Rudi Christian: Über das Wirken und das Potenzial kommunistischer Betriebsgruppen am Beispiel der Hamburger Werften zwischen 1968 und 1988

Rudi Christian: Über das Wirken und das Potenzial kommunistischer Betriebsgruppen
am Beispiel der Hamburger Werften zwischen 1968 und 1988

 

Es wird sich kaum ein Genosse oder eine Genossin aus einer unserer früheren Betriebsgruppen
finden, der an der Notwendigkeit und Richtigkeit der politischen Arbeit in Betriebsgruppen
zweifelt.
Die Belegschaften und die Betriebe der industriellen Produktion waren und bleiben vermutlich
Gradmesser der Mobilisierierungsfähigkeit und Veränderungsfähigkeit dieser Gesellschaft und
sind darum das elementare und das politisch ergiebigste Betätigungsfeld für uns Kommunisten.
Dies sollten wir – neben Marxismus-Leninismus – auch den jungen Genossinnen, Genossen und
Sympathisanten vermitteln, wenn sie Schulen, Ausbildungsplätze und Hochschulen verlassen. Als
politische Berufsberatung!
Die Erfahrung hat auch gezeigt, dass sich persönliche berufliche und politische Ambitionen in einer
Betriebsgruppe der DKP optimal miteinander verbinden lassen. Das Kollektiv Betriebsgruppe setzt
Kräfte frei, durch die es möglich wird, unsere Kollegen , nicht zuletzt auch uns selbst, zu ermutigen,
zu aktivieren und im besten Fall auch aussichtslos erscheinende Lagen zu unseren Gunsten zu
wenden, wie es u.a. die Besetzung der HDW und der Erfolg der Belegschaft von Pohl & Jozwiak
gezeigt haben.

Das Thema Betriebsarbeit und Betriebsgruppen hört sich für jüngere Ohren auch in der „Partei der
Arbeiterklasse“ heute etwas antiquiert an. Das hat seinen Grund nicht zuletzt darin, dass es
Betriebsgruppen der DKP kaum noch gibt.
Die Krise hatte bereits anfangs der 80er eingesetzt. Sie betraf auch unsere Gruppen in Altona.
Allein in diesem Parteikreis hatte es 1972 8 Betriebsgruppen gegeben, die, mit Ausnahme der
DESY-Gruppe, auf den Werften und in Industriebetrieben im Bereich der IG-Metall aktiv waren.
1988 waren davon nur Reste übrig geblieben. Wie war es dahin gekommen?

Nach der Parteigründung 1968 hatten ehemalige KPD-Mitglieder den Stamm von Betriebsgruppen
gebildet. Meistens Betriebsräte und gewerkschaftliche Vertrauensleute, deren betrieblicher Einfluss
durch das KPD-Verbot kaum geschmälert schien. Um sie herum hatten sich bald junge Kollegen
gesammelt, die aus der betrieblichen Ausbildung oder von den Ingenieurschulen kamen. Die Partei
war schnell gewachsen, denn die Welt nahm infolge der antikolonialen Befreiungskriege ein
neues Aussehen an, bis sich Mitte der 80er das Bild änderte. Der Realsozialismus knickte ein, das
sozialistische Lager kollabierte und mit ihm die DKP.

Die Ursachen und Auslöser „der großen Krise“ blieben für die verbliebenen Parteimitglieder –
und vermutlich auch für die gegangenen – lange ein Dauerthema und i.E. umstritten. Wie sehen wir
es heute?
Ich zitiere aus dem Protokoll unserer Wohngebietsgruppe Hamburg-West:
„Die von Marx und Engels beschriebene Klassenpolarisierung in ein großes, besitzloses,
ausgebeutetes Proletariat und die kleine Gruppe der Besitzer der Produktionsmittel vollzog sich
nicht in der angenommenen absoluten Dimension. Auch Lenins These von der Fäulnis des
Kapitalismus im imperialistischen Stadium wurde überbewertet. Typisch für alle imperialistischen
Länder wurde die Herausbildung von „bürgerlichen Arbeiterparteien“ und damit der Kampf
zweier Linien in der Arbeiterbewegung, zwischen der revolutionäen kommunistischen Tendenz (3.
Internationale) und der reformistischen 2. Internationale.
.Auch die Krise des Kapitalismus wurde überbewertet, sodass an der Orientierung auf eine
unmittelbar bevorstehende Fortsetzung des revolutionären Prozesses in den kapitalistischen
Ländern Europas festgehalten wurde. Man unterschätzte das Vermögen der Bourgeoisie, „die
gesellschaftlichen Verhältnisse fortwährend zu revolutionieren“, wie Marx und Engels im
Kommunistischen Manifest feststellten.

Dass dem auch die sozialistischen (post-kapitalistischen) Ordnungen ausgesetzt werden könnten,
falls diese die ihr eigene revolutionierende Rolle einbüßen würden, wäre noch damals (Anfang der
80er) eine völlig absurde Vorstellung gewesen. Um so überraschter war man, als die
sozialistischen Ordnungen in der Sowjetunion und anderen Ländern diesem historischen
(Erneuerungs )-Vermögen des Kapitalismus nicht mehr standhielten und vom Kapitalismus
„überrollt“ wurden.“
Im Westen führte die ungewöhnliche wirtschaftliche Prosperität über Jahrzehnte zu Illusionen
über die Soziademokratie, die „Gegenmachtpositionen“ der Gewerkschaften und die Refor-
mierbarkeit der kapitalistischen Machtverhältnisse. Klassenbewußtsein und Mobilisieungsberei-
tschaft der Arbeiterklasse zeigten sich nur in Notlagen, wenn es um Massenentlassungen und
Betriebsschliessungen, also unmittelbar um die Existenz ging.

