Es hat sich nichts geändert! Menschen werden angemietet, verschlissen und dann entsorgt – moderne Sklaverei in der hiesigen Parallelwelt einer sozialen Marktwirtschaft

Rede von Pfarrer Peter Kossen am 25. März 2024 in Cloppenburg

Vom Armenhaus zum Schauplatz moderner Sklaverei

Prof Dr. Uwe Meiners erzählte in seiner Laudatio anlässlich der ersten Verleihung des Vikar-Henn-Preises aus der Geschichte der Region: Vor mehr als dreihundert Jahren begann aus dem Oldenburger Münsterland, dem Emsland, dem Osnabrücker und Tecklenburger Land eine Migrationsbewegung in Richtung Westen. Jahr für Jahr zogen – von Hunger und Not getrieben – viele Männer, zum Teil auch Frauen, in die reichen Niederlande, um dort als Kanalarbeiter, Torfgräber und Grasmäher saisonweise sich zu verdingen. Kanalarbeiter zu sein, bedeutete, in Amsterdam oder anderen Städten die Fäkalien aus den Grachten zu schaufeln. Die Infektionsgefahr war hoch, entsprechend hoch war die Sterblichkeit der Arbeiter. Auf den Höfen durften sie die Wohnungen der Bauern nicht betreten; sie schliefen in Ställen und Scheunen. Bei Krankheit wurden sie auf Leiterwagen geladen und möglichst ohne Stopp Richtung Osten gekarrt. Viele haben für den kargen Lohn mit ihrer Gesundheit und ihrem Leben bezahlt. Die „Hollandgänger“ wurden in den Niederlanden für die „Drecksarbeit“, die sie verrichteten, verachtet und als „Hannekemaiers“ verspottet.

Heute, im Jahr 2024, findet Migration unter anderen Vorzeichen statt. Die Ausbeutung von Arbeitsmigranten, das Ausnutzen ihrer Notlage und die ihnen gegenüber zum Ausdruck gebrachte Verachtung sind vergleichbar der Situation der Hollandgänger. Allerdings ist die Heimat der Arbeitsmigranten von damals nun zum Schauplatz moderner Sklaverei geworden.

Die Ministerin nennt es „moderne Sklaverei“

Mehrfach in jüngster Zeit hat die nordrheinwestfälische Bauministerin Ina Scharrenbach großangelegte Razzien in der Leiharbeiter-Szene in Städten wie Goch, Emmerich oder auch Gronau entlang der niederländischen Grenze angeordnet und selbst begleitet. Es ging um menschenunwürdige Unterbringung, um ausbeuterische Wohn- und Arbeitsverhältnisse von Arbeitsmigrant*innen, die auf deutscher Seite in Bruchbuden hausen und in den Niederlanden schlachten. Der Befund: Matratzenmieten zwischen 300 und 400 Euro im verschimmelten Mehrbettzimmer, das gleiche Bett wird im „Schichtbetrieb“ von mehreren Menschen genutzt, Brandschutzmängel, fehlende Stromversorgung. Die Ministerin war so entsetzt und angeekelt, dass sie einige Unterkünfte sofort geschlossen hat. Sie sprach von ausbeuterischen Miet- und Wohnverhältnissen und von „moderner Sklaverei“. Die ebenfalls beteiligte niederländische Arbeits- und Sozialministerin sagte: „Allzu oft werden Wanderarbeiter noch immer als Bürger zweiter Klasse behandelt und leben und arbeiten unter entsetzlichen Bedingungen.“

Im November gab es dann wieder eine Großrazzia des Ministeriums. Die „Rheinische Post“ berichtet: „Insgesamt wurden in 18 Sammelunterkünften in Kleve und Kranenburg, die der Logistik-, Verpackungs- und Fleischindustrie zuzurechnen sind, verschiedenste Verstöße festgestellt: Angefangen bei der Missachtung von Melderechts- und Brandschutzregeln bis hin zum Verdacht von Mietwucher. Bei den Kontrollen fanden die Ordnungskräfte in alleine 17 Wohnungen so dramatische Zustände, dass diese direkt geschlossen wurden. Die Behörden berichten von offenen Stromleitungen, nicht isolierten Stromverteilern, fehlenden Brandmeldern und Feuerlöschern. Die Wasserversorgung war ausgefallen, Sanitäranlagen und Heizungen funktionierten nicht. Auch wurden Dachgeschosse als Schlafstelle ohne Rettungswege und Brandschutzvorkehrungen genutzt. Die Arbeitgeber wurden verpflichtet, rund 75 Leiharbeiter sofort in sicheren Wohnungen unterzubringen.“ Gleiches findet man überall im Oldenburger Land!

