Pfarrer Peter Kosssen (Lengerich): „Feigheit vor dem Mainstream ist keine Option“
Peter Kossen, Menschenrechtsaktivist und Priester des Bistums Münster, bürstet gegen den Strich: „In unserm Land wird zurzeit in höchst fragwürdiger Weise über Migrantinnen und Migranten diskutiert. Es wird der Eindruck erweckt, als seien sie viel zu viele und insgesamt eine Überforderung.“
Kossen hält dagegen: „Einfache Zahlen belegen, wie absurd diese Diskussion ist: 18 Mio. Menschen der sog. „Babyboomer“-Generation gehen in den nächsten 13 Jahren in den Ruhestand. 11 Mio. Menschen werden im gleichen Zeitraum volljährig. Da tut sich bei uns in diesen wenigen Jahren eine Lücke von 7 Mio. fehlenden Arbeitskräften auf.“ Zur Situation in Ostdeutschland erläutert er: „Ostdeutschland ist die demographisch älteste Region der Welt, älter noch als Japan, Chemnitz die demografisch älteste Großstadt der Welt. Aufgrund der Überalterung braucht Deutschland einen „Nettozuzug“ von mindestens 400.000 Menschen jährlich. Unsere Wirtschaft geht in die Knie, wenn nicht mindestens so viele Menschen jedes Jahr neu zu uns kommen.“
Wo sind die Kirchen, die unbeirrbar dagegenhalten?
Jenseits der „Brauchbarkeit“ von Migrant*innen sei es, so Kossen, eine Frage der Menschlichkeit und der Weisheit, mit welcher Haltung unsere Gesellschaft mit solchen umgehe, die ihre Heimat aus verschiedenen Gründen zu verlassen gezwungen waren. Stimmung in Deutschland würde zurzeit gegen Migration jeder Art gemacht. Migranten gerieten unter Generalverdacht, würden Projektionsfläche diffuser Ängste und ungelöster gesellschaftlicher Probleme. „Viele wissen, dass einfache Erklärungen nicht taugen. Wo sind die Kirchen, die unbeirrbar dagegenhalten?“ Gerade jetzt, nach den Wahlen in Thüringen und Sachsen, müsse klar sein: „Feigheit vor dem Mainstream ist für Christen keine Option!“ Weltoffenheit und Differenzierung seien viel besser begründet als Ausgrenzung und Abschottung.
Gut genug für Drecksarbeit
Kossen fragt: „Wie verlogen ist es, wenn die deutsche Gesellschaft in vielen Dienstleistungen Drecks- und Schwerstarbeit von Migrant*innen gern und selbstverständlich annimmt und dann den gleichen Menschen mangelnde Integration vorwirft?“ Und er fährt fort: „Aus der Arbeit mit den modernen Sklaven der Fleischindustrie weiß ich, dass, wer sechs Tage in der Woche und elf Stunden am Tag schuftet, danach kein Deutsch mehr lernt.“ Kossen nennt die Alten- und Krankenpflege, die Lebensmittelproduktion, die Paketdienste, die LKW-Fahrer, die Hotellerie, die Gastronomie und den Bausektor als Beispiele für Branchen, die ohne migrantische Arbeitskräfte in Deutschland überhaupt nicht mehr funktionieren würden. „Die größere Verantwortung für gelingende Integration“, so Kossen, „liegt bei der aufnehmenden und profitierenden Gesellschaft, also bei uns.“
Wollt ihr nur helfen oder wollt ihr auch teilen?
Zu Äußerungen der Parteivorsitzenden solcher Parteien, die gern das Christliche als Markenkern vor sich hertrügen, sagt Kossen: „Im Frühjahr habe ich einige Wochen eine fünfköpfige syrische Familie im Kirchenasyl in meinen Privaträumen im Pfarrhaus beherbergt. Schon vorher habe ich es geahnt und jetzt weiß ich es, wie menschenverachtend das Dublin-Abkommen ist und wie verwerflich der Populismus im Stil von Markus Söder und Friedrich Merz ist, die um jeden Preis dieses Abkommen durchsetzen wollen.“ Kossen ist überzeugt: „Bei einer nachhaltigen Bekämpfung solcher Not, die Menschen zwingt, aus ihrer Heimat zu fliehen, wird entscheidend unsere Antwort auf die Frage sein: Wollt ihr nur helfen oder wollt ihr auch teilen?“ Nur die Bereitschaft zum Teilen habe das Potential, die Güter der Erde gerecht zu verteilen und Fluchtursachen dauerhaft zu bekämpfen. „Das Gemeinsame Haus ist die Lösung nicht die Festung Europa!“
Anmerkung:
Pfarrer Peter Kossen kämpft seit 2013 gegen die Zustände in der Fleischindustrie, gegen Subsubsub-Unternehmen, gegen das System mit WerkvertragsarbeiterInnen (er war es, der für diese das Wort Wegwerfmenschen) prägte!). Mit anderen arbeitet er mit im Bündnis gegen das „System Tönnies“, zu dem auch die KollegInnen aus Rheda-Wiedenbrück gehören von „IG WerkFAIRträge“, die ebenfalls seit 2013 gegen das System Tönnies kämfen. Wir danken Peter Kossen für seine klaren Worte auch in diesem wichtigen Thema!
Pfarrer Kossen: Fleischarbeiter werden weiterhin ausgebeutet
(DW)