Wie weiter gegen das System Tönnies? Mit Betriebsinspektoren und gewerkschaftlicher task-force!

Mitten unter uns leben seit Jahrzehnten hunderttausende Lohnabhängige in einer Schattenwelt, gedemütigt und ausgelaugt. Besonders schlimm geht es den WerkvertragsarbeiterInnen in der Fleischindustrie! Eine rumänische Arbeiterin aus Coesfeld, wo massenhaft Corona ausgebrochen ist, sagte: „Die Rumänen werden schlechter behandelt als die Schweine, die bei Westfleisch geschlachtet werden.“ Pfarrer Peter Kossen spricht von Wegwerfmenschen und Arbeitssklaven. Mit dieser drastischen Ausdrucksweise wird die Sache auf den Punkt gebracht!

Bevor wir überlegen, wie wir weitermachen im Kampf gegen das System Tönnies, ist ein kurzer Rückblick, eine kurze Einordnung notwendig.

In welcher Situation leben wir?

Im Jahre 2004 hat die Koalition von SPD und Grünen die Hartz-Gesetze beschlossen. Ziel war, daß Deutschland zum Niedrig-Lohn-Land werden sollte. Ex-Kanzler Schröder und die SPD brüsten sich heute noch damit, daß ihnen das gelungen ist.

In der Fleischindustrie war das Ergebnis der Schröder-Strategie Leiharbeits- und Werkvertragsarbeitsverhältnisse.

Jetzt, in der Corona-Krise, entdeckt Arbeitsminister Heil (SPD), daß das Werkvertragssystem Schuld ist an den Corona-Ansteckungen in der Fleischbranche.

Er plant, das Gesetz abzuschaffen. Damit würde es zum ersten Mal seit Jahrzehnten einen radikalen Vorstoß von SPD-Seite geben für die Interessen von ArbeiterInnen.

Ob Minister Heil das gelingen wird angesichts der Macht der Fleischbarone, der CDU/CSU und FDP, ist noch unklar. Ob statt der Abschaffung nur ein fauler Kompromiß rauskommt!

Was tut jetzt not, was fordern wir?

Prälat Peter Kossen schrieb: „So wie im Schlachthof die Tierkörper laufend auf Parasiten untersucht werden, so muss eine Arbeitskontrollbehörde die Betriebe und Subunternehmer ständig auf Ausbeutung und Sklaverei untersuchen.“ Er schlug den Einsatz von Betriebsinspektoren vor.

Diese müßten Vollmachten haben, die bisher auf viele Institutionen und Behörden verteilt sind. Diese Betriebsinspektoren müssten „scharfe Hunde“ sein, die zu beißen vermögen. Die sich nicht kaufen oder bestechen lassen.

Die Fleischkonzerne müssen verpflichtet werden, allen ausländischen Arbeitnehmern akzeptablen Wohnraum bei Arbeitsaufnahme zur Verfügung zu stellen. Auch das muß kontrolliert werden.

Weiter ist es notwendig, daß die Gewerkschaften task-forces einrichten, die sich sofort um jeden Fall kümmern, wo Beschäftigte wie Dreck, entwürdigend, behandelt werden. In diesen task-forces müssen überzeugte und kämpferische KollegInneneingesetzt werden, für die es ein Herzensanliegen ist, für humane und zivile Verhältnisse in der Fleischindustrie zu sorgen.

Es müssen Schwerpunktstaatsanwaltschaften eingerichtet werden, die zuständig sind für die Fleischindustrie, für das Werkvertragssystem – wo es noch besteht. Aktion./.Arbeitsunrecht hatte schon vor Jahren Schwerpunktstaatsanwaltschaften für Fälle von union busting (besonders durch spezialisierte und von den Firmenleitungen angeheuerte Anwaltskanzleien) gefordert. Diese könnten für beide Sachgebiete zuständig sein.

Und es ist dann Aufgabe von Initiativen – wie es sie schon gibt – , also von uns, die Betriebsinspektoren und die task-forces durch Öffentlichkeitsarbeit zu unterstützen, ihnen den Rücken zu stärken.

Uns allen muß bewußt sein, daß es gilt, eine Gegenmacht aufzubauen:

  • gegen das verbrecherische System der Fleischbarone,
  • gegen das Mafia-System (Buch von 2006 von Adrian Peter: Die Fleischmafia),
  • gegen die organisierte Verantwortungslosigkeit.

Eine Gegenmacht, die auch Stärke zeigt gegen Politiker und Parteien, die das alte System der Ausbeutung erhalten wollen. So nimmt Clemens Tönnies jetzt Einfluß mit seinem Vorschlag, das Subsubsubunternehmertum nicht ganz abzuschaffen sondern zu reduzieren, daß ein Fleischbaron „nur“ noch einen Subunternehmer beauftragen darf.

Solange es die Betriebsinspektoren und die task-force noch nicht gibt, ist es unser aller Aufgabe, diese von den Regierungen, Parteien und Politikern einzufordern! Auch bei den Politikern und im Staatsapparat gibt es Menschen, die nicht auf der Seite der Fleischbarone stehen sondern auf unserer.

