Lehrreiches aus der Vergangenheit!: Gewerkschaftlicher und politischer Kampf

Texte von August Thalheimer aus der Zeit von 1929 (Zusammengestellt von RK)

Anfang 1929 (noch vor der großen Krise) analysierte August Thalheimer (*) die gewerkschaftlichen Kämpfe in den industrialisierten Ländern. Unter dem Titel „Wo stehen wir in den Wirtschaftskämpfen?“ versuchte er die schönfärberischen und selbstbetrügerischen Behauptungen einer Offensive der Arbeiterklasse seitens der ultralinken KPD-Zentrale zurückzuweisen. (Gegen den Strom (GdSt) 12/1929 S. 265f und GdSt 13/1929 S. 284).

Für Deutschland kam er zu dem Ergebnis:

Die bisher ‚normalen’ Gesetze, die den Gang und die Erfolge des Gewerkschaftskampfes bestimmten, die der Arbeiterschaft kräftige Vorstöße in der Hochkonjunktur ermöglichten, sind mehr oder weniger außer Kraft gesetzt durch das Eingreifen der großen Kapitalmonopole.“ (…)

Der Druck der industriellen Reservearmee wirkt jetzt infolge der Rationalisierung auch in der Hochkonjunktur weit über das Maß hinaus, das vor dem Kriege da war. Nichts ist so bezeichnend für die heutige Lage als der absolute Rückgang der Zahl der beschäftigten Arbeiter bei steigender Produktion und bei allgemein aufsteigender Konjunktur, wie das z. B. im Stahltrust (damals Schlüsselbranche, heute vergleichbar Automobilindustrie) sich zeigt. Die Hochkonjunktur weist in Deutschland gegenwärtig nahezu den doppelten Satz von Arbeitslosigkeit auf, wie der Konjunkturdurchschnitt vor dem Kriege. (…)

Es sind also einmal objektive Faktoren, die die wirtschaftliche Angriffskraft der Arbeiterklasse selbst während der Hochkonjunktur geschwächt haben. Dazu kommt als subjektiver Faktor die reformistische Gewerkschaftsführung. Sie wirkte vermittels der Schlichtungsmaschine als Stoßdämpfer. Sie ließ auch die infolge der geschilderten objektiven Umstände geminderte Angriffskraft der Arbeiterklasse nicht voll zum Ausdruck kommen. Die Verantwortung der reformistischen Gewerkschaftsführung wird nicht im geringsten gemindert, wenn man gleichzeitig feststellt, dass auch objektive Faktoren die Stoßkraft des nur-gewerkschaftlichen Kampfes geschwächt haben.

Im Gegenteil. Während diese Lage die Arbeiterklasse zwingt, den nur-gewerkschaftlichen Kampf zu ergänzen und zu verstärken durch den politischen Kampf, verstärkt der Reformismus gleichzeitig politisch die Kraft der Bourgeoisie und schwächt die Arbeiterklasse noch mehr, indem er Koalitionspolitik treibt, indem er, falls er sich zeitweilig in der Opposition befindet, diese Opposition dem kapitalistischen Gesamtinteresse unterordnet.

Andererseits ist das Verständnis der Einengung der Erfolgsmöglichkeiten des nur-gewerkschaftlichen Kampfes infolge der geschilderten objektiven Umstände die Grundlage für die Ausarbeitung der revolutionären Linie sowohl auf gewerkschaftlichen wie auf politischem Gebiete. (…)

Die Tatsache, dass in den nächsten Monaten für einige Millionen Arbeiter gleichzeitig die Tarife ablaufen, ändert an dieser Sachlage selbstverständlich nichts. Die reformistische Gewerkschaftsführung wirkt sich jetzt aus in der Hemmung der gebotenen gewerkschaftlichen Verteidigung. (…) Klagt man sie an , dass sie in dieser Zeit gewerkschaftlich nicht zur strategischen Offensive greift, so bleibt erstens diese Anklage wirkungslos, zweitens aber „vergisst“ man die noch schwerer wirkende Anklage, dass jetzt der Schwerpunkt der Aktion der Arbeiterklasse in den politischen Angriff gelegt werden muss (gerade vom Boden der Wirtschaftskämpfe aus), und drittens, und das wiegt am allerschwersten, versperrt man sich selber die Einsicht in die von der Situation gebotene Strategie und Taktik einer revolutionären Arbeiterpartei.“

Ich zitiere deshalb Thalheimer so ausführlich, weil erstens diese Texte nicht für alle leicht zugänglich sind und zweitens will ich dem Argument begegnen, die Verhältnisse damals seien nicht vergleichbar. Ich stelle fest, Thalheimer schrieb dies noch unter den Bedingungen der Konjunktur und Koalitionspolitik der Sozialdemokratie, ausgehend von der zunehmenden Wirkungslosigkeit des nur-gewerkschaftlichen Kampfes forderte er die „Ausarbeitung (!) der revolutionären Linie“, des politischen Kampfes.