Mein Bruder Florian ist Arzt im Landkreis Vechta. Kürzlich erzählte er mir von einem Patienten, einem Mann aus Bulgarien, der in einem großen Putenschlachthof im Landkreis Oldenburg arbeitet. Zusammen mit zwei Kollegen muss er täglich in einer gut zwölfstündigen Schicht 26.500 geschlachtete Puten aufhängen, das sind ungefähr 9000 Tiere pro Person, das sind mehr als zweihundert Tonnen Fleisch pro Arbeiter in einer zwölfstündigen Schicht, sechs Tage in der Woche. Er verdient für 280 Arbeitsstunden im Monat 1400 €. Das sind genau 5 € pro Stunde für diese Schwerstarbeit. Wie am Niederrhein und anderswo wohnen die Arbeiter in Bruchbuden und zahlen dafür Wuchermieten. Vor einiger Zeit berichtete mein Bruder von einem Patienten, der aktuell als Reinigungskraft auf einem Geflügelschlachthof arbeitet: 11 Stunden am Tag, 7 Tage in der Woche. Dieser Mann konnte nicht mehr sagen, wie lange er das schon so machen muss…

Inzwischen werden die Arbeitskräfte aus immer ärmeren Regionen Osteuropas rekrutiert. Erst waren es Menschen aus Polen, später aus Rumänien, Ungarn und Bulgarien, jetzt kommen sie auch aus Moldawien oder Mazedonien, dann ist ihr Einsatz nicht selten illegal. Oder man verlegt sich darauf, geflohene Menschen anzuwerben und auszubeuten. Mein Bruder sieht als Arzt jeden Tag, dass diejenigen, die es trotz der Menschenschinderei schaffen, über mehrere Jahre durchzuhalten, chronische Leiden davontragen. Durch die harte körperliche Arbeit in feuchten und sehr kalten Räumen unter ständigem Druck, noch schneller zu arbeiten, ist auch der Stärkste irgendwann physisch und psychisch am Ende. Durch die Arbeitszeiten sind die Betroffenen über Jahre hin nicht in der Lage, Sprachkurse oder Integrationsangebote wahrzunehmen. So sprechen viele kaum Deutsch. Rund um die Uhr haben sie bereit zu stehen, Überstunden werden nicht selten spontan angeordnet. Die Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in den Wohnorten ist dadurch sehr erschwert oder unmöglich. Eine Integration der Arbeiter, und jetzt verstärkt auch ihrer Familien, kann so kaum stattfinden. Parallelwelten sind entstanden. Ein Übriges tut die auf Abschottung angelegte Unterbringung. Arbeitsmigranten hausen – zum Teil mit Kindern – auf Campingplätzen wie Kokemühle oder in verschimmelten Bruchbuden. Alteingesessene Bürger zocken sie dafür mit Wuchermieten ab.

Die Mafia und die Geisterarmee

„… Aber es hat sich doch auch schon manches verändert und ist besser geworden…“, so höre ich immer die Leute sagen, wenn der Missbrauch der Werkverträge und der Leiharbeit zur Sprache kommt. – Wo denn? Wo sind Arbeitsmigranten sicher vor Ausbeutung und Abzocke? – In der Fleischindustrie und im Oldenburger Land jedenfalls nicht! Auch anderswo scheut man sich offensichtlich nicht, die Not der Menschen aus Ost- und Südosteuropa auszunutzen. Das Wohlstandsgefälle innerhalb der EU begünstigt krasse Ausbeutung und eine Mehrklassen-Gesellschaft auf dem Arbeitsmarkt: Arbeitnehmer mit Tarifen und Rechten und solche, die in vielfacher Hinsicht um einfachste Lohn- und Sozialstandards betrogen werden. Als sich vor ein paar Wochen die Nachricht verbreitete: „Vion macht in Westeremstek dicht!“, berichtete die „Neue Osnabrücker Zeitung“ am 11. Februar über Abwerbeversuche von „Wiesenhof“ vor den Werkstoren. Wie viel Zynismus und Menschenverachtung muss man aufbringen, um 750 verunsicherte rumänische Werkvertragsbeschäftigte in solcher Weise zu verhöhnen?!

Dass Menschen aus Rumänien und Bulgarien als gleichwertige Mitbürger und Nachbarn gelten und nicht missbraucht werden als Billiglöhner und Drecksarbeiter – davon sind wir ganz weit entfernt! Dahinter steht ein latenter oder auch offener Rassismus diesen Menschen gegenüber, nach dem Motto: „Rumänen und Bulgaren müssen auch mit weniger zufrieden sein.“ In Pandemie-Zeiten wurden sie gern als Sündenböcke hoher Inzidenzzahlen genommen. So werden aus Opfern Täter gemacht. Dieser Alltagsrassismus ist mit zu nennen und mit zu bedenken, wenn in unserm Land in diesen Wochen immer wieder viele Menschen für Freiheit und Vielfalt und gegen Ausgrenzung und Rassismus auf die Straße gehen. Große und namhafte Unternehmerpersönlichkeiten des Oldenburger Münsterlandes scheuen sich nicht, mit Subunternehmen und Leiharbeitsfirmen zusammenzuarbeiten, hinter denen verurteilte Straftäter stehen. Wer jedoch mit Menschenhändlern und Sklaventreibern gemeinsame Sache macht, ist mitschuldig am Menschenhandel und an der modernen Sklaverei in unserm Land.

