Die Diskussion bei den Truckern zu ihrer Lage

Bei aktion./.arbeitsunrecht erschien (30.07.2021) der Bericht: Kraftfahrerkreise Deutschland veröffentlichen Positionspapier:

https://arbeitsunrecht.de/kraftfahrerkreise-deutschland-veroeffentlichen-positionspapier/

Das Positionspapier der Kraftfahrerkreise:

https://arbeitsunrecht.de/wp-content/uploads/2021/07/Positionspapier-der-Kraftfahrerkreise-Deutschland.pdf

Der Kollege K-W Kiel, der seit vielen Jahren die Trucker unterstützt, mit ihnen diskutiert, sich an ihren Aktionen beteiligt, nimmt im Folgenden Stellung

Zu dem Text der Kraftfahrerkreise.

Ich verstehe es, wenn viele Fahrer ihren Beruf lieben und einige auch ihr Arbeitsmaterial. Es ist ein sehr wichtiger Beruf für die Gesellschaft und die Wirtschaft hängt davon ab.

Die Speditionsbranche ist korrupt, durch und durch kriminell, basiert auf Ausbeutung und treibt diese voran. Fahrer sollten sich daran erinnern, daß sie Arbeiter sind und diese Branche am Laufen halten, von ihr aber bestenfalls so lala oder als Dreck behandelt werden.

Aus dem Vorwort: „Hinzu kommen (…) sinkende Frachtraten bei immer weiter (…) steigenden Kosten der Arbeitgeber*innen.“

Also ehrlich, wieso machen sich die Kraftfahrerkreise (Fahrer) Gedanken über die Probleme der Unternehmer? Die Unternehmer können das schon selbst.

„Ein Umdenken in der Wirtschaft, Politik sowie bei den Unternehmen und nicht zuletzt bei den Fahrern muss einsetzen.“

Ich sehe es so: Es gibt in der Sache 2 Seiten: Unternehmerseite und Arbeiterseite. Der Staat steht dabei tendenziell auf Unternehmerseite, tritt aber manchmal für die Arbeiter ein, wenn die Gefahr besteht, daß es sonst zu große und unkalkulierbare Konflikte und Unruhe gibt. Der Staat tritt manchmal auch als Ordnungsfaktor auf, wenn es die Gesamtwirtschaft tangiert.

Dieses ganze sich-Wenden-an-die Politik und das Hoffen auf eine eigene Lobby nerven mich und ich sehe darin keine Chance, die Situation der Fahrer zu verbessern. Es ist immer eine Frage der Machtverhältnisse. Die Fahrer erhalten keine Macht dadurch, daß sie einen guten Draht zu irgendwelchen Politikern haben.

Die Fahrer gehören (rein theoretisch) zu einer der mächtigsten Berufsgruppen im Land. Sie können in Nullkommanichts die gesamte Wirtschaft lahmlegen. In der Praxis ist es ein verwirrter und ängstlicher Haufen an Einzelkämpfern. Die Fahrer erhalten ihre Macht durch Solidarität und gemeinsames handeln. Darauf sollte alles hinauslaufen, jede Diskussion, jedes Papier, jede Veranstaltung  und jeder Protest. Davon bin ich überzeugt. Dieses Gelaber über ein „Umdenken“ von Politik und Unternehmern halte ich für Zeitverschwendung und Humbug.

Ich kenne die Situation und die Stimmung unter den Fahrern und weiß, daß man sich nur lächerlich macht, wenn man jetzt zum Aufstand rufen würde. Man muß konkrete Forderungen aufstellen (das habt ihr in dem Papier auch gemacht) und vielleicht daran weiter sehen, wie man ein paar Kollegen zusammenkriegt und vielleicht etwas harmlosen und symbolisches gemeinsam zu machen.

Zum Text, den 27 Forderungen für bessere Arbeitsbedingungen, Unfallverhütung und ein Umdenken in der Branche

1. Fahrerkodex… „Sie treten ihre Branche nicht mit Füßen“, lassen sich aber von ihr treten.

Das mit der Sicherheit unterstütze ich.

Die Bekleidungsvorschriften sind nicht mein Ding. Wenn die mit Jogginganzügen oder Schiesser Feinripp Unterhemd und Shorts arbeiten wollen, sollen sie doch. Wenn sie genug Arsch in der Hose hätten, um tatsächlich gemeinsam für ihre Rechte zu kämpfen und tatsächlich die Wirtschaft lahmlegen würden, dann wären die Fahrer in den Augen der Bevölkerung wahre Helden. Sie würden bewundert werden, egal wie sie sich kleiden.  Sie können sich Klamotten von Gucci anziehen, werden aber weiter behandelt wie Karl Arsch, wenn sie sich nicht wehren!

