Christian Krähling ist tot. Er ist das Gesicht des Widerstandes gegen Amazon
Als wir vom Jour Fixe Gewerkschaftslinke im April 2013 einen kleinen Artikel in der Jungen Welt lasen, daß bei Amazon in Bad Hersfeld gestreikt wird, wußten wir noch wenig über Amazon. Wir nahmen Kontakt auf zur zuständigen verdi-Sekretärin, Mechthild Middeke. Sie lud uns ein zu einer Vertrauensleute-Sitzung.
Wir vereinbarten, daß die Hersfelder KollegInnen zu einem Jour Fixe nach Hamburg kommen. Sie kamen zu siebt! Durch ihre anschaulichen Berichte erfuhren wir ihre Arbeitssituation – wir konnten sie uns kaum vorstellen!
Danach machten wir öfter Besuche bei den weiteren Streiks in Bad Hersfeld, auch zusammen mit Kollegen aus Bremen.
Lieber Christian,
als Du bei Amazon in Bad Hersfeld anfingst, warst Du zwar gewerkschaftlich organisiert, aber verdi gab es praktisch dort nicht.
Es ist mit Dein Werk, daß in den beiden Lagern in Hersfeld von den 4.000 Beschäftigten etwa ein Drittel der KollegInnen inzwischen bei verdi organisiert sind. Und daß ihr nicht nur den allerersten Streik begonnen habt (zusammen mit den Leipzigern) sondern führend bei jedem anderen dabei ward.
Wichtig war aber auch gewesen, daß verdi zwei Organizer eingestellt hatte bei Amazon in Bad Hersfeld und daß diese beiden außerordentliche und unorthodoxe Organisierung leisteten, buchstäblich immer bereit.
Und ihr hattet eine Gewerkschaftssekretärin an eurer Seite, die volles Verständnis hatte für den Elan der Gruppe – was ja leider nicht bei allen Hauptamtlichen der Fall ist.
Es ist eine große, schlagkräftige Betriebsgruppe entstanden, die Kontakte nach zu Amazon-KollegInnen nach Polen, Frankreich, Spanien, England geschaffen hat – Du immer ideengebend und motivierend dabei!
Ihr schuft Euch diese Kontakte, mit oder ohne Unterstützung durch verdi!
Auch Dir ist es zu verdanken (Ich habe Dich nie direkt gefragt: War es Deine Idee?), daß der verdi-Vorsitzende Bsirkse einer Absprache zustimmte, daß die Hersfelder KollegInnen für jedes Jahr ein Kontingent an Streiktagen bekamen, wo sie selbst bestimmen konnten, wann es angesichts der konkreten Lage in den Lagern angebracht war zu streiken. (Das war einzigartig in den DGB-Gewerkschaften!) Und ihr streiktet auch mal einen Tag länger und teiltet das dann der Zentrale in Berlin an dem Tag dann mit…
Mechthild hatte es nicht immer leicht mit euch!
Eine Arbeiterbewegung in Deutschland entwickelt sich erst wieder angesichts der immer schlimmeren und brutaleren Angriffe von Seiten des Kapitals und des Staates. In dieser schwachen Arbeiterbewegung kommt Einzelnen eine herausragende Bedeutung zu. Es gibt zwar viele linke Intellektuelle, die viele Texte produzieren, was sehr wichtig ist. Aber: Es gibt wenig Bewegung und erst recht nicht Klassenkampf in den Betrieben. Und es gibt in den Betrieben, trotz des Unmuts und der Wut, der dort herrscht, wenige KollegInnen, die auch theoretisch so top sind, daß sie der Gegenseite paroli bieten können und strategische denken können.
Du warst einer dieser Seltenen!
Dies sind keine schönen Worte, die man sich für einen Nachruf zusammen sucht. Wenn in der Vergangenheit die Sprache auf Amazon und Dich kamdann immer in dieser Weise. Daß Du freundlich, heiter, zuhörend, auch ein Schlitzohr warst. Und vor allem, daß Du nicht eitel warst, Dich immer eingereiht hast. Und wir machten uns auch Sorgen: Hoffentlich hält der das durch bei soviel action.
Dein Fehlen wird schwer zu ersetzen sein, nicht nur in Hersfeld.
Wenn irgendwann Jeff Bezos/Amazon in die Knie gezwungen sein wird, es wird mit Deinem Namen verbunden sein! Du hast die Grundlagen für diesen Kampf mit gelegt.
