Warum wir die Petition „#ZeroCovid“ trotz kritischer Einwände unterschrieben haben!

Die auch von einigen bekannten Linken mitgestartete Petition #ZeroCovid: Für einen solidarischen europäischen Shutdown“ wird auch in JourFixe-Kreisen kontrovers diskutiert.
Hier ein Beitrag pro Unterschrift von zwei GenossInnen:


Warum wir die Petition „#ZeroCovid“ trotz kritischer Einwände unterschrieben haben

Ein Strategiewechsel ist allein schon deshalb erforderlich, weil die bisherige Strategie gescheitert ist. Sie bestand in dem Versuch den Virus so weit wie möglich unter Kontrolle der Gesundheitsämter zu halten, um die Intensivstationen nicht an ihre Grenzen zu bringen. Bilder wie in Bergamo sollen vermieden werden, ein schlechtes Image für das Exportland Deutschland! Dabei waren und sind die Lockdownmaßnahmen immer schon widersprüchlich, chaotisch und fast anarchisch gewesen. Man sehe sich nur die Situation an den Schulen an!

Für die Bevölkerung ist es nicht zu verstehen, dass man sich im privaten Raum nur noch mit einer Person aus einem weiteren Haushalt treffen darf, aber die meisten Produktionsstätten und Büros davon völlig ausgeklammert sind. Dort wird im Allgemeinen noch nicht einmal kontrolliert, ob die Hygieneregeln eingehalten oder Abstand gewahrt werden kann. Die Wirtschaft war bisher – von wenigen Ausnahmen abgesehen – völlig außerhalb jeglicher Kontrolle. Nur wenn die Infektionszahlen dermaßen explodiert sind, dass man dies nicht mehr verbergen konnte, gab es kurzfristige Konsequenzen, wie z.B. in der Fleischindustrie oder bei Erntehelfern. Aber wie bei Amazon , in der Rüstungsindustrie, auf Baustellen und in Handwerksbetrieben der Gesundheitsschutz umgesetzt wird, ist völlig intransparent und wird kaum oder gar nicht kontrolliert.

Da wird viel vertuscht und verschwiegen, auch von Seiten der KollegInnen, die um ihren Arbeitsplatz fürchten. Auf jeden Fall treffen dort und auch schon auf dem Weg zur Arbeit viele Menschen aus vielen Haushalten zusammen. Das steht in einem eklatanten Widerspruch zu den Beschränkungen im Privatbereich. Menschen, die als Arbeitende ohne jeden Schutz sind, sollen sich im Privatbereich „schützen“ bis hin zu Ausgangssprerren: Ausnahme: der Weg zur Arbeit!

Weil diese Petition den Blick auf die Wirtschaft richtet und auch hier einen shut down fordert, haben wir sie unterschrieben, wohl wissend, dass unter den gegebenen gesellschaftlichen Verhältnissen nicht alles durchsetzbar ist. Unter virologischen Gesichtspunkten ist es absolut richtig, auch Kontakte am Arbeitsplatz einzuschränken. Wenn dies nicht geschieht, bleibt alles andere nutzlos und schadet im übrigen auch der Wirtschaft selbst. Nur einige Betriebe profitieren: Lebensmittelketten, online-Dienste, die IT-Branche, etc.

Allerdings – und hier ist die Petition undifferenziert – müsste genau bestimmt werden, auf welche Produktionen und Dienstleistungen wenigstens für eine begrenzte Zeit verzichtet werden kann und welche absolut lebensnotwendig sind. Gut verzichten können wir, sogar dauerhaft, auf die Rüstungsindustrie, für eine gewisse Zeit auch auf die Autoproduktion.  Dort herrschte schon vor Corona eine Überproduktionskrise. Brauchen wir das Billigfleisch aus Massentierhaltung? Sicherlich nicht! Aber das setzt natürlich eine breite gesellschaftliche Diskussion voraus, auch mit den Kolleginnen und Kollegen aus den betroffenen Bereichen. Letztendlich bricht schon hier die Systemfrage auf: Was benötigen wir als Menschen wirklich, was ist überflüssig? Kapitalistische Unternehmen stellen sich andere Fragen: Was bringt den meisten Profit? Wie bestehen wir gegenüber der Konkurrenz? Gesundheitsschutz ist für sie zweitrangig und nur insofern interessant, als die Ware Arbeitskraft erhalten bleiben soll.

