Wie ist deine Haltung zu Rußland im Ukraine-Krieg?

Brief an einen Kollegen, nach der Diskussion in unserem Jour Fixe Kreis

Lieber K.,

dem, was du am Freitag bei unserer Diskussion zur Situation von Rußland sagtest, es gehe den USA und der Nato um die Vernichtung Rußlands wie 1941 um die Vernichtung der Sowjetunion, stimme ich zu.

(Ich habe argumentativ etwas weiter ausgeholt zur Begründung meines Standpunktes)

Deutsche Panzer stehen wieder im Baltikum, in Polen und demnächst in der Ukraine – wie 1941!

Aber es gibt  Unterschiede zwischen 1941 und 2023: Damals war  es richtig, daß sich Menschen wie Thomas Mann, Marlene Dietrich und auch viele KommunistInnen in den Propaganda- bzw. Kriegsdienst der USA stellten! Oder auf der Seite der Sowjetunion mitkämpften. Der Feind Nationalsozialismus mußte besiegt werden, was nur unter Mitwirkung der USA möglich war (*). Und die Sowjetunion mußte gerettet werden.

Die Situation ist heute eine andere, die USA und Rußland sind beide kapitalistische Staaten. Dennoch stehen wir heute auf der Seite Rußlands, auch wenn es kein antagonistischer Gegner der USA mehr ist sondern nur noch ein kapitalistischer Konkurrent, allerdings einer im Kampf der Aufrechthaltung der unipolaren US-Weltordnung. Es geht uns weder um den Sieg Ukraine gegen Rußland und damit der USA/Nato, noch um den Sieg Rußlands in Form der Eroberung der Ukraine.

Heute hat es uns darum zu gehen, daß möglichst schnell die Waffen schweigen. Es wäre heute unsinnig, sich Rußland für den Krieg zur Verfügung zu stellen wie es 1941 richtig war! Richtig ist es heute, sich gegen Waffenlieferungen in die Ukraine, gegen Sanktionen gegen Rußland, für die Öffnung/Reparatur von Nordstream einzusetzen.

Die Ukraine ist angegriffen worden, – es ist die natürlichste Sache der Welt, daß sich die Angegriffenen wehren. D.h. aber nicht, daß wir dafür sind, daß Waffen geliefert werden. Denn die Waffen verlängern den Krieg, verursachen Leid und Tod. Humanitäre und soziale Hilfe sind unbedingt zu leisten!

Die russisch-sprachigen Provinzen Lugansk und Donezk sind schon 2014 von der ukrainischen Regierung angegriffen und in einen Abwehrkampf gezwungen worden. Das wurde in den acht Jahren dieses Krieges hier kaum erwähnt und seit dem Krieg Rußlands gegen die Ukraine seit Februar 2022 völlig unterschlagen. Dieser Krieg wird nicht als eine Fortsetzung des Krieges von 2014 dargestellt sondern als unprovozierter Angriffskrieg Rußlands (**).

Bei der Erarbeitung eines Standpunktes geht jeder von seinem Weltbild aus! Das Weltbild kann nicht so schlicht sein, die Welt schwarz-weiß in Gut und Böse einzuteilen. WIR, der Werte-Westen sind die GUTEN und Rußland/Putin ist der Angreifer, sind die BÖSEN. Zu dieser Logik kommt man, wenn einem die Frage gestellt wird: „Bist Du für Putin oder bist Du für Selensky?“ Falls diese Frage der politischen Wirklichkeit gerecht werden sollte, müßte sie heißen: „Bist du für Putin oder Biden?“ (Aber solche Fragen haben vielleicht einen Sinn, wenn man fragt: Bist du für St. Pauli oder HSV? Aber in der Politik sind solche Fragen ziemlich unsinnig).

Jeder, ob Putin- oder Biden-/Selenskyanhänger wähnt sich auf der richtigen Seite und sucht sich, ganz subjektiv die passenden Argumente für seinen Standpunkt aus. Auf der Strecke bleibt eine objektive Herangehensweise mit dem Ergebnis für eine gut begründete Haltung.

Mein Weltbild (und es wohl auch ein urchristliches, buddhistisches, humanistisches) ist das Vermeiden von Leiden, Leid und vorzeitigem Tod für alle Menschen eines Landes. (Deshalb werden hohe und höchste Kosten aufgewendet für den Gesundheits- und Pflegebereich und Forschungsbereich dazu.)