Wie kann es sein, dass Menschen so behandelt werden in Ihrer doch so christlich geprägten Region?“, das bin ich oft gefragt worden. – Vielleicht, weil zu viele wegschauen, ihr Gesicht und ihren Namen nicht zur Verfügung stellen für eine klare Position dagegen?! –

Ausbeutung von Menschen, Sklaverei, „funktioniert“ bis heute immer da, wo Menschen als Nummer geführt werden, wo sie kein Gesicht haben, keinen Namen und keine Geschichte. Osteuropäische Werkvertragsarbeiter sind uns meist nicht persönlich bekannt: Sie leben unter uns und sind doch Bürger einer dunklen Parallelwelt, eine große anonyme Gruppe, eine „Geisterarmee“. So werden sie ohne Aufsehen und ohne schlechtes Gewissen ausgebeutet, betrogen und gedemütigt. „Die Polin“, die Meiers Oma pflegt, die hat ja keinen Vornamen. Genauer gesagt, interessiert sich niemand für ihren Vornamen, obwohl sie schon das dritte Mal bei Meiers ist. Und „der Rumäne“, der bei Müllers auf dem Hof arbeitet, dem geht es genauso; das ist „Müllers Rumäne“. Zynisch gesprochen: Wenn ich keinen kenne, tut es auch gar nicht so weh, wenn sie ausgebeutet werden. Und geben Sie ´s zu: Sie kennen keinen…

Das deutsche Arbeitsrecht geht davon aus, dass die Durchsetzung von Arbeitnehmerrechten Sache des Beschäftigten ist. Das ist für Arbeitsmigranten leider weit weg von der Wirklichkeit. Eine Unterstützung durch Betriebsräte oder Gewerkschaften wird vorausgesetzt. Betriebsräte jedoch und Gewerkschaften sind da, wo es sie gibt, für Werkvertrags- und Leiharbeiter nur sehr bedingt vertretungsberechtigt. Arbeitsmigranten in einem bestehenden Arbeitsverhältnis können ihre vorenthaltenen Ansprüche kaum geltend machen. Sie sind mehrfach abhängig und haben begründete Angst vor dem Jobverlust und vor den Kosten eines Rechtsstreits. Dieses Ausgeliefertsein und die faktische Unmöglichkeit der Durchsetzung von Arbeitnehmerrechten macht die Werkvertrags- und Leiharbeit so attraktiv für gewissenlose Manager und Menschenhändler und so anfällig für gnadenlose Ausbeutung in der Fleischindustrie, aber genauso auf dem Bau, in der Logistik und anderswo. Hier auf bessere Einsicht oder auf Menschlichkeit zu hoffen, ist leider naiv und realitätsfern. In Deutschland haben wir im internationalen Vergleich eine besonders starke Zersplitterung der Kontrollbehörden. Die Verlagerung einer Leiharbeitsfirma ins Nachbar-Bundesland bedeutet oft schon das faktische Ende strafrechtlicher Verfolgung. Selbstverpflichtungserklärungen der Fleischindustrie sprechen der Wirklichkeit Hohn. Allenfalls haben sie den Sklaventreibern Luft und Zeit verschafft, ihr menschenverachtendes Geschäft unbehelligt weiter zu betreiben!

Übrigens gibt es dabei keinen Unterschied zwischen der Geflügelfleischindustrie und der Schweine- und Rindfleischindustrie im Umgang mit den Menschen: Die Brutalität und die Skrupellosigkeit in der Ausbeutung wehrloser Menschen sind gleich krass. Die „taz“ berichtete am 24. Januar von moderner Sklaverei bei einem Putenschlachter hier ganz in der Nähe.

Unter dem Radar des Rechtsstaates

Weil es so unvorstellbar ist in einem Rechtsstaat und in einer sozialen Marktwirtschaft, weil es so dreist ist und Menschen betrifft, die in einer Parallelwelt leben, eine Geisterarmee, deshalb funktioniert es jeden Tag auf so banale Art und Weise: Der Mindestlohn wird umgangen und ausgehöhlt: durch eine Vielzahl unbezahlter Überstunden; 290,- bis 420,- € monatlich für ein Bett im vergammelten Mehrbettzimmer; Vermittlungsgebühren als Eintrittsgeld für ein Beschäftigungsverhältnis; das Werkzeug oder die Benutzung des Pausenraums (!) wird dem Arbeiter in Rechnung gestellt; willkürliche, völlig ungesetzliche, Strafgelder; anfallende Gebühren für Übersetzungen; erzwungene Vorarbeiter-Bestechung; kostenpflichtiger Transport zur Arbeitsstelle; Erhöhung der Schlagzahl (Laufgeschwindigkeit des Fließbandes) – Mafiöse Zustände in einer sozialen Marktwirtschaft!

Wenn der Rechtsstaat hier nicht völlig ad absurdum geführt werden soll, braucht es eine Behörde, die Recht und Gesetz durchsetzen kann. Die nicht, wie die Kontrollbehörden bisher, der Mafia machtlos hinterher schaut. „Billig, billig, billig!“ hat einen hohen Preis. Wer bezahlt faktisch meinen Lebensstil? – Wenn ich nicht selbst bereit bin, gute Arbeit gut zu bezahlen, dann bezahlen die Schwächsten die Rechnung, zum Beispiel die Sklaven der Fleischindustrie.

