Migranten sind keine Kriminellen – Integration statt Diskriminierung!

Migranten sind keine Kriminellen – Integration statt Diskriminierung!

Von Pfarrer Peter Kossen, Vorsitzender von Aktion Würde und Gerechtigkeit

Als Verein „Aktion Würde und Gerechtigkeit“ beziehen wir Position in der aktuellen gesellschaftlichen Migrations-Debatte. Wir sehen die öffentliche Diskussion in einer gefährlichen Schieflage und wollen aus unserer eigenen Erfahrung mit der Beratung von südosteuropäischen Arbeitsmigranten öffentlichkeitswirksam einen Gegenpunkt setzen zur wahrgenommenen Diskriminierung und Ausgrenzung.

Stereotype der Fremdenfeindlichkeit
In unserm Land wird zurzeit in höchst fragwürdiger Weise über Migrantinnen und Migranten diskutiert. Es wird der Eindruck erweckt, als seien sie viel zu viele und insgesamt eine Überforderung. Es wird so getan, als sei die Einwanderung von vielen Menschen in Deutschland ein großer historischer Irrtum gewesen. Nicht nur an den politischen Rändern, bei der AfD und anderen Befürwortern einer Vertreibung von Migranten, von denen erwartet man nichts anderes. Auch von führenden Leuten aus den Unionsparteien und der FDP werden immer unverhohlener die Stereotype der Fremdenfeindlichkeit bedient und damit Migranten kollektiv diskriminiert.

Reicht ein schwarzer Bart für anlasslose Kontrolle?
In einem Interview der Zeitung „Westfälische Nachrichten“ wird am 8. Januar Jens Spahn zitiert mit den Worten: „Auf jedem Marktplatz einer mittelgroßen Stadt sieht man junge Männer ohne Beschäftigung oft aus einem arabisch-muslimisch geprägten Kulturraum…“ Das ist plumpes Social profiling! Wer wird „anlasslos kontrolliert“? Reicht es, einen schwarzen Bart zu tragen, um als potenziell gefährlich angeschaut und deshalb kontrolliert zu werden? Ein indischer Priester in Lengerich mit dunkler Haut und schwarzem Bart berichtet, dass er immer wieder und so lange misstrauisch angeschaut und auch kontrolliert wird, bis er sich als katholischer Priester zu erkennen gibt. Sehr anschaulich kann er berichten, wie er „Alltagsrassismus“ erlebt.

Von Deutschen an Deutschen verübte Verbrechen: Wo ist die Relation?
Schreckliche Attentate wie in Solingen, Magdeburg und Aschaffenburg bestimmen die Diskussionen und Emotionen. Aber auch dies ist Teil der Wirklichkeit: Fast täglich wird in Deutschland eine Frau getötet, alle drei Minuten sind Frauen Opfer von häuslicher Gewalt. Wenn deutsche Männer das tun – ist das dann nicht so schlimm?? Jeden Tag werden unfassbar viele brutale Verbrechen von Deutschen an Deutschen verübt. Wo bleibt da ein vergleichbarer Aufschrei der Gesellschaft und der Politik?? Warum ist das nicht Thema im Wahlkampf??

Unsere Erfahrung als Verein „Aktion Würde und Gerechtigkeit“ ist diese: Jeden Tag werden bei uns Zehntausende von Migranten in der Fleischindustrie oder bei den Paketdiensten verschlissen und gedemütigt, werden zehntausende Migrantinnen Opfer von Zwangsprostitution in unserm Deutschland als „Bordell Europas“. Wo bleiben da der Aufschrei und die Forderung nach Konsequenzen??

Wenn eine Gesellschaft durch Krisen besonders herausgefordert wird, werden Randgruppen gesucht und gefunden, denen man die Schuld für die Misere geben kann. Das geschieht aktuell in Deutschland. Migranten geraten unter Generalverdacht, werden Projektionsfläche diffuser Ängste und ungelöster gesellschaftlicher Probleme. Viele wissen, dass einfache Erklärungen nicht taugen. Weltoffenheit und Differenzierung sind viel besser begründet als Ausgrenzung und Abschottung!

Massive Integrationserfolge
Nach Einschätzung des Konfliktforschers Andreas Zick gibt es eine erhebliche Diskrepanz zwischen der Wahrnehmung von Einwanderung nach Deutschland und der Realität. In Wirklichkeit könne man „massive Integrationserfolge“ konstatieren, sagte er im Interview für ein Buch, das Ende Januar erscheinen wird. Studien zeigten, wie sehr das Zusammenleben mit Menschen, die eine Migrationsgeschichte hätten, als konfliktreich wahrgenommen werde, selbst wenn es gut laufe und alle von Migration profitierten, führte der Professor der Universität Bielefeld demnach aus. Es habe eine enorme Entwicklung bei der Integrationsfähigkeit und der Qualität der Integrationsangebote gegeben. Zick sieht die Diskrepanz unter anderem in populistischen Forderungen zum Thema Migration begründet. Selbst etablierte Parteien würden auf der Welle der Rechten schwimmen. Zick plädierte für die Einsetzung eines Bundesbeauftragten für Migration. (Deutschlandfunk, 19.01.25)

