Kommentar von Brigitte (Cuba Si) zum Jour Fixe 167 zur Situation in Nicaragua

Diesen Kommentar habe ich am 12. 9. 2018 an Dieter geschickt, er ist also vor dem letzten Rundbrief verfasst und bezieht sich daher nicht auf die dortigen Kommentare.

Lieber Dieter,

für deinen nächsten Rundbrief und für eure Webseite mein Kommentar zur Nicaragua-Veranstaltung:

Bereits im Juli hattest du unter dem Betreff “ LETZTE MELDUNG ++ einsatz von cubanischen militärs in nikaragua“ gefragt, ob Cuba Sí nicht gegen diesen Einsatz protestieren will. Ich hatte dich um deine Quelle für diese Behauptung gebeten und du hast mir von Juergen Steidinger weitergeleitet, dass die Nationalversammlung einem Dekret zugestimmt hätte, das ausländischen Truppen verschiedener Nationalitäten erlaubt, in Nicaragua zu operieren. Er schrieb: „Bei den Truppen handelt es sich um Truppen aus Venezuela, Cuba, Russland, China Taiwán, USA, El Salvador, Honduras, Guatemala und Dominikanische Republik. Gleichzeitig wurde damit autorisiert, dass nicaraguanisches Militaer zu Uebungen und zur Fortbildung nach Russland, Panamá und México geschickt werden kann.“

USA und Cuba in gemeinsamer Aktion?

Meine Recherchen habe ich dir dann mitgeteilt: Das mit kubanischem Militär, welches sich an der Niederdrückung von Protesten beteiligt, ist Quatsch. Richtig ist, das im Jahre 2017 ein Gesetz verabschiedet wurde, welches die Präsenz von ausländischem Militär für die Drogenbekämpfung und zu Ausbildungszwecken zuließ. Infolge waren zeitweise US- und russische Soldaten in Nicaragua. Darüberhinaus gab es ein Kontingent zu Ausbildungszwecken der sandinistischen Armee und Polizei aus Mexiko, Kuba und Venezuela – in etwa 50 Kubaner. In Moment gibt es eine konzertierte Aktion der Konterrevolution gegen die sandinistische Macht in Nicaragua. Hintergrund ist die geostrategische Frage des Kanalbaus. Der vom Sandinismus abtrünnigen scheinbar linken Formation, die von der US Botschaft und der Ebertstiftung finanziert wird, fällt die Aufgabe zu, im linken Publikum gegen den Sandinismus Stimmung zu machen.“

Juergen Steidinger hielt mich daraufhin für uninformiert, weil es um ein Dekret aus dem Jahre 2018 ginge. Dass es sich 2018 um eine schlichte Verlängerung über den 30.6.2018 hinaus handelte, kam ihm nicht in den Sinn.

Als weiteres Argument für die Beteiligung von Kubanern nannte Juergen Steidinger, „dass am Wochenende bekannt geworden ist, dass unter den „paramilitares negras“ (den Spezielkraeften) und Scharfschuetzen auf seiten der Regierung Ortega CUBANER beteiligt sind“ und „in der Universitaet UNAN in Managua Studenten bemerkt hatten, dass einige der „paramilitares“ auslaendischen Akzent, wie Cubaner, sprachen.“

Also Quelle Hörensagen

Es würde mich überhaupt nicht wundern, wenn Kubaner beteiligt wären, dann aber Exilkubaner aus Miami, die bisher immer Konterrevolutionäre unterstützt haben und vor Morden nicht zurückgeschreckt sind. Die sprechen im übrigen auch mit kubanischem Akzent. Und es sind ja die Bilder durch die Presse gegangen, dass studentische Anführer des Aufstandes in Nicaragua sich mit den rechtesten Politikern in den USA und Repräsentanten der Exilkubaner getroffen haben. Über neue Pläne der USA für Lateinamerika findet ihr unter http://www.voltairenet.org/article201150.html r den Artikel „Der „Meister Schlag“ der USA gegen Venezuela“ von Stella Calloni, am Schluss des Artikels ein Link zum Originaltext des US-Südkommandos.
Stella Calloni ist eine argentinische Schriftstellerin, die die Verbrechen der USA gegen die Völker Lateinamerikas in ihrem Buch „Operación Cóndor – Lateinamerika im Griff der Todesschwadronen“ veröffentlicht hat und die ihr Buch gewidmet hat „Für alle, die ihre Hände in die Wahrheit gesenkt haben und die den Mut hatten, sie zu erzählen in Büchern, Artikeln, Notizen, Anzeigen, welche die Grundlage für diesen Versuch bildeten, die Fragmente wieder zusammenzusetzen. Für die Hinterbliebenen der Opfer, weil sie kein Schweigen erlauben.“