Menschen, die heute trotz schwerster Arbeit arm sind und arm bleiben, sie sind die Altersarmen von morgen. Und immer werden sie Sozialleistungen brauchen. Das bedeutet: Die Gesellschaft ermöglicht prekäre Beschäftigung durch Sozialtransfers. Wir subventionieren damit indirekt und ohne Grund verantwortungslose Geschäftsmodelle. Das ist doch nicht richtig! Warum wehren sich unsere Kommunen hier nicht? Will die Politik das Unrecht nicht sehen? Oder ist sie machtlos? Und wenn ja, warum? Wer dirigiert die Politik in den Kommunen und Landkreisen wirklich und mit welcher Berechtigung? Wer macht die Regeln und setzt sie nach Belieben außer Kraft in Visbek, in Cloppenburg und in Vechta? Wo waren und sind in den Kommunalparlamenten die Menschen, die sagen: „Das wollen wir hier nicht!? Wir fordern Gerechtigkeit!“ Wie tief verneigt sich die Lokalpolitik, aber auch die Kirche, vor der regionalen Wirtschaft? Wie schamlos prostituieren beide sich für Gewerbesteuern bzw. Kirchensteuern? Eine Kirche, die hier schweigt, verkauft ihre Seele!

Konsumverhalten und Geizmentalität ist das eine. Aber gerade aus der Beschäftigung mit dem Missbrauch der Werkverträge weiß ich, dass enorme Gewinne abgeschöpft werden an Stellen, wo es nicht gerechtfertigt ist. Einer der Riesen in der Fleischbranche aus dieser Region hat vor Jahren gegenüber dem Magazin „Stern“ eingeräumt, wenigstens zehn Jahre lang der Unternehmer, der Subunternehmer und die Immobilienfirma gewesen zu sein, die die Wohnungen an die Arbeiter vermietet hat. Die auf diese Weise erwirtschaftete Summe ist Geld, das den Arbeitern und Arbeiterinnen vorenthalten wurde! Der gleiche Konzern war lange, wie andere auch, von der EEG-Umlage, also dem Beitrag für die Förderung der erneuerbaren Energien, befreit, weil er besonders viele Werkvertragsarbeiter beschäftigt hat und damit „Sachkosten“ nachweisen kann, die in der Bruttowertschöpfungskette bei über 14% liegen. Werkvertragsarbeit und Leiharbeit werden als „Sachkosten“ abgerechnet, wohlgemerkt als „Sachkosten“, nicht als „Personalkosten“! Der Mensch als Sache: austauschbar, wegwerfbar. Und so wird er auch behandelt, wie Wegwerfware.

Subunternehmen und Personaldienstleister erledigen vielerorts die Drecksarbeit der Ausbeutung. Die Unternehmen bleiben rechtlich sauber. Im kleinen Bundesland Bremen gibt es nach einer Recherche des „Deutschlandfunk“ mehr als 200 Personaldienstleister! Nach der gleichen Recherche sind 40% aller Beschäftigungs-Verhältnisse in Bremen prekär!

Die Ausbeutung von Mensch und Schöpfung ist nicht schicksalhaft und nicht „normal“ oder sogar notwendig. Sie gleicht einem Krebsgeschwür mit tödlichem Wachstum. „Billig! Billig! Billig!“ hat einen hohen Preis. Den Preis für die billigen Lebensmittel bezahlen die Landwirte mit ihrer Existenz, die Rumänen und Bulgaren mit ihrer Gesundheit und die Natur mit der Artenvielfalt und dem ökologischen Gleichgewicht. Der Hunger in der Welt hat mit dem verramschten Fleisch hier bei uns zu tun. Existenzen werden dafür vernichtet: Die bäuerliche Landwirtschaft geht zugrunde; Arbeitsmigranten aus Ost- und Südosteuropa werden als Lohnsklaven ausgebeutet, betrogen und gedemütigt, verschlissen und dann aussortiert.

Mietwucher und Zwangsprostitution

Löcher werden als Wohnungen vermietet: 500,- € für 17qm einer verschimmelten Bruchbude, ohne ausreichende Elektrizität mit undichtem Dach – mitten in Vechta und gar kein Einzelfall! Wer kontrolliert hier wirklich? Und wenn keiner, warum nicht? Rumänen und Bulgaren sollen bei uns schwerste Drecksarbeit machen und Steuern zahlen, sollen darüber hinaus aber unsichtbar sein und keine Ansprüche stellen! Wenn mancherorts über den geeigneten Ort für Betriebswohnungen gestritten wird, dann muss man doch sagen: Die Leute kommen nicht erst noch. Die sind schon lange da! Erzieherinnen in Lengerich erzählen mir von verstörten, verängstigten und geschwächten Kindergartenkindern, die in solchen Verhältnissen leben und aufwachsen. Manche verschlafen fast den ganzen Kindergartentag, weil sie nachts in den Unterkünften Gewalt, Alkohol- und Drogenmissbrauch und auch Prostitution miterleben.

Und auch dies ein furchtbarer Teil der Wirklichkeit: Jeden Tag kaufen in Deutschland eine Million Männer den Körper einer Frau. Deutschland gilt als das „Bordell Europas“. Fast der ganze deutsche Straßenstrich wird bedient durch Mädchen und Frauen aus Rumänien und Bulgarien. So an der B 68 nördlich von Osnabrück. Oft sind es Roma, oft Analphabetinnen, nicht selten sind es Minderjährige. Sie werden hierher gelockt mit dem Versprechen einer Arbeit in der Gastronomie oder im Frisörhandwerk. Einmal in Deutschland angekommen, werden sie jedoch in großer Zahl zur Prostitution gezwungen und gefügig gemacht mit Drogen und angedrohter und mit ausgeführter körperlicher und psychischer Gewalt; und dies nicht selten von den gleichen Leuten, die im Hauptgeschäft Männer und Frauen als Billiglöhner in die Fleischfabriken schleusen. International agierende Rockerbanden zum Beispiel nutzen die Arbeitnehmer-Entsendung zum Menschenhandel. Mehr als 90% der Frauen und Mädchen auf dem deutschen Strich sind Migrantinnen aus Afrika und aus Südosteuropa. Ein Oberstaatsanwalt aus Osnabrück erzählte mir von einem Personaldienstleister aus meiner Heimatgemeinde, der hunderte von Arbeitern an die Fleischindustrie verliehen hat und zwei Bordelle betreibt. Fachleute der Polizei sagen: Höchstens drei Prozent von ihnen machen freiwillig Sexarbeit. Alle andern sind gefangen in Abhängigkeiten. Zynisch formuliert heiß das: „Fleisch ist Fleisch“ und das eine wird so verächtlich behandelt und gehandelt, wie das andere – mit dem Unterschied, dass Tierhandel und Tierhaltung stärker reguliert ist…