Wie wir jetzt erleben, erlaubt der Kapitalismus auf Dauer keine Illusionen, weder in stabile
soziale Sicherheit noch in einen sicheren Frieden. Die „soziale Frage“ wird immer wieder neu
gestellt, und um Kriegsbereitschaft herzustellen braucht es Kriegshaushalte, die einer staatlichen
Geldverbrennungsaktion gleichlommen. Darum geht es aktuell nicht mehr nur um den Abbau
einzelner sozialer Leistungen, sondern „es deutet sich das Bestreben an, in den Sozialverhältnissen
zu einer anderen Republik überzugehen. …Offenbar enthält der hochentwickelte Kapitalismus eine
Tendenz, auf der Basis modernsterTechnologie zu frühkapitalistischen Verhältnissen
zurückzukehren, zu ungehemmter Marktwirtschaft.“ (Frank Deppe )

Dieser Versuch des Finanzkapitals, das die gesellschaftliche Produktion nur noch als Basis seiner
Spekulationsgeschäfte betrachtet, wird sicher gesellschaftliche Gegenkräfte mobilisieren, und das
nicht nur in der gut organisierten Industriearbeiterschaft, – wie z. B. bereits an den Aktivitäten im
Pflegebereich zu sehen. Doch ist zu erwarten, dass die zentralen Orte und Ausgangspunkte gesell-
schaftlichen Widerstandes wieder die großen Betriebe der materiellen Produktion sein werden.
Das führt uns zurück zur Bedeutung von Betriebsgruppen und politischer Arbeit in industriellen
Unternehmen. Zeit also, unsere Erfahrungen zu entstauben und sie auf ihre Aktualität zu prüfen .

Die DKP gibt es noch. Marx, Engels und Lenin sind keineswegs passe’ und der Kapitalismus
scheint neuerdings wieder einmal bemüht, seinem historisch unausweichlichen Schicksal entgegen
zu stolpern. Nur die Revolutionäre sind nicht mehr vor Ort. Schlimmer noch, Betriebsarbeit findet
als Anspruch und Ziel unserer Organisationsarbeit kaum mehr statt und stellt damit die DKP
insgesamt als revolutionäre Organisation und Arbeiterpartei in Frage.

Dies ist ein Versuch, an Hand unserer Arbeit auf den Hamburger Werften Blohm & Voss (B&V), der Howaldt-Deutsche Werft (HDW), der Sietas-Norderwerft und der Werft Pohl & Jozwiak, auf denen ich selbst fast 30 Jahre meines Arbeitslebens verbrachte, Erfahrungen festzuhalten und die eine oder andere Schlussfolgerung zu ziehen. Hier mein Blick zurück.

I. HDW – Scheitern unter schwierigen Bedingungen
Die Besetzung der Werft im September 1983, der zwei große Demonstrationen folgten, war eine
zeitlang Symbol des gewerkschaftlichen Widerstandes gegen Arbeitsplatzvernichtung und Ausdruck
der Hoffnung all derer, die nicht auf Sozialpläne orientierten, sondern den gemeinsamen
überbetrieblichen Widerstand entwickeln wollten.
Die große HDW geriet schon frühzeitig in den Sog der Schiffbaukrise. Der Widerstand
entwickelte sich hier ab 1981 anfangs sehr langsam und zuerst innergewerkschaftlich gegen einen
angepassten, inaktiven Betriebsrat, der den vom Salzgitter-Konzern geplanten Massenentlassungen
absehbar nichts entgegensetzen würde. Dieser Betriebsrat wurde bei den Betriebsratswahlen 1981
von einer „Alternative IGMetall-Liste“ abgelöst, sodaß sich gegen die erste Massenentlassung
( 1354 direkte Entlassungen und 900 Auflösungsverträge waren vorgesehen) starker Widerstand
entwickeln konnte, der im September 1983 nach einer Reihe von Überstundenverweigerungen,
Kurzstreiks und Demonstrationen in einer 9-tägigen Betriebsbesetzung gipfelte.

Die Besetzung
Die Besetzung entwickelte die Werft zu einem wahren Pilgerziel. Betriebsdelegationen,
Schulklassen, Kindergartengruppen, oppositionelle Politiker stellten sich am Werfttor ein und
lieferten Solidaritätsbeweise ab. Auf Betriebsversammlungen heiterten bekannte Künstler die
angespannte Stimmung auf und ließen für Augenblicke die schweren Sorgen in den Hintergrund
treten. Das alles half, und trotzdem konnte die Isolierung der Hamburger HDW-Belegschaft nicht
gesprengt werden, denn die gemeinsame Ausschlachtung des staatlichen Unternehmens durch den
Salzgitterkonzern und das Thyssenunternehmen Blohm & Voss zog sich über Jahre hin. Das gab
den Konzernspitzen die Möglichkeit, alle möglichen Manöver und Winkelzüge zur Aufspaltung der
beteiligten Belegschaften einzusetzen. Was viele Belegschaften und die jeweils beteiligte Ig-Metall
hatten bitter erfahren müssen, das bewies sich auch hier: Ein erfolgreicher Widerstand gegen
Arbeitsplatzvernichtung der Unternehmer ist undenkbar, wenn es den Beteiligten, vor allen Dingen
den Gewerkschaften, den Betriebsräten und Vertrauensleuten nicht gelingt, auf einer gemeinsamen
Linie zu agieren. Das mißlang auch hier, weil der Blohm&Voss-Betriebsrat unverblümt die
Interessen von Thyssen vertrat. Viele Kolleginnen und Kollegen sympathisierten zwar mit dem
Abwehrkampf der HDW, schwiegen aber zu dieser Sabotagepolitik des B&V-Betriebsrats. Ihnen
fehlte die Kraft und Perspektive , den damit unvermeidlich hochkommenden Streit in der
Gewerkschaft offen mit auszutragen. Und allen fehlte die Vorstellung, wie ein Kampf gegen
Massenentlassungen erfolgreich geführt werden könnte.

Politische Arbeit in einer großen Belegschaft
Bei der HDW-Hamburg hatte die relativ große DKP-Betriebsgruppe aus erfahrenen älteren und
einer Reihe sehr aktiver jüngerer Genossen maßgeblichen Einfluss auf Beginn und Verlauf der
Ereignisse. Diese gestalteten sich wegen der großen Belegschaft und als Teil eines Großkonzerns
aber ungleich schwieriger als z.B. bei einem kleinen. privat geführten Unternehmen, wie der
benachbarten Werft Pohl&Jozwiak, auf die wir später gesondert eingehen. Denn eine so große
Belegschaft (vor der Besetzung 4600 Beschäftigte im Hamburger Werk) lässt sich nicht ohne
größte Anstrengung über einen langen Zeitraum (1982 bis 1988) auf einem hohen Aktivitätsstand
halten. Die anfängliche spontane Einstimmigkeit gegen das Entlassungsvorhaben ließ sich auch
nicht allein durch Betriebsversammlungen in Aktivität überführen, sondern erfordert die dauernde,
abgestimmte und persönliche Initiative vieler Aktivisten, der Vertrauensleute und Betriebsräte in
allen Abteilungen und Gewerken des Unternehmens. Das ist schon in normalen Zeiten mit den
jährlichen Tarifauseinandersetzungen ein schwieriges Unterfangen, und das gilt erst recht, wenn
sich ein existentieller Konflikt zuspitzt und ausdauernde Aktionen erfordert.
Der betrieblichen Gewerkschaftsführung und dem Betriebsrat bei HDW ist zwar ein großer
Kraftakt gelungen. Die 9 Tage und Nächte dauernde Besetzung und ihre Begleitung mit großen
Demonstrationen in der Stadt setzten ein Fanal. Aber danach blieben auch die HDW-ler allein, kam
es nicht zu dem überbetrieblichen Widerstand, der eine neue Qualität von Abwehr und Widerstand
bedeuten würde.

