Rezo, FFF, CFF, AAO* – Stimmen des Aufbruchs. Und Stimmen von der hilflosen Seite: Albrecht Müller und Andrea Nahles

(*FFF=fridays for future. CFF=Change for future. AAO=Antifa Altona Ost)
Fridays for Future
Fridays for Future

Millionen Klicks beim youtuber Rezo

Es kann durchaus sein, dass von den zehn Millionen Menschen, meistens jüngere, die bis zum Wahl-Sonntag das Video von Rezo gesehen hatten, so manche deshalb überhaupt zu Wahl gegangen sind und nicht CDUCSUSPDFDP gewählt haben. Mag sein, dass das Video ein wenig dazu beigetragen hat, diese Parteien in der Alterskohorte der Jugendlichen (bis 30 Jahre) zu Klein- oder Kleinstparteien zu schrumpfen. Man darf auf jeden Fall nicht übersehen, dass Rezo das Bewusstsein vieler Jugendlicher widerspiegelt. Gerade, weil er ein besonders aufgeweckter und lernfähiger Mensch ist.

Deshalb: Auch ohne Rezo dürften die Wahlergebnisse ähnlich ausgefallen sein. Seine Funktion war es, für mehr Klarheit gesorgt zu haben, es auf den Punkt gebracht zu haben.

Rezo selbst (Spiegel-Interview/Titelstory vom 31.5.2019) schätzt seine Rolle bescheiden ein und eine Umfrage gibt ihm recht: Für 85 % der Befragten stand ihre Wahlentscheidung fest, nur für 9 % war das Video wichtig.

Die Grünen haben einen großen Vertrauensvorschuß in allen Altersklassen erhalten, besonders aber bei den Jugendlichen. Habeck, der Vorsitzende der Grünen, sagte: „Wir haben eine Hoffnung geweckt, die jetzt erfüllt werden muß“. (Hamburger Abendblatt vom 28.5.2019).

Einzigartig „grün“ ist die Situation in Stuttgart: Grüner Oberbürgermeister, Grüner Ministerpräsident, Grüner Regierungspräsident, Grüner Gemeinderat, Grüne Regionalversammlung.

Der Vertrauensvorschuß beruht auf einer Illusion der Grünen-Wähler. Sie glauben, was die Grünen vorgeben: Eine Partei zu sein, die ökologische Forderungen innerhalb des Kapitalismus durchzusetzen vermag. Das war vielleicht noch zu Gründungszeiten der Grünen, also ab 1979, eine glaubhafte reale Option solange der sozialistische Flügel dominierend war.

Heute sind sie eine neoliberale Partei, deren Spitzenkräfte hohe schauspielerische Leistungen aufbringen, um die Illusionen aufrecht zu erhalten.

Es wird spannend sein zu beobachten, wie schnell die aufgeweckte Jugend dahinter kommt, das heißt, sich desillusioniert.

Ein Vergleich bietet sich an, die SPD zu betrachten. Wie sie durch ihre Hartz IV- und Privatisierungspolitik sich bei Wahlen gedrittelt hat (Gesamtergebnis EU-Wahl) – und bei Jugendlichen zu einer Splitterpartei geworden ist.

Auch die SPD stand mal dafür, im Kapitalismus wirkliche soziale Reformen zu realisieren oder zumindest Schlimmeres – durch CDU/FDP – zu verhindern. Dafür wurde sie lange Zeit gewählt. Wir dürfen bei den Jugendlichen wegen ihrer Aufgewecktheit und Lernfähigkeit auf eine schnellere Desillusionierung hoffen.

Warum die Illusionen in die Grünen und den Parlamentarismus?

Die Frage geht jedoch tiefer: Warum setzt die Bevölkerung, auch die Jugend, ihre Hoffnung bei der Durchsetzung ihrer Wünsche und Forderungen auf Abgeordnete, Parteien, Parlamente?

Einfach, weil dieses System da ist und vertraut ist, weil dieses System in der Schule, den Medien, von der Politik als alternativlos dargestellt wird. Und es gibt ja vor, das Wahlvolk habe Einfluß: Einfach ein – bzw massenhaft in einer anderen Richtung – Kreuzchen auf dem Wahlzettel – ähnlich wie ein Klick auf die Computer-Taste – schon beeinflußt man Politik im gewünschten Sinne, diese Hoffnung zumindest ist vorhanden.

