Offener Brief an alle KollegInnen und GenossInnen, die am 15.1. in Hamburg an der vom Hamburger Bündnis gegen Rechts organisierten Demo teilgenommen haben!
Liebe KollegInnen, liebe GenossInnen,
Ihr demonstriert gegen Verschwörungstheoretiker, Nazis, Antisemiten, Schwurbler, die ihr bei den bisherigen Hamburger Samstagsdemos seht.
Unter den ca. 25.000 DemonstrantInnen (Demo am 8.1.) waren sicher hunderte Nazis (AfD, NPD). Die Nazi-Führungen haben sicher die immer größer werdenden Samstagdemos seit Oktober letzten Jahres beobachtet und stehen nicht am Rande sondern mischen sich zunehmend ein! Für viele nicht erkennbar, weil sie -noch- entsprechende Schilder und Embleme vermeiden.
Aber was macht den Charakter der Samstagdemos aus?
Die Teilnahme von einigen hundert Nazis und einigen tausend EsotherikerInnen?
Wir meinen, daß es ein Protest von zigtausenden NormalbürgerInnen ist.
Das wird ihnen zunehmend von Politikern zugestanden, wie von Bürgermeister Tschentscher: Es seien Menschen aus der bürgerlichen Mitte.
Und es sind auch hunderte PflegerInnen dabei, Solo-Selbständige und ein Block von StudentInnen, die alle besonders von den Corona-Maßnahmen der Regierungen betroffen sind.
Gegen wen demonstriert ihr also?
Tschentscher, der Verfassungsschutz und einige Medien konzedieren schon, daß es BürgerInnen aus der Mitte der Gesellschaft sind. Diese Einschätzungen dürften euch nicht entgangen sein. Was hat euch also bewogen, euren Blick auf die Realität zu verengen und nur die paar Nazis usw im Blick zu haben?
Warum protestiert ihr nicht (seit zwei Jahren nicht!) gegen Unverhältnissmässigkeiten und soziale Schieflagen der Coronamaßnahmen der Regierung?
Zu den Regierungsmaßnahmen gehörten auch die unglaublichen Bereicherungen der Pharma-Konzerne, die Milliardensubventionen für übrige Konzerne, während Solo-Selbstständige und Kleinbetriebe in den Ruin getrieben wurden, der Impfnationalismus, die Aufrüstung der Kontrollapparate. All dies wurde auf den bisherigen Samstag-Demos kritisiert. Und die Linke schlief?!
Warum ward ihr nicht neugierig?
Warum ward ihr nicht neugierig und habt euch einen eigenen Eindruck von den Menschen bei den Samstag-Demos gemacht? Von ihren Anliegen und Ängsten. Ein Blick auf die vielen Schilder, Gespräche mit Demo-TeilnehmerInnen hätten den Blick vielleicht geweitet. Warum habt ihr den Darstellungen von Politikern und den Mainstream-Medien geglaubt?
Man muß in eine Birne reinbeißen, um zu wissen wie sie schmeckt, sagte Mao. Warum habt ihr den Behauptungen der Herrschenden geglaubt, daß die Birne verfault und giftig sei?
Wir, GewerkschafterInnen aus verschiedenen kleinen Zusammenhängen, sind aus Neugierde und Erkenntnislust zu diesen Demos gegangen, haben mit vielen TeilnehmerInnen gesprochen. Es waren „Normalos“, Menschen wie Du und ich, Nachbarn, KollegInnen. Viele PflegerInnen, Solo-Selbständige und Studierende sind dabei, also Menschen, die direkt von den Coronamaßnahmen betroffen sind.
Die Samstag-DemonstrantInnen sind zum allergrößten Teil keine Linken. Um so mehr sollte man sich freuen, daß sie auf die Straße gehen, ihre Meinung und ihre Interessen kundtun.
Für sie war es sicher keine Sympathiewerbung für „links“, wenn kleine Grüppchen von Antifas oder Omas gegen Rechts am Straßenrand standen und sie mit Rufen Nazis, Nazis beschimpften.
