Große Versammlung in Kellinghusen:
Erschrecken und Empathie für ausländische Schlachthof-ArbeiterInnen
Von Dieter Wegner, Hamburg, früher Kellinghusen
Ich war heute Abend in Kellinghusen auf der Versammlung des DGB „Lebens- und Arbeitbedingungen auf dem Schlachthof Kellinghusen“. In Kellinghusen bin ich zur Mittelschule gegangen und habe bis 1966 dort gelebt und gearbeitet. Meine Mutter hat bis 2001 dort gelebt.
Ich war erstaunt: Ca. 160 Leute im Bürgerhaus! Ich kam pünktlich und kriegte gerade noch einen Platz.
Die Geschäftsleitung vom Schlachthof war eingeladen worden, auch der Subunternehmer. Sie waren nicht gekommen.
So fing es an: Der Bürgervorsteher Malte Wicke begrüßte uns, er sagte, man müsse alle Seiten der Bedeutung des Schlachthofes für Kellinghusen sehen, einerseits bringe er Steuern und Arbeitsplätze, andererseits gebe es vermehrt Klagen von Anwohnern, die sich über die Ausländer beschweren, weil sie betrunken seien und Lärm machen, außerdem erhöhe sich das Verkehrsaufkommen durch Lastwagen. Aber der Schlachthof gehöre zu Kellinghusen! (Mit dieser Art statement wollte er sich wohl neutral geben und erst Mal testen wie die Stimmung ist. Er redete dann kein zweites Mal am Abend, das blieb später dem Bürgermeister, Axel Pietsch, vorbehalten).
Dann redete Dominique John von „Faire Mobilität“ aus Berlin. (Faire Mobilität ist eine DGB-Gründung, eingerichter zur Unterstützung von ausländischen KollegInnen). Es gibt acht Stützpunkte in der BRD, dabei beherrscht mindestens eine/r der KollegInnen eine osteuropäische Sprache. Der Kollege hielt einen 30minütigen Vortrag über Arbeitsbedingungen in Schlachthöfen. Das war sehr anschaulich und beeindruckte sehr.
Er sagte: Tönnies (Besitzer des Schlachthofes) habe den Schlachthof mit einer Autofabrik verglichen, nur das einmal Autos aus Teilen zusammengebaut werden und im Schlachthof die Schweine zerlegt werden in Einzelteile. (Ich rief dazwischen: Und die Autos quieken nicht im Todeskampf. Hinter mir sagte einer: Aber Autos machen auch Lärm.)
Ich war gespannt, was das für eine Veranstaltung wird.
Der Kreisvorsitzende des DGB, Norbert Wagner (ehrenamtlich), und seine Frau Lucia, eine geborene Rumänin, bestätigten und vertieften das von Dominique John Gesagte. Er zeigte Photos von der Unterkunft in Kellinghusen. Und berichtete, daß er mehrfach mit seiner Frau in diesen Unterkünften gewesen sei. Das war ziemlich erschütternd für alle, seine Schilderungen mit den Kakerlaken in den Zimmern. Ein Ausländer sei nach Kellinghusen versetzt worden, als er sein Zimmer sah, sei er gleich wieder umgekehrt, weil Kakerlaken im Bett waren. Bei ihm hätten sich sechs junge Ausländer gemeldet, die eine Wochen bei Tönnies in Kellinghusen gearbeitet hätten, 16 Stunden am Tag, das hätten sie nicht ausgehalten. Wir hörten weitere viele Details von ihm und seiner Frau, die alle erschütterten. So hätten sie bei einem Besuch in der Unterkunft in einer Ecke einen gekrümmt liegenden Mann gesehen. Nach einiger Zeit hätten sie ihn angesprochen. Er war verletzt. Der war von einem Vorarbeiter zusammengeschlagen worden. Sie hätten dafür gesorgt, daß dieser Vorarbeiter entlassen wird. Im Betrieb herrsche Angst, daß sie entlassen würden. Die Arbeitsproduktivität habe sich in 20 Jahren verdoppelt, also eine fulminante Arbeitsverdichtung. Die aufgebrauchten Arbeiter würden billig „entsorgt“, dh nach Hause geschickt, oft werden ihnen die letzten Monatslöhne nicht mal gezahlt.