In der Fortsetzung in Nr. 13 GdSt fasst Thalheimer noch einmal zusammen:

Wir kamen zu dem Schluss, dass die Arbeiterklasse in Deutschland sich noch nicht im Angriff oder Gegenangriff befindet, sondern dass es hier noch nicht einmal gelungen ist, eine erfolgreiche Verteidigung zu führen. Wir stellten weiter fest, dass das durch die Umstände gegebene Feld des Angriffs das politische sein muss. Der politische Angriff muss die Voraussetzungen schaffen, um gewerkschaftlich von der Verteidigung zum Angriff übergehen zu können.

Es handelt sich nicht darum, den gewerkschaftlichen Kampf durch den politischen zu ersetzen. Es handelt sich darum, ihn durch den politischen zu ergänzen und dadurch die Voraussetzungen zu schaffen, um ihn zu verstärken. Wie geschieht das?

Es geschieht nicht dadurch, dass ich erkläre, dass heute jeder Streik ein politischer Streik ist. Ein Streik wird dadurch keine politische Handlung, dass ich ihn so nenne. Eine politische Handlung ist vorhanden, wo ein politisches Ziel ist. Was ist ein politisches Ziel im Unterschied von einem gewerkschaftlichen? Das gewerkschaftliche Ziel richtet sich unmittelbar gegen den Unternehmer, einen einzelnen, eine Gruppe oder die Gesamtheit der Unternehmer. Das politische Ziel richtet sich unmittelbar gegen die bürgerliche Staatsmacht. Sein Inhalt kann natürlich auch ein wirtschaftlicher sein. Die an einen einzelnen Unternehmer oder eine Gruppe von Unternehmern gerichtete Forderung des Achtstundentages, ist ein gewerkschaftliches Ziel. Dieselbe Forderung an den Staat gerichtet, ist ein politisches Ziel.

(…)Welche politischen Ziele sind aufzustellen? Sie sind natürlich nicht frei aus dem Kopf zu erfinden! Sie sind aus der politischen und wirtschaftlichen Lage abzuleiten. Dies ist unsererseits in dem Proletarischen Kampfprogramm versucht worden.

Mit der bloßen Aufstellung des proletarischen Kampfprogramms ist es natürlich nicht getan. Dies ist nur der erste Schritt. Der zweite ist die Agitation und Propaganda sowie die Schaffung der organisatorischen Grundlagen für die Aktion. Der dritte ist die Aktion selbst.“

Nachfolgend beschrieb Thalheimer noch einmal den wesentlichen Inhalt der uns bekannten Einheitsfronttaktik. Er fuhr dann fort:

Die wichtigste der Illusionen, die der weiteren Entfaltung des politischen Kampfes im Wege steht, ist die Hoffnung auf die bürgerliche Demokratie und im Gefolge davon auf die Koalitionspolitik. (…)

Die Erschütterung dieser Grundpfeiler des Reformismus im Denken der Massen durch die eigene politische Aktion der Massen – ist die Voraussetzung auch für die organisatorische Erschütterung des Reformismus.

Sie ist die unerlässliche Vorbedingung für die Erschütterung der Stellung des Reformismus in den Gewerkschaften. (…)

Anders ausgedrückt: Die Erschütterung des Vertrauens der Arbeiterklasse in die Klassenzusammenarbeit mit der Bourgeoisie ist die allgemeine Voraussetzung für die Erschütterung der reformistischen Gewerkschaftsführung.

Mit dem Umfang und der politischen Energie der politischen Aktion müssen auch ihre Mittel gesteigert werden.

Die nächste Etappe der gesteigerten politischen Massenaktion ist der politische Massenstreik.

(…) Das Bewusstsein davon, dass der nur-gewerkschaftliche Kampf in die Sackgasse führt oder anders ausgedrückt, dass seine Erfolgsaussichten immer geringer werden, muß die Kommunistische Partei in den Massen an Hand ihrer Erfahrungen erzeugen, um den Antrieb für die politische Aktion zu verstärken. Wie weit der Weg ist zur politischen Offensive, ist daraus ersichtlich, dass die Kommunistische Partei in Deutschland dank der Konfusion der Parteiinstanzen in ihrer Mehrheit noch der entgegengesetzten Illusion, der von der unbegrenzten Allmacht des Gewerkschaftskampfes unterliegt.“

Ergänzen will ich diese Ausführungen noch um wenige Zitate aus dem „Roten Gewerkschaftsbuch“ von 1932.