Aber das System ist nicht für die Wähler gemacht sondern für die herrschende Klasse, es ist ein Beherrschungssystem, die Demokratie ist nur eine „formale Demokratie“.

Dass die Parteien dann im Sinne des Kapitals, „der Wirtschaft“, funktionieren, dies nicht nur zu erkennen sondern daraus auch Konsequenzen zu ziehen, das ist ein äußerst unbequemer Weg! Denn er beinhaltet, eigenes und dauerhaftes Engagement zu entwickeln, Verantwortung zu übernehmen und sich zu organisieren.

Da sind Bewegungen wie Antifa-Altona-Ost, Ende Gelände/Hambacher Wald einen Schritt weiter als FFF (fridays for future)! Bei letzterer gibt es noch eine starke Fixierung auf das Parlament und auf Umwelt-Experten, eine Phase, die vielleicht notwendig erst einmal durchlaufen werden muß. Mit den Experten wollen sie „der Politik“ beweisen, dass diese Unrecht hat und umdenken müsse. Immerhin gehen die Aktivitäten von FFF schon deutlich über das Kreuzchen auf dem Wahlzettel hinaus.

Im Verhältnis zu den Experten drücken sich – vielleicht zu Anfang unumgängliche – Illusionen zum Parlamentarismus aus. FFF hat kein nützlich-taktisches sondern ein illusionäres Verhältnis zu den Experten. Taktisches Verhältnis hieße, sich schlau zu machen, aber nicht das Expertenwissen an sich schon als den Schlüssel zu betrachten, der die Parteien zur Umkehr in der Klimapolitik bewegt. Die Parteien werden sich weder als Verbündete noch als Ansprechpartner für die Anliegen von FFF erweisen, sondern sogar als deren Gegner.

Einen Lichtblick stellt CFF (Change for Future) dar, die ohne derartige Illusionen, das heißt Parlaments- und Expertenfixierung agieren.

Die Frage bleibt: Wie wird sich die FFF-Bewegung nach und durch ihre Desillusionierung organisieren?

Schauen wir uns Reaktionen auf die Bewegung FFF an

a) Albrecht Müller auf den Nachdenkenseiten:

„Nachruf auf die SPD – obwohl es eigentlich leicht wäre, diese alte Partei und ihre Chancen wiederzubeleben“
https://www.nachdenkseiten.de/?p=52113

Anmerkung DW:
Das ist der erste faux-pas von Albrecht Müller: Er bringt einen Nachruf auf die SPD, sie ist also tot. Aber dennoch, schreibt er, „wäre es eigentlich leicht“, diese Leiche „wiederzubeleben“. Da fragt man sich schon: Wie geht das, Herr Müller?

Albrecht Müller: „Zum Niedergang der SPD und was sie immer noch machen könnte

Die NachDenkSeiten haben in den vergangenen Monaten und Jahren, ja fast seit zwei Jahrzehnten, immer wieder geschrieben und beschrieben, warum die SPD immer weiter an Zustimmung verliert: weil sie ihren Gestaltungsauftragvernachlässigt, weil sie ihr Profil geschliffen hat – das gilt sowohl für das friedenspolitische als auch für das soziale Profil und sogar für das wirtschaftspolitische Profil mit dem Schwerpunkt Beschäftigungspolitik –, weil sie ihre Pluralität, die beim Anspruch, eine Volkspartei sein zu wollen, wichtig ist, eingedampft hat, weil – um dies konkret zu formulieren – seit Jahren die Seeheimer kombiniert mit den Netzwerkern diese älteste Partei dominieren, weil die Strahlkraft und politische Attraktivität der Führungspersonen ausgesprochen dünn geworden ist.“

Anmerkung DW:
Albrecht Müller spricht von Gestaltungsauftrag. Damit meint er wohl, dass die SPD eine Partei sein sollte, die im Kapitalismus eine fortschrittliche, humane Politik machen sollte. Wie zu „seiner Zeit“, als er unter den Kanzlern Brandt und Schmidt ein wichtiger Mann war. Er mag nicht anerkennen, dass der Gestaltungsauftrag des Kapitals an die SPD ist, eine neoliberale Politik mit zu vollstrecken wie von CDUCSUFDP und GRÜNEN auch. Und er mag nicht anerkennen, dass in Deutschland links-sozialdemokratische Politiker wie Corbyn und Sanders in der SPD nicht hochkommen können. Aber von dieser Illusion mag Müller nicht loslassen – schade.