Wenn man sich das vorstellt: Eine Verdoppelung der Arbeitsproduktivität, ein Wechsel von Stammarbeitern auf Werkverträglern mit 4-5 Euro, die jetzt den Mindestlohn kriegen, was für Riesenprofite Tönnies und die anderen Fleischkonzerne in diesen Jahrzehnten gemacht haben müssen. Auf Kosten der ausländischen WerkverträglerInnen. Denen für ein Bett (sechs Betten im 24 qm-Zimmer) bis zu 250 Euro abgezogen werden. Falls jemand krank ist, wird die Miete erhöht.
Organisiert war die Versammlung von Susanne Uhl, DGB-Vorsitzende Schleswig-Holstein. Mit eingeladen hatte die NGG, der KDA, die katholische Gemeinde St. Ansgar, der Kirchenkreis Rantzau-Münsterdorf und das Christian Jensen Kolleg aus Breklum.
Die Kollegin Uhl sagte, man habe auch rumänische Arbeiter eingeladen, die auch kommen wollten. Man habe sie aber wieder ausgeladen, weil man befürchtete, daß Vorarbeiter der Firma hierher geschickt würden.
Einem kommt der Gedanke, daß es vielleicht einer breiten Einladerphalanx bedarf, um sich zu schützen gegen starke Gegner: Die Firma Tönnies, den Subunternehmer und sogar gegen angstverbreitende Vorarbeiter.
Die Diskussion war lebhaft und lange!
Mir kam vor, daß mehr Frauen sprachen als Männer, auch engagierter. Es ging sowohl um die Arbeits- als auch die Wohnbedingungen der Polen, Rumänen, Bulgaren.
Es herrschte große Empörung, es fielen ständig Begriffe wie: Eigentum verpflichtet, Moral, Grundgesetz, die Würde des Menschen ist unantastbar. Vielleicht erwarten Tönnies, der Subunternehmer und Martin Dethlefsen ja von den ausländischen Schlachtereiarbeitern, daß deren Menschenwürde robuster ist als die von uns Deutschen, und und sie die schikanöse Behandlung gar nicht merken?
Tönnies Kellinghusen ist einer der vier Großschlachthöfe in Schleswig-Holstein. 15 Prozent Stammbelegschaft, der „Rest“ der KollegInnen sind WerkverträglerInnen bei einem Subunternehmer. Etwa 40 Prozent sind Frauen, nachgezogene Familienangehörige der Rumänen, Bulgaren und Polen.
Der Bürgermeister: Ich kriege öfter Photos zugeschickt von den Wohn- und Arbeitsbedingungen von den Ausländern. Die schicke ich weiter an die zuständigen Stellen. (Es gibt unterschiedliche Stellen für Arbeitsschutz, Einhaltung der Arbeitszeit, Wohnunterkünfte).
Der stellvertretende Kreispräsident Volker Susemihl meldete sich: Einige Informationen habe ich schon gehabt, aber jetzt bin ich erschüttert. Ich werde eine außerordentliche Sitzung des Kreistages einberufen.
Es wurde über eine Selbstverpflichtung der Fleischbranche seit 2015 berichtet, in der diese sich verpflichtet habe, die Arbeitsbedingungen zu verbessern. „Aber leider hat sich an den konkreten Arbeitsbedingungen für die Menschen nichts geändert“, konstatierte Dominique John von Faire Mobilität. Es sind also drei verlorene Jahre, in denen viel Leid den ausländischen KollegInnen zugemutet wurde. Wohl auch eine verlorene Zeit, um Widerstand zu mobilisieren! An die Orte der einzelnen Schlachthöfe zu gehen und Veranstaltungen ähnlich dieser in Kellinghusen zu organisieren.
