das sind die DGB-Gewerkschaften.

Laßt uns das Beispiel Amazon Bad Hersfeld anschauen. Die KollegInnen dort sind vor acht Jahren praktisch beim Punkt Null der Organisierung angefangen. Schon nach relativ kurzer Zeit waren sie fähig, den ersten Streik gegen den Riesen Amazon zu wagen, den ersten weltweit! Zusammen mit ihren Leipziger Amazon-KollegInnen. Ein wichtiger Organisator und Motivator war Christian Krähling, der leider im Dezember 2020 im Alter von 43 Jahren gestorben ist. Er sagte: „Ich habe nicht nur Mitglieder geworben, ich habe Mitstreiter gesucht und geworben!“ Bauen wir nach diesem Motto unsere eigenständigen Gewerkschaftsstrukturen auf – Strukturen innerhalb und außerhalb der bestehenden Gewerkschaften!

Im Betrieb müssen die engagierten KollegInnen Gruppen bilden, in und neben den Gewerkschaften, wenn notwendig, auch klandestin. Und das Wichtigste ist, daß sie die Geschäftsführung als ihren Gegner sehen aber auch die Rolle der DGB-Gewerkschaften als Sozialpartner des Kapitals erkennen. Manchmal werden sie GewerkschaftssekretärInnen finden, die total bei ihren Kämpfen gegen ihr Leid im Kapitalismus an ihrer Seite stehen und dabei sind im notwendigen Kampf gegen das System.

Alwin Altenwald, im März 2021

3 Replies to “Das Leiden im Kapitalismus und das Leiden am Kapitalismus – ein Unterschied ums Ganze”

  1. In den frühen 1970ern gab es in großen Betrieben der BRD-Industrie bereits eine Revolutionäre Gewerkschaftsopposition RGO. Deren Blüte währte nicht allzulange. Aus den damaligen Erfahrungen ist zu lernen, Schlüsse sind zu ziehen und aufs gegenwärtige Bewußtsein der Arbeiterklasse zu beziehen. Fehler müssen nicht ständig wiederholt werden.

  2. Lieber Rübezahl,
    es gab die RGO nicht erst in den 1970er Jahren sondern sie wurde in der KPD unter Führung von Thälmann auf Geheiß der Kommunistischen Internationalen zusammen mit der Sozialfaschismustheorie und der Bolschewisierung der Partei aufgedrückt. (Und erst 1935 – Brüsseler Konferenz – korrigiert!). Die Folge war die Spaltung der Arbeiterbewegung und die Niederlage 1933 gegen die Nazis. Es geht darum, Du schreibst es, die Fehler der Vergangenheit nicht zu wiederholen und es geht bei unserer Strategie heute um das gegenwärtige Bewußtsein der Arbeiterklasse.
    Dazu zwei Texte:
    a) Zur Situation in der Weimarer Zeit: https://arbeiterpolitik.de/2020/07/analysen-der-kpd-opposition-in-der-weimarer-republik/
    und b) Zur Situation heute: Der Parteiansatz – Ursache für das Scheitern revolutionärer Gruppen im Gefolge der 1968-er-Bewegung
    https://gewerkschaftslinke.hamburg/2019/06/22/qualifizierte-vernetzung-die-richtige-form-fuer-den-klassenkampf-heute/
    Grüße von Alwin Altenwald

  3. Lenins Argument, kurz: bei den großen Verbänden/Massen bleiben – sonst droht Wirkungslosigkeit und Sektenwesen, überzeugt nicht mehr und die Angst vor der Spaltung der Gewerkschaftsbewegung ist kleinkariert – warum nicht mit der Organisationsform experimentieren? Vielleicht kann man den ökonomischen und politischen Kampf wieder vereinen, ohne bürokratische Monster zu schaffen, die an ihrer Trägheit und Selbsterhaltung ersticken.

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