Wir trauern und denken an Deine beiden Töchter, für die Du, trotz aller Aktivitäten, immer noch Zeit hatte und manchmal Termine zurückstelltest oder nur unter Vorbehalt zusagtest.
Christian, Du wirst uns fehlen. Christian, der Kampf geht weiter!.
Dieter Wegner, Jour Fixe Gewerkschaftslinke Hamburg
Christian Krähling über Streik, Solidarität und die Kollegen hinter dem Lenkrad
Video, 9 Minuten bei „Kilometerfresser/ChefDuzen“
https://www.youtube.com/watch?v=OlW3qc1Mon0&feature=youtu.be
Christian Krähling, der Joe Hill von amazon ist tot, in den Streik-Aktionen der amazonen lebt er weiter
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Ernst Schwarz, der Frankfurter Liedermacher, der viele Texte von Christian vertont hat, hat mir die Nachricht vom Tod unseres Kollegen, Freundes, Genossen geschickt. Er ist der zweite mir ans Herz gewachsene Bad Hersfelder Amazone, den ich verliere. Hätte der Erste sich Christian und seinen Mitstreiterinnen bei Amazon angeschlossen, er hätte sich vielleicht nicht selbst aus dem Leben entlassen müssen. Und jetzt ist dieser Kämpfer für ein besseres Leben nicht mehr … doch, er ist in uns, neben, über und unter uns, wenn wir nicht aufgeben. Christian, Du warst und bist und bleibst für mich wie die Wiedergeburt Joe Hills. Ich glaube, mit ähnlichen Gedanken an Dich hat mir Ernst Schwarz am 11.12. geschrieben:
Liebe Freundinnen und Freunde,
Christian Krähling ist gestern an seinem 43. Geburtstag gestorben. Am Mittwoch war er noch bei der Arbeit (Amazon Bad Hersfeld).
Tags drauf ist er nicht zu einer Betriebsratssitzung erschienen. Er war auch telefonisch unerreichbar. Das hatte es bei solchen Terminen bei ihm noch nie gegeben.
Die Kollegen waren beunruhigt, einer fuhr zu ihm.
Am Donnerstag Nachmittag wurde er leblos in seiner Wohnung gefunden.
Das ist ein schwerer Verlust für die Arbeiterbewegung nicht nur in Deutschland.
Vor fast acht Jahren war er Mitinitiator der bis jetzt immer wieder durchgeführten Streiks bei Amazon in Bad Hersfeld, er trug wesentlich dazu bei,
dass der Funke übersprang auf andere deutsche Standorte. Der Sprecher der gewerkschaftlichen Vertrauensleute wirkte mit an der Vernetzung
mit Aktiven in Polen, Slowakei, Spanien, Frankreich, Schweden, Italien, USA, China.
Wenn er erfuhr, dass am nächsten Streik in Frankreich oder USA eine Aktion stattfand, schrieb er manchmal noch in der Nacht ein Streiklied in
englischer oder französischer Sprache und schickte es noch rechtzeitig hin.
Die Initiative OKG (Organisieren, Kämpfen, Gewinnen) Kassel hat heute geschrieben:
“… GewerkschafterInnen weltweit werden trauern, von Spanien, Polen, USA, Frankreich, China… du hast keine Grenzen gekannt, nicht korrumpierbar, immer bescheiden, immer mit Witz, immer unerschrocken, Dichter, Kämpfer, Freund, Genosse, liebevoller Vater.
Du warst einer der Großen der Arbeiterbewegung …”
Ich glaube, sie haben mit dem letzten Satz nicht übertrieben.
Viele seiner wunderbaren Gedichte habe ich gelesen. Er, der auch Freidenkergenosse war, starb mindestens ein halbes Jahrhundert zu früh.
Wenn wir ihn jetzt fragen könnten, was würde er uns jetzt mit einem Schmunzeln raten?
“Weitermachen, Durchhalten, Siegen!”
Also dann.
Herzliche Grüße,
Ernst
Hier zwei Videos:
Amazon Arbeiter an die Berufskraftfahrer
https://www.youtube.com/watch?v=OlW3qc1Mon0
Christians Lied „Ihr könnt uns!“ („Ihr ändert nicht die Zeiten!“)
https://www.youtube.com/watch?v=6ul6Z2bb7Q8
im Anhang noch ein Liedtext von Christian “Ganz egal”
Ganz egal
Text: Christian Krähling / Musik: frei nach Element of Crime
Die Pflegekraft kann ihre Miete kaum bezahlen
Obwohl sie schuftet jeden Tag im Krankenhaus.
