Autokritische Rede von VW-Arbeiter Lars Hirsekorn auf Betriebsversammlung in Braunschweig

„Abandoned Car in Jamaica Bay 06/1973“ – U.S. National Archives – Fotograf Arthur Tress

Guten Morgen liebe Kolleginnen und Kollegen,

es sind schon denkwürdige Zeiten in denen wir da leben. Am Wochenende war ich mit meiner Kinderfeuerwehr im Zeltlager gewesen. Und auf der Fahrt dahin habe ich erst festgestellt, wie viele Bäume in unserer Region dieses Jahr nicht mehr grün geworden sind. Gestern bin ich dann einfach mal kurz durch Wipshausen, Neubrück und Didderse geradelt und habe ein paar Fotos gemacht. Die laufen jetzt im Hintergrund durch.

Als ich vor gut 25 Jahren in diesem Unternehmen angefangen habe, hatte ich nicht einmal einen Führerschein. Nicht, dass ich etwa ein Autohasser war, ich bin einfach nur in der Stadt immer Fahrrad gefahren und in andere Orte bin ich liebend gerne mit der Bahn gefahren. Da konnte ich während der Fahrt ganz entspannt Bücher lesen, oder auch eine Rede für die nächste Jugendversammlung schreiben. 1994, also noch unter Kohl, wurde aber auch die Deutsche Bahn AG gegründet, angeblich um die Bahn zu modernisieren.

2005, am Ende der Regierung Schröder war dann der öffentliche Nah- und Fernverkehr so weit ruiniert, das auch ich mich gezwungen sah, einen Führerschein zu machen und mir ein Auto zu kaufen. Der Autokanzler Schröder und sein olivgrüner Umweltminister haben im neoliberalen Privatisierungswahn hat nicht nur unsere Rente zerstört sondern auch die Deutsche Bahn weiterhin kaputt gespart.

In der ganzen Privatisierungsdebatte wird immer betont, dass sich die Bahn und alle anderen öffentlichen Einrichtungen wie Schwimmbäder, Krankenhäuser usw. angeblich rentieren müssten. Mit dem Argument der Unrentabilität wurden 2010 auch die Pläne für die RegioStadtBahn Braunschweig nach 14 Jahren Planung eingestellt. Das ist genau so ein Schwachsinn, wie die These, dass ein Krankenhaus Gewinn erwirtschaften müsste. Ein Schwimmbad muss sich nicht lohnen, der Gewinn ist doch, das die Kinder schwimmen lernen und sich gesund bewegen. Genau so wenig muss ein öffentlicher Verkehr Gewinn abwerfen. Umweltfreundliche Mobilität für alle, das ist gesellschaftlicher Reichtum, der ruhig aus Steuergeldern unterstützt werden darf.

In dieser Gesellschaft tun sich geistige Abgründe auf, für die der Marianengraben zur Beschreibung nicht mehr ausreicht.

Im Gegensatz zu den plumpen Behauptungen in dieser ausgelegten Werbebroschüre* sind nur die wenigsten Wissenschaftler der Meinung, dass private Elektromobilität umweltfreundlich sein soll. Die meisten sind der Meinung, dass allein der Aufbau der benötigten Infrastruktur soviel CO² produziert, das es ökologisch eine Katastrophe ist. Die Produktion der Elektroautos und der Akkus benötigt unglaublich viel Energie. Nicht umsonst will Volkswagen die Batteriezellenfertigung nur nach Salzgitter bringen, wenn der Staat auf die Energiesteuern so gut ganz wie verzichtet. Und woher kommt dann dieser enorme Strom, der für die Batteriefertigung benötigt wird? Aus den Kohlekraftwerken die noch fast 20 Jahre laufen sollen. Super, da haben wir richtig was gewonnen. Natürlich kann ein Elektroauto CO² neutral produziert werden, wenn sowohl die Produktion, als auch der Betrieb der Fahrzeuge über erneuerbare Energie geleistet werden. Wie viele Windräder wollen wir bei dem Ständig steigenden Strombedarf der Volkswagenflotte dann noch aufstellen? Wollen wir so weitermachen, bis selbst der Sonnenuntergang dahinter verschwindet? Das kann sich doch niemand ernsthaft wünschen.

Das Elektroauto oder auch der LKW ist keine Lösung unserer Probleme, sondern eine absolute Sackgasse. Volkswagen erpresst ja sogar den Staat, damit der Konzern die Umlage für Erneuerbare Energien nicht zahlen muss. Und wenn ich höre, das die grüne hessische Umweltministerin Priska Hinz völlig begeistert davon ist, die Autobahn mit Oberleitungen für LKW zu versehen, wird mir ehrlich gesagt ganz übel. Die geschätzten Kosten für 1000 Kilometer Autobahn liegen bei eine Milliarde Euro. Staatskosten versteht sich.