Die Genossen unserer HDW-Betriebsgruppe haben zur Besetzung, zu den
Aktionsvorbereitungen, zum einheitlichen Handeln der HDW-Belegschaft maßgeblich und sichtbar
beigetragen, u. a. weil sie sich in der Gruppe und einem erfahrenen Kreis von Genossen permanent
beraten konnten. Das ist in dieser Situation unersetzlich, denn eine Betriebsbesetzung hat i.d. Regel
niemand erlebt und sie liegt für viele erst einmal ausserhalb des Vorstellbaren und Machbaren. Bis
sich der Gedanke für das Außerordentliche Bahn bricht und eine Betriebsbesetzung passiert, muss
vieles vorangehen und in den Köpfen passiert sein.
Unsere Genossen hatten aufgrund der Diskussion in der Parteigruppe, zu der sie auch andere
HDW-Aktive einluden, eine klare Vorstellung von dem, was ihnen die Situation abfordern würde
und halfen, in der Aktionsleitung und dann auch in den nicht abreissenden Belegschafts-
versammlungen, aufkommende Bedenken und Zweifel zu überwinden und das unmöglich
scheinende möglich zu machen.

Apropos Betriebsversammlung: Betriebsversammlungen sind in normalen Zeiten eine großartige
Möglichkeit, die Politik der Gegenseite zur Diskussion zu stellen, unsere Alternativen zu entwickeln
und als Interessenvertreter der Belegschaft anerkannt zu werden. Im Konflikt ist die
Betriebsversammlung das unersetzliche Instrument, um Einstimmigkeit und Aktionsbereitschaft der
ganzen Belegschaft herzustellen, denn viele Entscheidungen sind erst einmal umstritten und bergen
die Gefahr, dass den Aktiven das Ruder entgleitet. So kann ein aus der Versammlung geforderter
vorzeitiger Kompromiss zu Verunsicherung und zum Abbruch einer geplanten Maßnahme führen.
Dem rechtzeitig zu begegnen, setzt eine richtige Einschätzung der Stimmungslage und die
notwendigen Argumente voraus. So gesehen ist jede Betriebsversammlung eine Herausforderung ,
die stets gute Vorbereitungen erfordert. Unsere Betriebsgruppe hat gerade in den vielen, z.T.
tagelangen Betriebsversammlungen mit ihren Wortmeldungen und Vorschägen zu den entscheidenden Abstimmungen und zur bemerkenswerten Dauer der Besetzung beigetragen.

Die IG-Metall im Konflikt
Der Konflikt zwischen den Betriebsräten der HDW/Ross und B&V hat gezeigt, wie sich
kapitalistische Konkurrenz zerstörerisch auf Teile der Belegschaften auswirkt und am Ende zu einer
Demonstration gewerkschaftlicher Machtlosigkeit führt.
Unter den gegebenen Bedingungen müssen und können die Betroffenen von
Betriebsschliessungen oder Massenentlassungen nur versuchen, die Möglichkeiten im Betrieb und
die Solidarität anderer Betriebe sowie der Bevölkerung möglichst vollständig zu nutzen. Dazu ist im
Regelfall aber eine starke Gewerkschaft erforderlich, die aktiv eingreift und betriebsegoistisches
Vorgehen a la B&V-Betriebsrat nicht zulässt.
Dieser „innerorganisatorische Großkonflikt“ zeigte auch noch einmal einen verbreiteten
Grundmangel der Organisation an: Die Duldung konfliktscheuer Vertretungen in einer Reihe von
Großbetrieben, was häufig die Bildung „Alternativer Listen“ provoziert und eine Spaltung unter
Gewerkschaftsmitgliedern nach sich zieht.
Vor allem aber fehlte es an brauchbaren Vorstellungen, wie wirksamer Widerstand gegen die
Arbeitsplatzvernichtung aussehen könnte, der mehr wäre als nur die juristische Begleitung eines
Konflikts.

Was es stattdessen gab, war ein gewerkschaftliches „Konzept Entwicklungsgesellschaft Werften“,
das allein auf staatliche Zusammenarbeit und auf Kooperation der Kapitalseite setzte und das Papier
nicht wert war, auf dem es geschrieben stand. Auch im (erfolgreichen) Kampf um die P&J-
Arbeitsplätze erwies es sich als gegenstandslos, da die Politik sich längst auf den Rückbau der
Werftkapazitäten verständigt hatte. Ein realistisches Konzept zur Verteidigung der Arbeitsplätze
mußte sich darum nur aus der Belegschaft selbst entwickeln. Das gelang auf der kleinen Werft
Pohl&Jozwiak. Allerdings unter davon sehr verschiedenen Rahmenbedingungen.

Das System wirkt
Die Reste der großen HDW-Belegschaft durchlitten ihr bitteres Ende zur selben Zeit, als die
benachbarte Werft Pohl & Jozwiak im September 1988 ihren glücklichen Sieg feiern konnte.
Ähnliches gelang der IG-Metall weder bei der HDW noch bei Blohm & Voss und das liegt, neben
den schon ausgeführten Zwängen, wie immer am mangelhaften Klassenbewußtsein, das auch eine
aktive Betriebsgruppe nur punktuell und in einem längeren Erfahrungsprozess beeinflussen, aber
bei ruhigen gesellschaftlichen Verhältnissen nur bedingt verstetigen kann.
Betriebswirtschaftlich sind Betriebsschließungen und Arbeitsplatzabbau in einer Branchenkrise,
wie sie in den 80er-Jahren im Schiffbau und in der Stahlindustrie herrschte, ja „marktwirtschaftlich
plausibel“, während eine Kompensation durch neue Arbeitsplätze nirgends vorgesehen ist und
seltsamerweise ja auch als „nichtplausibel“ und systemfremd akzeptiert wird. Dieses „fatalistische
Grundverständnis“ von kapitalistischer Marktwirtschaft haben viele tief verinnerlicht, was
wiederum die zugrunde liegende soziale Verantwortungslosigkeit von Politik und Wirtschaft bei
Betriebsschliessungen und Massenentlassungen stützt.

