Predigt von Pfarrer Peter Kossen (übertragen in NDR Info am 25.12.24)
Gerade angesichts von Kriegsgefahr, dem Elend in unserem Lande, ist es dringlich und notwendig, daß wir alle zusammenstehen und aktiv werden: Christen, Mohammedaner, Kommunisten, Konservative, GewerkschafterInnen!
Pfarrer Peter Kossen ist einer auf christlicher Seite, der für die Ausgebeuteten, Verachteten und Mißhandelten eintritt – oft mit Gegenwind aus der Kirche.
Mit seinem Mut und seiner Klarheit kann er Vorbild sein für andere!
Katholischer Gottesdienst am 25.12.2024 aus der Kirche St. Margareta in Lengerich. Predigt Pfarrer Peter Kossen
Witzig, aber wirklich passiert: Ich schließe hinter dem Gast die Haustür und schau noch kurz ins Pfarrbüro: „Weißt du, wer mich besucht hat und gerade wieder gegangen ist? Das war ein König!“ Die Mitarbeiterin staunt: „Ein König?“ – „Der König eines Volkes in Togo.
Und er heißt Kossy. Kossen/Kossy – Du, das ist der royale schwarze Zweig am Stammbaum meiner Familie.“ Kossy lebt am Niederrhein und arbeitet in einer
Autowerkstatt. Und manchmal reist er nach Togo und sorgt für sein Volk. Darum hat er mich auch besucht: Er will ein Krankenhaus bauen in seiner Heimat. Königliche Würde kommt ihm zu, aber nicht nur ihm.
Nach christlichem Menschenbild kommt jedem Menschen eine königliche Würde zu, auch Ihnen, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, und auch mir. Woher ich das weiß? Die Bibel sagt es deutlich, schon ganz am Anfang: „Gott erschuf den Menschen als sein Bild, als Bild Gottes erschuf er ihn.“ – Alle Menschen sind Gottes Kinder. Und wenn Gott ein König ist, dann sind wir alle Königskinder! Weihnachten ist ein Ausrufezeichen hinter dieser Botschaft. Gott wird Mensch in einem kleinen Kind in einer Krippe, das heißt dann umgekehrt: Jeder Mensch hat Göttliches, ist Gottes Kind, eben Königskind! Diese Würde muss der Mensch sich nicht verdienen; und er kann sie auch nicht verlieren. Sie ist unantastbar; und sie hat nichts zu tun mit Hautfarbe, Nationalität oder Religion. Kinder wissen das besser als Erwachsene. Fragt man nämlich ein Kind im Kindergarten: „Gibt es denn in deiner Gruppe viele Ausländer?“, – dann sagt das Kind: „Nein, da sind nur Kinder.“
Und wie ist das bei der Taufe eines Menschen? Da werden sie nicht nur mit Wasser übergossen, sondern auch gesalbt, und zwar zu Königinnen und Königen, Priesterinnen und Priestern, zu Prophetinnen und Propheten. Was für eine Würde, eine Anerkennung! So kann man doch aufrecht und gestärkt durchs Leben gehen – eigentlich. Doch die königliche Würde wird leicht missachtet, gerade dort, wo Menschen klein sind oder schwach oder fremd. Dabei kommt nach christlichem Verständnis mir in jedem Menschen ein König oder eine Königin entgegen – leider merke ich es nicht immer.
Ich habe viel mit Rumänen und Bulgaren zu tun, die als moderne Sklaven in der Fleischindustrie, als Paketboten oder auf dem Bau verschlissen werden. Auch in unserm Land sind sie Opfer von Menschenhandel, werden für Schwerst- und Drecksarbeit angemietet, benutzt, verbraucht und dann entsorgt – wie Maschinenschrott: Ihre königliche Würde landet auf dem Müll. Manchmal komme ich mit ihnen auf ihre Heimat zu sprechen: Wunderschöne Länder! Wir reden über ihre Musik, über ihren Glauben. Und dann leuchtet etwas in ihren Augen: Freude und Stolz und königliche Würde – unantastbar!