Könnt ihr euch vorstellen, daß sich die Rechten freuen, daß ihr eine Gegendemo macht? Dadurch stehen sie gut da bei den „NormalbürgerInnen“.
Bei zukünftigen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen werden wir alle brauchen, die kritisch sind oder werden gegen die Politik der Herrschenden. Es wird eine breite Bewegung in der Gesellschaft notwendig sein.
Mit dem Aufruf und der Gegendemo am 15. Januar macht ihr diese Menschen zu Gegnern.
Es ist ganz logisch, daß SPD, Grüne, DGB und auch Teile der Linkspartei diese Gegendemo unterstützen. Und die Demo der „BürgerInnen aus der Mitte der Gesellschaft“ wird verboten!
Macht euch das nicht stutzig?
Wir sehen eure Haltung als „Weiße-Weste“-Politik. Einen guten Grundsatz so abstrakt und abgehoben anzuwenden, dass man sich die Finger nicht schmutzig macht in den Niederungen der realen Bewegung und der Realpolitik.
So macht man den Rechten das Feld frei, daß sie als einzige für die eher Unpolitischen da sind, die überhaupt sich bewegen. Und sie haben damit die Chance, die Bewegung für sich zu kapern.
Wir stehen vor schweren Abwehrkämpfen, um die Abwälzung der „Corona-Kosten“ auf Lohnabhängige und Rentner zu verhindern. Dazu brauchen wir die Kritiker aus der „bürgerlichen Mitte“.
Die Meinungen in linken Parteien scheinen geteilt zu sein, hier Stellungnahmen aus der Partei Die Linke und DKP:
Hier ein Link zur Stellungnahme von Mehmet Yildiz (MdBü):
Ein Artikel von DKP-Seite:
https://www.unsere-zeit.de/von-schlafschafen-und-aluhueten-137886/
Gruppe Hamburger GewerkschafterInnen
Es ist falsch so zu tun, als wären alle Kolleg*innen die sich in der Initiative „gewerkschaftslinke hamburg“ treffen und miteinander sprechen einverstanden mit diesem offenen Brief. Wie jede andere Zusammenkunft von Menschen ist es auch in der „gewerkschaftslinken hamburg“ hoch umstritten, ob man an den Demos der Nazis und anderen „Normalos“ teilnimmt oder nicht. In keinem Fall ist es konsens, dass alle Menschen, die sich innerhalb der „gewerkschaftslinke hamburg“ treffen auch an diesen Samstags-Demos teilnehmen. Eine Debatte um diese Diskussion zu eröffenen ist wichtig und höchste Zeit. So zu tun, als wären alle Menschen aus dem Kontext der „gewerkschaftslinke hamburg“ Teilnehmer*innen dieser Demos, ist eine Verunglimpfung. Es spaltet. Sind wir, die wir nicht mit Nazis demonstrieren und Impfbefürworter sind jetzt ausgeschlossen oder wie ist all dies zu verstehen? Ich maschiere nicht mit Nazis! Ich nehme auch nicht an diesen Demos teil.
ne, du stehst lieber hinter denen, die „wir impfen euch alle“ rufen und reihst dich damit in die gruppe derjenigen ein, die den profit der pharma-finanz-militärischen komplexes vergrößern und die lebensbedingungen der lohnarbeitenden bis in die existenz- und lebensbedrohung hinein verschlechtern.
eine konsequente haltung, die m.e. weder mit gewerkschaftlich, noch mit links etwas zu tun hat sondern bestenfalls als „arbeiterverrat“ bezeichnet werden kann.
so kann man historisch erkämpfte rechte auch zu grabe tragen!
Hallo liebe Gewerkschaftslinke,
aus früheren politischen Aktivitäten zu den Freihandelsabkommen kenne ich Euch als Bündnispartner, unterstelle Euch also erstmal die besten Absichten.
