Was bleibt vom Strike Bike?

Im Jahr 2007 führten KollegInnen der Fahrradfabrik Bike System in Thüringen einen bemerkenswerten Kampf gegen die „Abwicklung“ ihrer Arbeitsplätze, der als „Strike Bike“ in die Gewerkschaftsgeschichte einging. Was blieb vom Kampf der Bike System-KollegInnen – diese Frage stellten sich Alix Arnold (Köln) und Dieter Wegner (Hamburg) zehn Jahre danach:

Produktion der Strike Bikes

Diese Frage stellte sich ebenfalls Hans-Gerd Öfinger im Oktober letzten Jahres, zum zehnten Jahrestag der Strike Bike Produktion in einem Artikel im Neuen Deutschlandi. Wir vom Jour Fixe haben damals den Kampf bei Bike Systems unterstützt und haben uns gefreut, dass noch einmal an diese für Deutschland ungewöhnliche Aktion erinnert wurde. Wir wollen die Frage aufgreifen, aber auch mit einigen kritischen Anmerkungen versehen. Diese beruhen auf etlichen Besuchen damals bei den KollegInnen in Nordhausen und persönlichen Kontakten über die Zeit der „Besetzung“ hinaus.

Auch die Linke, auch radikale GewerkschafterInnen brauchen ihre Erzählungen über die Kämpfe der Vergangenheit. Falls die aber von Nutzen für die Zukunft, für bevorstehende Kämpfe sein sollen, müssen sie das Stattgefundene real abbilden, nicht beschönigen. Das Ende des Kampfes um die Arbeitsplätze in Nordhausen war leider nicht schön. Damit meinen wir nicht nur das Scheitern der von den KollegInnen gegründeten eigenen Firma, die auf dem Markt nicht bestehen konnte, wie es auch Hans-Gerd Öfinger schreibt. Auf der Strecke blieb im Lauf der Zeit auch die Einheit und Solidarität, und dies hat unserer Meinung nach Ursachen in der Art, wie dieser Kampf geführt wurde. In gewisser Weise haben wir selbst zur Mythenbildung beigetragen, indem wir – nachdem wir einige Male auf Labournet und im ak (Analyse & Kritik) über den Kampf in Nordhausen berichtet hatten – dieses letzte Kapitel über das Ende bislang nicht geschrieben haben. Wir haben damals keine Möglichkeit gesehen, gemeinsam mit mehreren KollegInnen eine Aufarbeitung zu organisieren, und haben uns gescheut, in einer Situation des Scheiterns eine Kritik „von außen“ zu formulieren, die von den KollegInnen als arrogant oder „Nachtreten“ hätte empfunden werden können. Damit befanden wir uns allerdings im üblichen Muster vieler linker Berichterstattung über Klassenkämpfe: Solange es vorwärts geht und Hoffnungsvolles zu berichten ist, wird gerne und viel darüber geschrieben, aber wenn dann was schief geht, wird der Mantel des Schweigens darüber ausgebreitet. Wenn wir nun mit einiger Verspätung doch noch ein paar kritische Punkte benennen, wollen wir damit keinesfalls den Mut und Einsatz der KollegInnen klein reden. Schon die erste Fahrt zu dieser Aktion in Nordhausen vermittelte mit dem Blick auf leerstehende Fabriken und verfallende Gemäuer einen optischen Eindruck, wie nötig, aber auch wie ungewöhnlich eine solche Aktion zur Verteidigung der Arbeitsplätze war. Auch wir haben wie Hans-Gerd Öfinger „die Hoffnung, dass sich künftige Belegschaften im Kampf um ihre Arbeitsplätze am Elan der Strike Biker orientieren, aus ihren Erfahrungen lernen, noch weiter gehen und die »heilige Kuh« des kapitalistischen Privateigentums in Frage stellen“. Deshalb hier nun ein paar Anmerkungen, was unserer Meinung nach nicht so gut gelaufen ist. Damit wir es beim nächsten Mal besser machen.

Fangen wir mit dem Begriff Besetzung an. Als die 135 KollegInnen auf einer Betriebsversammlung erfuhren, dass ihr Arbeit“geber“, die US-Heuschrecke Lone-Star, das Werk Nordhausen ab sofort wegen Insolvenz schließen würde, entschlossen sie sich spontan zu einer Besetzung. Sie malten Transparente gegen Lone Star, die sie am Betriebszaun an der vielbefahrenen B 4 anbrachten, und forderten zu Solidaritätsbekundungen auf: „Bitte hupen“. Der Geschäftsführer von Bike System, Frederick Müller, rief die Polizei, die auch gleich kam. Die KollegInnen hatten jedoch einen findigen Anwalt, der ihnen geraten hatte, die Besetzung als „Betriebsversammlung“ zu deklarieren. Diese Lücke im Betriebsverfassungsgesetz, das nichts über die Länge einer Betriebsversammlung sagt, hatten sich auch schon andere Belegschaften zunutze gemacht, um trotz des eingeschränkten Streikrechts in Deutschland die Arbeit niederzulegen – der sechstägige wilde Streik bei Opel in Bochum 2004 war offiziell eine „Informationsveranstaltung“, und bei Alstom in Mannheim verbrachten die KollegInnen 2005 ebenfalls fünf Tage auf einer Betriebsversammlung und diskutierten über das Vorgehen gegen Entlassungen, statt zu arbeiten. Als die Beamten in Nordhausen sich mit den empörten KollegInnen unterhalten hatten und sahen, dass bei dieser Besetzung bzw. Betriebsversammlung nichts Bedrohliches, die öffentliche Ordnung Störendes passierte, zogen sie wieder von dannen. In den Wochen und Monaten danach war auch von den Wagen der Polizei wie von vielen andere FahrerInnen ein kurzes Soli-Hupen für die am Tor stehenden DemonstrantInnen zu hören.

