Wie die Kapitalisten bei Kurzarbeit ihren Schnitt machen

Von H.S., Medizintechnischer Betrieb (Norddeutschland)

Ich mache gerade das erste Mal in meinem Leben Erfahrung mit Kurzarbeit und wie der Unternehmer versucht auch daraus Profit zu schlagen. Zum 01.04. wurde bei uns im Betrieb Kurzarbeit beantragt. Die Führungskräfte kommen mit klaren Anweisungen um die Ecke. So sollen die ArbeiterInnen mit einer Personalstärke von 30% weiter arbeiten, während der Arbeitsaufwand bei ca. 65% liegt. Dazu kommt, dass zu den 30% die Urlauber voll rein gerechnet werden. Es gab keinen, der das nur im Ansatz kritisierte. Nur ich habe allen vorgerechnet was bei dieser Planung nicht stimmt. Die Antwort des Geschäftsführers war, wir müssen das so machen und er stellt den Erhalt der Firma in den Vordergrund.
Es gibt jetzt wieder die Kollegen, die wieder mal versuchen alles rauszuholen was geht und damit den Schnitt kaputt machen. Ein Kollege stellte fest, dass er jetzt den selben Umfang an Arbeit macht, obwohl er zwei Stunden weniger da ist.
In meinem Bereich sind wir uns jetzt einig, dass wir die Arbeit liegen lassen und nur noch das machen was wir vorher auch machten.

Jetzt beginnt die Kurzarbeit für mich und auch die Produktion fährt langsam runter. Die Lagerbestände sind jetzt ca. 3x so hoch wie noch im Januar. Kurzarbeit bedeutet für mich, das ich für 3 Std. täglich arbeiten muss.

Ja, wie reagieren die Kollegen. Das Arbeiten wird nicht in Frage gestellt. Gestern sprach ich mit einem Kollegen, er ist total genervt von der sozialen Isolation im privaten Bereich und hält sich dort weitestgehend an die Richtlinien, stellt aber das Zusammentreffen mit den Kollegen auf der Arbeit nicht in Frage. Arbeiten muss man ja. Ist halt nicht nur ein Kollege der so denkt. Mein Kollege (A. Z.) kommt noch immer pflichtbewusst zur Arbeit, sieht es alles total kritisch aber sagt halt, als kleiner Mann hat man nicht die Wahl. Er selbst sieht Corona nicht so als große Gefahr für seine Gesundheit. Auch ist ihm klar das, dass Unternehmen die Kurzarbeit ausnutzt um zusätzlich Geld vom Staat zu kassieren. Krankschreibung gibt es kaum bei uns im Betrieb.

Der Unterschied zwischen Amazon und bei uns sind groß und die Führungsstruktur sind elementar anders. Das könnte der Grund für das unterschiedliche Verhalten der Arbeiter sein. Herrscht bei Amazon ein autoritärer unpersönlicher Führungsstil ist es bei uns eher ein kollegialer. Jeder Mitarbeiter kennt beispielsweise den Unternehmer persönlich, der Unternehmer geht in regelmäßigen Abständen durchs Unternehmen, schüttelt Hände und erzählt wie stolz er auf die Leistungen der einzelnen ist. Mit den Geschäftsführern ist man zumeist per du. Die Führungskräfte verstehen es die Arbeiter zu motivieren.

Kurzarbeit triff jetzt alle Bereiche im Betrieb und das führt dazu, dass die Kollegen kaum noch zusammen kommen, da ein Teil zuhause ist und der andere Teil zu unterschiedlichen Zeiten arbeitet. Da ist es mit Austausch untereinander schwieriger. Die Arbeit wurde in der Produktion soweit verdichtet, dass nicht mehr alles abgearbeitet werden kann. Heißt, es gibt keine Ruhepause und stresst etwas.

Was keiner offen tut, ist das System in Frage zustellen und es herrscht dir Hoffnung das es bald wieder „normal“ weiter geht.

Es gibt auch positives, ich sprach mit einer mir bekannten Krankenschwester. Die sagte mir, dass sie das erste Mal seit Jahrzehnten Karten auf der Arbeit gespielt haben. Da jetzt Betten für den Notfall vorbehalten werden liegen auf ihrer Station nur 12 statt wie sonst 25 Patienten.

Beste Grüße von H.S.

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