Die mittlerweile 28.000 Wissenschaftler die den Aufruf der Science for Futur unterschrieben haben, fordern aber jetzt gegenzusteuern und nicht erst mal noch einmal auf Teufel komm raus Kohle zu verfeuern. Genau das bedeutet aber der Ausbau der Elektromobilität.

Wenn Herbert Dies als Vorstandsvorsitzender gemeinsam mit Ministerpräsident Weil jetzt fordert, dass der Bund die Infrastruktur für die E-Autos bauen soll, kann ich nur laut und deutlich Nein Danke sagen. Nein, nein und nochmals nein. Nicht in meinem Namen. Wir müssen weniger Auto fahren und nicht anders. Wir brauchen Busse und Bahnen und nicht Millionen LKW. Warum sollte der Staat Elektroparks bauen, wenn wir nicht mal genug Kindergärten haben. Es kann doch nicht sein, das der Staat einen Millionär von der Steuer befreit, nur weil er sich einen Porsche Spider für 1,5 Millionen oder auch nur einen Tuareg für 80.000 Euro Leisten kann und will. Wer so große Autos fährt, soll gefälligst 5.000€ KFZ- Steuer im Monat zahlen anstatt auf null gesetzt zu werden nur weil es ein Elektro-Auto ist.

Wir brauchen einen wirklich attraktiven und günstigen öffentlichen Verkehr. Im Moment fährt der Bus doch nur für diejenigen, die nicht anders wegkommen. Wir brauchen schnelle Verbindungen, die alle 20 Minuten über die Dörfer fahren, nur noch ein- oder zweimal im Ort halten, aber dafür auch zügig voran kommen. Wir brauchen eine Zugverbindung zwischen Harz und Heide, die wie eine S-Bahn pendelt und nicht wie ein Bummel-Express. Das sind Aufgaben des Staates und nicht die Busspuren mit E-Autos zu verstopfen. Wir brauchen mehr Ärzte und Krankenhäuser auf dem Land, dann müssen die Menschen auch nicht ständig in die Stadt fahren.

Natürlich werden wir dann weniger Autos bauen und entsprechend weniger Arbeit haben. Dann müssen wir halt um Arbeitszeitverkürzungen kämpfen. Wir müssen weniger produzieren, wenn wir über kurz oder lang hier noch leben wollen.

Der Dieselbetrug und die Folgen hat den Volkswagen Konzern gute 30 Milliarden € gekostet. Das sind die Gelder gewesen, die wir in den letzten 20 Jahren versäumt haben gerecht zu verteilen.

Wir sollten im großen Stil über eine 30 Stunden Woche reden, anstatt darüber nachzudenken, was wir noch alles produzieren können.

Der Bahnvorstand hat erst kürzlich erklärt, dass die Politik der letzten 25 Jahre ein Fehler war und forderte den Bund auf, stillgelegte Strecken wieder in Betrieb zu nehmen und die Bahngesellschaften in eine Gesellschaft öffentlichen Rechts zu überführen. Geplant wird mit einem zusätzlichen Personalbedarf von 100.000 Menschen. Da ist zwar viel Spinnerei und leere Versprechung dabei, aber es macht allemal mehr Sinn als Steuergelder in einer Technik zu versenken, die nicht umweltfreundlich ist und deren Gewinne dann wieder in die Taschen der Millionäre fließen.

Damit wir den Kindern einen lebenswerten Planeten hinterlassen können.

Lars Hirsekorn, auf der Betriebsversammlung von VW am 27.6.2019 in Braunschweig

* Die erwähnte Broschüre heißt: „E-Mobilität im Fokus“ – Hrsg:Future Technology Communications Volkswagen Konzern Wolfsburg, 12 Seiten, Undatiert veröffentlicht Sommer 2019

One Reply to “Autokritische Rede von VW-Arbeiter Lars Hirsekorn auf Betriebsversammlung in Braunschweig”

  1. Als ich 1975 eine Berufsausbildung bei VW in Wolfsburg durchgeführt habe, habe ich den Untergang der Automobilindustrie in absehbarer Zeit prophezeit. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass der immense Verbrauch von Rohstoffen und Energie noch lange möglich sein wird. Jetzt, fast 50 Jahre später, muss ich leider feststellen, dass ich mich getäuscht habe. Resigniert muss ich zur Kenntnis nehmen, dass die Profitgier unseres Wirtschaftssystems solange weiter macht wie bisher, bis der letzte Tropfen und der letzte Krümel verbraucht und alles in problematische Abfälle und CO2 umgewandelt ist. Leider ist auch ein sehr großer teil der Bevölkerung davon überzeugt, dass alles so weiter gehen kann und sogar soll. Aber vor diesen Umständen resignieren, wäre die schlechteste aller Reaktionen. Also heißt es: Weiterkämpfen für einen Umbau unserer Gesellschaft zur nachhaltigen Wirtschaftsweise und sozialen Gerechtigkeit.

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