Für die ersten Stunden war es ein Akt der Besetzung, aber nachdem klar war, dass die Aktion von staatlicher Seite geduldet wurde und dann auch von Mehdi Biria, dem das Gelände, die Fabrikhallen und Teile der Maschinen gehörten, kein Einspruch kam, können die nächsten Monate der Aktion eigentlich nicht mehr als Besetzung bezeichnet werden – auch wenn es gut in eine Legendenbildung der Linken passt. Biria kam die „Besetzung“ in gewisser Weise sogar gelegen, weil jetzt im Dreischichtbetrieb jemand auf sein Eigentum aufpasste, und er die Miete von Bike Systems / Lone Star bis zum Vertragsende am 30.11.2009 bekam.

Der Ausdruck Besetzung wurde nicht nur von der linken Presse (die örtliche Presse und Junge Welt berichteten als erste darüber), sondern auch von den bürgerlichen Medien, die immer auf Sensationelles aus sind, übernommen. Auch wir haben damals in unseren Berichten diesen Begriff benutzt – ohne ihn kritischer zu betrachten. Wichtiger als die Begrifflichkeit ist jedoch die Frage nach dem Innenleben dieser “Besetzung“. Obwohl die Aktion zur Betriebsversammlung erklärt worden war, fand genau dies nicht statt. Es gab keine oder kaum Versammlungen. Die Leitung der Aktion lag nicht wirklich in den Händen der Belegschaft. Entscheidungen wurden vom Betriebsrat zusammen mit dem Anwalt getroffen, und die Hierarchien aus der Fabrik wurden in der Aktion übernommen. Die Verantwortlichen für die Streikpostenschichten und die Informationsvermittlung wurden „Schichtleiter“ genannt und waren dieselben KollegInnen, die vorher Schichtleiter in der Fabrik waren. Zum Presse-Sprecher wurde von den BesetzerInnen der ehemalige Produktionsleiter bestimmt. Diese Hierarchien wurden in den Monaten der Besetzung nicht aufgehoben. Dadurch, dass die „Besetzung“ mithilfe des Anwalts und einem rechtlichen Trick quasi legalisiert worden war, bekam dieser Anwalt eine sehr starke Rolle in der Entscheidungsfindung. Vor dem Tor fanden zwar zwischen den KollegInnen viele interessante Diskussionen statt, aber eben unorganisiert, und ohne dass hier etwas entschieden worden wäre. Bei den Betriebsübernahmen in Argentinien seit 2001, die als das weitestgehende Beispiel für die Erhaltung von Arbeitsplätzen durch Selbstverwaltung gelten, war genau dies in fast allen Betrieben ein wichtiger Punkt: Dass Versammlungen das höchste Entscheidungsgremium sind und Hierarchien durch Basisdemokratie ersetzt werden. Dieses Vorgehen ist nicht nur eine ideologische, sondern auch eine Überlebensfrage, um die Schwierigkeiten, mit denen Kooperativen oder Kollektivbetriebe im Haifischbecken des kapitalistischen Marktes konfrontiert sind, auf solidarische Weise bewältigen zu können.

Die KollegInnen wollten mit ihrer Aktion ihre Arbeitsplätze und ihr Einkommen verteidigen. Selbstverwaltung war nie das Ziel. Es ging der Belegschaft die ganze Zeit darum, einen neuen Eigentümer und Investor zu bekommen. Auf den wartete man bis zuletzt und hoffte, dass der nicht viel schlechtere Löhne und Arbeitsbedingungen mitbringen würde als sie bei Bike Systems / Lonestar bestanden hatten. Von Seiten der FAU (Cafe Libertad Hamburg) wurde nachdrücklich ein Genossenschaftsmodell vorgeschlagen. Das hätte für die inzwischen noch 124 KollegInnen eine Verschuldung von 6 bis 8 Millionen Euro mit sich gebracht, und dieses enorme finanzielle Risiko lehnten die AkteurInnen ab. Ein solches Genossenschaftsmodell hätte nur eine Chance bedeutet, falls die Landesregierung das finanziell abgesichert hätte.

