Vortrag von Peter Wahl am 10.01.24 im Curiohaus der GEW: „Rechtsoffen“ – reales Problem oder Kampfbegriff?

Stenographische Mitschrift (Auszüge), redigiert (incl. Anmerkungen) v. Hartmut Ring.


[…] Ich habe, als ATTAC gegründet worden, ist vor jetzt fast 25 Jahren bereits eine sehr intensive Diskussion geführt, ob ATTAC antisemitisch sei, weil, was die Finanztransaktionssteuer angeht, ein antisemitisches Projekt sei und in der Zwischenzeit auch mehrfach solche Debatten mit geführt und dazu auch publiziert, unter anderem ein Buch zu den Gelbwesten, wo sich ja die Frage in ähnlicher Weise stellt. Das ist vor fünf,
sechs Jahren bei dem Papyrossa-Verlag (1) erschienen.
[…] Es geht ja nicht um Fragen wie, ob der Mindestlohn jetzt 16 oder 18 € sein muss, sondern die Affektgeladenheit dieser Diskussion rührt natürlich daher, dass die Kontrahenten sich in ihrem Selbstverständnis als linke Progressive sozusagen gegenseitig angreifen, ihre
Identität gegenseitig in Frage stellen, und mir ist völlig klar, dass eine solche Debatte dann auch sehr schnell emotional wird und das die typischen Erscheinungen, die man in solchen Diskussionen erlebt, Eskalation bis zur Feindschaft, dann ebenfalls hier zu beobachten sind.
Ein weiteres Phänomen, das damit verbunden ist, ist die Tatsache, dass im Eifer des Gefechtes natürlich auch Tatsachen und Fakten nicht so ganz sachlich rüberkommen, verdreht werden, manchmal mit Absicht, manchmal auch einfach sozusagen im Eifer des Gefechts.
Ein Beispiel dafür haben wir in der Publikation (hlz), die im September und im Oktober erschienen ist, mit den beiden Beiträgen von Wolfgang Svensson und Charles Paresse (2).
Dort heißt es schon in dem Artikel in der Überschrift von Svensson „die Wahrheit in den Fakten suchen“. Das ist sehr gut als Maxime, aber wenn man dann zum Beispiel den Artikel von Paresse sich ansieht und dann gleich am Anfang festgestellt wird, dass in der Demonstration von Alice Schwarzer und Wagenknecht im Februar(3) unter den Demonstranten, ich zitiere, „sich schließlich eine Reihe prominenter Rechter, am
bekanntesten sowohl der Chef Zeitschrift „Compact“, Jürgen Elsässer aber auch die neurechte Publizistin Ellen Kositza mischten“, dann sieht man bereits ein Kernproblem, dass in der Hitze der Debatte immer wieder auftaucht: der nachlässige Umgang mit Fakten.
Es ist zwar richtig, dass Elsässer versucht hat, damals in diese Demonstration hineinzukommen, es ist aber genauso richtig, dass er dann herausgedrängt wurde. Das kann man nachlesen. In Online-Tagesschau, und in der ZEIT ist das auch erwähnt worden. Das heißt also, eine halbe Wahrheit, dass Elsässer natürlich erstmal in die Demo hinein wollte, aber dann rausgeschmissen worden ist. Das ist die sozusagen die faktische Basis dieses Ganzen, und dann wird doch sehr schnell eine halbe Wahrheit zu einer – ich will jetzt nicht zuspitzen – aber doch nicht mehr ganze Wahrheit.
Also, das ist ein Beispiel, und man kann, wenn man auf diesem Debattenniveau bleiben will, natürlich stundenlang solche Dinge finden.

Ich will deswegen jetzt zu den Kernfragen kommen.
Im Titel unserer Veranstaltung sind die beiden Begriffe „reales Problem“ und „Kampfbegriff“ drin. Ich will zunächst mal mit dem „Kampfbegriff“ beginnen.