Die Parteigruppe bei der HDW war über viele Jahre offensiv mit den betrieblichen,
gewerkschaftlichen und politischen Konflikten umgegangen, die sich aus dem sich abzeichnenden
Rückzug der BRD-Kapitals aus dem Schiffbaugeschäft ergaben. Es gab das regelmässig
erscheinende HDW-Werftecho. Unsere Genossen traten auf den Betriebsversammlungen wirksam
in Erscheinung, wurden in den Betriebsrat und als Vertrauensleute gewählt. Aber auch der seit ‚81
offensivere Betriebsrat der HDW sah sich nach der Besetzung und darauffolgenden Demon-
strationen auf den Verhandlungsweg gezwungen. Nach einer endlosen Reihe von Winkelzügen und
Versprechungen der Thyssenvertreter lief es Ende 87 auf die Schliessung und Ausschlachtung des
Werkes Ross hinaus. Man diskutierte zwar ernsthaft die Blockade der Köhlbrandbrücke, aber die
strapazierten Reste der HDW-Belegschaft hatten das Vertrauen in ihre eigene Stärke inzwischen
verloren. Die „metall“ vom 4.9.87 kommentierte das Verhalten der Thyssenseite mit „Thyssen
zerreißt seine Werftpläne.“

Auch der HDW-Belegschaft fehlte die Kraft, den Kampf nach der Werftbesetzung fortzusetzen,
und die enormen Sympathien der Hamburger in politischen Druck umzusetzen. Am Ende blieb als
einziger Weg, sich auf das Glatteis von Gesprächen und Verhandlungen zu begeben. So bot sich
denn das schon bekannte Bild, dass eine einzelne Belegschaft in einer krisengeschüttelten Branche
der wirtschaftlichen und politischen Macht von Konzernen erliegt und eine kämpferische
Belegschaft sich auflöst.
Mit der HDW starb unsere größte Betriebsgruppe in Hamburg.

Zum Schluss, als Trostpreis für die IG-Metall,
fanden sich Senat und Bürgerschaft bereit, Ökotech mitzufinanzieren, eine „Transfergesellschaft“
unter Leitung vorheriger HDW-Betriebsratsmitglieder.
Bei Ökotech kamen 60 ältere oder schlecht vermittelbare Kollegen für wenige Jahre unter. Die
Vereinbarung wurde vom Bezirksleiter der IG-Metall als bahnbrechend verkauft. Wörtlich: als
„ersten, weit über die Grenzen Hamburgs hinausgehenden Schritt in die richtige Richtung.“
Drei Jahre später war auch Ökotech Geschichte.

II. Blohm & Voss. Panzer, Korvetten und der Egoismus von Belegschaftsvertretern
Diese Betriebsgruppe bei Blohm&Voss hatte anfangs der 70er ebenfalls eine hoffnungsvolle
Entwicklung genommen. Wie bei der HDW gab es eine Betriebszeitung, den „Werftkurs“, der in
hoher Auflage vor der Werft verteilt wurde. Der Stamm unserer Betriebsgruppe bei B&V waren
„untypischerweise“ nicht alte KPD-Genossen (Es gab bei der Gründung nur den Dockmeister
Alfons), sondern eine Gruppe SDAJ-ler, die sich aus aktiven Lehrlingen und der Jugendvertretung
rekrutierte. Die waren zusätzlich aktiv im „Jour Fix“ des Hamburger DGB, auch im
„Sozialistischen Lehrlingszentrum (SLZ/ SALZ), einem Ableger des studentischen Hamburger
SDS., so dass am Anfang die üblichen Konflikte mit der Ausbildungsleitung im Zentrum standen,
begleitet von der Kritik an der sozialpartnerschaftlichen Politik der zuständigen IG-Metall-Vertreter
und der Kritik der kompromisslerischen Haltung des Betriebsrats. Dabei blieb es allerdings nicht
lange. Dafür sorgte schon die Rüstung, die seit wilhelminischer Zeit im Programm der Werft einen
festen Platz hatte und hat. Produziert wurden Anfang der 7oer neben Kriegsschiffen auch
Panzergehäuse (Wannenproduktion) und Induktionsöfen für die Herstellung von Granathülsen, u.a.
für das Schah-Regime. Empörung entzündete sich besonders am Bau von 3 Korvetten für das
faschistische Salazar-Regime in Portugal., da sich Widerstandsorganisationen aus den portu-
giesischen Kolonien an den Betriebsrat und die Belegschaft gewandt hatten und darauf hinwiesen,
dass mit diesen Schiffen gegen einen UNO-Beschluss verstossen würde.

In die selbe Richtung wirkte das Verschwinden einer Tafel, die ein früherer Betriebsrat an der „Betriebsratsbaracke“ hatte anbringen lassen. Darauf wurde an die Naziopfer und Zwangsarbeiter auf der Werft erinnert, denn B&V war eine Nebenstelle des KZ-Neuengamme gewesen. Den Nazis zum Opfer gefallen waren auch Mitglieder der Hamburger Widerstandsgruppe Bästlein, Jacobs, Abshagen bei Blohm&Voss. Der Hauptschuldige an den Morden, SS-Sturmbannführer und Leiter der Hamburger Gestapo, Bruno Streckenbach, war bis zu seiner Rente 1969 bei Blohm&Voss als Prokurist beschäftigt.

Wie verlief die weitere Entwicklung dieser jungen Betriebsgruppe bei Blohm&Voss?
Die Gruppe erhielt in ihrer Aufbauphase, anders als die erfahrene „autonom operierende“ HDW-
Gruppe, viel Aufmerksamkeit und Unterstützung durch die Kreisorganisation Altona. Das konnte
aber nicht verhindern, dass das offene Auftreten der jungen Genossen oft dazu führte, dass sie nach
Ende der Ausbildung nicht übernommen wurden. Als sich Mitte der 70er die Krise im Schiffbau
abzeichnete verliessen zudem mehrere hoffnungsvolle „Jungkader“ den Betrieb in Richtung
Hochschule oder folgten Angeboten anderer Betriebe, die eine sichere berufliche Zukunft
versprachen. Dennoch schafften es immer wieder Genossen in den Betriebsrat und in den VK der
IG-Metall, wo sie sich aber i.d. Regel mit ihrer kritischen Haltung isoliert fanden und in die
Auseindersetzung um die Betriebszusammenführung mit der HDW kaum eingreifen konnten. Im
Gegenteil. Sie mußten dort die bittere Erfahrung machen, dass betrieblicher und prsönlicher
Egoismus von Belegschaftsvertretern sich durchsetzten. Ein Verhalten, das mit der Zeit auch sonst
aktive Teile der Belegschaft erfasste, als eine Zusammenführung mit größeren Teilen der HDW
immer weniger realistisch erschien.