„Vermeiden von übermäßigem Alkoholgenuss zum Feierabend“ finde ich auch nicht ok. Ich weiß, daß es ein großes Problem ist. Es ist gleichzeitig ein Seitenhieb gegen osteuropäische Kollegen. Es wird aber so stark gesoffen, weil die Lebensumstände der Leute so verzweifelt sind. Nach Feierabend und am Wochenende gibt es wenig Möglichkeit mal abzuschalten oder Alternativen, was man sonst machen könnte. Man sollte bessere Lebensumstände und bessere Freizeitangebote fordern. Es bringt nichts, auf den Folgen der Verzweiflung herumzuhacken.

2. Infrastruktur.

Die Forderungen find ich recht gut. Teilweise auch ökologisch sinnvoll. Hab nix zu mäkeln.

3. Straßenverkehrsordnung.

Promillegrenze. Klingt ok. Zum Tempolimit habe ich mir wenig Gedaken gemacht und möchte nicht vorschnell urteilen. Auch bei den anderen Punkten habt ihr wohl mehr Kompetenz, einiges erscheint mir etwas komisch, ich weiß aber zu wenig darüber.

4. Arbeits– und Sozialrecht

Da ist der Unternehmerverband CamionPro bereits weiter. Den osteuropäischen Kollegen steht bereits jetzt der hiesige Mindestlohn zu, wenn sie hier fahren. Den müßten sie einklagen. Es geht also um Präzedenzfälle, die vor Gericht erst mal durchgesetzt werden müssen. CamionPro wäre bereit, das mit ihnen gemeinsam durchzuziehen, würde Dolmetscher und Anwälte besorgen. Wichtig wäre es auch, sich mal mit osteuropäischen Kollegen, auch den Sprinterfahrern, zu treffen und zu quatschen. Es kann nicht nur darum gehen, etwas FÜR sie zu fordern, sondern MIT ihnen. Dazu muß man überhaupt wissen, was ihnen am wichtigsten wäre. (Es gibt in Polen eine Initiative, die versucht, Amazonfahrer grenzüberschreitend zu organisieren.)

Rückkehrpflicht, ok. Aber mit dem Verbot am WE in der Kabine zu übernachten, kann ich mich nicht anfreunden. Einige haben sich gemütliche kleine Wohnzimmer gebastelt, in denen sie sich mit Sicherheit wohler fühlen, als in einer Handwerkerbutze.

5. Umweltschutz und Nachhaltigkeit

Wichtiger Punkt. Da beginnt die Diskussion wohl erst. Der engagierte Verkehrswissenschaftler Winfried Wolf hat Interesse, weiter mit BKF zu diskutieren und zusammenzuarbeiten. Der Kollege A. war mal auf einer gemeinsamen Veranstaltung dabei. Die Fortsetzung war wegen. Corona ausgefallen.

6. Marktzugang und Wettbewerb

Schwierig. Man sollte sich nicht den Kopf der Unternehmer zerbrechen. Man sollte sich auch nicht auf einen Konkurrenzkampf zwischen hiesigen und osteuropäischen Kollegen einlassen. Das mit den Kontrollen ist etwas widersprüchlich. Auf dem Bau wirken sich die Kontrollen im wesentlichen auf die migrantischen Beschäftigten negativ (Strafe, Abschiebung) aus. In der Transportbrache sehe ich durchaus einen Sinn in Kontrollen. Insgesamt sollte dieses ganze Thema mit ausländischen Fahrern diskutiert werden. Vielleicht entstehen so völlig neue Ideen.

7. Nachwuchsförderung und Qualifizierung
Klingt alles recht gut.

Mailverkehr zwischen dem Trucker Lars und K-W Kiel:

Lars:
Natürlich sind wir AN und Frachtraten etc sind AG Sache. Da wir aber mit niedrigen Löhnen direkt davon betroffen sind, halte ich es für legitim, dass auch wir Fahrer über unseren Tellerrand hinaus blicken und auch da eine Meinung zu haben.

K-W Kiel:

Ich bin da nicht dogmatisch und weiß, daß die Transportbranche etwas Besonderes ist. Deshalb weiß ich auch, daß viele Streiks (Spanien, Frankreich, Rußland, China, USA, Kanada etc.) von angestellten Fahrern, selbstfahrenden Unternehmern und kleinen und mittleren Spediteuren geführt wurden. In Kanada und Rußland haben sich aus diesem merkwürdigen Bündnis gewerkschaftsähnliche Organisationen gebildet, die ich schätze. Trotzdem: U. sagte mehrfach, er will die deutsche Branche stärken. Das halte ich für falsch, denn die Branche ist nicht bedroht, denn die gesamte Wirtschaft braucht sie. Es sind nur die Arbeitsbedingungen bedroht. Es ist egal, ab man von einem deutschen, ungarischen, holländischen oder chinesischen Spediteur ausgebeutet wird. Die Wirtschaft interessiert sich nicht für Nationalitäten und flaggt aus, wie es sich am besten rechnet. Die Antwort kann in meinen Augen nur lauten,  Verteidigung der Arbeitsbedingungen, ebenfalls jenseits der Nationalitäten. Daß kleine und mittlere Spediteure auch Verlierer in dem internationalen Konkurrenzkampf sind, sehe ich auch und deshalb können auch Kooperationen mit ihnen sinnvoll sein.