In dem erwähnten Artikel der „taz“ vom 24. Januar wird eine Arbeiterin der hiesigen Fleischindustrie zitiert mit den Worten: „Wozu soll ich ein Interview geben. Alle wissen, dass man uns wie Tiere behandelt.“

Die Subunternehmer haben die Arbeiter und Arbeiterinnen direkt oder über Kontaktleute in ihren Heimatländern angeworben, oft mit Versprechungen bzgl. Lohn und Wohnung, die in der Realität nicht annähernd eingehalten werden. Die Arbeiter werden vielmehr in eine Abhängigkeit von ihrem Arbeitgeber gebracht durch eine Art Schuldsklaverei oder durch angedrohte und ausgeführte körperliche und psychische Gewalt gegen sie selbst oder ihre Angehörigen in der Heimat, durch Vorenthaltung von zustehendem Lohn, durch Einbehaltung des Reisepasses, durch Verquickung von Arbeits- und Wohnmöglichkeit, durch Abschottung vom deutschen Umfeld, durch das ausdrückliche Verbot, über Arbeit und Arbeitgeber zu reden, durch willkürliche und völlig illegale „Strafgelder“, durch die Drohung, bei einem Ausstieg aus der Arbeit auf die „schwarze Liste“ gesetzt zu werden und nirgendwo in der Region neue Arbeit zu finden. Die Arbeiter werden hingehalten, gedemütigt und erpresst.

Das erste Wort, das Arbeitsmigranten in unserer Sprache lernen, ist das Wort: „Schneller!“ Ärzte wie mein Bruder berichten sehr eindrücklich, was das mit Frauen und Männern macht, wenn sie 6 Tage in der Woche, 12 Stunden am Tag bei minus 18 Grad arbeiten oder immer den gleichen Schnitt durch einen Tierkörper machen oder 30kg-Kisten schleppen. Zur körperlichen Belastung kommt die psychische: Die systematische Demütigung, die Angst und die ständige Sorge, wie es morgen weitergeht. Menschen werden zu Krüppeln geschunden, dann aussortiert und ersetzt. – Das passiert nicht irgendwo, sondern hier, mitten unter uns!

Sozialbetrug „von oben“

Sozialleistungen halten diese Menschen über Wasser, obwohl sie täglich schwerste Arbeiten verrichten. Wirtschaftlich gesunde Unternehmen rechnen ohne Not öffentliche Leistungen wie die Hartz- IV-Aufstockung, Kindergeld und Wohngeld von vornherein in ihre Lohnkalkulation mit ein, anstatt selbst die Leute so zu bezahlen, dass sie von ihrem Einkommen auch leben können. Das ist doch der eigentliche Sozialbetrug! Das sind Steuergelder, unrechtmäßige Subventionen! Allzu leicht werden aber die Opfer kriminalisiert, nicht die Täter. Eine interne Arbeitsanweisung der Bundesagentur für Arbeit stellt hilfesuchende Personen aus bestimmten europäischen Ländern unter einen kriminellen Generalverdacht – „Bekämpfung von bandenmäßigem Leistungsmissbrauch“, so heißt das. Was ist denn mit den Arbeitgebern, die ihre Mitarbeiter in die Not und Hilfsbedürftigkeit bringen und sie dann darin festhalten?? Das sind doch die „Sozialschmarotzer“!

Vor ein paar Tagen schrieb mir jemand Folgendes: „Ich möchte Ihnen (…) von meinem Erlebnis am Dienstag, 12. März, in Lohne berichten. Auf dem Weg nach Hause, Uhrzeit ca. 20:15, traf ich in der Innenstadt an der Ampelkreuzung auf eine Personengruppe von drei Personen. Sie war mir schon vorher in der Fußgängerzone aufgefallen. Zwei Personen, Frau und Mann ausländischer Herkunft, hatten zwei große Koffer mit. Von der dritten Person wurde ich in deutscher Sprache angesprochen. Er sagte zu mir, dass die beiden anderen Personen ein Hotel für diese Nacht suchen. Ich habe ihm gesagt, dass sich in ca. 150 Meter ein Hotel befindet. Ich drehte mich dabei um und zeigte in die Richtung. Als ich mich wieder umdrehte, sah ich den Mann, der bei roter Ampel über die Straße rannte und verschwand. Ein freies Hotelzimmer habe ich an dem Abend nicht gefunden. Zum Glück war in der Martinsscheune in Dinklage noch ein Zimmer frei. Schwester Johanna hat das Ehepaar empfangen und am anderen Morgen ein Taxi bestellt. Sie wurden zum Lohner ZOB gebracht. Mit einem Bus wurden sie von dort abgeholt und nach Rumänen gebracht. (…) Das rumänische Ehepaar hat am 12. März die Kündigung erhalten und gleichzeitig wurde ihnen die Wohnung gekündigt. Auf den vorliegenden Abrechnungen ist keine Firma angegeben. Nur die Adresse, wo das Ehepaar gewohnt hat. Einen Firmennamen, wo sie beschäftigt waren, konnten sie uns leider nicht nennen.“