„Begriff“ bedeutet, wie der Name sagt, etwas begreifen, die Realität begreifen. Die Menschen können die Wirklichkeit nur über Begriffe begreifen und kommunizieren. Die Begriffe, um die es hier geht, Faschismus, Antisemitismus, sind Großbegriffe der Gesellschaftstheorie, die jeder für sich ganze Bibliotheken füllt.
Das ist völlig gut so, das ist legitim, und das ist notwendig. Das ist die Art und Weise, wie Erkenntnisse entstehen, und daran gibt es gar nichts auszusetzen. Das Problem beginnt dann, wenn diese Begriffe aus der Bibliothek herausgeholt werden und zum Kampfbegriff werden. „Kampfbegriff“ bedeutet, dass sie nicht mehr dazu da sind, die Realität zu begreifen, sondern dass sie instrumentalisiert werden in der tagespolitischen oder auch den großen politischen Auseinandersetzungen, um Feindbilder zu konstruieren und Gegensätze,
Konfrontationen zu schaffen und sozusagen ein politisches Ziel damit für jede, die sie benutzen, durchzusetzen.
Das kann man sehr gut jetzt auch dieser Auseinandersetzung nachzeichnen, wenn man sich die Artikel anguckt: „Rechts“ wird in keinem der beiden Artikel genau definiert, sondern es findet eine kriechende Erweiterung des „Rechts“-Begriffes statt. Da taucht dann auch plötzlich Verschwörungstheorie und Wissenschaftsfeindlichkeit auf und dann landen wir beim Antisemitismus. Also es geht ja nicht mehr um „rechtsoffen“, sondern gleich um ganz andere, wie gesagt, Großbegriffe. Und da sind jetzt nicht nur Großbegriffe, sondern insbesondere die
Begriffe „Faschismus“ und „Antisemitismus“ sind ja heute die Inkarnation von Übel und vom Bösen per se. Zu Recht. Angesicht des singulären Menschheitsverbrechens der Shoa ist es heute unmöglich, eine Diskussion über Antisemitismus und Faschismus zu führen, ohne dass dieser Schatten der Vergangenheit über alle Debatten sich dann ausbreitet.
Insofern ist es natürlich auch geboten, dass man, wenn man schon mit solchen Begriffen hantiert, sie definiert und klar sagt, was man damit meint. „Rechts“ meinte ursprünglich mal -im Grunde in der ganzen Nachkriegszeit, und ich denke bis in die Nuller-Jahre hinein – ein relativ geschlossenes Weltbild oder Weltanschauung, wie man auch damals sagte, mit Komponenten, die ich jetzt nicht großartig ausführen will, „rechts“ natürlich pro Kapitalinteressen, Tendenzen zum autoritären, im politischen System, Affinität zum Militärischen und zur Kriegsführung und Ähnliches, und „links“ sozusagen das Gegenteil oder mit negativen Vorzeichen, wenn man will, sozusagen das Positive gegen dieses rechte Bild, gesetzt.
Das hat sich aber geändert, und diese relativ kohärenten und geschlossenen Weltbilder sind am verschwinden, am erodieren. Wenn man die postmoderne Philosophie heranziehen will, könnte man sagen, das Ende der großen Erzählungen, von denen diese Philosophen sprechen, vollzieht sich jetzt auch politisch. Die einzelnen politischen Lager, auch parteipolitischen Lager, sind nicht mehr identisch mit solchen Weltbildern, und solche Weltbilder scheinen sogar ganz sich aufzulösen und aber dann in der aktuellen politischen Auseinandersetzung, sich zu rekombinieren, wenn man so will, und da kommen dann plötzlich Dinge zustande, wie der „Genosse der Bosse“, also sie erinnern sich Gerhard
Schröder seinerzeit. Das heißt also „ein Genosse“, ein Begriff aus der linken Denkwelt und „die Bosse“ aus der Gegenwelt, und das sieht man heute sehr häufig.