Zwischen Mitbestimmung und Verrat
Bei B&V gab es gleich mehrfach Beispiele für die Sprengkraft dieses zerstörerischen
Mechanismus. Allen voran agierte der ehemalige Betriebsratsvorsitzende Werner Knödler. Später
Arbeitsdirektor und Vorstandsmitglied, aber immer noch IG-Metall-Mitglied, wurde „Herr Knödler“
zum beinharten, demagogischen Vertreter der Vorstandspolitik von B&V. (Knödler: „Wir leben in
einer Ellenbogengesellschaft. Da ist das einfach so.“) Die Blohm+Voss BR-Vorsitzenden
Taschenberger, Schreyer und Oetting, alle einflussreiche IG-Metallfunktionäre in der Hamburger
Ortsverwaltung, verhielten sich nicht viel anders. Sie konterkarierten immer wieder die
Einigungsversuche der IGM-Zentrale und der Ortsverwaltung und unternahmen es, den Konflikt auf
Kosten der HDW-Kollegen zu lösen.

Das blieb auch nicht ohne Folgen in den Reihen der HDW. So
hatte der Vertrauenskörperleiter der IGM noch während der Werftbesetzung erklärt: “Freiwillig
werde ich die Werft nicht verlassen, da muß man mich schon raustragen.“ Nur ein Jahr später,
gerade wieder zum Vorsitzenden des VK gewählt, unterschrieb er ohne jeden Handlungszwang
einen Auflösungsvertrag und „fand einen Job beim Arbeitsschutz“. Und er blieb kein Einzelfall
unter den Aktivisten der Werftbesetzung. Entsprechend war das Ergebnis: Anstelle der erhofften
Zusammenführung der Belegschaften gab es 1987 einen „Interessenausgleich“, dessen Kernpunkte
lauteten:
• Kollegen von Ross/HDW werden bei B&V freie Arbeitsplätze angeboten, – nicht mehr!
• Gleichzeitig verpflichtet sich der B&V-Vorstand, bis Ende `88 -also für 1 Jahr -nicht
betriebsbedingt zu kündigen.
• Hinzu kam, dass sich der Lohn der HDW-ler im Fall der Übernahme um bis zu 3 Mark
reduzierte.
• Die Einbeziehung des HDW-Betriebsrats oder eine Neuwahl durch die Gesamtbelegschaft
wiesen der B&V-Betriebsrat und Knödler strikt zurück.
Lediglich der profitable Maschinenbau der HDW überstand den Umzug nach Steinwerder ohne
große Blessuren. Der Rest wurde plattgemacht. Die Belegschaft von Blohm & Voss erreichte noch
einmal den Spitzenwert von 6.000 KollegInnen. Danach ging es sukzessive bergab auf heute ganze 500 „Festangestellte“.
Auch die Reste unserer Betriebsgruppe bei Blohm & Voss lösten sich 1989 auf, im „Sog“ der
Liquidation der DKP-Kreisorganisation Altona.

III.Sietas-Norderwerft 1970–1975. Die Betriebsgruppe, die einen Fehler machte
Auf der Norderwerft, die etwa 300 Beschäftigte hatte und die neben dem Schiffbau noch eine
Tankwagenreparatur im Auftrag der Bundesbahn umfasste, arbeiteten 1970 3 alte und 2 jüngere
Genossen. Vordem waren es mehr gewesen, – ein KPD-Betrieb, wie Kollegen oft meinten. „Willi
sammelt doch immer noch für sein Komitee.“ ( „Komitee zur Verteidigung demokratischer Rechte“) hieß es. Bis dahin hatten die Alten sich einmal monatlich bei Gustav in der Fruchtallee getroffen,dessen Frau sie mit einem Abendessen auf ihre politischen Gespräche einstimmte. Sie bildeten quasi eine illegale KPD-Gruppe – waren in der Belegschaft als solche bekannt, genossen Ansehen und waren es zufrieden, wie sie uns Jungen zu verstehen gaben. Aber Willi und Gustav waren 72 nun auch in Rente und Walter erlitt im Winter einen schweren Arbeitsunfall und schied ebenfalls aus.
Blieben also nur zwei jüngere Genossen, die aber schnell „für frisches Blut sorgten“ und zu dritt
Aktivität entfalteten. 1971 war der erste bereits in den Betriebsrat gewählt worden und nun
erschien das 8-seitige Norderwerft-Echo.

Die Norderwerft war nach zwei aufeinanderfolgenden Insolvenzen an die Sietas-Gruppe
gegangen. Die Sietas-Werft (1600 Beschäftigte) war bis in die 90er-Jahre eine florierende
Vorzeigewerft für Schiffe „mittlerer Fahrt“, die aufgrund ihrer Spezialisierung die Schiffbaukrise
unbeschadet überstanden hatte. Dort wurde jeden Monat ein Schiffsneubau abgeliefert. Unsere
konkursgeplagten Norderwerft-Kollegen hatten darum große Erwartungen in die Übernahme
gesetzt. Aber das erwies sich nicht eben als Selbstgänger. Die Angleichung an die weit besseren
Sietas-Standards, die wir am Ende durchsetzten, war das Ergebnis von 2 Jahre währenden
Auseinandersetzungen und hatte mehrere Väter. Dazu gehörten, neben einem reaktivierten
Vertrauensleutekörper der IG-Metall und für Sietas-Verhältnisse ungewohnten Warnstreiks,
diskussionsfreudigen Betriebsversammlungen, eben auch diese, auf KPD-Humus gewachsene
DKP-Betriebsgruppe mit einer regelmässig erscheinenden Betriebszeitung. Das „Norderwerft-
Echo“ begleitete diesen Aufholprozess der Belegschaft und diskutierte die laufenden Tarifrunden,
die damals mit heute unglaublichen Forderungen der IG-Metall eröffnet wurden. Zwangsläufig
kamen im „Norderwerft-Echo“ auch prekäre Verhältnisse im Hauptbetrieb zur Sprache, die
unzumutbaren Wohnverhältnisse der „Gastarbeiter“ in bettriebseigenen Wohncontainern oder
empfindliche Flecken auf der Weste des Werftbesitzers Sietas.

