Daniel Behruzi (jW) blickt zurück auf die Streiks 2016 – ein Kommentar

Konflikte, die bleiben

Jahresrückblick 2016. Heute: Streiks. Trend zu fragmentierten Arbeitskämpfen setzt sich fort. Große Unterschiede zwischen Industrie- und Dienstleistungsbranchen

Quelle: www.jungewelt.de/2016/12-27/058.php

Anmerkung:

Das ist eine bemerkenswert präzise Zusammenfassung des gewerkschaftspolitischen Geschehens von 2016!

Der Klassenkampf, Marx präzisierte es als betrieblichen Guerillakampf der Gewerkschaften, in den Betrieben nimmt von Jahr zu Jahr zu. Und eine Milderung des Klassenkampfes zurück zu Zeiten des rheinischen Kapitalismus wird es nicht geben!

Die Zahl der LeiharbeiterInnen und WerkverträglerInnen nimmt von Jahr zu Jahr zu. Aber es gibt keine Appelle an das Solidaritätsgefühl und keine Mobilisierung, weder bei IGM und IG BCE, noch bei den anderen Gewerkschaften, um die Lage der Prekären zu verbessern!

Sie lassen sich für Zusagen der Arbeitsplatzsicherheit den gewerkschaftlichen Boden unter den Füßen wegziehen – bei outsourcing, bei Ausweitung von Leiharbeit und Werkverträgen. Hauptsache, die Lage der Stammbelegschaft ist (scheinbar) gesichert.

Während die einen immer mehr in Existenzkämpfe geraten, macht die IGM weiter ihre Rituale mit Warnstreiks, die ihnen vielleicht Mitgliedereintritte bringt. Die IG BCE macht nicht mal Warnstreiks, sondern strotzt nach der Beseitigung der innergewerkschaftlichen Opposition vor ca. 40 Jahren vor Sozialharmonie. Ihren einzigen Streik seit 45 Jahren in dem kleinen Plastik-Betrieb Neupack hat sie absichtlich verloren, weil sie die sozialpartnerschaftlichen Grenzen nicht überschreiten wollte.

Das Solidaritätsprinzip „Einer für alle, alle für einen“, das an der Wiege der Gewerkschaften stand, ist den Gewerkschaftsvorständen und – apparaten völlig fremd geworden. Stattdessen scheinen sie sich das Prinzip: „Jeder stirbt für sich allein“ auf die Fahnen geschrieben zu haben.

Wo bleibt die Solidarität über die Grenzen der Einzelgewerkschaften hinweg?

Wo bleibt die Unterstützung für die Amazon-KollegInnen,
die seit über drei Jahren mehrfach im Jahr für einen Tarifvertrag streiken?

IGMler und IG BCEler und ihre Familien werden anscheinend niemals krank und müssen ins Krankenhaus. Deshalb brauchen sie nicht solidarisch zu sein bei Arbeitskämpfen der KollegInnen aus den Krankenhäusern um Quotierung, dh besserer Versorgung der PatientInnen und Entlastung des Pflegepersonals.

Bei den Kämpfen zum Tarifvertrag Entlastung im Krankenhaus im Saarland werden wir sehen, ob sie weiter mit den Eliten von Kapital und Staat sich auf Empfängen und Tagungen tummeln oder ob sie mobilisieren für den Klassenkampf in den Krankenhäusern im Saarland – und anderswo.

Zu der vom Kollegen Behruzi benannten Kritik ist noch die materielle Schädigung der LeiharbeiterInnen in Deutschland hinzuzufügen, die diese durch die Minderbezahlung durch die von den DGB-Gewerkschaften (hauptsächlich IGM) abgeschlossenen Tarifverträge mit IGZ und BAP erleiden und außerdem die Verweigerung der Kampfaufnahme gegen Fertigmacher/Union Buster! Stattdessen passiert außer etwas Aufklärung nur Appelle an den Gesetzgeber und Verweis auf Rechtsschutz an die betroffenen Mitglieder. Der Fehdehandschuh des Kapitals wird nicht aufgenommen! Es wird keine zentrale Stelle eingerichtet, die alle Fälle von Fertigmachern/Union Busting sammeln und veröffentlichen und keine Anti-Union-Busting-Feuerwehr zur Unterstützung von Betroffenen und Gewerkschaftssekretären vor Ort! Man übt sich weiter in unverbrüchlicher Treue zum Sozialpartner, aus Angst, man könnte ihn verprellen.

In seinem Jahresrückblick für 2015, auch in der Jungen Welt hatte der Kollege Behruzi noch optimistischer geklungen: „Das ist auch gleich die erste Lehre aus den Streiks 2015: Die »Konfliktpartnerschaft«, wie der Soziologe Walther Müller-Jentsch die Verhältnisse zwischen Kapital und Arbeit in der Bundesrepublik einst bezeichnete, hat ihren Charakter geändert. Die »Sozialpartnerschaft« vergangener Tage, die höchstens durch stark normierte und ritualisierte Konflikte unterbrochen wurde, ist passé.“

Nun, es gibt Unterschiede zwischen den Einzelgewerkschaften, Behruzis Beobachtungen, verdi betreffend sind durchaus richtig. Aber ihren Klassenstandpunkt, daß sie Sozialpartner des Kapitals sind, werden sie bewahren. Noch weiter festgeschrieben haben sie das 2016, als sie die Zukunftspakte 4.0 mit der Industrie, federführend die IGM im Pakt Industrie 4.0 und verdi in Dienstleistung 4.0. Darin gehen sie quasi eine Symbiose ein mit Kapital und Regierung. Das Interesse von denen ist natürlich, daß die Gewerkschaften bei zukünftigen Kämpfen, wo es um die Modernisierung der deutschen Wirtschaft und den Ausbau der Marktstellung in Europa und der Welt geht, ihre Rolle wahrnimmt, für den sozialen Frieden in den Betrieben zu sorgen. Um diese Rolle zu spielen, müssen sie ganz schön flexibel sein.

 

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