Dies scheint mir gerechtfertigt, entspringen doch alle Überlegungen derselben Diskussion, begonnen in der Gewerkschaftszentrale der KPD, fortgeführt in KPO und SAP.

Dieser politische Kampf ist heute notwendig und hat zugleich viel größere Ausscichten auf Erfolg als früher. Denn was die Gewerkschaften auf rein gewerkschaftlichen Gebiet verloren haben, das haben sie an Gewicht auf politischem Gebiet gewonnen. Ist es dem Unternehmertum heute im allgemeinen leicht, betriebliche Streiks lange auszuhalten und abzuwehren, so ist der innerlich zermürbte Kapitalismus heute umso empfindlicher gegenüber außerparlamentarischen Massenbewegungen und Kämpfen mit politischer Zielstellung und politischen Auswirkungen, da sie das ganze System in Gefahr bringen.

Von besonderer Bedeutung ist , dass in diesen politischen Kämpfen die Millionen von Arbeitslosen, die im nur-gewerkschaftlichen Kampf eine Gefahr, eine negative Kraft, bilden, zu einem besonders stoßkräftigen Faktor werden. Bei politischen Massenaktionen wird durch das Riesenheer der Erwerbslosen die Kampfkraft der gesamten Arbeiterklasse gewaltig gestärkt.

Wie kommen wir zu politischen Kämpfen?

Die wichtigste Frage ist heute die: Wie kommen wir zu politischen Massenstreiks? Es ist klar, dass die wichtigste Bedingung der völlige Kurswechsel der Gewerkschaften ist. Aber die Gewerkschaftsopposition darf nicht darauf warten, bis das etwa mit Hilfe der Propaganda und des Massendrucks gelungen ist, sondern alle revolutionären Gewerkschafter müssen heute schon jeden möglichen Anlass, jeden geeigneten Lohn- und Tarifkonflikt benutzen, um den Kampf über den nur-gewerkschaftlichen Rahmen hinaus zum politischen überzuleiten.

Als z.B. im August 1931 den etwa 300 000 Gemeindearbeitern im Reich mit Hilfe der Notverordnungsbestimmungen der Lohn gekürzt werden sollte, da galt es aufzuzeigen, dass die Gemeindearbeiter nicht nur den Lohnabwehrstreik zu führen haben, sondern dass sie ihren Kampf planmäßig auf das politische Gebiet überleiten, d. h. politische Ziellosungen aufstellen und die übrige Arbeiterschaft zum gemeinsamen Kampf gegen den gemeinsamen Feind mobilisieren müssen. Es wäre bei der heutigen kritischen Lage jeder Regierung schwer, ja unmöglich, einem so geführten Kampf zu widerstehen. Einen gewerkschaftlichen Streik der Bergarbeiter z.B., der sich nur gegen die Zechenbesitzer richtet, kann – zumal bei den heute überfüllten Kohlenhalden – die Bourgeoisie unter Umständen, wie es sich in England 1926 gezeigt hat, ein halbes Jahr aushalten. (…)

Gewiss kann nicht jeder gewerkschaftliche Kampf auf das politische Gebiet gelenkt werden. Aber wenn bei großen, entscheidenden Kämpfen alle Quellen der Macht des Proletariats aufgerissen und Erfolge errungen werden, dann wird jede Depression unter den Arbeitermassen verschwinden und einem gesteigertem Kampfwillen und Kraftbewusstsein Platz machen.“

(Rotes Gewerkschaftsbuch S. 177)

Die vorstehenden Ausführungen sollten aufzeigen, wo unsere politischen Vorfahren in der Weimarer Republik, die in der politischen Tradition von Rosa Luxemburg standen und die wir immer noch zu wenig studieren, den Ausweg aus der damaligen politischen Krise der Gewerkschaften sahen und angeben, welche Überlegungen aus der Depression der damaligen Arbeiterbewegung hinausführen könnten.

(*) August Thalheimer war zusammen mit Heinrich Brandler bis 1923 Vorsitzender der KPD. Nach Ausschluss aus der KPD um die Jahreswende 1928/29 sammelte sich die Fraktion um Brandler und Thalheimer aufgrund des verhängnisvollen Kurses der KPD unter Thälmann in der KPD-O, und setzte sich zum Ziel, diesen Kurs zu ändern. Vergeblich. Denn die Arbeiterbewegung blieb aufgrund der Selbstzerfleischung zwischen SPD und KPD gelähmt. Die KPD-Führung bezeichnete die Sozialdemokraten als „kleine Zörgiebels“ (sozialdemokratischer Berliner Polizeipräsident) und Sozialfaschisten, die SPD-Führung die Kommunisten als rotlackierte Faschisten. Der Weg für die Nazis war frei.

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