Das ist im Privaten/Persönlichen der natürlichste und permanenteste Instinkt. Dieser Instinkt wird versucht aufzuheben und zu ersetzen, wenn den Menschen von den Herrschenden eingeredet wird „Ihr müßt Opfer bringen, leiden und sterben für höhere Werte wie Freiheit und Demokratie“.

Mit Waffenlieferungen hingegen wird Leiden, Leid und Tod zwangsläufig erzeugt!

Wenn wir aus dieser Haltung heraus für die sofortige Beendigung des Krieges sind, unterstützen wir alle Mittel und Handlungen, mittels denen das erreicht wird: Daß die jungen Männer in der Ukraine und Rußland den Kriegsdienst verweigern oder desertieren! Daß die Mütter sich schützend vor ihre Söhne stellen! Daß die Menschen Rußlands und der Ukraine von ihren Regierungen Verhandlungen zur Kriegseinstellung fordern!

Fall es der höchste humane und gesellschaftliche Wert für einen ist, Leid, Leiden und Tod zu vermeiden und man konstatieren muß, daß im Ukraine-Krieg bisher seit einem Jahr 300.000 Menschen (Soldaten und Zivilisten) gestorben sind, anderseits einen Bericht wahrnimmt über eine ukrainische Kleinstadt, deren Eroberung ganz ohne Tote abging, dann sollten unsere Grünen, Bellizisten und Kriegsbefürworter, die noch mehr Waffen für die Ukraine fordern, spätestens jetzt in sich gehen – oder zum Therapeuthen und sich auf soziale und historische Amnesie untersuchen lassen.

Ich las neulich von einer Kleinstadt in der Ukraine, die im Frühjahr von russischen Truppen besetzt wurde. Die BürgerInnen gingen alle mit weißen Tüchern vor ihre Häuser und begrüßten die russischen Panzer- und Fahrzeugbesatzungen freundlich. Es kam erst zu Gesprächen, dann zu Verhandlungen des Bürgermeisters mit einem Offizier. Sie vereinbarten, daß die russischen Soldaten die Häuser durchsuchen durften und von Seiten der Bewohner nichts Aggressives gegen die Soldaten unternommen wurde. Während der ganzen Zeit der Besetzung der Stadt gab es keinen Toten und Verletzten!

Den Menschen in der Ukraine zu empfehlen, macht es wie diese BürgerInnen, wäre unrealistisch, denn, wie gesagt, die Realität ist, daß bei einem Angriff eines Aggressoren, die Wut groß ist und man sich mit Waffen wehrt. Eine Zivilverteidigung brauchte eine Vorbereitung und Training, die es auch in der Ukraine nicht gab.

Wir sind für keine neutrale sondern eine gegnerische Haltung zum US-Imperialismus, der mit Unterstützung der EU und der Nato seine Interessen von den ukrainischen Truppen auskämpfen läßt. Zu Rußland haben wir eine distanzierte Haltung.

Politisch sind wir für Neutralität und Blockfreiheit. Und ökonomisch für eine euro-asiatische Partnerschaft, also eine Zusammenarbeit mit Rußland. Genau das, was die USA seit über 100 Jahren als die größte Gefahr für ihre Interessen einschätzt (nachzulesen bei dem langjährigen US-Präsidentenberater Brzeziński!). Militärisch und politisch hätte das zur Folge, daß wir unsere Westbindung aufgeben, die eine Unterordnung unter die Interessen der USA ist und daß wir aus der Nato austreten!

Die Ideologie der Westbindung sitzt seit der Umerziehung nach 1945 durch die USA und dem „Wirtschaftswunder“ der Nachkriegszeit tief in den Köpfen der Menschen in Westdeutschland. Die antikapitalistische und anti-US Stimmung („Ami go home!“) konnte Mitte der 50 er Jahre von den Herrschenden gedreht werden. Heute sind die Parteien in Deutschland vorbehaltlos für die Westbindung, mit Vorbehalten bei Teilen der Linkspartei und Ablehnung durch die AfD. Die Menschen in der Ex-DDR haben die sowjetischen Soldaten oft in menschlicher und positiver Weise kennengelernt. Deshalb finden wir dort eine große Mehrheit, die gegen Waffenlieferungen in die Ukraine sind.

Früher hieß es: Führer befiehl! Wir folgen dir.