Lars:

Wir sehen das mit der 0 Promille Grenze und den dazu gehörigen Punkten nicht spezifisch auf osteuropäische Fahrer gemünzt. Würde die Polizei entsprechende Kontrollen vor deutschen Speditionen machen, wäre die Anzahl der an- bzw betrunkenen Fahrern noch höher.
Und ich lasse die Ausrede miese Lebensbedingungen für mich als Begründung für Alkoholmissbrauch nicht mehr gelten. Das ist mir zu einfach gedacht.

K-W Kiel:

Ich habe nichts gegen die 0 Promille Grenze gesagt, sondern diese Selbstverpflichtungen wie Klamotten und Alkohol in der Freizeit.

Das Klima unter Fahrern ist erstmal wie es ist und es gibt Vorurteile und Spannungen und Richtung osteuropäischer Kollegen. Als die Russischen Kollegen in D zu Besuch waren, kurz bevor sie den größten Streik in der jüngeren russischen Geschichte auf die Beine gestellt haben, bekamen sie in einer Runde der KFK die deutsche Straßenverkehrsordnung unter die Nase gehalten, á la „ihr Osteuropäer hab ja keine Ahnung, wie man sich auf deutschen Autobahnen verhält.“ Ich bin vor Scham fast im Boden versunken.
Ich weiß auch, was am Wochenende auf Parkplätzen los ist und wie Osteuropäer sich die Birne abschrauben. Superheftig. Über dieses unschöne Verhalten regt man sich auf. Die Aufregung fehlt jedoch, wenn es darum geht, daß diese Leute von ihrem Land und ihren Bossen wie Dreck behandelt werden und kein lebenswertes Leben haben.
Man sollte das alles nicht hinnehmen, aber ich halte es für falsch, bei Ansätzen einer Änderung, den Druck zuerst auf die schwächsten Glieder in der Kette zu setzen.

Lars:

Ich persönlich halte weder von Camion Pro noch von dessen medialen Gegnern allzuviel. Zumal es da auch Faire Mobilität vom DGB gibt, die permanent an wichtigen Stellen auftreten, um AN über ihre Rechte aufzuklären. Und mit denen stehen wir in Kontakt. Zumal unser Positionspapier auch in anderen Sprachen erscheinen soll. Da suchen wir noch entsprechende Übersetzer. Aber die finden wir noch.

K-W Kiel:

Ich finde die Forderungen, Aktionen und Öffentlichkeitsarbeit von Camion Pro erstaunlich gut… Bei der Kritik an CamionPro habe ich bisher noch keine ernstzunehmenden Argumente gesehen… Mit Faire Mobilität hatte ich auch schon zu tun und gute Erfahrungen gemacht.

Lars:

Was das fehlende Rückgrat vieler Fahrer angeht, stimme ich dir voll und ganz zu. Daher eben auch das Papier, wo eindeutige Forderungen aufgeführt sind. Vielleicht werden dadurch doch mal einige mehr wach und bewegen sich (inklusive Verdi?).

K-W Kiel:

Ich halte die Arbeit mit der Basis, also den Fahrern selbst, für das einzige, was zählt. Manchmal ist es ein Kampf gegen Windmühlenflügel, ich weiß. Bei Verdi bin ich nicht so hoffnungsfroh und auch nicht der Meinung, daß an ihr kein Weg vorbeiführt. Ich bin aber völlig offen und wenn Verdi sich bewegt und gute Sachen macht, unterstütze ich das gern.

Lars:

Ich verstehe das Papier so, dass es zu 90% für die Fahrer ausgelegt ist.

K-W Kiel:

Ich finde, es fehlt ein Ansprechen der eigenen Möglichkeiten, letztendlich der eigenen Macht. Es ist alles eher so moralisch, was besser sein könnte und sollte. Dafür muß man etwas tun. Und zwar die Fahrer selbst, denn die Politiker, auf die man so viele Hoffnungen setzt, werden es nicht tun.

Lars:

Auch was die regelmäßige Rückkehr der osteuropäischen Fahrer an ihren Heimatort angeht. Dazu braucht es dort natürlich andere Arbeits- und Lohnbedingungen. Aber das wäre eben auch ein Schritt zu einem besseren Leben, was vielleicht auch den Alkoholkonsum etwas einschränken würde.

K-W Kiel:

Ich glaube, da sind wir uns einig.

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