Menschen werden abgehängt, abgedrängt in Parallelwelten und Subkulturen, werden als Rumänen und Bulgaren diskriminiert und rassistisch herabgewürdigt. Man könnte meinen, die Skandale der vergangenen Jahre hätten zu Verbesserungen geführt. Das Gegenteil ist der Fall. Paketdienste, Ausstall-Kolonnen, Fleischfabriken, Schiffsbauer, Landwirtschaft, häusliche Pflege – bis in Kleinstbetriebe, aber auch in Privathaushalten, hat man „seine Polin“ oder „seinen Rumänen“.

Wiedergutmachung und Schadensersatz jetzt!

Eigentum ist immer geliehen; ungeschmälert schulden wir es der nachfolgenden Generation. Als Leihgabe verpflichtet Eigentum zur Solidarität. Eine zukunftsfähige Weltwirtschafts-ordnung geht von einem Menschenbild aus, das ein Recht auf Teilhabe an den Gütern der Erde allen zuspricht. Das Kapital hat dem Menschen zu dienen, nicht umgekehrt. Menschenwürdig leben können, muss die Ermöglichung guter Arbeit sein, nicht ihr Lohn!

„Solange die Probleme der Armen nicht von der Wurzel her gelöst werden, indem man auf die absolute Autonomie der Märkte und der Finanzspekulation verzichtet und die strukturellen Ursachen der Ungleichverteilung der Einkünfte in Angriff nimmt, werden sich die Probleme der Welt nicht lösen und kann letztlich überhaupt kein Problem gelöst werden.“ (Papst Franziskus)

Wer nicht den Mut hat, das System zu wechseln, die Sklavenhalter ins Gefängnis zu bringen und die Arbeiter in Festanstellung, der wird immer nur an den Symptomen herumdoktern, aber nie das Übel beseitigen. Das EU-Aufenthaltsrecht, kombiniert mit Hartz IV („nur der Mensch in Arbeit hat Recht auf Aufenthalt und Bezug von Sozialleistungen“) wird für viele EU-Bürger aus Rumänien und Bulgarien zur Falle, weil sie gezwungen sind, notfalls auch ausbeuterische Job-Angebote in der Fleischindustrie, auf dem Bau oder bei den Paketzustellern anzunehmen. Frauen sind aus diesem Grund leicht Opfer von Zwangsprostitution. Allein in der Stadt Münster gibt es deshalb 400 bulgarische Prostituierte.

Wer die Schinderei nicht mehr aushält, wird weggeschickt, meistens noch um den letzten Lohn geprellt: Wegwerfmenschen! Wieviel Enttäuschung und Bitterkeit und Wut muss da sein?! – Was ist zu tun, um Arbeitsmigranten vor der Ausbeutung zu schützen? – Sie müssen zunächst eine realistische Möglichkeit haben, Deutsch zu lernen! Und dann muss klar sein:

1) Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort!

2) Unfallschutz und Krankenversicherung im Land der Arbeit, also hier und nicht irgendwo!

3) Ortsnahe, unabhängige, kostenlose muttersprachliche Rechtsberatung der betroffenen Arbeitsmigranten – bis vor Gericht! Kostenlose Sprachkurse für die Arbeitsmigranten!

4) Eine Arbeitskontrollbehörde, die Gesetze durchsetzt und kriminelle Strukturen zerbricht!

5) Wohnungen für die Arbeitsmigranten und ihre Familien, Wohnungen, nicht Rattenlöcher!

6) Zurück zur Stammbelegschaft! – Begrenzung der Werkvertrags- und Leiharbeit!

Was ist mit den „Nebenkosten“ der Ausbeutung von Menschen, Tieren und Umwelt? Wer trägt Sorge dafür, dass entstandener Schaden wiedergutgemacht wird? Wer kommt für die Kosten absolut notwendiger Integration auf? Warum nicht die profitierenden Unternehmen?!

Die Verantwortlichen und Profiteure der modernen Sklaverei haben jahrzehntelang schwere Menschenrechtsverletzungen begangen. Es braucht Schadensersatz und Wiedergutmachung für die Opfer moderner Sklaverei in unserm Land – und das muss jetzt beginnen! In einer Region, die gern erinnert an Clemens August Kardinal von Galen oder auch an Vikar Ernst Henn, wird mit Füßen getreten, was beiden heilig war: die Würde des Menschen, jedes Menschen, und die Gerechtigkeit! Unsere Heimat, das Oldenburger Münsterland ist Schauplatz moderner Sklaverei. Dieser üble Ruf wird noch lange an der Region haften bleiben und schwer auf ihr lasten

Betroffene stark machen: Ansatz eines Kampfes um Gerechtigkeit

Wie lange kann eine Gesellschaft wegschauen? Papst Franziskus schreibt über diese Entwicklung: „Der Mensch an sich wird wie ein Konsumgut betrachtet, das man gebrauchen und dann wegwerfen kann.“ (Evangelii gaudium 53) Ich bin überzeugt: Eine Gesellschaft, die solches zulässt, zerstört das Leben dieser Menschen und letztlich auch sich selbst. Eine solche Gesellschaft kann technisch hoch entwickelt sein. Wenn ihr die Solidarität und das Bewusstsein für die unveräußerliche Würde eines jeden Menschen verloren gegangen ist, verliert sie ihre Kultur: die Wurzeln, aus denen sie lebt.