Der Führer befahl den Ritt nach Osten, um den Bolschewismus und das Judentum zu vernichten. Warum folgen wir heute mit der (angeblichen *) Mehrheit der Deutschen, „Rußland in den Ruin zu treiben“ (Satz von Baerbock). Wo doch der Gegensatz von Bolschewismus und Kapitalismus 1989 verschwunden ist und es nur noch Unterschiede zwischen kapitalistischen Staaten gibt? Warum wird das kapitalistische Rußland (und auch China) verteufelt, als würde es die Nato/EU und damit die Werte des Westens, die Demokratie angreifen wollen? Und warum glaubt das die (angebliche) Mehrheit der Westdeutschen? Und ist dafür, daß schwere Waffen in die Ukraine geliefert werden.

Die Kapitalismen Rußlands und Chinas sind dennoch nicht 100% gleichzusetzen mit dem der USA.

Ist es ein archaischer Russenhaß eines Teiles der deutschen Bevölkerung, der nur geweckt zu werden brauchte?. In den beiden Weltkriegen hieß es: Jeder Stoß ein Franzos, jeder Tritt ein Brit, jeder Schuß ein Ruß. Es ist nur die Aggression gegen die Russen geblieben. Warum? Aus zwei Gründen. Die Westdeutschen sind seit 1945 auf Westbindung (inklusive Nato) umerzogen worden, d.h., was heute als Werte-Westen bezeichnet wird. Diese Erziehung wurde durch die 68-Bewegung und den Vietnam-Krieg erschüttert und Anfang der 80er Jahre bei den Demonstrationen gegen die Nachrüstung. Auch das aus zwei Gründen: Der 2. Weltkrieg war bei den Älteren noch in Erinnerung und die Jüngeren waren geprägt von der Jugend- und Studentenbewegung. Damals gab es offensichtlich noch eine kritischere und schlauere Generation als heute.

Das führte dazu, daß damals 1 Million Menschen in Bonn protestierten und in Hamburg sich 400.000 vor dem Rathaus gegen Reagen und die Nachrrüstung versammelten.

Widerspricht es sich, wenn wir einerseits auf dem Standpunkt stehen, daß der Krieg zu beenden ist, damit Leiden, Leid und Tod sofort aufhören und wir auf der Seite Rußlands stehen, weil wir wahnehmen, daß Rußland von USA und Nato zu diesem Krieg provoziert wurden? Was den USA 1979 mit der Sowjetunion gelang, diese zum Einmarsch in Afghanistan zu treiben (es war ein Hilfsersuchen der afghanischen kommunistischen Regierung!), – der US-Präsidentenberater Breszinsky brüstete sich Jahrzehnte später damit! – ist ihnen mit dem Ukraine-Krieg erneut gelungen. Die Versprechungen, nach der Auflösung des Warschauer Paktes, daß die Nato nicht näher an die GUS-Staaten/Rußland heranrückt, wurden nicht eingehalten. US-Atomraketen brauchen 5-7 Minuten bis Rußland hat, im Gegensatz zu den USA hat Rußland keine Chance zur Abwehr. Den USA war es schon 1962 zu gefährlich, daß die Sowjetunion ein paar Atomraketen auf Cuba stationierten! Aber sie nehmen sich raus, ihre Atomraketen direkt an den Grenzen Rußlands zu stationieren.

Obwohl sie nur noch Konkurrenten und nicht mehr antagonistische Gegner sind, ist es den USA nicht möglich, in Frieden, also in friedlicher Konkurrenz mit Rußland zu leben. Jeder andere Staat habe sich den USA unterordnen wie wir es bei Syrien, Libyen, Irak, Jugoslawien gesehen haben. Und die Weltführerschaft anzuerkennen. Auch Rußland muß deshalb in den „Ruin getrieben“ werden, wie es unsere USA-Versteherin Baerbock sehr klar beschrieb.

Aber ist uns dieses Prinzip unbekannt?

Jeder Konzern, jede Firma kämpft im Kapitalismus um den eigenen Vorteil, möglichst den Konkurrenten klein zu halten oder ganz einzuverlaiben.

Und im Betrieb sieht es genau so aus! Die Mitarbeiter haben aus der Sicht der Kapitaleigner und der Geschäftsführung als Konkurrenten miteinander umzugehen! Aus menschlicher und Gewerkschaftssicht aber solidarisch, als KollegInnen!