Und wie wir es bis dahin schon waren, sollten wir eine, wenn auch unzulängliche, Anlaufstation für osteuropäischen KollegInnen sein und eine Ersatzfunktion für Gewerkschaften einzunehmen, die fast immer weder mit Betriebsräten noch mit Mitgliedern dort vertreten sind.

Unsere Praxis gegen das System Tönnies geht nicht mit Kuschelkurs an Runden Tischen (Runde Tische über die Jahre verteilt, Nr.1, Nr. 2, Nr. 3. Nr. 4 usw.usw!) Denn Tönnies ist kein Partner, der mit uns Verbesserungen aushandeln will, sondern ein Gegner, der auf Zeit spielt, und das schon seit 2014 als er und die anderen Fleischbarone in einer freiwilligen Selbstverpflichtung die Umwandlung von Werkverträgen in feste Stellen versprachen und auch die Integration der WerkvertragsarbeiterInnen.

Statt an den Runden Tisch gehört das System Tönnies auf die Anklagebank!

Bei der Abschaffung des Werkvertragssystems kann es keinen Kompromiß geben.Falls die Fleischbarone in ihrer augenblicklichen Defensive und Bedrängnis jetzt Zugeständnisse machen wollen, stimmen wir voll zu! Es ist ja zugunsten der osteuropäischen KollegInnen. (Clemens Tönnies bot kürzlich an, den Mindestlohn von 9,31 Euro auf 12 Euro zu erhöhen.)

Wir sind die Guten! Das System Tönnies verkörpert das Verbrecherische, das Böse!

Es gilt, die Gewerkschaften NGG und IG BAU zu unterstützen, damit diese die Rolle wahrnehmen können, humane und zivile Verhältnisse in den Großschlachtereien zu erstreiten!

Wir fordern die Enteignung der Fleischbarone und die Überführung der Betriebe in kommunales Eigentum. Bis in die 80er Jahre gab es in allen größeren Städten Schlachtereien (400 in Westdeutschland), die kommunales Eigentum waren, es funktionierte sehr gut! Die kommunalen Schlachthöfe waren im 18. Jahrhundert gebaut worden wegen der Assinierung (Hygieneschutz) der Städte. Der Spiegel schrieb 1975: „Letztes Gefecht. Westdeutschlands Kommunal-Schlachthöfe kosten den Steuerzahler immer mehr Geld. Eine bundesweite Privatisierungswelle verspricht Abhilfe.“ Der Zuschuß in Hamburg betrug im Jahre 1974 zwei (!) Millionen DM – bei einem Umsatz von 1,2 Milliarden DM.

Wie ist die Situation? Unsere Stärken und Schwächen

Der Gegner ist durch Corona, nicht durch uns, in der Defensive geraten, aber er ist nicht besiegt! Es bleibt weiterhin der Kampf von mehreren Davids gegen Milliardäre und gegen Politiker, Parteien, Regierungen, die zur Zeit verunsichert sind!

Was sind unsere Stärken?

Wir haben einige Jahre, einige schon sehr viele Jahre Erfahrungen gesammelt im Kampf gegen das System Tönnies.

Wir haben keine Illusionen mehr in die Fleischbarone! Die erste Aktion der IG Werkfairträge im Jahre 2013 nannte sich Bekennermarsch:http://igwerkfairtraege.de/data/documents/Bekennermarsch-am-Freitag-29.11.13.pdf

„Der Marsch endete in einer Mahnwache vor der Umzäunung des Fleischwerkes. Untermalt von leisem Glockengeläut stimmten die Demonstranten dort ihr umgetextetes „Bruder Jakob“-Lied an, „Bruder Clemens, Bruder Clemens, schläfst Du noch, schläfst Du noch?“

Sie wußten noch nicht, daß „Bruder“ Clemens immer hellwach gewesen war, deshalb war er ja zum Branchenriesen aufgestiegen! Daß Bruder Clemens geschlafen hat, diese Illusion haben dann alle AktivistInnen schnell abgelegt.

Auch im Stützkreis Kellinghusen äußerten anfangs einige TeilnehmerInnen die Meinung, man bräuchte Clemens Tönnies nur darüber aufzuklären, was in seinem Werk in Kellinghusen wirklich los sei.

Diese Illusionen sind bei den allermeisten vorbei!

Es geht nicht um die Eigenschaften von Personen sondern um ein System.

Wir haben unsere Wut und unsere Moral, unsere Vorstellung, was einfach nicht sein darf in einer Gesellschaft.

Tönnies&Co verfügen über Milliarden Euro, haben die Macht des Geldes und Einfluß auf die Parteien.

Unsere Stärke sind die vielen Menschen, die geschockt sind vom Leid der osteuropäischen KollegInnen und der gequälten Tiere.

Unsere Stärke ist außerdem ein Widerstand, der immer breiter wird: Außer gewerkschaftlichen und kirchlichen Gruppen und Bürgerinitiativen sind TierrechtlerInnen, TierschützerInnen und Klimagruppen hinzugekommen!

Aktionen tun Not! Praxis tut Not! Vernetzung ist alles!

(DW)

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