Ich will ein Beispiel nur herausgreifen. Sie kennen alle „AMAZON“, ein Erzfeind für Gewerkschaften, das, was in den USA üblich ist, das „Union Busting“, versuchen sie auch bei uns durchzusetzen, also gewerkschaftsfeindlich bis auf die Knochen, aber andererseits gerieren sie sich positiv antirassistisch. Da gibt es diese schöne Anzeige, in der sie Personal anwerben mit einer Muslima, die eine strengen Kopfbedeckung hat, und dann erklärt, wie toll das bei Amazon sei, dass sie da keine Probleme habe und dass sie inzwischen sogar befördert werde und ein ganzes Regal beaufsichtigen dürfe. Also, man sieht hier plötzlich eine Rekombination von Werten, die doch erstaunlich ist, und das zieht sich in vielen
Bereichen heute durch die tagespolitischen Kontroversen und Auseinandersetzungen.
Nancy Fraser, die US-amerikanische Politologin, hat das als „progressiven Neoliberalismus“ (4) bezeichnet, also der schwarze Schimmel oder der weiße Rappe sozusagen. Und solche rekombinierten oder solche Teil-Weltbilder werden dann in der Auseinandersetzung, die wir jetzt erleben, an vielen Fronten eingesetzt zur Ausgrenzung, zur Stigmatisierung und zur Konstruktion von großen Widersprüchen innerhalb der Linken, des progressiven oder emanzipatorischen Lagers, wie immer man das nennen mit will. Ich will das am Beispiel „Faschismus“ jetzt noch mal kurz erläutern oder darstellen.
Es gibt eine regelrechte Inflation des „Antifaschismus“. Putin zum Beispiel führt seinen Krieg in der Ukraine mit der Zielsetzung, den ukrainischen Faschismus zu bekämpfen und zu erledigen. Ich bin der Meinung, die Ukraine ist kein faschistisches Land, aber es gibt dort
natürlich starke rechtsextreme und auch faschistische Kräfte zum Teil bis in die Regierung hinein.
Aber Putin ist nicht der Erste, der das so betrieben hat: 1999 – und ich sehe im Publikum, es sind ja ein paar dabei, die schon etwas älter als 30 sind – werden sich noch erinnern an den Jugoslawienkrieg 1999. Der ist geführt und gerechtfertigt worden mit dem Argument, Joschka Fischers „wir müssen ein neues Auschwitz vermeiden“. Und selbst das ist nicht neu:
Selbst 1956 bereits beim Suez-Krieg (5) – wir haben gerade wieder einen Krieg im Nahen Osten – deshalb liegt das auch so nah, daran zu erinnern – ist ein solches Beispiel.
Adenauer hat damals den ägyptischen Präsidenten Nasser, der den Suez-Kanal verstaatlicht hat, als den „Hitler vom Nil“ bezeichnet. Und wenn man jemand als Hitler bezeichnet, dann ist dann natürlich klar, dass es legitim ist, gegen den mit allen Mitteln vorzugehen. Und es kam ja dann auch zum Krieg: Großbritannien, Frankreich und Israel haben dann einen Angriffskrieg gegen Ägypten geführt, der relativ kurz danach allerdings beendet wurde, durch den ganz seltenen Fall in der Nachkriegsgeschichte, dass die Sowjetunion und die USA einmal am gleichen Strang gezogen haben. Also mit anderen Worten, wir haben eine Inflation des Faschismusbegriffs und die Hitlers, die in den letzten 20 Jahren über die Weltbühne getanzt sind, Milosewic (6), Saddam Hussein, Gaddafi, Assad und im Augenblick natürlich, der ‚Oberhitler‘ Putin zeigt, dass dieser Begriff weithin sinnentleert, ja geradezu banalisiert wird, und das macht die Diskussion natürlich eben schwierig, weil es ein
Kampfbegriff geworden ist.
Man könnte es auch am Beispiel „Antisemitismus“ durchdeklinieren. Wer alles bereits als „Antisemit“ einklassifiziert worden ist: Goethe, Schiller […] Obama, die TAZ, medico-international, der EuGH, die UNO und viele andere mehr, Attac […].