Wenn die Petition erklärt, dass es wichtig ist, dass die Beschäftigten die Maßnahmen in den Betrieben selber gestalten und gemeinsam durchsetzen müssen, so ist das zwar richtig, aber unter den kapitalistischen Eigentumsverhältnissen illusionär und setzt ein anderes, gesellschaftlich geplantes Wirtschaftssystem voraus. Konkurrenz- und Standortdenken müssen überwunden werden. Dies ist nur möglich, wenn Kolleginnen anfangen, sich gemeinsam zu wehren – über den eigenen Betrieb hinaus – durch bloße Propaganda lässt sich der heutige passive Zustand nicht überwinden.

Unter den kapitalistischen Eigentumsverhältnissen endet die Demokratie vor den Betriebstoren: weder entscheiden die Arbeitenden, ob ein Betrieb wegen einer Pandemie geschlossen werden sollte, noch über die Arbeitsbedingungen.

Richtig sind wiederum die Forderungen nach Solidaritätsabgaben auf große Vermögen, Unternehmensgewinne, etc. , um Menschen, die durch die Pandemie in Not geraten, finanziell umfassend zu unterstützen. Die Zeche sollten die Reichen und Profiteure zahlen! Richtig, aber auch hier fehlt der Druck von unten.

Richtig ist auch, dass der Ökonomisierung des Gesundheitsbereichs ein Ende gesetzt werden muss, auch dass Impfstoffe den Marktgesetzen entzogen und der gesamten Menschheit gehören sollten.

Aber dies alles als Forderungen ausschließlich an einen bürgerlichen Staat zu stellen, dessen Aufgabe es ja gerade ist, die Bedingungen für das Gesamtkapital zu garantieren, ist unzureichend. Immer wieder muss gleichzeitig Folgendes deutlich gemacht werden: Wir müssen von unten gesellschaftliche Verhältnisse erkämpfen, die all dies erst ermöglichen und das nicht allein aus den Betrieben heraus, sondern gemeinsam mit anderen Bewegungen, die anfangen die Verhältnisse in Frage zu stellen: Klimabewegungen, antirassistische Bewegungen, Bewegungen gegen die Wohnraumnot, Friedensbewegung, Gewerkschaftsbewegungen. Das muss durch praktische Solidarität zusammenwachsen. Diese Gedanken fehlen in der Petition. Wir sind noch weit davon entfernt, dass so eine gemeinsame Kraft, die die Verhältnisse wieder zum Tanzen bringt, entsteht. Deshalb sehen wir diese Petition als eine Möglichkeit grundsätzliche Fragen zu diskutieren, die unsere Zukunft betreffen.

Solidarische Grüße

Brigitte und Jürgen

One Reply to “Warum wir die Petition „#ZeroCovid“ trotz kritischer Einwände unterschrieben haben!”

  1. Ich habe den Aufruf zwar auch unterzeichnet, weil z. T. richtige Argumente bzgl. Klasseninteressen drinstehen, halte ihn aber nichtsdestotrotz für hochproblematisch. Statt von einer abstrakten gesamtgesellschaftlichen Sicht zu räsonnieren, sollte man darauf achten, wie man eine Bewegung möglichst von den unmittelbaren Interessen der Lohnabhängigen her zustande bringen könnte. Meine Überlegungen sind sicherlich auch erst einmal abstrakt in dem Sinne, daß das wohl noch nicht in der Diskussion ist (oder ist mir -als Rentner- was entgangen?). Aber beschäftigen wir uns mal mit der Schließung von Produktion als Kontaktsammelstellen.
    Wenn man den KollegInnen erzählt, daß ihr Laden erst mal dicht gemacht werden muß, wird die Reaktion bei vielen so sein, daß sie dichtmachen: Wovon sollen wir denn leben? Man muß sie also ganz direkt ansprechen: Infektionsschutz in den Betrieben und den Sozialräumen! Die KollegInnen wollen ja selbst nicht sich der Ansteckungsgefahr aussetzen und nach Feierabend den Erreger in die eigenen Familien tragen. Aber das muß organisiert werden. Das wäre m. E. in der gegebenen Situation die zentrale Aufgabe von Gewerkschaften, Betriebsräten und betr. AktivistInnen. Daraus ergeben sich praktische Fragen, gemeinsame Aktionen und weiterführende Überlegungen, z. B. nicht notwendige Produktion doch tatsächlich stillzuliegen, die Beschäftigten voll zu entschädigen, das Geld dafür bei Konzernen und großen Vermögen zu holen etc. pp.
    Dann kann man sich diesen ZeroCovid-Aufruf in dieser abstrakten Höhe schenken.
    Solidarische Grüße
    Friedhelm

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