Für heutige Verhältnisse kaum nachvollziehbar und nur erklärbar mit der Aufbruchsstimmung
dieser Jahre und den Erfolgen in Betrieb, war, dass die Zeitung von uns Mitgliedern selbst an den
Werfteingängen verteilt wurde. Das erwies sich als ein grober, politisch naiver Fehler mit der Folge
einer extremen Zuspitzung der Konfliktlage mit einem patriarchisch operierenden Eigentümer. Der
forderte, bei Androhung der Betriebsschließung, die Abberufung unseres Genossen im Betriebsrat.
Das unterblieb dann zwar, aber die von unserer Gruppe ausgehende Konfrontation polarisierte auch
im mehrheitlich sozialpartnerschaftlich gestimmten Betriebsrat, sodaß es 1975 noch während der
Neuwahl des Betriebsrats und nach einer konfliktgeladenen Betriebsversammlung zu fristlosen
Kündigungen kam.
Dem stimmte eine eingeschüchterte Mehrheit im Betriebsrat zu. Zwar nur mit der Mehrheit von
einer Stimme, man hatte zur Abstimmung ein ausgesuchtes Ersatzmitglied hinzugeladen, aber
das Kind war in den Brunnen gefallen. Auch erfolgreiche Verfahren bis zum Bundesarbeitsgericht
konnten die Weiterbeschäftigung nicht sichern. Verführt durch vorausgegangene Erfolge und die
Mahnungen wohlwollender Kollegen mißachtend, waren wir gegen eine politische Mauer gelaufen.
Etwas spät wurde uns klar, dass unserer revolutionären Ungeduld in der betrieblichen Wirklichkeit
Grenzen gesetzt waren.

Ich beende den Bericht mit der Arbeit unserer DKP-Betriebsgruppe auf der kleinen Schiffswerft Pohl&Jozwiak (P&J) am Tollerort

Deren 120-köpfiger Belegschaft auf dem Höhepunkt der Schiffbaukrise ein großer Erfolg gelang. Pohl & Jozwiak war eine der letzten Betriebsgruppen der DKP.
Im Verlauf der katastrophalen Ereignisse 1988/89 verschwand auch diese Gruppe, weil die
Hamburger Bezirksorganisation der DKP sich auflöste, die Kassierung eingestellt wurde, Vorstände
von heut auf morgen nicht mehr erreichbar waren, bzw ihre Aufgabe darin sahen, die Organisation
abzuwickeln. Wer sollte unseren jüngst beigetretenen Mitgliedern in der Betriebsgruppe das noch
erklären? Bekanntlich überforderte dieser Zusammenbruch auch die alten, erfahrenen Genossen,
die sich mit wenigen Ausnahmen aus der politischen Arbeit und nicht selten auch aus der Partei
zurückzogen. Sie alle brauchten und suchten Distanz, um sich ein Bild von den Ursachen dieses
Epochenbruchs zu machen, der alle existentiell erschütterte und lähmte? Doch wir blieben in
Kontakt, besuchen uns gelegentlich und diskutieren die Weltlage.

IV.P&J oder „Das Wunder vom Kohlenschiffhafen“
Das Buch „Das Wunder vom Kohlenschiffhafen“ schildert den Erfolg der Werftbelegschaft von
Pohl& Jozwiak im Kampf um ihre Arbeitsplätze und stellt die Frage: Was hat nach so vielen
deprimierenden Niederlagen auch großer Werftbelegschaften und nach dem Verlust Tausender
Hamburger Werftarbeitsplätze das „Wunder vom Kohlenschiffhafen“ möglich gemacht? Was waren
die Voraussetzungen dieses Erfolgs, und lassen sich die gemachten Erfahrungen verallgemeinern?

1988: Zwischen März und September
Die von ihren Betriebsräten, Jugendvertretern und Vertrauensleuten vertretene Belegschaft
beschäftigte 1988 über Monate die Hamburger Öffentlichkeit mit Aktionen gegen die drohende
Schließung der Werft. Arbeiter, Angestellte, Ingenieure und Auszubildende demonstrierten durch
die Innenstadt und mit Boots-und Barkassenfahrten auf Elbe und Binnenalster, Auszubildende
malten mit ihrem Ausbilder unzählige Transparente und besetzten den Museumssegler „Rickmer
Rickmers“. Die gesamte Belegschaft führte auf dem Rathausmarkt eine ordentliche, aber wegen
der Bannmeile ordnungswidrige Betriebsversammlung durch und errichtete zentrumsnah an der
Stadthausbrücke ein Zeltlager ( es wurden 40 Tage und Nächte daraus ). Die Hamburger reagierten
mit so kaum erwarteter Sympathie. Reporter der Privatsender, des NDR-Hamburg-Journal, des
Abendblatt und der Morgenpost berichteten regelmäßig und führten Interviews mit Kollegen.
Abordnungen aus anderen Metallbetrieben und Reedereien besuchten uns im Betrieb oder am
Aktionsort. Selbst „Bild“ blies dank sympathisierender Lokalredakteure in unser Segel.

Für anhaltendes Medieninteresse hatte auch eine Gruppe besonderer Sympathisanten gesorgt. Das
waren so unterschiedliche Prominente wie der FC St. Pauli-Torwart Volker Ippig, die Theaterleiter
Ida Ehre, Eberhard Möbius und „Fiete“ Schütter, der Wirtschaftsprofessor Harald Mattfeldt und der
Journalist und Ex-Staatssekretär Günter Gaus. Eine Künstlerin schenkte uns ein Gemälde, eine
Unbekannte überwies ohne Ankündigung 45 000 DM zur Gründung der Genossenschaft, bekannte
Hamburger versprachen, dafür sechsstellige Anteile zu zeichnen. Den Hamburgern war über
Nacht, so schien es, die Einsicht gekommen, dass die Stadt ohne Werften doppelt verlieren würde.
Wirtschaftlich, weil eine für einen großen Endhafen lebenswichtige Funktion fehlen und die Stadt
eine einträgliche touristische Attraktion einbüssen würde, denn Docks und Helgen bestimmen bis
heute das Panorama der Stadt.