Bei dieser „Beweislage“ im Vorraum der Veranstaltung eine Tafel mit der Behauptung der Beteiligung von Söldnern (nachgewiesen auch Cubaner) aufzustellen, ist einfach unverschämt. Genauso unverschämt wie die Dramaturgie der Veranstaltung mit zwei einseitigen langen Referaten und der Gestattung nur von Nachfragen, aber zunächst keinen Diskussionsbeiträgen. Die Referate waren voller Mutmaßungen und Psychologisierungen, nicht klassenbasiert und ohne Einordnung in die Situation Lateinamerikas, die Antworten waren ausweichend (z.B. zur sozialen Basis des Aufstandes, ob Gewerkschaften und Organisationen der Arbeiterbewegung und der Landbevölkerung beteiligt seien. Bei der Frage nach der sozialen Basis der Studenten kein Hinweis auf Privatunis). Auch das berechtigte Interesse, authentische Meinungen von Menschen aus Nicaragua zu hören, wurde enttäuscht. Die anwesenden jungen Frauen, die sich zu Wort meldeten, bezeichneten sich als politisch uninteressiert.

Wieso diese Focussierung auf Kuba?

Du, Dieter, hast ja sogar eine Grußbotschaft Kubas zum Jahrestag der Revolution Nicaraguas so interpretiert, dass sich Kuba mehr und mehr involviert. Finde ich übertrieben. Aber richtig ist, dass Kuba nicht nur Grußbotschaften schickt, sondern solidarisch mit Nicaragua ist und handelt. Das ist eine Position, die ich teile. Ich hatte dir vor der Veranstaltung geschrieben: Mir ist das zu einfach, dass ein Diktator allen seinen Willen aufgezwungen haben soll, eine irreguläre Armee geschaffen, Landbesetzungen organisiert und eine Politik des Terrors etabliert haben soll. Wer sind denn die vermummten Attentäter? In der Juni-Ausgabe der Granma Internacional gibt es einen Artikel, wie sich die Bilder, die in Kiew, Caracas und Managua aufgenommen wurden, gleichen. Und es wird auf das Buch der sozialen Bewegung Otpor aus Serbien „Gewaltfreier Kampf in 50 Punkten“ hingewiesen, „das genauso wie die Handbücher von Gene Sharp, Bob Helvey und Peter Ackerman – und noch mehr als diese – zur „Bibel“ der umstürzlerischen und terroristischen Bewegungen in den arabischen Ländern und in Lateinamerika wurde.“ In dem Artikel heißt es u.a. „Die venezolanischen und nicaraguanischen Terroristen haben die Organisation und die militärische Ausrüstung des ukrainischen Maidán nicht kopiert. Aber diejenigen, die sie gefördert, finanziert und angeführt haben, sind die gleichen, die seit Jahren versuchen, die Bolivarische Revolution zu stürzen, und die Ausführenden haben natürlich dieselben Lehrer.“ In der gleichen Ausgabe der Granma Internacional gibt es auch einen lesenswerten Artikel eines Autors aus Costa Rica zur Situation in Lateinamerika: „Kehrt die Ära der Interventionen zurück?“

Als mir dann von Juergen Steidinger darauf erwidert wurde, was das Zitieren von der guten alten Granma angeht, ist natuerlich etwas sehr naiv – „wer pisst sich schon ins eigene Bett“ !, habe ich die Korrespondenz beendet. Das Netzwerk Cuba, dessen Mitglied Cuba Sí Hamburg ist, und dessen Position ich teile, hat folgende Stellungnahme zu Nicaragua veröffentlicht:

http://www.netzwerk-cuba.de/wp-content/uploads/2018/08/NwC-PM-Nicaragua-2018-08-01.pdf

In der Hoffnung, dass ein Arbeitskreis wie ihr sich wieder an den Interessen der armen Bevölkerung orientiert, zur Klassenanalyse zurückkehrt und der Welt berichtet, was tatsächlich geschieht, grüße ich dich und deinen Arbeitskreis.