Die von der FAU Hamburg in die Belegschaft hineingetragene Idee, während der „Besetzung“ nochmal eine bestimmte Anzahl von Fahrrädern herzustellen, wurde sofort sehr positiv aufgenommen. Man hatte wieder ein Ziel. In den bisherigen Monaten war die 3-Schicht-Bewachung des Betriebes zu einer langweiligen Routine geworden – auch wenn sie von gelegentlichen Fahrten nach Erfurt zum Landtag oder zu Lonestar nach Frankfurt/M oder durch etliche phantasievolle Aktionen vor Ort unterbrochen wurde. KollegInnen sagten: „Wenn die Idee mit der Produktion nicht gekommen wäre, hätten wir wohl früher aufgehört, der Dampf war ziemlich raus“. Die Produktion der 1867 Fahrräder war also eine wichtige psychologische Komponente für das Durchhalten. Es war jedoch klar: Falls nicht doch noch ein Investor gefunden wird, dann war die Abarbeitung des Auftrags der letzte Akt. Ein selbstbewusster und ehrenvoller, aber auch ein trauriger Abgang.

Viereinhalb Tage ohne Aufsicht zu arbeiten war so, wie wenn der Leiter mal ein paar Tage nicht da ist. Es lief alles wie gewohnt – aber dies kann noch nicht wirklich als selbstverwaltete Produktion bezeichnet werden. Erst wenn eine Belegschaft über längere Zeit als Firmenkollektiv besteht, kann man von Selbstverwaltung sprechen. Für einzelne Verantwortliche war es allerdings eine sehr schwierige Aufgabe, die Fahrzeugteile für die Montage unter Zeitdruck zu besorgen. Ebenso war es eine besondere Leistung, den Vertrieb zu organisieren – alles Tätigkeiten, die die AkteurInnen vorher noch nicht ausgeübt hatten. Kritisch ist jedoch zu sehen, dass die „BesetzerInnen“ die Medien- und Öffentlichkeitsarbeit nicht selbst erledigten, sondern den Routiniers vom Cafe Libertad überließen. Cafe Libertad war Ansprechpartner für die bürgerlichen Medien, die Homepage der FAU war Informationsquelle für die „Besetzung“. Zu einer selbstermächtigten Aktion der Strike Biker hätte gehört, ihre „Besetzung“ auch nach außen eigenständig zu vermitteln. Zum Beispiel hätten sie sich bei örtlichen Kräften wie der Arbeitslosen-Initiative Nordhausen bei der Einrichtung einer eigenen Homepage Hilfe holen können. Besonders drastisch zeigten sich die Mängel der internen Organisation dann beim Versuch, eine eigene Firma aufzubauen. Es war klar, dass dies keine Lösung für alle sein könnte, dass von dieser eigenen Firma nur eine beschränkte Anzahl der KollegInnen würde leben können. Also musste eine Auswahl getroffen werden. Da keine Struktur von Versammlungen und gemeinsamen Entscheidungen entwickelt worden war, gab es hier keine Kriterien und Transparenz, stattdessen kam es zu gegenseitigen Vorwürfen und Verdächtigungen. Gegen die ökonomischen Schwierigkeiten der Selbstverwaltung im Kapitalismus wäre die Entwicklung einer Versammlungskultur sicher kein Allheilmittel gewesen. Aber sie hätte dazu beitragen können, zu einem solidarischeren und menschlich verträglicheren Abschluss dieser Geschichte zu kommen, in der nicht umsonst viel Hoffnung steckte.

Übergabe des letzten „strike bike“ an das Museum „Tabakspeicher“ – .Januar 2008

Vielleicht sehen manche der beteiligten KollegInnen das ganz anders. Wir würden uns freuen, wenn sie sich melden würden, um diese Diskussion weiter zu führen.

PS von Alix:
Ich fahre immer noch mein Strike Bike, auch wenn es aufgrund der damals schwierigen Materialbeschaffung für die Produktion eher ein Statement als ein gutes Fahrrad ist, und der schöne rote Lack an einigen Stellen schon ziemlich abblättert. Aber wenn mich Leute drauf ansprechen, erzähle ich immer noch gerne die Geschichte von den KollegInnen aus der Fahrradfabrik in Thüringen, die gegen ihre „Abwicklung“ einen bemerkenswerten Kampf geführt haben.

Der Artikel von Hans-Gerd Öfinger, auf den Bezug genommen wird:
Was bleibt vom Strike Bike?
Vor genau zehn Jahren schrieben die selbstverwalteten Fahrradproduzenten Sozialgeschichte.
Von Hans-Gerd Öfinger
 https://www.neues-deutschland.de/artikel/1068187.selbstverwaltung-was-bleibt-vom-strike-bike.html

Artikel von Alix Arnold von 2007 im ak:
http://www.akweb.de/ak_s/ak522/39.htm

Artikel von Dieter Wegner von 2007 in Labournet:
http://archiv.labournet.de/branchen/sonstige/fahrzeug/wegner2.html

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