Albrecht Müller spricht vom Profil, das der Partei verloren gegangen ist, vom sozialen, friedenspolitischen, wirtschaftspolitischen. Profil ist etwas Äußerliches, an dem die Partei aus der Distanz erkennbar ist, vom Wähler. Müller denkt also, dass die Partei einen anderen Mantel, den der 70er Jahre, überstreifen könne – und dann wieder gewählt wird, wie damals. Und dass natürlich die richtigen GenossInnen den Mantel tragen müssen, die Führungsgarnitur ausgetauscht werden muß – so seine Forderung.

Albrecht Müller:„Die Stärkung der Grünen könnte die Abkehr der Grünen von ihrer ursprünglichen friedenspolitischen Basis verstärken.“

Anmerkung DW:
Albrecht Müller hat wohl noch ein etwas idealisiertes Bild von der Basis der Grünen. Zumindest beim Krieg gegen Jugoslawien 1999 war die Basis nicht „friedenspolitisch“ gestimmt. Und auch nicht bei den folgenden weltweiten Truppen- und Kriegseinsätzen der Schröder-Fischer Regierung.

b) Was nun, Frau Nahles? ZDF-Sendung vom 27.5.2019

https://www.zdf.de/politik/was-nun/was-nun-frau-nahles-27519-100.html

Anmerkung DW:
Bei Müller und Nahles das gleiche Denken, ein sozialdemokratisches eben. Sie sagt: Huch, ich habe einen Fleck auf meiner Bluse und die muß auch mal gebügelt werden. Dann bin ich wieder schick. Und dann hat sie noch eine Zusatz-Argumentation zu ihrem ehemaligen Parteigenossen Müller: Als ehemals Regierende sagt sie, dass die sinkende Zustimmung zur Partei ein Vermittlungsproblem sei. Das ist natürlich eine geschickte Argumentation, weil sie Selbstkritik impliziert und Doofheit der Wähler.

c) Der Riss in der Matrix

Aaron Richter, Leiter der Rubikon-Jugendredaktion , schreibt: „Der YouTuber Rezo schafft den Spagat zwischen trockener Quellenlektüre und spaßigem Jugendjargon — und politisiert eine Generation. Über die Fridays for Future, über die Debatte um die Urheberrechtsreform – Artikel 13 respektive 17 – und auch über dieses Video von Rezo politisiert sich die deutsche Jugend gerade!“

Anmerkung DW:
Das ist eine krasse Fehldeutung von Aaron Richter. Weder Rezo noch Greta Thumberg politisieren eine Generation. Andersherum: Sie sind Ausdruck einer sich politisierenden Generation. Sie sind initiativ, kreativ, und bringen es auf den Punkt, das ist ihr Verdienst. Dass die Generation sich politisiert ist „nur“ eine Reaktion auf die sich verschlimmernden Verhältnisse und das Versagen von Politik und Parlamenten. Das Unvollkommene bei der Jugendbewegung FFF ist, was noch überwunden werden muß, dass sie von eben dieser Politik und diesen Parlamenten, unterstützt durch Wissenschaftler, die Lösung dieser Konflikte erhofft. Und sie nicht als Teil des Problems, nämlich als Ausführende sieht, die den Konzernen, dem gesamten kapitalistischen System die gesetzlichen Wege geebnet haben, auf denen diese ökologische Krise angerichtet wurde.

Jandl würde sagen: Werch ein Illtum! In ihrer politischen Unerfahrenheit macht FFF den Bock zum Gärtner. Als wenn man die Politiker, Parteien und Parlamente, unterstützt durch Wissenschaftler, nur zu überzeugen brauchte! Alle Politiker und Parteien wissen genau, was sie tun: Sie kennen die Interessen der Wirtschaft und vollstrecken sie. Und müssen sich den Wählern, jetzt den jugendlichen ProtestiererInnen, gegenüber als Umweltbewahrer geben – eine hohe schauspielerische Leistung. Augenblicklich sind die Grünen hier die Meister.