Ein junger Kollege von Faire Mobilität aus Oldenburg beschrieb, daß sich dort Bauern in einer Genossenschaft zusammengetan hätten, in der jeder Arbeiter eine Festanstellung bekommen habe, keine Subunternehmer! Keine Leiharbeiter! Und den ausländischen Arbeitern auch menschenwürdige Wohnungen verschaffen. Jetzt nur zu fordern: „Stammbelegschaften müssen wieder eine erkennbare Mehrheit bilden“, wie es der DGB in der Broschüre „Zur Situation in der deutschen Fleischindustrie“ (S. 3) schreibt, ist nur eine Verlängerung der Leidenszeit für die zigtausend ausländische KollegInnen, die bei Subunternehmern arbeiten. Das ist, als würde man vom Fuchs verlangen, eine Selbstverpflichtung zu unterschreiben, sich nicht mehr an Hühnern zu laben. Das macht der Fuchs unbesehen, zumal kein Jäger ihm droht, ihm eins auf den Pelz zu brennen, wenn er entgegen der Selbstverpflichtung weiterhin die Hühner frißt. Aber NGG und DGB glaubten wohl, daß sich der Fuchs überreden läßt vegetarisch zu leben.
Es waren viele Ratsleute von der Kreis- und Kommunalebene der SPD und der Grünen da, Zwei von der CDU, auch die Linke und die BFK mit einigen Politikern. Geschätzt insgesamt ca. 35 Parteivertreter! Die Bürgerinitiative „Saustarkes Kellinghusen“ war stark vertreten, auch viele aktive Kirchenmitglieder waren gekommen.
Es war Herr Dethlefsen erschienen, der sich als Vermieter outete. „Ich vermiete viele Häuser und Wohnungen“. Er wurde angemacht, er habe die Verantwortung für die vermieteten Wohnungen. Er sagte, daß er die an den Subunternehmer vermietet habe. Die eine Wohnung, die gezeigt wurde in ihrem schlimmen Zustand, sei jetzt leer. Er fragte: Kommt bei Ihnen, wenn Sie zur Miete wohnen, alle naslang der Vermieter vorbei und guckt sich die Wohnung an?
Schon seit meiner Schulzeit kenne ich den Namen Dethlefsen, er steht für eine Baufirma und Baustoffhandel. Er ist eine ortsbekannte Person, einige der Politiker duzten ihn: „Lieber Martin…“
Es meldete sich ein Kellinghusener (ca. 60 Jahre alt): Ich wohne ganz in der Nähe des Schlachthofes, da sind in meiner Straße gerade 12 junge Männer aus einem osteuropäischen Land eingezogen. Wir aus unserer Straße haben uns getroffen und besprochen, daß wir ihnen freundlich begegnen wollen, grüßen und so. Er bekam wohl am meisten Beifall den Abend.
Von der DGB-Vorsitzenden wurde Anja Halbritter nach vorn gerufen. Sie stellte sich vor, habe eine „Stützgruppe“ gegründet für die beschäftigten Ausländer im Schlachthof. Man merkte ihr ihre Empörung und ihr Engagement an. Man habe sich bisher einmal getroffen, das nächste Treffen sei am 28.6. um 17 uhr 30.
Leider waren kaum junge Menschen da, überwiegend welche der mittleren Generation. Falls so eine Veranstaltung in den 70ern stattgefunden hätte, wäre es ein Ort des Auftritts und Engagements von Jusos gewesen und Jungdemokraten (zumindest die Kellinghusener Judos waren explizit links!) und wohl auch von Detlev Haase und seinen Sozialdemokraten, die damals noch einen echt sozialdemokratischen touch hatten, im Sinne von Interessenvertretung für die Lohnabhängigen.
Die Kollegin Halbritter, Mitglied bei Bündnis 90/Die Grünen, gründete ihre Initiative als überparteiliche, jenseits von Parteien.