Zumindest die Demos vor der Kunsthalle vereinen Teilnehmer, denen verschiedene Aspekte wichtig sind, unter einem Dach, und so kommt es darauf an, wie diese Demos wahrgenommen und „geframt“ werden.
Dasselbe Problem hat nun augenscheinlich auch die Demo des Hamburger Bündnisses gegen rechts.
Aufgerufen wurde unter dem Motto „gegen Verschwörungsideolog*innen, Coronaleugner*innen, Reichsbürger*innen, Antisemit*innen und andere „Schwurbler*innen““
(https://www.keine-stimme-den-nazis.org/, abgerufen 15.1.22)
„Schwurbler*innen“ ist etwas diffus, sonst kann ich jeden Aspekt davon unterstreichen. Alle diese Gruppierungen sind auf den „Spaziergängen“ und Querdenkerdemos der Republik vertreten und sind – hier hoffe ich, dass wir uns einig sind – bekämpfenswürdig. So hätte ich mir gewünscht und gehofft, dass die Intention der Hamburger-Bündnisdemo genau so verstanden wird. Eigentlich ist damit auch die Frage beantwortet „Gegen wen demonstriert ihr also?“
Die Kunsthalle-Demos werden m.E. auch pauschal als „Demo gegen Impfmaßnahmen“ wahrgenommen, auch wenn sie sich fallweise ein detaillierteres, genaueres Motto gegeben haben.
So werden denn auf der Hamburger Bündnis-Demo auch Leute gekommen sein (mindestens einer), die endlich auch mal sich als diejenigen auf der Straße sehen wollten, die bisher schweigend die Maßnahmen tapfer mittragen und das richtig finden, um aus der konkreten Situation heraus zu kommen.
„Warum protestiert ihr nicht…gegen …Coronamaßnahmen der Regierung?“ – Weil es vielleicht tatsächlich DERZEIT vorrangig ist, zu verhindern, dass Leute überhaupt erst an Covid erkranken. Bürger lassen sich von Verschwörungsideolog*innen, Coronaleugner*innen, Reichsbürger*innen und Antisemit*innen, die ganz anderen Absichten haben, vor Ihren Karren spannen. Weder ist es gut, Impfanstrengungen auszubremsen, noch ist es gut, dass Bürger mit hoffentlich eigentlich anderen Ansichten sich hoffentlich unwissentlich als „Spaziergängerkanonenfutter“ vor den Karren der falschen Leute spannen lassen, noch ist es gut, dass diese Gruppierungen auf diesem Weg in der Gesellschaft Fuß fassen. Drei ziemlich gute Gründe für die Linke meine ich.
Auf dem Deck der Titanic stehend, scheint mir analog eine Initiative zur besseren Qualitätssicherung bei der Schiffsfertigung auch am grade echt notwendigen vorbei gezielt.
Grundsätzlich und nach der Pandemie sollte sich die Linke aber definitiv um die Schieflage im Gesundheitssektor kümmern, absolut und nicht erst seit Corona!
„Warum ward ihr nicht neugierig?“ – War ich. Jeweils vor dem Abmarsch habe ich mit den Leute geredet. Die waren durchaus verschieden:
– Die bekannten echten Spinner mit ihrem contra-faktischen Zeugs, die bekämpft gehören, weil sie lügen.
– Die Gruppierungen mit dem egoistischen Freiheitsbegriff, die unfassbar hohe Maßstäbe anlegen an die Wirksamkeit von Maßnahmen, bevor sie sich bereit erklären, sich zum Nutzen ihrer Mitmenschen einzuschränken. Die gehören bekämpft, weil das eine eklige Einstellung ist.
– Esoteriker und die Leute, die ausdrücklich mehr so aus dem Bauch entscheiden wollen, weil sie das für verlässlicher finden als Fakten, die sie nicht verstehen. Da lohnt sich das Argumentieren nicht. Kann man nicht bekämpfen. Stehen lassen, mit dem nächsten reden.
– Die Leute, die Angst haben, weil sie falschen Fakten aufgesessen sind oder die richtigen nicht verstehen: Stehen bleiben und erklären.