Also hier merkt man, dass etwas im Argen liegt, und wenn unter Linken, unter Gewerkschaftskollegen solche Begriffe benutzt werden, ist es die absolute Verpflichtung, klarzumachen, worüber man eigentlich redet und was man darunter versteht. Ich spare mir jetzt, auf Verschwörungstheorie, Wissenschaftsfeindlichkeit in gleicher Weise nochmal einzugehen […].
Wir kommen jetzt zu einem neuen Punkt, der mir zentral erscheint für die augenblickliche Diskussion, nämlich folgendes Problem:
In der Nachkriegszeit waren fast alle sozialen Bewegungen und vorneweg die Friedensbewegung, von der Bewegung gegen die Wiederbewaffnung, Vietnamkrieg, Notstandsgesetze, die Antiraketen Bewegung in den 80er-Jahren gegen Pershing und SS-20, alle unter mehr oder minder linker Hegemonie.
Diese Zeiten sind vorbei – leider – muss man realistisch feststellen. Und dennoch sind die Anlässe für Protest und Widerstand in der Gesellschaft nicht zurückgegangen, sondern im Gegenteil haben zugenommen, und deswegen formieren sich, angesichts der Schwäche und
der politischen Marginalisierung der Linken, neue Bewegungen, Protestbewegungen, die von ihren Ursprüngen aus zunächst einmal politisch undeterminiert sind.
Sie sind offen, sie sind offen nach rechts, aber sie sind auch offen nach links, und es gibt historische Beispiele, wo man beide Entwicklungen sehen kann. Ich erwähne nochmal die Gelbwesten, weil ich mich damit ausführlich beschäftigt habe (7). Einen Tag, nachdem die ersten Proteste der Geldwesen stattgefunden hatten, hieß es von der französischen Regierung, das sind keine Gelbwesten, sondern Braunhemden, und es gab auch bei uns in den Medien ähnliche Meldungen, auch in linken Kreisen – ich kann mich erinnern an eine Kollegin aus dem Attac-Vorstand, die sagte wörtlich: „Die Juden trauen sich heute in Frankreich nicht mehr auf die Straße.“
Also, das war sozusagen ein starker Diskussionsstrang, diese Bewegung rechtseinzuordnen. Es gab dann aber eben in der französischen Linken Kräfte – einige Gewerkschaften waren darunter, Attac-Frankreich, la France insoumise (8), die sich in die Bewegung hinein begeben haben, weil sie der Auffassung waren, die ich teile, dass solche undeterminierten Bewegungen am Anfang offen sind, nach rechts, nach links, in alleRichtungen, und entscheidend ist, wer sich in diese Bewegung hineinbegibt und versucht, sie auf einen anderen Kurs zu bringen.
Das wissen natürlich auch die Rechten, deswegen – das wisst ihr – es gibt ja keine Protestbewegung bei uns, wo nicht die AfD versucht, sich dran- und reinzuhängen. Aber man muss das eben auch umgekehrt versuchen, und hier sehe ich, glaube ich, eine der entscheidenden Herausforderungen und Diskussion, die wir unter uns zu führen haben, wobei also Debatte sicherlich nicht leicht ist.
Ein ganz akutes Beispiel will ich hier erwähnen: Das ist Kleinpartei „Die Basis“. Ich glaube, in den beiden Artikeln in der hlz kommt sie auch mal vor. Wer das Programm liest, dann sieht man, das ist pure Anthroposophie. Da wird die sogenannte Dreigliederung (9) als programmatische Grundlage formuliert in diesem Programm […].
Aber das ist natürlich per se nicht rechts und nicht links. Aber es ist klar, dass sich das in die eine oder die andere oder auch dritten Richtungen entwickeln kann.
Und jetzt haben wir akut die Situation, dass es einerseits in Thüringen von der dortigen Basisgliederung eine Erklärung gibt aus den letzten Tagen, wo sie es begrüßen würde, wenn sich in ein Thüringer Bündnis von ähnlichen Akteuren auf an die neu angekündigte Partei von Maaßen, den ehemaligen Verfassungsschutzpräsidenten, angliedern würde.