Der Grund für das Konkurrenzprinzip auf all diesen drei Ebenen: Es geht nicht um die Interessen und das Wohl der Menschen sondern um den Profit! Und bei der Jagd nach Profit – und staatlicher Macht – werden gnadenlos alle Mittel eingesetzt, wie es schon Marx beschrieb: „Das Kapital hat einen Horror vor Abwesenheit von Profit, wie die Natur vor der Leere. Mit entsprechendem Profit wird Kapital kühn. 10 Prozent sicher, und man kann es überall anwenden; 20 Prozent, es wird lebhaft; 50 Prozent, positiv waghalsig; für 100 Prozent stampft es alle menschlichen Gesetze unter seinen Fuß; 300 Prozent und es existiert kein Verbrechen, das es nicht riskiert, selbst auf die Gefahr des Galgens. Wenn Tumult und Streit Profit bringen, wird es sie beide encouragieren. Beweis: Schmuggel und Sklavenhandel.

Die Methoden der USA zur Verteidigung ihres Anspruchs als Weltbeherrscher sind dem jeweiligen Gegner angepaßt:

Nazi-Deuschland mußte vernichtet werden, Libyen, Irak, Syrien, Jugoslawien, Afghanistan wurden bzw. sollen zu failed states gemacht werden und jetzt Rußland in den Ruin getrieben. Bevor China „dran“ ist.

Aber auch die EU bzw. Deutschland sind ein Konkurrenten, Gegner. Deutschland ist -seit seinem Entstehen als BRD- ein Verbündeter, mit einem riesigen Kontingent von US-Truppen (Ramstein!), das hindert die USA aber nicht, auch diesen Gegner zu schwächen. Aktuell durch die Sprenung von Nordstream! Die deutsche Wirtschaft, die jahrzehntelang billiges Erdgas aus Rußland bezog, als Grundlage, seine ökonomische und politische Vormachtstellung in Europa immer weiter auszubauen, wurde durch die Sprengung von Nordstream gezwungen, das 5-7 fach teurere LNG-Gas aus den USA zu beziehen. Zwei Fliegen mit einer Klappe! Stärkung der US- und Schwächung der deutschen Wirtschaft.

Und die deutsche Regierung ordnet sich (wieder) den Interessen der USA unter – unfaßbar!

Alwin Altenwald, Februar 23, Hamburg

(*) Den USA ging es nicht darum, den Nationalsozialimus zu vernichten sondern den ökonomischen und politischen Konkurrenten! Die Gefahr, daß Deutschland ein freundschaftliches Verhältnis zur Sowjetunion – mit Wirtschaftskooperation – wurde schon vor 100 Jahren als größte Gefahr für die Weltmachtbestrebungen der USA gesehen. Die Gefahr eines euro-asiatischen Blocks. Von Brzeziński wurde diese Gefahr nach 1945 wieder nachhaltig in die Strategie der USA einbezogen.

Die US-Truppen waren erst elf Monate vor der Kapitulation Deutschlands in der Normandie gelandet. Ihr Ziel war es, daß sich die Sowjetunion und Deutschland bekämpften und schwächten – andererseits wollten sie verhindern, daß die sowjetischen Truppen bis zum Rhein durchmarschierten.

So war es nach dem 1. Mai 1945 noch so, daß hunderttausende deutsche Kriegsgefangene unter der Befehlsgewalt ihrer Offiziere in Schleswig-Holstein (britische Besatzungszone) gehalten wurden, bis März 1946. Sie sollten bereit stehen für einen Kampf gegen die Sowjetunion. Aber die Stimmung in Großbritannien und den USA war nicht so schnell zu drehen, um dafür die Zustimmung der Bevölkerung zu bekommen.

(**) Ein passendes Zitat von kompetenter Stelle (Frau Merkel hätte es genau so sagen könnnen!): Weil der Krieg nicht im Februar letzten Jahres angefangen hat, sondern 2014.“ NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg am 13.2. bei einer Pressekonferenz zur forcierten Aufrüstung der Mitgliedsländer des Bündnisses seit 2014

(***) „Angeblich“, weil ich kaum Menschen getroffen habe, die für Waffenlieferungen in die Ukraine sind, ich treffe nur Normalos (Handwerker, Nachbarn, den Schornsteinfeger), die ähnlich denken wie ich!

Und zum Schluß noch ein treffendes Zitat:

Oder in den Worten des ersten NATO-Generalsekretärs Hastings Ismay: Der Zweck der NATO sei es, „die Russen rauszuhalten, die Amerikaner drinzuhalten und die Deutschen untenzuhalten“.

Genau das vollbringt jetzt die Regierung Scholz/Habeck!

https://www.unsere-zeit.de/die-kriegsallianz-4776134/

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