Proteste in Emden gegen die Arbeitsbedingungen bei Volkswagen

Am Freitag den 16.02. fand am Werksgelände von VW Emden eine Kundgebung von Aktivisten gegen Leiharbeit und prekäre Arbeitsverhältnisse bei VW in Deutschland und in China statt. Es beteiligten sich Kollegen aus Kiel, Hamburg, Bochum und Bremen.
Im Frühjahr 2017 protestierten Leiharbeiter im Nordchinesischen VW Werk Changchun für gleichen Lohn für gleiche Arbeit. 900 von ihnen wurden daraufhin in die Stammbelegschaft übernommen, nicht zuletzt aufgrund ihres medienwirksamen Protestes, der auch in Deutschland wahrgenommen wurde. Zugleich kam jedoch der Sprecher der rebellierenden Leiharbeiter Fu Tianbo im Frühjahr 2017 in Haft und sitzt dort bis heute.

 

Von der Aktion bei VW Emden berichtet Karsten Weber von Chefduzen.de:

Volkswagen verzeichnet als größter deutscher Konzern trotz des Dieselabgas-Skandals einen Verkaufsrekord nach dem anderen. Der wichtigste Absatzmarkt des Autoherstellers ist China. Unter den Beschäftigten mit prekären Arbeitsverträgen ist es jedoch unruhig geworden, sowohl in Deutschland, wie auch in China.
Die Proteste der Leiharbeiter im Nordchinesischen Werk Changchun wurden für den Konzern zu einem Problem, als die Auseinandersetzungen in Deutschland zu einem medialen Thema wurden. So versuchte man in China die Unruhe mit Zuckerbrot und Peitsche zu befrieden, übernahm 900 Leiharbeiter in die Stammbelegschaft und hält den Sprecher der rebellierenden Leiharbeiter bereits seit Frühjahr letzten Jahres in Haft. Der protestierenden Leiharbeiter in Hannover und Wolfsburg hat man sich inzwischen entledigt. Ihre Verträge wurden zum Jahreswechsel nicht verlängert und sie wurden nicht in die Stammbelegschaft übernommen. Prekäre Arbeiter sollen in steter Unsicherheit leben, sie werden zwischen den Produktionsstandorten hin- und hergeschoben, zu Überstunden und Sonderschichten genötigt und regelmäßig ausgetauscht, entsorgt bevor ein Anspruch auf Festanstellung entsteht.
Inzwischen gährt es auch in Emden. Leiharbeiter haben sich dort zu einer juristischen Auseinandersetzung entschieden und versuchen vor dem Arbeitsgericht auf Übernahme in die Stammbelegschaft zu klagen. Freitag, der 16.3. wurde zum Aktionstag in der Sache.
Der Arbeitsrechtsanwalt Dr. Rolf Geffken berichtete in einer Veranstaltung von den Hintergründen des Konflikts und dem Stand der  Auseinandersetzung vor Gericht. Vor dem ostfriesischen Werk hatten sich Unterstützer zum Schichtwechsel gemeinsam mit Betriebsräten versammelt, um ihre Solidarität mit dem Widerstand der Leiharbeiter kundzutun. Sie sind angereist aus Bochum, Hamburg, Bremen und Kiel, zum Schulterschluß im Kampf gegen prekäre Arbeitsverhältnisse. Diese sind überall für die Beschäftigten zu einem wachsenden Problem geworden. Für viele ist der prekäre Arbeitsmarkt eine geschlossene Welt geworden, aus der es kaum noch einen Ausweg in reguläre Arbeitsverhältnisse gibt. Die Interessengemeinschaft der Leiharbeiter IGL und die Leiharbeiterzeitung „Die Leihkeule“ sind Ausdruck einer beginnenden Selbstorganisierung prekärer Beschäftigter und sind auch verantwortlich für die Organisierung des Protests vor dem Werkstor. Kollegen von dem Daimlerwerk in Bremen zeigten mit ihrem Transparent ihre Haltung gegen die Spaltung der Belegschaften: „Wir sind eine Klasse – Verbot von Leiharbeit & Werkvertrag – Die Republik braucht Streik!“
Anwalt Geffken schildert die Situation, in der Arbeiter über die VW-Tochter Autovision mit mehr als 1000 Betroffenen zu Beschäftigten zweiter Klasse wurden. Die Aufspaltung der Belegschaften in Stammwerker und Leiharbeiter und Zwischenformen wie bei Autovision seien „eine neue Form von Apartheid“, so Geffken wörtlich. Der ehemalige Betriebsrat bei Daimler Bremen, Gerhard Kupfer ist in seiner Wortwahl ähnlich unverblümt, spricht von „Zuhälterei“ und bezichtigt die IG Metall, bei der er selbst Mitglied ist, der „unseligen Kumpanei mit dem Management“. Im Werk Bremen gebe es Produktionslinien mit 60 bis 70 Prozent Leiharbeitern, so Kupfer.
In Emden schwelt ein offener Konflikt im Betriebsrat zwischen der IGM und Vertretern der Christlichen Gewerkschaft Metall (CGM). Letztere unterstützen den Kampf der Leiharbeiter im juristischen Kampf um die Übernahme in die Stammbelegschaft, während die IGM die Autovisions-Beschäftigten von einer Klage abrät. Mehrere CGM Betriebsräte beteiligten sich an dem Protest von angereisten Kollegen und Unterstützern. Sie berichteten davon, dass sich Woche für Woche weitere Kollegen den Klagen anschließen würden und man sei schon bei 60 Klagewilligen.. Es stehen Betriebsratswahlen an und der aktuelle Konflikt dürfte spürbare Folgen für das Wahlergebnis haben.
Der Protest in Emden hatte auch eine internationalistische Seite. Eine zentrale Forderung war die sofortige und bedingungslose Freilassung von Fu Tianbo, dem gewählten Sprecher der Leiharbeiter von Changchun.
Die Aktivisten rufen zu einer Solidaritätkampagne auf, die so lange Druck macht, bis der chinesische Kollege wieder in Freiheit ist. Es darf nicht hingenommen werden, dass der größte deutsche Konzern aufmüpfige Arbeiter verhaften läßt und jegliche Verantwortung dafür von sich weist. Der Fall erinnert stark daran, wie der VW-Werkschutz in den 70er Jahren mit dem Militärregime in Brasilien kooperierte.