Eine Belegschaft wie viele, aber….
gewohnt, nicht nur in den regelmässigen jährlichen Tarifrunden, sondern auch in allen
gewerkschaftlichen Auseinandersetzungenan der 80er Jahre aktiv zu sein.
Herausforderungen hatte es in den 70er- und 80er-Jahren genug gegeben. Angefangen mit der
35-Stunden-Woche, die von Beginn an von einer Dauerpropaganda der Gegenseite begleitet wurde,
gefolgt von dem Versuch der Unternehmerverbände, den Anti-Streik-Paragraphen 116 so zu
verschärfen, dass „kalte Aussperrungen“ erlaubt und der Anspruch der Betroffenen auf
Kurzarbeitergeld entfallen würden. Kurze Arbeitsniederlegungen häuften sich, und auch die
obligatorischen Warnstreiks zu Beginn jeder Tarifrunde hat die Belegschaft stets mitgetragen. Auch
gelang es, durch eine aktive innerbetriebliche Lohnpolitik, zu den benachbarten Großbetrieben
HDW und MAN aufzuschliessen. Auch jetzt strebte die Belegschaft keineswegs den Kompromiss
an, sondern verfolgte konsequent einen „Rettungsplan“ gegen eine blockierende Kreditkommission, gegen einen unkooperativen, politisch eingebundenen Konkursverwalter und gegen eine Betriebsleitung, die erst nach und nach begriff, dass sie eher mit als gegen die Belegschaft
gewinnen konnte.

Dabei kam die übersichtliche Größe der Belegschaft zustatten , die bei jeder Wende eine schnelle
Verständigung und Abstimmung ermöglichte. Trotzdem führte man in diesem Halbjahr 11
Betriebsversammlungen durch, zu denen immer Pressevertreter eingeladen waren.
Mit Hilfe der Hamburger IG-Metall erreichte man, dass aus vielen Metallbetrieben bei Senat und
Bürgermeister interveniert wurde. Auch im Parteienlager konnte die Belegschaft bald Zustimmung
und Unterstützung organisieren. Vor allem bei der (damals noch) sozial und klassenkämpferisch
gestimmten Fraktion der GAL, die nicht nachließ, mit Anfragen und Anträgen dafür zu sorgen, dass
Pohl&Jozwiak in der Bürgerschaft auf der Tagesordnung blieb und die Kommunalisierung des
Betriebes zum Thema wurde. Auch erhebliche Teile der SPD sympathisierten mit dem Erhalt des
Unternehmens. Nachdem Kolleginnen und Kollegen zu Beginn des Landesparteitags ‚88 alle
Teilnehmer persönlich angesprochen hatten, ergriffen Delegierte die Initiative und führten einen
fast einstimmigen Parteitagsbeschluss herbei, der sich als bedeutsam erweisen sollte.

Um aber zurückzukommen auf die Eingangsfrage, was eine Belegschaft im Kampf um ihre
Arbeitsplätze vermag: Sie vermag viel, aber nur unter gezielter Nutzung der politischen und
wirtschaftlichen Gegebenheiten und mit einem auf Erfahrung gegründeten Selbstbewußtsein, wie
es 1988 in der Belegschaft von Pohl & Jozwiak vorhanden war. Vielleicht konnten man darum
anderen Vorbild sein, ein verallgemeinerbares Modell war P&J aber sicher nicht. Dazu waren die
Voraussetzungen zu speziell. Denn ein ähnlicher Erfolg wie der Erhalt aller Arbeitsplätze ist in
einem Konzernbetrieb nicht so leicht wiederholbar, weil Konzernentscheidungen immer von
Renditeüberlegungen bestimmt und selten von der Politik beeinflussbar sind. Hinzu kommt, dass es
in Konzernunternehmen – wie auch 1983 bei der HDW – in der Regel zuerst um Teilentlassungen
geht, die unvermeidlich Gruppenegoismen auslösen und Kompromissbereitschaft fördern.
Im Fall P&J war durch den Konkurs die ganze Belegschaft betroffen. Ging die Werft unter,
verloren ausnahmslos alle ihren Arbeits-bzw. Ausbildungsplatz. Die hohe Arbeitslosigkeit tat ein
Übriges, so dass sich auch die für den Weiterbetrieb unverzichtbaren Träger von Kundenkontakten
(hier Ingenieure) ausdrücklich zum Widerstand und zur Übernahme von Verantwortung in der vom
Betriebsrat vorbereiteten Genossenschaft entschlossen. Und nicht zuletzt:

Man wußte, was einem im Fall des Scheiterns blühte…
Das belegte die Auswertung einer repräsentativen Befragung bei der HDW. Die Befragung wurde
1984, ein Jahr nach der Besetzung der staatseigenen Großwerft und der ersten Massenentlassung
von 900 Kollegen durchgeführt.
Der zeitliche Abstand von einem Jahr zwischen Entlassung und Befragung bot die Möglichkeit,
den Fragen nachzugehen, welche Auswirkungen sich beruflich und sozial für die Entlassenen
einstellten, aber auch wie die Kolleginnen und Kollegen ihren damaligen Kampf beurteilten.
Auf die Frage nach ihrer jetzigen Situation kamen folgende Antworten:
• Habe eine neue Arbeit 26 %
• Bin arbeitslos 63 %
• Nehme an einer Umschulung teil 11 %
Von den Kollegen die angaben, dass sie einen neuen Arbeitsplatz hätten, waren:
• im gleichen Beruf tätig 33 %
• in einem anderen Beruf tätig 67 %
In dem jeweils neuen Beschäftigungsverhältnis verdienten zwei Drittel weniger als vor ihrer
Entlassung bei HDW. Die damals ausgezahlten Sozialabfindungen sind in aller Regel aufgezehrt.
Die Beträge wurden zu 56 % zur Bestreitung des notwendigen Lebensunterhalts verwendet, da das
Arbeitslosengeld nicht zur Deckung der laufenden Kosten ausreichte.
Auf die Frage, warum ihrer Meinung nach der Kampf damals von ihnen geführt wurde, antworteten
die Kollegen wie folgt:
Es mußte endlich ein Signal gegen die Arbeitsplatzvernichtung gesetzt werden 89 %
Ohne Kampf wäre die Abfindung geringer gewesen 72 %
Nur durch den Kampf hatten wir noch eine Chance, unseren Arbeitsplatz zu retten 61 %