Und das ist natürlich eine Richtung, die ich für hochproblematisch halte, wenn sie das tut, diese Thüringer Gliederung der Basis. Umgekehrt gibt es aber eine Arbeitsgruppe Frieden dieser Partei, die plant demnächst, übrigens in Hamburg, eine Tagung zum Thema Krieg und Frieden. Wenn ihr den Text dazu lest, bin ich mir sicher, dass die meisten von euch wahrscheinlich sagen, ja, super okay, darüber kann man reden, das ist gar nicht so schlecht.
Und es wird auch betrieben, wenn man die Personen kennt, von einem Rechtsanwalt, der ehemals in der Linkspartei war und einer Frau aus NRW, die von den GRÜNEN kommt.
Man sieht also, die Ambivalenz, die ich geschildert habe: In diesen nicht politisch determinierten Projekten zeigen sich eben auch dann Widersprüche, wie eben geschildert.
Wie das dann weitergeht, weiß ich nicht, muss man sehen und hängt natürlich davon ab, ob man versucht, sich mit einer intelligenten Strategie an der Lösung des Problems zu beteiligen, zum Beispiel, indem man mit den ehemaligen Linkspartei- und GRÜNEN-Mitgliedern im Gespräch bleibt, im Dialog und natürlich die anderen kritisiert.
Also hier sehen wir eine zentrale Herausforderung, und um sozusagen diesen Punkt zuzumachen, das ist natürlich eine auch Sache, in der es keine Gewissheiten am Anfang gibt, eine Sache, in der man scheitern kann, auch das ist richtig, aber dennoch finde ich, dass es die politische Kultur einer emanzipatorischen und gewerkschaftlichen Bewegung sein sollte, solche Probleme erst einmal in dieser Weise zu lösen zu versuchen.
Einen letzten – nein vorletzten – Punkt möchte ich noch kurz ansprechen, der betrifft die Friedensbewegung direkt:
Die Friedensbewegung ist keine linke Bewegung. Das merkt man schon, wenn man sich ihre historischen Wurzeln ansieht. Eine Bertha von Suttner, ein Henry Dunant, ein Victor Hugo oder Alfred Nobel, letzterer ein Erzkapitalist, sind natürlich alles keine Linken gewesen.
Aber in den letzten Jahrzehnten von dem ersten Weltkrieg hat natürlich die Linke durch die Erstarkung der Arbeiterbewegung noch eine große Rolle gespielt, und ich habe vorhin das Beispiel erwähnt, der Nachkriegszeit bei uns, der Friedensbewegung, wo es ebenfalls immer
eine mehr oder minder linke Hegemonie gab.
Das hat offenbar den Eindruck bei einigen erweckt, Friedensbewegung müsse links sein und immer mit linken Inhalten und Programmatiken verbunden. Das sehe ich nicht so, und zwar aus folgendem zentralen Grund: Der Gegenstand, das Thema, wenn man so will, der
Friedensbewegung, ist „Krieg“ und ist damit eine oder vielleicht neben „Völkermord“ die schlimmste Grenzüberschreitung und der schlimmste Bruch zivilisatorischer Normen, sodass eine Reaktion darauf eine eher allgemeine menschliche, eine humanistische sein sollte und
auch meistens ist.
Und deswegen ist es natürlich auch völlig legitim, wenn in der Friedensbewegung Kräfte
sind, die nicht links sind, und das war auch historisch immer so:
Ich kann mich gut erinnern, in der Nachkriegs-Friedensbewegung gab es Figuren wie Martin Niemöller(10), ein ehemaliger U-Boot-Kommandant aus dem ersten Weltkrieg, Renate Riemeck (11) und andere. Und wir haben dann auch in der jüngeren Zeit Menschen, wie Gerd Bastian (12), der dann bei den GRÜNEN gelandet ist, mit Petra Kelly (13) erlebt. Das waren alles Kräfte und Personen, die man unter dem Begriff „humanistisch“ fassen könnte, die aber nicht unbedingt in die Linke gehören, und das hat natürlich einige Konsequenzen, aber auch einige Schwierigkeiten, eben dann doch eine Grenze zu ziehen, die es irgendwo geben muss, und das ist dann mein letzter Punkt:
Auch wenn die Friedensbewegung nicht links ist und wenn die Friedensbewegung Kräfte dann aufnehmen kann, die in diesem humanistischen Sinne, wie ich ihn eben skizziert habe, sozusagen Teil dieser Bewegung sein können, unabhängig davon, ob sie nun an die unbefleckte Empfängnis glauben oder andere nicht gerade wissenschaftliche Einsichten, dabei aber mitmachen können.