Brigitte Schiffler

Für alle, die es interessiert, hier noch ein paar Hinweise auf Texte:
1) aus Nicaragua
a) Rede eines Schriftstellers aus Nicaragua zum 39. Jahrestag der Revolution: Nicaragua: Definitionssache
Über den gezielten Einsatz bestimmter Begriffe im Versuch eines „Regime Change“ in Nicaragua

https://amerika21.de/blog/2018/07/207732/nicaragua-definitionssache

b) von Carlos Fonseca Terán, stellv. Sekretär für internationale Beziehungen der FSLN
https://amerika21.de/blog/2018/06/203699/nicaragua-revolution-gefahr

2) Zur Rolle der Soli-Bewegung

https://amerika21.de/2018/07/208468/nicaragua-solidaritaet-solibewegung-debat
https://amerika21.de/analyse/208838/nicaragua-lateinamerika-rollback

3) Stimmen aus der Nicaragua-Solidaritätsbewegung

a) Nicaragua-Forum Heidelberg
https://amerika21.de/blog/2018/06/202777/nicaragua-luegen-gewinnen
https://www.nicaragua-forum.de/meldungen/2018/solidaritaet-konflikt.html

-b) Zeitschrift von Wolfgang Herrmann, Verein zur Förderung der deutsch-nicaraguanischen Freundschaft Nueva Nicaragua
Er schreibt: es haben sich viele Informationen angesammelt. Manches ist nicht mehr aktuell, vermittelt aber eine Bild, wie Nicaragua zur „Nomalität“ zurückkehrt. Ich teile die Auffassung, dass Normalität nur das sein kann, was Nicaragua vor dem 18. April war. Dorthin zurückzukehren, wird lange dauern.

http://www.nuevanicaragua.de/

One Reply to “Kommentar von Brigitte (Cuba Si) zum Jour Fixe 167 zur Situation in Nicaragua”

  1. Liebe Brigitte,
    Du und Wolfgang von Cuba Si waren zu unserem Jour Fixe gekommen. Ich gehe davon aus, daß Deine Kritik an unserem Jour Fixe in Absprache mit den übrigen GenossInnen von Cuba Si Hamburg geschah.
    In diesem Moment möchte ich nur eingehen auf den letzten Satz Deiner mail:
    In der Hoffnung, dass ein Arbeitskreis wie ihr sich wieder an den Interessen der armen Bevölkerung orientiert, zur Klassenanalyse zurückkehrt und der Welt berichtet, was tatsächlich geschieht, grüße ich dich und deinen Arbeitskreis.

    Wenn wir Partei ergreifen in unseren Jour Fixe Infos und mit der Veranstaltung am 5.9., so in der Absicht, über den Volksaufstand seit dem 18. April zu informieren. Wir orientieren uns dabei ausschließlich „an den Interessen der armen Bevölkerung“, denn diese geht seit dem 18. April auf die Straße, baute Barrikaden: Rentner, enteignete Bauern, Frauen und Jugendliche, von denen die meisten keine Perspektive haben.
    Wir ergreifen nicht Partei – wie ihr – für die Reichen im Lande, die Millionäre, zu denen der Ortega-Clan gehört.
    Wir ergreifen Partei für die Armen, Ausgebeuteten und Opfer des Herrschaftsregimes von Ortega.
    Wir fühlen uns bestätigt und ermutigt durch Kenner der Lage in Nicaragua aus Deutschland wie Manfred Liebel, Juergen Steidinger, Matthias Schindler (Gründer des Hamburger Nicaragua-Vereins), Claus Reichelt. Und durch viele Stimmen aus Nicaragua, die die Repressionen des Regimes schildern. Und auch durch die Commandantes der alten Garde selbst, die sich von Ortega abgesetzt haben, daruner sein eigener Bruder.
    Wir berichten, was tatsächlich in Nicaragua geschieht, daß der Großteil des Volkes, besonders die Jugendlichen, sich erhoben hat. Und wir berichten nicht wie ihr, daß es ein Werk des CIA ist, daß ein Volk aufsteht. (Natürlich mischen die USA mit wie bei allen „Unruhen“ in der Welt).

    Rosa Luxemburg hat den oft zitierten Satz gesagt: Zu sagen was ist, ist die revolutionärste Tat. Ich möchte auf euch bezogen den Satz ändern und sagen: Zuhören und Ohren und Augen öffnen ist die revolutionärste Tat.

    Gruß von Dieter

    PS
    Wir sind kein Arbeitskreis sondern eine Organisation (kleine Gruppe) mit den monatlichen Veranstaltungen, dem Jour Fixe Info und der Unterstützungpraxis bei betrieblichen Kämpfen.

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