Zu den Hamburgern, zur Betriebsgruppe und zur Bezirksorganisation der DKP
Viele Hamburger waren letztlich für den Erfolg von Pohl & Jozwiak unverzichtbar. Das gilt für die
prominente Unterstützung aus Sport und Kultur wie auch für die parlamentarische Unterstützung z.
B. durch die damalige GAL-Fraktion, selbst für Teile der SPD, die unsere Sache mit einem
überraschend einstimmigen Beschluss des Landesparteitags erheblich förderten. Aber sie alle
mußten erst einmal angesprochen, überzeugt und mobilisiert werden. Das war kein Selbstgänger
und geschah nicht spontan, denn es gab auf der Werft eine der letzten aktiven Hamburger
Betriebsgruppen der DKP. Die Arbeit dieser Gruppe verlieh der Belegschaft über die Jahre
Orientierung und Durchhaltevermögen in vielen betrieblichen und gewerkschaftlichen Konflikten
und führte im Verlauf der geschilderten Aktionen zum Eintritt von drei neuen Mitgliedern. Als mit
ausschlaggebend für den ziemlich singulären Ausgang, der dem genannten Buch den Titel gab,
erwies sich aber nicht allein die Betriebsgruppe, die u.a. auch den Betriebsratsvorsitzenden und die
Jugendvertreterin stellte, sondern auch der Beitrag der Hamburger Parteiorganisation.
Diese sorgte u.a. für Unterstützung bei der Vorbereitung der langen Mahnwachen, bei den vielen
Aktionen, bei Druck und Formulierung von Erklärungen und Flugblättern und Pressekontakte. Eine
eigens einberufene Vorstandssitzung des DKP-Bezirks beschäftigte sich ausschließlich mit den
Problemen der vorgesehenen Belegschaftsgenossenschaft. Genossen organisierten die
Zusammenarbeit mit protestierenden Ingenieur- und Seefahrtschülern, die derzeit für eine
Studienreform bzw. gegen die unsägliche Ausflaggungspolitik der Bonner Regierung demonstrierten oder regten einen Auftritt des „Chor Hamburger Gewerkschafter“ an. Es ist m.M.
nicht übertrieben: Ohne die Betriebsgruppe der DKP , die sich während der Aktionen verdoppelt
hatte, und ohne diese Beiträge der Bezirksorganisation der DKP wäre der große Erfolg der 120-
köpfigen Belegschaft so nicht zustande gekommen.

Zur Arbeit der Parteigruppe
Wir wussten: Eine Belegschaft, die sich durch einen aktiven Betriebsrat abgesichert weiß, immer
informiert und gefragt wird, lässt sich die Butter nicht vom Brot nehmen.
Natürlich provoziert jede aktive Betriebspolitik Widerstand. Mit häufigen Abmahnungen wegen
angeblicher Verletzung des Neutralitätsgebots in Sachen Politik und Arbeitskampf, behaupteten
Eigenmächtigkeiten und Kompetenzüberschreitungen in Sachen Mitbestimmung, Verweigerung
fristloser Kündigungen usw. musste man leben. Aber man konnte sie bei kluger Nutzung des
Betriebsverfassungsgesetzes „neutralisieren“ und notfalls per Gerichtsbeschluss aus der
Personalakte herausklagen. Das alles gehörte zu unserer Betriebsrats-und Vertrauensleutefunktion.
Und politisch?
Infolge des politischen Auftretens und der Initiative der Genossen entstand bei Pohl &Jozwiak eine
Betriebsgruppe mit mehrheitlich jungen Mitgliedern, die aber dank der Erfahrungen unserer älteren
Genossen zurückhaltender agierte als z.B. vorher auf der Sietas-Norderwerft, wo unsere
„aktivistische“ politische Arbeit zum Rauswurf von Genossen geführt hatte.
Mit dieser Parteigruppe und durch sie motiviert haben Kollegen später gegen die Schließung des
Hafenkrankenhauses demonstriert, haben sich – auch während der laufenden Arbeit – um die
Betriebsbesetzer der benachbarten HDW gekümmert, haben, mit Unterstützung durch die IG-Metall, einen Bus gechartert, um den Kampf um Arbeitsplätze bei Thyssen-Rheinhausen zu unterstützen, haben mehrfach in größeren Gruppen DDR-Werften besucht, hatten einen betrieblichen Aufruf gegen den Nato-Nachrüstungsbeschluss verfasst und fast vollzählig unterschrieben, eingeschriebene SPD-Mitglieder nicht ausgenommen. ( Ausnahmen lediglich zwei Helmut Schmidt-Fans und ein netter Gewerbelehrer, der als MLPD-Anhänger bei uns seine Zweitausbildung zum Schlosser und Klassenkämpfer absolvierte).
Zum Abschluss

Das „Wunder vom Kohlenschiffhafen“, das der Belegschaft von Pohl&Jozwiak eine Atempause
von 10 Jahren verschaffte, und die großartige Besetzung der HDW waren Höhepunkte des
Klassenkampfes auf den Hamburger Werften, in denen Arbeit und Einfluss unserer Betriebsgruppen
sichtbar wurden.
Die Betriebsgruppe als zentrales Ziel unserer Organisationsanstrengungen im Auge zu behalten, ist
unumgänglich, denn woran sonst hängt der Anspruch der DKP als revolutionäre Arbeiterpartei.
Festhalten sollten wir, dass Belegschaften und Betriebe, insbesondere die Großbetriebe der
materiellen Produktion, heute und auf absehbare Zeit das elementarste und ergiebigste politische
Betätigungsfeld für einen Kommunisten bilden, auch wenn unsere Basis dort zur Zeit nicht gerade
ermutigend ist.

INFO:
Nach 1970 gab es im Parteikreis Altona folgende Betriebsgruppen:
Howaldt-Deutsche Werft, Blohm&Voss, Norderwerft-Sietas, MAN, Peters Maschinenfabrik, AEG,
Airbus, Werft Pohl&Jozwiak, DESY (Deutsches Elektronen Synchroton) und die
Sammelbetriebsgruppe Lehrer (GEW)

Rudi Christian
Biographie Rudi Christian [pdf]

Ein Stück vergessener Hafengeschichte
Von Hermann Kahle
1988 leistete die Belegschaft monatelang Widerstand gegen die Schließung ihrer Werft Pohl & Jozwiak. Am 13. Dezember 2024 wird in der Honigfabrik das Buch „Das Wunder vom Kohlenschiffhafen“vorgestellt, das an diesen Kampf erinnert
https://inselrundblick.de/aktuell/werftarbeiter-arbeitskampf-hafen-hamburg-1988/
Anmerkung:
Das Buch ist zu beziehen durch Rudi Christian, dem damaligen BR-Vorsitzenden bei Pohl & Jozwiak: <rudi.christian@gmx.net>

 

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