Was kann man tun? Anfang 2019 habe ich mit einigen Fachleuten und Engagierten den Verein „Aktion Würde und Gerechtigkeit“ gegründet. Wir wollen Arbeitsmigranten aus Ost- und Südosteuropa stark machen und so dazu beitragen, dass ihre Integration gelingt. Würde und Gerechtigkeit wird ihnen in unserem Land oft vorenthalten.

Der Verein „Aktion Würde und Gerechtigkeit“ ist als gemeinnützig anerkannt und will den Rechtsweg für Arbeitsmigranten leichter zugänglich machen durch kostenlose juristische Beratung und ggfs. juristische Vertretung bis vor Gericht. Unsere Sozial- und Integrationsberatung in der Muttersprache zeigt Auswege aus moderner Sklaverei und menschenunwürdigen Behausungen. Sprachkurse, die wir anbieten und die sich an die Arbeitszeiten anpassen, sind häufig ein erster Schritt. Zugleich streben wir ein Netzwerk von Unterstützern vor Ort an, also überall da, wo Arbeitsmigranten leben und arbeiten, also überall. Da geht es um Möglichkeiten der Kontaktaufnahme mit Betroffenen, um Hilfe in akuter Not; unsere Mitarbeiterinnen können „Türöffner“ sein zu Institutionen und Behörden, auch zu Beratungsangeboten. Sozialrechtler, Sozialarbeiterinnen, Erzieherinnen bringen ihre Fachkenntnisse ein. Die wichtigste Voraussetzung dabei ist die Achtsamkeit für die Situation der Arbeitsmigrantinnen, die Hochachtung vor ihnen und die Bereitschaft, ihre Integration in unsere Gesellschaft zu unterstützen.

An manchen Orten der Region haben Engagierte der Flüchtlingshilfe überlegt, ob sie ihr Engagement auf die große Gruppe der Arbeitsmigranten ausdehnen können. Ich kann nur sehr darum werben und dazu ermutigen. Die Fachkenntnisse darüber, was zu einer gelingenden Integration in unsere Gesellschaft nötig ist (Wohnungen, Sprachkurse, Behördenkontakte, informelle Treffpunkte, Ausbildungsplätze, Zugang zu Sportvereinen und anderen Freizeitaktivitäten…) – diese Fachkenntnisse bringen die Engagierten der Flüchtlingshilfe mit. Und die Arbeitsmigranten aus Ost- und Südosteuropa brauchen sie so dringend und finden bisher fast nichts davon vor! Eine Dame, die in meiner Stadt Lengerich sehr engagiert ist im Sportbereich sagt: „Die geflohenen Menschen finden den Weg in unsere Sportvereine, die Arbeitsmigranten nicht.“ Am 14. November haben wir in Lengerich eine Wohnsituation öffentlich gemacht, die man genauso in jedem Ort im Oldenburger Münsterland vorfindet: Sechs Menschen, Frauen und Männer, die nicht miteinander verwandt sind, leben in einer Wohnung von 80 Quadratmetern und zahlen 400,- € pro Person für das Wohnen im Ghetto und den Transport zur Arbeit.

In unserm Land wird zurzeit in höchst fragwürdiger Weise über Migrantinnen und Migranten diskutiert. Es wird der Eindruck erweckt, als seien sie viel zu viele und insgesamt eine Überforderung. Einfache Zahlen belegen, wie absurd diese Diskussion ist: 18 Mio. Menschen der sog. „Babyboomer“-Generation gehen in den nächsten 13 Jahren in den Ruhestand. 11 Mio. Menschen werden im gleichen Zeitraum volljährig. Da tut sich bei uns in diesen wenigen Jahren eine Lücke von 7 Mio. fehlenden Arbeitskräften auf. Ostdeutschland ist die demographisch älteste Region der Welt, älter noch als Japan. Wie absurd ist es dann, wenn aufgrund der aktuellen gesellschaftlichen Stimmung Migranten von ihren Ausbildungsstellen und Arbeitsstätten aus abgeschoben werden, weil man sie dort antrifft – bei der Arbeit?! Aufgrund der Überalterung braucht Deutschland einen „Nettozuzug“ von 400.000 Menschen jährlich. Unsere Wirtschaft geht in die Knie, wenn nicht mindestens so viele Menschen jedes Jahr neu zu uns kommen. Wie töricht ist es also, Arbeitsmigranten auszubeuten, abzuzocken und zu verschleißen! Stattdessen müsste es uns darum gehen, Wertschätzung zu zeigen, Brücken zu bauen und Türen zu öffnen.

Das Räderwerk der Ausbeutung anhalten, Bremsklotz sein!