Aber es gibt in der Tat natürlich Grenzen, und die hängen wiederum zusammen mit der zentralen Thematik von Friedensbewegung, das heißt, also Kriegstreiber, Militaristen und so weiter. Da läuft eine Grenze, und eben auch solche Kräfte aus dem rechten und rechtsextremen Lager, die eine Affinität dazu haben, wie zum Beispiel die AfD, die ja für eine starke Bundeswehr, für Aufrüstung und so weiter plädiert.
Also mit anderen Worten, es ist zugegebenermaßen ein komplexes Problem, sich mit diesen neuen Fragen, mit diesen neuen Entwicklungen auseinandersetzen zu müssen, und dies zudem aus einer Position der relativen Schwäche und Marginalisierung der Linken heraus.
Aber man muss es tun. Das ist ein reales Problem, dass es diese faschistischen, rechtspopulistischen, rechtsextremen Kräfte in fast allen Ländern des demokratischen Kapitalismus‘ gibt. Und der Umgang damit ist zugegebenermaßen schwierig. Aber ich glaube, man muss so differenziert herangehen, dass man untereinander diskutieren kann, wer jenseits der roten Grenze und ist, sozusagen ein Gegner. Und wer ist aus Unwissenheit, aus Unerfahrenheit oder anderen Gründen jemand, der sich in Entwicklung befindet, der sich in einen Prozess befindet und der beeinflussbar ist. Und dann muss man, gerade weil die Rechtsentwicklung so problematisch und so ein schweres Problem ist, alles
daransetzen, dass solche Kräfte nicht nach rechts geschoben, gestoßen und von Rechts vereinnahmt werden.

1 Peter Wahl (Hg.), Gilets Jaune, Anatomie einer ungewöhnlichen Bewegung, Köln (Papyrossa Verlag)
September 2019.
2 https://www.gew-hamburg.de/files/hlz/ausgaben/2309-05_hlz_septoktober2023_web_doppelseiten.pdf
3 Gemeint ist: Februar 2023.

4 Vgl.: https://www.dissentmagazine.org/online_articles/progressive-neoliberalism-reactionary-populism-
nancy-fraser/
5 Vgl.: https://diefreiheitsliebe.de/kultur/suezkrise-1956-das-ende-des-britischen-imperiums/;
https://www.journal21.ch/artikel/die-suezkrise-1956
6 Literaturhinweis: Germinal Civikov , Der Milosevic-Prozess, Wien (Promedia-Verlag), 2013. Rezension:
http://www.schattenblick.de/infopool/buch/sachbuch/busar403.html

7 Peter Wahl (Hg.), Gilets Jaunes, Anatomie einer ungewöhnlichen sozialen Bewegung, Köln (Papyrossa) 2019.
8 Vgl.: https://lafranceinsoumise.fr/

9 Vgl.: https://anthrowiki.at/Dreigliederung_des_menschlichen_Organismus

10 Vgl.: https://www.gdw-berlin.de/vertiefung/biografien/personenverzeichnis/biografie/view-
bio/martin-niemoeller/
11 https://www.munzinger.de/search/portrait/Renate+Riemeck/0/9352.html
12 Vgl.: https://www.demokratie-geschichte.de/koepfe/2186
13 Vgl.: https://www.petrakellystiftung.de/de/petra-kelly

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*