Kennst du einen, kennst du alle!??
Ein mir gut bekannter Mann ist aus Afghanistan nach Deutschland geflohen. Er ist Maurer und arbeitet auf Montage, ist mit einer deutschen Frau verheiratet und Familienvater. Nach dem Messerangriff von Aschaffenburg hat er Folgendes geschrieben:

Für jemanden, der aus dieser Nation stammt und miterlebt, wie der Fehler eines Einzelnen einer ganzen Nation zugeschrieben wird, ist es, als würde ein schwerer, unsichtbarer Stein auf seinem Herzen lasten. Es ist das Gefühl, eine Last von ungerechten Urteilen zu tragen – Urteile, die nicht aus seinen eigenen Taten stammen, sondern aus einer Identität, die ihm heilig ist.

Mit tiefem Schmerz fragt er sich, warum die Mühen, die Hoffnungen und die Schönheit seines Volkes ignoriert werden. Warum schaut die Welt, die eigentlich mit offenen Augen auf die Wahrheit blicken sollte, nur auf die Fehler Einzelner und nicht auf die Menschlichkeit und die Tiefe seiner Nation?

Dieses Gefühl ist wie ein stiller Dolch, der sich langsam und unaufhörlich in seine Seele bohrt. Er spürt, wie seine Identität beschmutzt wird – nicht wegen dem, was er ist, sondern wegen dem, was andere aus der Ferne über ihn denken. Manchmal bricht sogar sein Stolz unter der Last dieser Vorurteile zusammen, und in stillen Momenten fragt er sich, ob all die Errungenschaften und die Geschichte seines Volkes so leicht vergessen wurden.

Er trägt diesen Schmerz in sich, oft lautlos und unsichtbar. Vielleicht sieht man es ihm nicht an, aber in seinem Herzen brennt ein tiefes Gefühl von Trauer und Ungerechtigkeit, dass keine Worte jemals ganz beschreiben können.

Migranten sind keine Kriminellen – ihnen kommt die gleiche Würde zu wie jedem Menschen! Das Recht auf Asyl ist aus guten Gründen im Grundgesetz verankert. Es gehört zur Identität unseres deutschen Volkes. Es ist nicht verhandelbar! Die kollektive Diskriminierung von Migranten setzt den inneren Frieden aufs Spiel in einem Land, in dem mehr als ein Viertel der Bevölkerung einen Migrationshintergrund hat. Sie ignoriert, dass Fluchtgründe wie der Klimawandel und die damit einhergehende Umweltzerstörung ihren Ursprung haben gerade auch in unserm Land und in unseren Konsumgewohnheiten.

Das „Gemeinsame Haus“, nicht die „Festung Europa“
Die Idee unserer jüdisch-christlich geprägten Kultur ist eine internationale. Die Bibel ist voll von Migrationsgeschichten. Ihre Botschaft: Trotz nationaler Grenzen gehören alle Menschen zu einem Volk. Die Propheten und Jesus selbst sagen: „Der Fremde, das ist dein Bruder, das ist deine Schwester. Behandle sie so!“ Nationalistische und völkische Grenzen zu ziehen, ist durch unseren Glauben in keiner Weise gedeckt!

Im Buch Levitikus im Alten Testament lesen wir: „Wenn bei dir ein Fremder in eurem Land lebt, sollt ihr ihn nicht unterdrücken. Der Fremde, der sich bei euch aufhält, soll euch wie ein Einheimischer gelten und du sollst ihn lieben wie dich selbst; denn ihr seid selbst Fremde in Ägypten gewesen. Ich bin der HERR, euer Gott.“ (Lev 19,33 f.) Jesus Christus sagt: „Ich war fremd und ihr habt mich aufgenommen.“ (Mt 25,35)

Bei einer nachhaltigen Bekämpfung solcher Not, die Menschen zwingt, aus ihrer Heimat zu fliehen, wird entscheidend unsere Antwort auf die Frage sein: Wollt ihr nur helfen oder wollt ihr auch teilen? Nur die Bereitschaft zum Teilen hat das Potential, die Güter der Erde gerecht zu verteilen und Fluchtursachen dauerhaft zu bekämpfen. Das Gemeinsame Haus (Papst Franziskus) ist die Zukunft, nicht die Festung Europa!