FFF: Erfreuliches und Unzulängliches

Das Positive und sehr Erfreuliche an FFF ist, dass es ein weltweiter Jugendprotest ist, ein umfassender Protest gegen die Bedrohung durch die Klima-Krise mit der Erkenntnis, dass es um´s Ganze geht. Unzulänglich ist, dass es eine Einpunktbewegung ist und nicht die soziale Frage einbezieht. Unzulänglich ist ebenfalls noch, dass es ein Protest ist, der glaubt, oder wenigstens hofft, dass seine Forderungen, unterstützt von Wissenschaftlern, durch Politiker und Parlamente erfüllt werden können. Die Weiterentwicklung zu einem Kampf gegen die Wurzeln des Übels, das kapitalistische System, steht noch aus. Schwer einzuschätzen, in welcher Ferne so eine Entwicklung passieren könnte. Vielleicht müssen Politiker und Parlamente ja erst mal „vorgeführt werden“, um sie in den Augen der Aktivisten und breiter Bevölkerungsschichten zu delegitimieren.

Überlegung zum Verhältnis der frisch politisierten Jugendbewegung zu „systemkritischen“ Älteren

Damals, nach der 68er Bewegung, fanden wir Jüngeren in den „alten Genossen“ aus der Weimarer Zeit unsere erfahrenen Begleiter im Kampf gegen Kapital und Staat.

Eine Genossin sagte vor dem Hintergrund ihrer Erfahrung mit Jugendlichen von FFF: „Für uns war es damals Anfang der 70er Jahre was ganz Besonderes, die Begegnung mit Älteren, die in der Nazi-Zeit in der Emigration waren oder aus dem KZ kamen: Wir waren ehrfürchtig und voller Respekt. Wir suchten ihre Nähe wegen ihrer Erfahrung“. Diese Älteren, aktive Anti-Nazis und nur eine kleine Minderheit unter der breiten Bevölkerung, welche die Nazi-Zeit totschweigen wollte, waren Hoffnungsgeber für die gegen diese Verhältnisse und dieses geistige Klima aufbegehrenden jungen Leute der 70-er Jahre.

Das Verhältnis der heutigen politisierten Jugend, nicht nur von FFF, auch von anderen politischen Gruppen zu den „systemkritischen“ Älteren, ist ein anderes, was besonders jetzt bei FFF deutlichwird. Sie sind anklagend gegen die älteren Generationen: „Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut“. Die Jugendlichen von heute sind unspezifisch eingestellt gegen die älteren Generationen, wo sie erst mal keine Verbündeten sehen sondern Versager, die ihnen die Klima-Katastrophe eingebrockt haben. Der Vorwurf trifft für die ältere Generation „als Ganzes“ ja auch zu, lässt aber außer Acht, dass auch heute in den älteren Generationen Bundesgenossen zu finden sind, deren politische Erfahrungen im Kampf gegen Kapital und Staat sehr nützlich sein können.

Dieser Konstellation widerspricht auch nicht, dass sich kurz nach FFF Initiativen gebildet haben: Parents for future, Scientist for future und Erzieher for future.

Ausblick

Die 68er Generation interessierte sich sehr für die Vergangenheit: Die Nachkriegsvergangenheit, die Nazi-Zeit, die Arbeiterbewegung. Heute scheint noch wenig oder kein Interesse der FFF-Jugend für diese Zeit vorhanden, genau so wenig wie für das Aufkommen der Ökologie-Bewegung in den 70er Jahren und das Aufgehen dieser Bewegung in die Grüne Partei.

Auch die Geschichte der Grünen von einer Friedens- zu einer Kriegs- und neoliberalen Partei scheint kaum Interesse zu finden, sonst wären die Grünen nicht in Deutschland in der Europawahl 2019 zur zweitstärksten Partei geworden. Natürlich: bei einer Wahl kann nur gewählt werden, und mit dem Wahlkreuzchen Zustimmung bzw Ablehnung innerhalb der bestehenden „Scheindemokratie“ ausgedrückt werden. Wahrscheinlich hoffen eben noch sehr viele, mit der Wahl der noch nicht so sehr wie SPDCDUCSUFDP delegitimierten Grünen Partei die bedrohlichen Umweltprobleme ohne eigenes Engagement lösen zu können.

In den nächsten Monaten dürfte eine starke Ausdifferenzierung zumindest bei den AktivistInnen der FFF-Bewegung passieren. Einige werden – aus welchen Gründen auch immer – den Grünen anheimfallen, aber andere werden zu kritischen Positionen durchstoßen, die Verursacher der Klimakatastrophe erkennend, die Rolle der Parteien als systemimmanentes Instrument erkennend, diese Demokratie als formale und deshalb als Herrschaftsinstrument des Kapitals erkennend.

Dieter Wegner

Hamburg, im Juli 2019

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