Was ich bemerkenswert finde:
Daß sich der DGB dieser Sache annimmt, in Person der DGB-Vorsitzenden Dr. Susanne Uhl aus Flensburg, die diese Quasi-Gewerkschaftsversammlung in Kellinghusen organisierte.
Es sprachen vier Hauptamtliche und zwei ehrenamtliche von Gewerkschaftsseite. Wenn sich Gewerkschaftsfunktionäre Lob verdient haben, dann diese. Einfach nur, weil sie Tatsachen schilderten, die Arbeitssituation und die Wohnsituation. Das konkrete Engagement des DGB-Kreisvorsitzenden und seiner Frau beeindruckte. Immer dran zu bleiben, ansprechbar für die osteuropäischen KollegInnen zu sein, wie sie in die Unterkünfte gegangen sind.
Bemerkenswert finde ich ebenfalls, daß soviel Menschen zusammen kommen (Kellinghusen ist eine Kleinstadt mit 7.000 Einwohnern), daß kein einziges rassistisches oder ausländerfeindliches Wort fällt (bis auf das seltsame statement des Bürgervorstehers zu Anfang), daß soviel Empathie und Empörung geäußert wird. Aber auch Bestürzung: Daß es sowas Schlimmes in Kellinghusen gibt, habe man nicht gedacht.
Was ist nun das Ergebnis dieser Versammlung: Einmal ist es positiv, daß sich einige Haupt- und Ehrenamtliche vom DGB sehr in dieser Sache engagieren, einen Anstoß gegeben haben – und hoffentlich dabeibleiben! Dann hat sich die Initiative „Stützkreis: Wohnen und arbeiten mit Werkvertrag in Kellinghusen“, Gründerin Anja Halbritter aus Kellinghusen gebildet.
Auf dem Abend lagen auch Broschüren von „fair-DGB“ aus: „Werkverträge, Subunternehmer, Arbeitsbedingungen. Zur Situation in der deutschen Fleischindustrie“. Schon wenn man die Überschriften überschlägt: „ Stammbelegschaften müssen wieder eine erkennbare Mehrheit bilden“, „Wir brauchen eine verbindliche Lösung für alle“, „Ein Umdenken in der Branche wäre nötig“, „Wir brauchen verbindliche Regeln, keine Absichtserklärungen“, dürften sich die Gegenseite, die Schlachtkonzerne durchaus nicht beunruhigt fühlen durch Inhalt und Ton in dieser Broschüre. Nichts von Organisierung von Widerstand in der Belegschaft, vom Zusammengehen von Stammbelegschaft und WerkverträglerInnen, nichts von Streikmöglichkeiten oder Boykott durch Verbraucher wegen dieser menschenverachtenden Arbeits- und Lebensbedingungen.
Da waren Ton und Inhalt auf der Versammlung der Kellinghusener BürgerInnen schon realistischer und kämpferischer.
Zur Großschlachterei Tönnies: Tönnies gehört mit rund 8000 Mitarbeitern, davon ein großer Teil Leiharbeiter, und einem Jahresumsatz von 5,6 Milliarden Euro (2013) zu den Topunternehmen der Fleischbranche in Deutschland.
Geschätzt wird, daß es in Kellinghusen 150 Beschäftigte gibt, die Firma Tönnies verweigert die Auskunft dazu. (dazu: top agrar 2017)
In Kellinghusen sind 15 Prozent der KollegInnen als Stammbelegschaft beschäftigt, 85 bei einem Subunternehmer, also WerkverträglerInnen.
In Kellinghusen werden täglich 2.000 Schweine geschlachtet, geplant ist eine Erhöhung auf 6.000 Schweine!
Infos:
http://sh-nordwest.dgb.de/termine/++co++c5f2c330-5da7-11e8-9c0a-52540088cada
Und hier noch ein Hintergrundbericht:
https://www.infosperber.ch/Artikel/Wirtschaft/Tierschutz-Schweinerei-im-Schlachthof