Interessantes und zu Kritisierendes bei Extinction Rebellion

Anmerkungen zu einem Artikel von Tino Pfaff (XR):

https://www.untergrund-blättle.ch/gesellschaft/oekologie/extinction-rebellion-xr-interpretation-darstellung-2272.html

Mit vielem stimmt man ja überein, beim ersten Durchlesen. Um den Text kritisch zu würdigen, müßte man auch weit ausholen und sieben Seiten schreiben. Hier nur einige kurze Anmerkungen zu den Kernaussagen. Der Autor, Tino Pfaff, ist aktiv im Bundespresseteam bei XR Deutschland. Deshalb ist es nicht irgendein Text sondern hat eine gewisse Repräsentativität.

Schon bei der Ursachenbeschreibung muß man kritisieren. Er schreibt: Es ist eine Tatsache, dass wir Menschen – mehr oder weniger freiwillig, mehr oder weniger bewusst – Teil eines ausbeuterischen Systems sind, welches seinen Wohlstand mittels Natur zerstörender, imperialistischer, neokolonialer und rassistischer Strukturen sichert. Er argumentiert also: „Wir Menschen“, er unterscheidet nicht zwischen Ausbeutern und Ausgebeuteten, als wenn es da nicht unterschiedliche Verantwortlichkeiten gäbe!

An anderer Stelle relativiert er sich selbst, wobei man ihm nur zustimmen kann:
An dieser Stelle ist relevant, dass die individuelle Verantwortung, nicht das Zentrum der Kausalketten planetarer Ausbeutung und Zerstörung ist. Die Verantwortung, die Politik und Wirtschaft tragen, übersteigt selbst die einer konsequenten Konsumverweigerung“.

Meine Hauptkritik: Im Kern verbreitet Tino Pfaff eine große Illusion! Daß das „Überleben auf dem Planeten“ gerettet wird durch „eine andere Politik“. Er schreibt:
wie ist es möglich, dass die Politik, entsprechend den klimaphysikalischen Fakten, endlich zu angemessenen Handlungen bewegt wird; wie schaffen wir es unser gesellschaftliches Miteinander ‚aufzuwerten‘; und schliesslich, wie retten wir das Überleben auf dem Planeten?

Zur Rettung sieht er die Regierung in der Pflicht:
Die von XR geforderte Bürger*innenversammlung ist kein Ersatz, sie ist eine Handreichung. Sie soll die Regierung dabei unterstützen sich aus ihrer eigenen Misere zu befreien und dem ungezügelten Einfluss von Wirtschaftsinteressen eine Absage zu erteilen, um so ihrer eigentlichen Aufgabe – im Sinne der Gesellschaft zu handeln und der ökologische Katastrophe wirksam entgegenzutreten – nachzukommen“.

Er will nicht sehen, daß eben diese Regierungen die jetzige Situation als Vollstrecker der Interessen des Kapitals (Konzerne/Lobbygruppen) geschaffen haben. Und jetzt sollen nach seiner Argumentation diese Regierungen umstellen.

Die Durchsetzungsmethode ist für ihn eine Stärkung dieser Demokratie:
Es geht um ein Mehr an Demokratie zum Schutze der Demokratie selbst. Spitzen sich in Anbetracht der ökologischen Katastrophe die Bedingungen zu, stösst die Demokratie an ihre Grenzen“.

Er hinterfragt jedoch nicht den Begriff der Demokratie. Das erinnert an die Parole von Willy Brandt vor fast 50 Jahren: „Mehr Demokratie wagen!“ Für ihn ist das keine formale Demokratie, das heißt eine Herrschaftsform des Kapitals sondern eine im Kapitalismus herstellbare Herrschaftsform, durch mehr Engagement der BürgerInnen. Natürlich sind auch wir der Meinung, daß alle Menschen in dieser Gesellschaft sich wehren sollten gegen weiteren Abbau demokratischer Rechte!

Hindernissse bei der Durchsetzung sind für ihn transnationale Konzerne und Lobbyverbände:
Machterhalt, Wiederwahlambitionen und vor allem der Einfluss transnationaler Konzerne und Lobbyverbände auf parlamentarische Entscheidungsprozesse sind Gründe für die Unfähigkeit zu grundlegenden Veränderungen“.

Diese Hindernisse wird er aber nicht beseitigen, falls er in der Kritik am System nicht tiefer geht, auf das Eigentum an Produktionsmitteln eingeht, auf den Zweck des Wirtschaftens, die Mehrwertproduktion. Das Wort Kapitalismus taucht bei ihm nicht auf, das Wort Imperialismus nur plakativ.

Er hat völlig Recht, wenn er schreibt:
„Eine parlamentarische Ebene, die dem Willen transnationaler Konzerne unterworfen ist, trägt die grösste Verantwortung für die Zustände in diesem toxischen System“.

Aber er hält wohl Parlamente für möglich, die nicht „dem Willen transnationaler Konzerne unterworfen“ sind! Damit verbreitet er Vorstellungen in der XR-Bewegung, die sich als Illusionen herausstellen werden.

Aber wahrscheinlich denken viele in der XR-Bewegung ähnlich, Tino Pfaff drückt es nur am klarsten aus. Aber es kann durchaus so sein, daß die AktivistInnen in der Bewegung für ihre Ideale, die Illusionen sind, massiv auf die Straße gehen. Und daß darin das Positive liegt: Nicht in den Illusionen sondern in dem „auf die Straße gehen“!

(Dieter Wegner)

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