– Die Leute (z.B. Pfleger), die sagen, dass seit 20 Jahren das Gesundheitssystem kommerzialisert wurde, Betten abgebaut wurden und die Fallpauschalen eine beschissene Idee war. Stehen bleiben, lebhaft zustimmen, (das hätte ich noch tun können: fragen, ob sie sich schon in einer linken NGO, Gewerkschaft oder so engagieren) und dann aber ergänzen: „OK, was machen wir im hier und heute? In Monaten bekommt man das Gesundheitssystem nicht transformiert und auch nicht in 2 Jahren, während es gleichzeitig so wie nie unter Dampf steht.“
Im übrigen ist es sehr schwer, wenn man als einzelner neben 11.000 Leuten steht, sich ein repräsentatives Bild zu machen, wer die eigentlich sind. Bei nur 5 Minuten pro Person…?
An all die von vor der Kunsthalle, die ihr nicht Verschwörungsideolog*innen, Coronaleugner*innen, Reichsbürger*innen, Antisemit*innen oder asoziale Egoisten seid: Euch hätte ich nicht gemeint!
An alle, die’s nicht verstehen: Geht den Fakten auf den Grund. Folgt der Wissenschaft. Die muss nicht um Wiederwahlen fürchten wie die Politik, die muss auch nicht vereinfachen wie die Medien. Das ist anstrengend, aber wer hat jemals gesagt, dass es Wahrheit ohne Anstrengung gibt? Geht Informationen bis zur Quelle hinterher. Schaut z.B. hier: https://www.medrxiv.org/ (und ich bin selbst nicht aus dem medizinisch-pharmazeutischen Bereich).
An alle, die einfach Angst vor Impfungen haben: Bitte traut Euch, wie derweil Milliarden andere auch. Seid großartig! Seid Helden! Für Eure Mitmenschen. Danke.
Das Verbot der Kunsthallendemo am 15.1. ist „schwierig“, sieht ganz beschissen aus, auch wenn es aus ggf. richtigen Gründen „halten Hygienemaßnahmen nicht ein“ erfolgte.
Ändert aber nichts an der Richtigkeit der Hamburger-Bündnis-Demo.
Der Offene Brief ist unterzeichnet mit „Gruppe Hamburger Gewerkschafter“. Dazu gehören GewerkschafterInnen aus verschiedenen Hamburger Stadtteilen, aus verschiedenen Gewerkschaften, die sich schon lange kennen oder erst bei den Samstagdemos kennen gelernt haben, auch KollegInnen aus der Vorbereitungsgruppe Jour Fixe Gewerkschaftslinke und unserem Umkreis. Weiterhin aus KollegInnen vom Hamburger Gewerkschaftschor, von der Hamburger Gruppe Nachdenkseiten und von der AG Gesundheit von attac.
Dieser „Offene Brief“ ist als Gastkommentar auf der homepage von Jour Fixe Gewerkschaftslinke veröffentlicht worden.
Es ist mir absolut unverständlich, den „Offenen Brief“ so zu interpretieren wie du es tust: „als wären alle Kolleg*innen die sich in der Initiative „gewerkschaftslinke hamburg“ treffen und miteinander sprechen einverstanden mit diesem offenen Brief“.
Und nenne bitte eine Zeile oder nur ein Wort, das Deine Aussage belegt: „So zu tun, als wären alle Menschen aus dem Kontext der „gewerkschaftslinke hamburg“ Teilnehmer*innen dieser Demos…“
Es gibt zwei Strukturen beim Jour Fixe Gewerkschaftslinke Hamburg, die Vorbereitungsgruppe Jour Fixe. Fast alle in ihr sind für diesen „Offenen Brief“.
In fast allen Gruppen in Deutschland, die ich kenne, ist das Thema Corona „hoch umstritten“, wie Du schreibst. Deine Kritik geht also ins Leere.
