JFI 37-2017 ++ EINLADUNG ZUM 155. JOUR FIXE am Mittwoch, 04. Oktober 2017 um 18 Uhr 30 im Curiohaus, Rothenbaumchaussee 15, Hofdurchgang

Einladung zum 155. Jour Fixe am Mittwoch, 04. Oktober 2017 um 18 Uhr 30 im Curiohaus, Rothenbaumchaussee 15, Hofdurchgang

Soziale Kämpfe gegen Massenentlassungen und Betriebsschließungen in Ostdeutschland 1990 bis 1994

Vortrag und Diskussion mit Bernd Gehrke (Berlin)

1989 Mitbegründer der Initiative für eine vereinigte Linke in der DDR, zuletzt Herausgeber und Autor von „Dokumente der Initiative Ostdeutscher und Berliner Betriebsräte, Personalräte und Vertrauensleute“, Berlin 2017 und „Soziale Kämpfe gegen Massenentlassungen und Betriebsschließungen in Ostdeutschland 1990 bis 1994“, Berlin 2017.

Insbesondere jüngere Aktivist/innen in Gewerkschaften und sozialen Bewegung verbinden mit Ostdeutschland primär Nationalismus und Rassismus. Anlässe dafür gibt es zwar zahlreich. Doch können die heutigen Zustände in Ostdeutschland nicht erklärt werden ohne die Analyse der Niederlagen emanzipatorischer Kämpfe und die sie begleitenden Entsolidarisierungsprozesse. Diese Kämpfe sind in der jüngeren Generation nahezu unbekannt. Selbst ältere Kolleginnen und Kollegen können sich nur mühsam an den Kampf der Kali-Kumpel in Bischofferode erinnern, der 1993 bundesweit eine Welle der Solidarität unter Gewerkschaftslinken ausgelöst hatte. Und das Gros der damaligen Kämpfe in Ostdeutschland ist auch den meisten engagierten Gewerkschafter/innen Westdeutschlands verborgen geblieben.

Heute, wo in vielen Ländern in den Zonen der Deindustrialisierung rechte Hochburgen entstanden sind, ist es höchste Zeit sich auch an die Niederlagen emanzipatorischer Kämpfe der Arbeiterinnen und Arbeiter in Ostdeutschland gegen die Deindustrialisierung zu erinnern, wie an die in Großbritannien, Frankreich oder in den USA. Das ist umso notwendiger, als wir in Ostdeutschland die ersten Jahre nach 1990 mit jährlich zwischen 150 bis 200 selbstorganisierten, so genannten wilden Streiks eine Hoch-Zeit betrieblicher Widerstandsaktionen gesehen haben, die mit einer Vielzahl anderer Protestformen verbunden waren wie Massendemonstrationen, Straßen- oder Autobahnblockaden. Doch diese Aktionen des Widerstands gegen die Privatisierungspolitik der Kohl-Regierung und ihrer Treuhandanstalt sind ebenso wenig in das „linke Gedächtnis“ eingegangen wie zahlreiche Betriebsbesetzungen, die Besetzung des Rügendamms oder des Dresdener Flughafens in Klotzsche. Nicht nur die Erklärung bestimmter Widersprüche im deindustrialisierten Ostdeutschland der Gegenwart, sondern auch die Notwendigkeit der Einbeziehung emanzipatorischer Kämpfe in Ostdeutschland in eine gesamtdeutsche Geschichtsdarstellung von unten verlangen eine Aufarbeitung dieser Kämpfe.

Dafür ist es notwendig, endlich das Beschweigen des Widerstands gegen die Treuhand-Politik der Kohlregierung durch etablierte Politik und Medien zu durchbrechen, aber auch die Ignoranz vieler westdeutscher Linker, die häufig einer Kritik an der „Kapitalismus-Gläubigkeit“ ostdeutscher Arbeiterinnen und Arbeiter entsprang. Die jetzt wieder in der bürgerlichen Öffentlichkeit aufgelebte Debatte über die Geschichte der Treuhand-Anstalt bietet zudem den notwendigen Anlass für eine Intervention der emanzipatorischen Linken mit einer eigenen Geschichtsdarstellung der Privatisierungspolitik der Kohl-Regierung, zu der unbedingt der Widerstand von unten gehört.

Fragen
Welche Voraussetzungen brachten die Ost-Belegschaften in den Widerstand ein? Welche Ausmaße und welche Formen hatte der soziale Widerstand in Ostdeutschland gegen die Treuhandpolitik? Was waren Ursachen des Scheiterns dieses Widerstands? Welche Rolle spielten die Gewerkschaften?

Ausgew. Bücher von Bernd Gehrke:
Mithersg.: „Der betriebliche Aufbruch im Herbst 1989: Die unbekannte Seite der DDR-Revolution“. Diskussionen – Analysen – Dokumente“, Berlin 2001 (mit Renate Hürtgen); hrsg. und mit einem Vorwort versehen: „Dokumente der Initiative Ostdeutscher und Berliner Betriebsräte, Personalräte und Vertrauensleute. …“, Berlin 2017; „Soziale Kämpfe gegen Massenentlassungen und Betriebsschließungen in Ostdeutschland 1990 bis 1994.“, Die Buchmacherei Berlin 2017. (Im Erscheinen)

Informationen zum Thema:
Dietmar Dathe/Renate Hürtgen: »Gewerkschaften im Einheitsprozess« – über eine Tagung zur gesamtdeutschen Gewerkschaftsgeschichte samt notwendiger Anmerkungen, in: Express. Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit Nr. 1/2016, S. 14.

Renate Hürtgen: „Scharfer Wind aus Osten“, ND vom 23. Juni 2017, S. 6; https://www.neues-deutschland.de/artikel/1054994.scharfer-wind-aus-osten.html

Ines Wallrodt: „Es tut sich was in den Ostbetrieben“. Ein Gespräch (mit Ingrid Artus) über verlorene Kämpfe in Ostdeutschland und eine neue Generation in den Betrieben, ND vom 23. Juni 2017, S. 6;
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1054995.es-tut-sich-etwas-in-den-ostbetrieben.html

Dokumente der Initiative Ostdeutscher und Berliner Betriebsräte, Personalräte und Vertrauensleute. Materialien zur Tagung Ostwind – Soziale Kämpfe gegen Massenentlassungen und Betriebsschließungen in Ostdeutschland 1990 bis 1994, herausgegeben und mit einem Vorwort versehen von Bernd Gehrke für den AK Geschichte sozialer Bewegungen Ost-West, 2. korr. Aufl, Berlin 2017;
https://geschichtevonuntenostwest.files.wordpress.com/2017/08/gehrke_doku-br-ini_zweite-korr-auflage_19-aug-2017_buchfass_40-mbinternet_verc3b6ff.pdf

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