Die These provoziert: DIE Linken verachten DIE Arbeiter. Und der Autor, einer von ganz unten, der sich zur Intelligenzija hoch gearbeitet hat, heute Theaterkritiken im ND publiziert, hält uns den Spiegel vor.
Was erkennen wir?
Ein Scheinwerfer ist auf ein Segment linker Dogmatiker gerichtet, die vom Proletenkult nicht lassen können. Ein anderer auf das vegane Bio-Müsli-Milieu, das autoritär seine Lebensweise verteidigt. Kritikwürdig auch die linken Schreiberlinge, die Dank der Finanzspritzen ihrer Erzeuger Hungerlöhne akzeptieren. Auch die linke Professorenelite wird aufs Korn genommen, die sich in einer Art Geheimsprache verständigt, um vom gemeinen Volk nicht verstanden zu werden.
Was soll das? – frage ich mich als nicht akademisch gebildete, im Berlin der 68er Jahre sozialisierte Linke proletarischer Herkunft? Ist das DIE Linke Kommunikationskultur und ihre Verhaltensweise? Oder ist das DIE studentische Linke in Berlin, die um die linke Partei kreist?
Oder werden hier Eindrücke, Schlaglichter verallgemeinert, weil die Verletzungen des Autors beim Aufstieg in die Hochkultur noch bluten?
Zu den intensivsten Teilen seiner Streitschrift gehören die biografischen, die zeigen, wie er es als ein Kind aus miesesten sozialen Verhältnissen schafft, seine Klasse zu verlassen, zu „verraten“, wie er schreibt. Mit etwas Glück und einer sehr großen Dosis bürgerlicher Tugenden wie Disziplin, Ausdauer, Frustrationstoleranz und Aufstiegswillen schafft er sogar den Doktor – ohne den Kontakt zu seiner Familie abzubrechen. Sensibilisiert für feinen Unterschiede, mit denen sich die Mittelklasse verständigt und abgrenzt, empfindet er auch bei den Linken Herablassung, Arroganz, elitäres Gehabe im direkten Umgang mit ihm, aber auch im Umgang mit der Unterklasse. Deren Verhaltensweisen, wie etwa die Vorliebe für Bier oder Fußball, würden verhöhnt und gleichzeitig vereinnahmt.
Hier spricht einer, der die Klassenverhältnisse erlebt hat und nicht verkleistert. Aber er versteht es nicht, seinen Erfahrungen Allgemeingültigkeit zu verleihen. DIE Linken fühlen sich so nicht angesprochen und berechtigte Kritikpunkte können deshalb leicht weggewischt werden.
Christine
Ergänzung der Redaktion
Die Rückkehr des Autors Christian Baron in seine Heimatstadt Kaiserslautern knüpft an „Rückkehr nach Reims“ des gleichnamigen Buches von Didier Eribon (edition suhrkamp 2016) an. Anders als Baron schämt sich der Bildungsaufsteiger Didier Eribon zutiefst für seine proletarische Herkunft, bricht als junger Schwuler mit seinem homophoben Elternhaus um in die Großstadt zu gehen, seine Klasse hinter sich zu lassen. Sprache, Verhaltenscodex, Kleidung, alles verrät seine Herkunft. Er versucht es auszumerzen, legt sich eine bürgerliche Tarnung zu. Dabei bleibt er jedoch aktiver Linker und Kommunist, so wie ihn seine Eltern erzogen hatten. Die wenden sich jedoch im Laufe der Jahre wie große Teile der abgehängten französischen Industriearbeiter der Front National zu, die in weiten Landesteilen die Kommunistische Partei Frankreichs um ihre Wähler beerbte. Mit der „Rückkehr nach Reims“ versucht der Autor auch anhand der Entwicklung seiner Familie, eine Erklärung für die Rechtsentwicklung von Teilen der Arbeiterklasse zu liefern.
Das Buch von Eribon wurde im Septer 2016 von mehreren Autor*innen in „analyse & kritik“ Ausgabe 216 besprochen, z.B. von Katja Kuhlmann. die man hier nachlesen kann:
http://www.katjakullmann.de/didier-eribons-ruckkehr-nach-reims-lekture-umfrage-in-analyse-kritik/
Peter Nowak hat sich im „Freitag“ ebenfall mit Christian Baron beschäftigt und beide Bücher mit einander verglichen, er kommt was Baron betrifft zu einem ähnlichen Ergebnis wie Christine. Die ebenfalls lesenswerte Rezension findet sich hier.
Rezension – Kein Herz für Arbeiter
„Proleten, Pöbel, Parasiten“ will erklären, wieso Linke Arbeiter verachten. Die eigentliche Verachtung ist es, ihnen zuzurufen: „Bleibt, wie ihr seid“
Quelle: www.freitag.de/autoren/peter-nowak/kein-herz-fuer-arbeiter