Deutschland vergreist und verkommt ohne Migration
Migration ist nicht in erster Linie ein Problem, sondern demografisch die einzige Chance, die wir in Deutschland haben, nicht völlig zu vergreisen! In den nächsten 13 Jahren gehen in Deutschland 18 Millionen „Babyboomer“ in den Ruhestand; im gleichen Zeitraum werden 11 Millionen Menschen bei uns volljährig. Das bedeutet: Da tut sich in diesen wenigen Jahren eine Lücke von 7 Millionen fehlenden Arbeitskräften auf. Ostdeutschland ist die demografisch älteste Region der Welt, älter noch als Japan. Chemnitz ist demografisch die älteste Großstadt der Welt. Wir brauchen die Migranten! Wir brauchen den Netto-Zuzug von mindestens 400.000 Menschen jährlich

Wie verlogen ist es, wenn die deutsche Gesellschaft in vielen Dienstleistungen Drecks- und Schwerstarbeit von Migranten gern und selbstverständlich annimmt und dann den gleichen Menschen mangelnde Integration vorwirft? Aus der Arbeit mit den modernen Sklaven der Fleischindustrie wissen wir, dass, wer sechs Tage in der Woche und elf Stunden am Tag schuftet, danach kein Deutsch mehr lernt. Die Alten- und Krankenpflege, die Lebensmittelproduktion, die Paketdienste, die LKW-Fahrer, die Hotellerie, die Gastronomie und den Bausektor sind Beispiele für Branchen, die ohne migrantische Arbeitskräfte in Deutschland überhaupt nicht mehr funktionieren würden. Die größere Verantwortung für gelingende Integration liegt bei der aufnehmenden und profitierenden Gesellschaft, also bei uns.

Die Geisterarmee
Als Verein „Aktion Würde und Gerechtigkeit“ bewegt uns das Schicksal eines Mannes aus Bulgarien, der in einem großen Putenschlachthof im Landkreis Oldenburg arbeitet. Zusammen mit zwei Kollegen muss er täglich in einer gut zwölfstündigen Schicht 26.500 geschlachtete Puten aufhängen, das sind ungefähr 9000 Tiere pro Person, das sind mehr als zweihundert Tonnen Fleisch pro Arbeiter in einer zwölfstündigen Schicht, sechs Tage in der Woche. Er verdient für 280 Arbeitsstunden im Monat 1400 €. Das sind genau 5 € pro Stunde für diese Schwerstarbeit. Wie am Niederrhein und anderswo wohnen die Arbeiter in Bruchbuden und zahlen dafür Wuchermieten. Zynisch gesprochen: Wenn man keinen kennt, tut es gar nicht so weh. Immer wieder wird über die Migranten gesprochen, viel zu wenig mit ihnen. So bleiben sie eine „Geisterarmee“ – unverstanden und „bedrohlich“.

Migranten schützen, nicht diskriminieren!
Einwanderung aus Drittstaaten zu Erwerbszwecken ist kein vorübergehendes Phänomen, sondern erfolgt dauerhaft. Sie trägt ganz erheblich und im Laufe der Zeit immer stärker zur Linderung der Bedarfe der deutschen Wirtschaft bei. Faktisch und wissenschaftlich gesichert ist es eben nicht die „Einwanderung in unsere Sozialsysteme“, sondern deren Aufrechterhaltung. Junge Menschen tragen noch in der Situation ihrer Ausbeutung mit ihren oft viel zu geringen Löhnen zu den Sozialkassen bei. Den (potenziellen) ausländischen Beschäftigten fehlen oftmals Netzwerke, Kenntnisse der deutschen Sprache und des deutschen Arbeits- und Sozialrechts, während gleichzeitig häufig ihr Aufenthaltstitel vom Fortbestand ihres Arbeitsvertrags abhängt. Diese Personen müssen in besonderem Maße vor Ausbeutung und Benachteiligung im Arbeitsverhältnis geschützt werden. Geflüchtete, die in Deutschland eine Arbeit aufnehmen wollen oder aufgenommen haben, bedürfen desselben Schutzes. Von diesem Schutz profitieren auch einheimische Beschäftigte, indem unfairer Wettbewerb durch nicht angemessene Arbeitsbedingungen, insbesondere Lohndumping, verhindert wird.

Als „Aktion Würde und Gerechtigkeit“ sehen wir mit großer Sorge, wie durch die aktuelle Migrationsdebatte Hoffnung und Perspektiven in der Bevölkerung bewusst zerstört werden, wie Ängste bedient und ganze Bevölkerungsgruppen ausgegrenzt und diskriminiert werden. Wir leben und fördern im Alltag Integration, Teilhabe und Solidarität und fordern das Gleiche von der Gesellschaft und besonders von denen, die in unserm Land politische Verantwortung anstreben! Wir finden es mehr als verwerflich, wenn Politiker im Bundestagswahlkampf meinen sich profilieren zu können auf Kosten der Migranten in unserm Land, unter Missachtung ihrer Akzeptanz und ihrer Würde.

kossen@bistum-muenster.de

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