Wir haben den Protest bei der Stadt Emden angemeldet. Doch die wies uns einen Platz ab vom Schuß zu. Nach einer telefonischen Beschwerde sagten man uns, das sei das näheste, was man uns anbieten könne, alles in größerer Nähe gehöre nicht mehr der Gemeinde, sondern dem VW Konzern. Wir beschlossen uns auf eigene Faust auf Feindesland zu begeben und robbten an die Produktionshallen heran. Die Kontakte zu emdener Betriebsräten haben wir der Interessengemeinschaft der Leiharbeiter IGL zu verdanken. Sie sind in der christlichen Gerkschaft Metall CGM organisiert. Sie ist nicht mit der CGZP (Christliche Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personal-Service-Agenturen) gleichzusetzen. Im Werk Emden vertritt CGM Betriebsgruppe bessere Ziele als die IGM: Sie fordert eine einheitliche Arbeitnehmervertretung für alle Beschäftigten und eine Gleichbehandlung, egal ob Stammbeschäftigter, outgesourct oder in Leiharbeit. Die bunte Mischung an Aktivisten unterschiedlichster Hintergründe hatte viel miteinander zu diskutieren. Unser Besuch bei Volkswagen Emden brachte etwas völlig Neues für die LEIHKEULE. Bisher wurde sie nur von Beschäftigten heimlich in einem Betrieb ausgelegt. Jetzt übernahmen Betriebsräte die Verteilung innerhalb der Niederlassung. Zum Schichtwechsel gings ans Werkstor. Dort wurden Flugblätter verteilt. Es gab riesiges Interesse daran. Es war das erste Mal, daß es Protest vor dem Werk Emden stattfand, der nicht von der IGM organisiert worden ist. Die Betriebsräte nahmen unsere übriggebliebenen Flugblätter, um sie den Kollegen im Werk zu geben…

Weitere Infos, Fotos und ein Videointerview  bei chefduzen. de

 

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