Kürzlich schrieb mir jemand aus Greven im Kreis Steinfurt von einem Beispiel, das wir vermutlich alle kennen: „Ihnen wird nicht unbekannt sein, dass zum Glasfaser Netzausbau von den Telekom-Untergesellschaften (nach vorheriger Ausschreibung der Bauleistungen) Firmen beauftragt werden, die die Drecksarbeit unter Beauftragung von Sub-Unternehmen (oder von Sub-Sub-Unternehmen) ausführen lassen, die im Geschäftsdeutsch auch vornehm als „Nachunternehmer“ tituliert werden. (…) Die Männer (aus vorwiegend Osteuropa), die die anstrengende ‚Drecksarbeit‘ auszuführen haben, haben keine Regenschutzkleidung, keine Lärm-/Staubschutz-Ausrüstung und es steht ihnen in vertretbarer Nähe auch nicht einmal eine Mobil-Toilette zur Verfügung.“

Der evangelische Theologe und Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer hat einmal gesagt, es könne die Situation eintreten, in der es für die Kirchen darauf ankäme „nicht nur die Opfer unter dem Rad zu verbinden, sondern dem Rad selbst in die Speichen zu fallen“ (Bonhoeffer: „Die Kirche vor der Judenfrage“, April 1933). Dann müssen die Kirchen genau dort stehen und Widerstand leisten gegen Ausbeutung von Menschen, Tieren und Umwelt. Denn „eine Kirche, die nicht dient, dient zu nichts“. Dieser Dienst bedeutet, denen zu helfen, die unter die Räder geraten sind, und, wenn nötig, dem Rad selbst in die Speichen zu fallen.

Ich will, dass die Öffentlichkeit aufmerksam wird und realisiert, wieviel im Nordwesten und besonders im Oldenburger Land im Argen ist. Die Sklaverei muss in dieser Region ein Ende haben! Schwere Arbeitsausbeutung hat hier System. Darum braucht es den Systemwechsel!

In der Ernährungsindustrie gibt es auch solche Unternehmen, die ihre Verantwortung wahrnehmen. Die müssen wir stark machen! Konsumenten können ein Zeichen setzen, wenn sie die Produkte der Sklaventreiber in den Regalen liegenlassen und durch ihre Kaufentscheidung faire Arbeitsbedingungen belohnen. Was ist uns gute Arbeit wert? Was ist uns Gerechtigkeit wert? Ausbeutung und Abzocke, wie sie vielfach in der Fleischindustrie, bei den Paketdiensten, im Schiffsbau und anderen Branchen hier in der Region alltäglich ist, muss durch die Öffentlichkeit geächtet und durch den Boykott von Seiten der Kunden und Konsumenten bestraft werden! Wir sollten Ernst Henn und Clemens August Graf von Galen nicht ins Museum stellen und ihr Leben nicht wie eine Monstranz vor uns hertragen, sondern den Mut haben, heute für das Leben, für die Schöpfung und für Menschenwürde einzutreten.

Erzähl mir nichts! Es hat sich nichts verändert!“ – Mit Freude und ein bisschen stolz will ich gerade meinem Bruder Florian am Telefon erzählen, wie die Gewerkschaft „Nahrung Genuss Gaststätten“ (NGG) der Fleischindustrie einen Mindestlohntarifvertrag abgerungen hat und dass der Bundesarbeitsminister diesen Mindestlohntarifvertrag bald für allgemein verbindlich erklären wird. Da unterbricht mein Bruder mich recht ungeduldig: „Erzähl mir nichts! Es hat sich nichts verändert. Was ich jeden Tag höre, das ist ganz anders als das, was du da erzählst!“

„… es hat sich nichts verändert!“ – Wie gern würde ich widersprechen – aber er hat Recht!

Die Botschaft der Bibel ist eindeutig: Gott lässt die Armen zu ihrem Recht kommen. Gott steht auf der Seite der Kleinen und Schwachen. Dann muss die Kirche genau dort stehen. Denn eine Kirche, die nicht dient, dient zu nichts!

Nach den Worten unseres Papstes muss unsere Kirche zuallererst eine „arme Kirche für die Armen“ (EG 198) sein, die an die Ränder der Gesellschaft geht. Ihm sei eine verbeulte und beschmutzte Kirche, die auf die Straße geht, lieber als eine Kirche, die sich verschlossen und bequem an die eigenen Sicherheiten klammere. Zu den Bedürftigen zählt er auch die Opfer neuer Formen von Sklaverei wie die Ausgebeuteten in der Arbeitswelt und der Prostitution. Es gebe viele Arten von Mittäterschaft, so der Papst; das bequeme Schweigen zähle dazu.

Im Buch Exodus in der Bibel heißt es: „Einen Fremden sollst du nicht ausnützen oder ausbeuten, denn ihr seid selbst in Ägypten Fremde gewesen.“ Mit Blick auf unsere Heimat könnte man sagen: „… eure Vorfahren sind selbst Hollandgänger gewesen, ausgebeutet und verachtet!“ Es geht anders! Es geht besser! Es gibt keinerlei Rechtfertigung für moderne Sklaverei und Mietwucher in dieser Region und nirgendwo. In dieser unmenschlichen Maschinerie von Ausbeutung und Abzocke will ich Sand im Getriebe und Bremsklotz sein! Sind Sie dabei?

Cloppenburg, 25.03.24

Peter Kossen

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