Und dann? In unserm Land wird seit Monaten in höchst fragwürdiger Weise diskutiert über Migration und Migranten – gerade erst nach dem Umbruch in Syrien. Syrer – die sollen jetzt wieder zurück. Dabei weiß man doch noch gar nicht, wie es dort in Zukunft aussehen wird. Und noch grundsätzlicher gesagt: Es wird der Eindruck erweckt, als seien die Migranten überhaupt viel zu viele und insgesamt eine Überforderung.
Einfache Zahlen belegen, wie absurd diese Diskussion ist: 18 Millionen Menschen der sogenannten „Babyboomer“-Generation in Deutschland gehen in den nächsten 13 Jahren in den Ruhestand. 11 Millionen Menschen werden im gleichen Zeitraum volljährig. Da tut sich bei uns in diesen wenigen Jahren eine Lücke von 7 Millionen. fehlenden Arbeitskräften auf. Jenseits der „Brauchbarkeit“ von Migrantinnen und Migranten ist es eine Frage der Menschlichkeit und der Würde, mit welcher Haltung unsere Gesellschaft mit ihnen umgeht. Viele wurden gezwungen, ihre Heimat zu verlassen und das aus unterschiedlichsten Gründen. Stimmung in Deutschland wird zurzeit gegen Migration jeder Art gemacht. Migranten geraten unter Generalverdacht, werden Projektionsfläche
diffuser Ängste und ungelöster gesellschaftlicher Probleme. Ich frage mich: Wo sind die Christen, die unbeirrbar dagegenhalten, die Würde einfordern und Respekt? Gerade die Weihnachtsgeschichte ist nicht die idyllische Geschichte vom holden Knaben mit lockigem Haar, sondern von vornherein eine Migrationsgeschichte; und sie endet in der Flucht der Heiligen Familie nach Ägypten. Eingeschränktes Asylrecht und Abschottung kann man daraus nicht ableiten!
Ich finde es mehr als verwerflich, wenn sich Politiker hier meinen profilieren zu können – gegen die Menschlichkeit und gegen die Menschenwürde. Und das sind nicht nur die von den politischen Rändern; von denen erwartet man nichts anderes. In den Unionsparteien und in der FDP sehe ich führende Leute sich so positionieren.
Und noch weiter gefragt: Wie verlogen ist es, wenn die deutsche Gesellschaft in vielen Dienstleistungen Drecks- und Schwerstarbeit von Migranten gern und selbstverständlich in Anspruch nimmt und dann den gleichen Menschen mangelnde Integration vorwirft?!
Aus der Arbeit mit den modernen Sklaven der Fleischindustrie und der Paketdienste weiß ich, dass, wer sechs Tage in der Woche und elf Stunden am Tag schuftet, danach kein Deutsch mehr lernt.
Wenn die Weihnachtsbotschaft von heute lautet: „…und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt“, dann wird es doch ganz konkret. Damals wie heute: Gott kommt als einer unter den Armen und den Heimatlosen. Gott nimmt Wohnung – auch bei Ihnen und mir. Gott kommt ungefragt in die Welt und in mein Leben, vielleicht auch ungebeten. Er nimmt Platz, will bei mir zu Hause einziehen – aber will ich das auch? Und dann kommt er – ist das dann eine „schöne Bescherung“? Das hat mir gerade noch gefehlt …! Wirklich? Hat ER mir wirklich gefehlt? – Und wie hieß es im Johannes-Evangelium: „…er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf“. Warum wohl nicht? Weil Gott gerade in den armen Schluckern mir begegnen will; gerade mit ihnen will er zu mir kommen, bei mir einziehen. Das heißt: Mit Gott rückt mir die Not der Welt auf die Pelle: Flüchtlinge, Migranten, vielleicht auch die eigene Familie, und
Freunde… Not kann überall auftauchen. Ich weiß: Wenn ich die Not an mich heranlasse, hole ich mir absehbar Missverständnisse und Unzufriedenheit ins Haus – aber auch Freude, menschlichen Reichtum und königlichen Glanz. Davon bin ich überzeugt und das habe ich selbst erfahren.
