Transformation in der Automobilindustrie

Interview mit Lars Hirsekorn, Betriebsrat bei VW Braunschweig

Herr Hirsekorn, Sie hielten auf einer Betriebsversammlung eine kritische Rede zur Transfor mationsstrategie von VW. Was waren die Kernpunkte?
Ich habe mich in der Zeit damit auseinandergesetzt, ob E-Autos tatsächlich eine Lösung sein können, um den Klimawandel zu stoppen. Dabei musste ich feststellen, das alle ernstzunehmenden Wissenschaftler*innen die Meinung vertreten, dass die Anzahl der Autos mindestens halbiert werden muss, egal mit welchen Antrieb. Ich selbst habe in der Produktion ja gesehen, das die Fahrwerkskomponenten für diese Autos immer größer und schwerer werden. Das heißt, ein großes Problem ist nicht nur der Betrieb der Autos, sondern in einem enormen Maß, auch die Produktion der Fahrzeuge. Das, was wir beim Bau der Komponenten an Energie verbrauchen, setzt dermaßen viel CO² frei,dass die Klimaziele nicht mal ansatzweise erreicht werden können, wenn wir so weitermachen. Das heißt, so oder so, müsste die Produktion an Fahrzeugen, mindestens
die Hälfte reduziert werden, egal mit welchem Antrieb.

Wie reagierten die Kolleginnen und Kollegen?
Nun, ich rede schon regelmäßig auf den Betriebsversammlungen in Braunschweig. Da ich wenig
taktisch bin, sondern meistens sage was ich denke, bin ich schon daran gewöhnt dafür auch Beifall
zu bekommen. Bei der Rede 2019 habe ich mich aber innerlich schon darauf eingestellt, diesmal
auch „Buhrufe“ zu bekommen. Denn wenn wir weniger oder keine Autos mehr bauen, stellen
wir natürlich auch unsere bisherige finanzielle Existenz in Frage. Gleichzeitig habe ich aber auch
aufgezeigt, dass wir im Prinzip drei Dinge in den Vordergrund stellen müssen. Zum ersten brau-
chen wir andere, gesellschaftlich sinnvolle Produkte, zweitens müssen wir über eine kollektive
Arbeitszeitreduzierung nachdenken und zum dritten werden wir es uns in Zukunft nicht mehr leis-
ten können, die erwirtschafteten Milliarden, zwei einzelnen Familien zur Verfügung zu stellen.
Am Ende der Rede habe ich dermaßen viel Aplaus bekommen, dass ich ehrlich dachte, die Leute
hätten mich nicht verstanden.

Das ist wirklich erstaunlich. Als am 7. März der VW Autozug von Klimaaktivist*innen als Straßenbahn verkleidet wurde, äußerten Sie Verständnis für die Forderungen und meinten: Das finde ich einen guten Ansatz, mit dem sie auch innerhalb der Belegschaft Sympathien haben. Wirklich?
Nun, auch in der Belegschaft, gibt es viele Menschen, die sehen, dass wir etwas ändern müssen. Aufgrund des schlechten ÖPNV in der Region, fällt es vielen (auch mir) schwer, sich ein Leben ohne Auto vorstellen zu können. Aber natürlich wissen wir auch, dass wir in der Lage sind, etwas anderes, wie z.B. Straßenbahnen zu bauen. Gleichzeitig sehen wir ja jetzt, wie eng es wird, wenn der Markt für Autos gesättigt ist und wie sinnvoll es wäre, sich über andere Produkte Gedanken zu machen.

Was sind die nächsten Schritte, damit eine Transformation von VW erfolgreich sein kann?
Das wichtigste wird sein, dass innerhalb der Belegschaft und der Gewerkschaft die Menschen aktiv werden und sich ernsthaft Gedanken über die Zukunft machen.
Die IG Metall hat auf Bundesebene ein Debattenpapier herausgegeben, in dem sie sich klar und deutlich dazu bekennt, das die Autos kleiner und vor allem auch weniger werden müssen. Wenn wir das aber ernst nehmen, dann müssen wir uns ganz klar über „neue“ Produkte Gedanken machen. Sonst stehen wir in relativ kurzer Zeit nicht nur knietief im Starkregen, sondern auch wirtschaftlich im Sturmtief. Wichtig ist, Druck auf das Land auszuüben, damit hier der Einfluss auf Volkswagen wahrgenommen wird. Insgesamt wird es mehr als sinnvoll, hierfür breite gesellschaftliche Bündnisse zu suchen.
Die „Wir fahren zusammen“ Kampagne von ver.di gemeinsam mit fridays for future und anderen ist dafür ein gutes Beispiel. Die gemeinsame Streikbewegung im März diesen Jahres hat zu wirklich garstigen Beschimpfungen seitens der Mächtigen in Politik und Wirtschaft geführt. Hier wurde deutlich, dass vor dieser Allianz „Ehrfurcht“ besteht. Die arbeitenden Menschen sollten sich nicht gegen die Klimabewegung ausspielen lassen.

Lars Hirsekorn arbeitet seit 1994 bei Volkswagen Brauschweig. Seit 2019 beteiligt er sich an der Debatte zur Konversation der Autoindustrie und setzt sich für eine Verkehrswende ein. Seit 2022 ist er Mitglied des Betriebsrates.

Abdruck mit Genehmigung von Lars Hirsekorn. Das Interview erschien in dem Blatt „Verkehrswende“

Kontakt: kontakt@verkehrswendestadt.de

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