Der Eigentümer wohnt in einem schönen Schlosse,
Doch für die Pflegekraft sieht es nicht rosig aus.
Ein Leiharbeiter produziert Profit am Fließband
Und er macht Überstunden noch nach langer Schicht
Und seine kleinen Kinder seh’n ihn nur noch selten
Und der karge Lohn reicht vorn und hinten nicht!
Ganz egal, wie man es auch betrachtet:
Am Ende kommt die Revolution!
Der Paketkurier gibt Gas für seine Bosse
Und opfert Lebenszeit für dummen Wohlstandsmüll.
Die Existenz ist ihm dadurch nicht ganz gesichert,
Obwohl er nur bescheid’nes Leben führen will!
Der reiche Mann kaut Hummer schon am frühen Morgen,
Den hat ein armer Fischer ihm zu Tisch gebracht!
Kinderarmut ist jetzt ganz normal geworden
Und mit Krieg wird nach wie vor Profit gemacht!
Ganz egal, wie man es auch betrachtet:
Am Ende kommt die Revolution!
Die Mieten steigen und Benzin wird immer teurer.
Und das Wasser woll’n sie auch privatisier‘n!
Und Du führst Dein Leben nur noch für die Wirtschaft
Und sollst Profit für uns’re Herren generier’n.
Wieviel Ausbeutung ist heut‘ noch zu ertragen,
Bevor man endlich einmal sagt: Ich bin dafür,
Die Dreckseliten jetzt mal einfach zu enteignen!
Und wann kommt denn der Gedanke auch zu Dir?
Ganz egal, wie man es auch betrachtet:
Am Ende kommt die Revolution!
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Lieber Cristian, meine Joe Hill- Übersetzung von 1973 will ich Dir ins Grab singen. Ich kann nicht glauben, dass Du so einfach gestorben bist. Bei Deiner Zuversicht, Deinem nie übertriebenen Optimismus, Deinem sicheren Gespür für das Wag- und Machbare, Deiner Menschenliebe, Deiner Kraft der sich immer mehr organisierenden Amazonen, Deinen Zukunftsträumen für Übermorgen und die nächsten Duzend Jahre
Joe Hill
Im Traum hab ich Joe Hill gesehn
so wie ich euch jetzt seh
Ich sage: “Joe, du bist doch tot!”
Joe sagt: “Ich sterbe nie!”
Joe sagt: “Ich sterbe nie!”
“Zehn Jahre warns, in Salt Lake, Joe,
da standst du vor Gericht.
Nen Mord ham sie die angehängt,
Gott weiß, du warst es nicht!
Gott weiß, du warst es nicht!
Die Kupferbosse haben, Joe,
dich selber umgebracht
aus Angst vor dir, aus Angst vor uns,
aus Angst um ihre Macht!
Aus Angst um ihre Macht!”
“Der Kugelhagel traf nicht mich,
sie ham es nicht geschafft,
sie trafen meinen Körper nur,
sie trafen nicht die Kraft!
Sie trafen nicht die Kraft!
Die Kraft lebt weiter, hält im Streik
mit Macht die Räder still,
deshalb, wo die Gewerkschaft kämpft,
da findest du Joe Hill!
Da findest du Joe Hill!”
Von San Diego bis nach Maine,
in Bergwerk und Fabrik,
wo Arbeiter nach vorne gehn,
da kommt Joe Hill zurück!
Da kommt Joe Hill zurück!
Wo Arbeiter für Lohn und Recht
den Kampf organisiern,
da ist Joe Hill, du hörst sein Lied
und siehst ihn mitmarschiern!
Und siehst ihn mitmarschiern!
Im Traum hab ich Joe Hill gesehn,
so wie ich euch jetzt seh,
Ich sage: “Joe, du bist doch tot!”
Joe sagt: “Ich sterbe nie!”
Joe sagt: “Ich sterbe nie!”
Am 19 November 1915 wurde Joseph Hillström -wegen eines angeblichen Mordes verurteilt- hingerichtet. So hatten die US-Behörden den ihnen unbequemen Gewerkschaftsführer und Liedermacher ausgeschaltet, der bei den Arbeitern als Joe Hill bekannt war.