Heillosigkeit und Unmenschlichkeit der Welt kann nicht verhindern, dass Gott Mensch wird. Ganz im Gegenteil. Auch nicht die Heillosigkeit und Unmenschlichkeit von Christen und der Kirche. An Weihnachten feiern Christen doch den heruntergekommenen Gott.
Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, Gott stellt sich an Ihre und meine Seite. Mit Weihnachten beginnt die Neuschöpfung der Welt: ein echter Neuanfang! Sichtbar wird der Neuanfang an den königlichen Alltagsmenschen, den Würdenträgern wie Kossy, der König, der mich besucht hat. Es scheint zwar eher unwirklich zu sein, wie ein Kindermärchen, dass diese Welt überhaupt anders geht: gerechter, lebensfreundlich, liebevoll und achtsam für die Würde der Zerbrechlichen. Aber die Weihnachtsgeschichte ist kein Märchen. Gott ist Mensch geworden an einem bestimmten Ort, zu einem bestimmten Zeitpunkt. Und überall, wo Menschenwürde geachtet und geschützt wird, da blitzt etwas auf von der neuen Welt der Kinder Gottes – der Königinnen und Könige, der Priesterinnen und Priester, der Prophetinnen und Propheten.
Peter Kossen
(Hervorhebungen im Text von DW)
Infos zu Pfarrer Peter Kossen, der seit über 12 Jahren aktiv ist gegen Werksverträge und Überausbeutung, nicht nur in der Fleischindustrie:
Priester aus Lengerich kämpft für Fleischarbeiter
Der katholische Pfarrer Peter Kossen und seine Mitstreiter haben am Dienstag in Lengerich gegen „ausbeuterische Zustände“ protestiert. Die Wohnungen für die Fleischarbeiter seien mit Menschen vollgestopft und viel zu teuer.
https://www1.wdr.de/nachrichten/westfalen-lippe/protest-wohnen-fleischarbeiter-lengerich-100.html
Pfarrer Kossen hält katholische Kirche für unreformierbar: „Kirche aus den Trümmern neu aufbauen“…Der Kirche wirft er ideologisch – nicht theologisch – fundierte Haltungen vor: „Sie verwechselt Realitätsverweigerung mit Standhaftigkeit, Rechthaberei mit Treue, Verschlagenheit mit Macht.“ Es sei Zeit für eine Päpstin aus Afrika, findet der Pfarrer.
https://www.domradio.de/artikel/pfarrer-kossen-haelt-katholische-kirche-fuer-unreformierbar
Warum sich Prälat Peter Kossen in der KAB engagiert … Er spricht von Straßenstrich und Leiharbeit, von moderner Sklaverei. Ein katholischer Pfarrer. In einer Predigt. Zu Heilig Abend. Nichts von wegen heile Welt und Jesus liebt dich. Stattdessen harte Kost und brutale Konfrontation mit der Realität. Pfarrer Peter Kossen ist in seinem Element, wenn er den Finger in die offene Wunde der Konsumgesellschaft legt.
Seit Jahren schon prangert er ungerechte Arbeitsbedingungen und kriminelle Praktiken in Fleischfabriken oder bei Paketdiensten an. So auch in seiner Predigt zum vergangenen Weihnachtsfest in seiner Gemeinde Seliger Niels Stensen in Lengerich. Kossen hat eine Mission: einzutreten für die Unterdrückten und Ausgebeuteten in der Gesellschaft, ihnen Stimme und Gesicht zu geben.
https://www.kab-muenster.de/themen/gesichter-der-kab/praelat-peter-kossen
Pfarrer Peter Kossen hat den Verein „Aktion Würde & Gerechtigkeit e.V.“ gegründet. Dazu gehört die Beratungsstelle für MigrantInnen, die eine wichtige Rolle spielt in NRW!