Falls wir ein Jour Fixe zu diesem Thema machen würden und 50 TeilnehmerInnen kämen, wäre es auch an diesem Ort „heiß umstritten“. Aber es ist aus der Vorbereitungsgruppe noch niemand auf die Idee gekommen, zu dem Thema ein Jour Fixe zu machen. Wir beschäftigen uns wie seit 17 Jahren mit wichtigen betrieblichen und gewerkschaftlichen Themen! Es gibt eine Welt mit Klassenkampf auch außerhalb von Corona.
Im Jour Fixe Info haben wir seit Frühjahr 2020 den Standpunkt vertreten, daß wir alle, ob Sozialisten, Kommunisten, Anarchisten a) eine gemeinsame Basis und Vergangenheit haben, b) teilweise in der Einschätzung von Corona jetzt Differenzen auftauchen, aber c), daß wir ein gemeinsames Ziel haben und dazu in den kommenden Klassenkämpfen zusammenstehen müssen. Und daß a) und c) viel schwerer wiegen als b).
Es kommt allerdings in der Phase b), in der wir stecken, sehr darauf an, uns nicht gegenseitig zu beschimpfen. Wir brauchen uns nicht zu lieben, aber Respekt muß sein!
Gut, dass noch einmal klargestellt wurde, dass die „Gruppe Hamburger Gewerkschafter“ einen Brief auf dieser Seite veröffentlicht hat. Ich dachte das die Inititiative Gewerkschaftslinke Hamburg diesen Brief geschrieben hat.
Der Chorrat des Chores Hamburger Gewerkschafter*innen stellt fest: Zu den Themen Impfen, Impfpflicht und den Coronamaßnahmen gibt es keine Beschlüsse des Plenums. Wenn einzelne Mitglieder an der fraglichen Demo am 8.1.22 twilgenommen haben, haben sie das privat und nicht im Namen unseres Chores getan. Für den Chorrat Verena M.
Großartiger Brief!
Ein Beitrag gegen Spaltung und Hetze. Danke!
Nur kurz, weil mir das Ganze auf den Geist geht:
Normalbürger, die auf den Samstagsdemos mitlaufen-wohl wissend, dass sie das mit Nazis tun-sind noch schlimmer und beängstigender als normale Normalbürger.
Und schade, wenn jemand sich die z.T. sehr guten Redebeiträge auf der Gegendemo nicht anhört, die sich dezidiert gegen die Hintergründe der Coronamaßnahmen gewendet haben. Denn wie kommt so ein Satz „Warum demonstriert ihr nicht gegen….soziale Schieflagen..“ sonst in das Ausgangsstatement?
Sehr geehrter Frank Fürstenau, lieber Genosse,
Deine differenziert formulierte Antwort spricht mir aus dem Herzen.
Und Dir, Dieter, auch danke für die Einordnung des Offenen Briefes – das war für mich sehr wichtig (ich bin neu in Hamburg und neu in dieser Mailingliste).
Wer am 15.1.22 mit auf der Demonstration des Hamburger Bündnisses gegen Rechts dabei war, weiß, in welchem Ton und gegen wen und – vor allem – WOFÜR die Redebeiträge stehen und gehalten wurden.
Das wird im Offenen Brief verschwiegen – man merkt die Absicht und ist verstimmt.
Wenn eine Person für sich entscheidet, mit Schwurbler*innen, Antisemit*innen, Reichsbürger*innen etc. ins Gespräch kommen zu wollen und meint, es könne etwas bewegen, soll diese Person dies tun. Dies aber von einer Gewerkschaftslinken zu fordern, ist bestenfalls naiv.
Ich habe für mich entschieden, dass ich meine Energie lieber dafür einsetzen möchte, Mitstreiter*innen zu finden für eine solidarische, für eine umverteilende, für eine weltweit gerechte Gesellschaft.
Ich grüße Sie und Euch und freue mich demnäxt auf der Straße,
Renate.
Die Verfasser*innen des ‚Offenen Briefes‘ müssen sich wirklich fragen lassen, auf welcher Seite sie stehen. Ich habe erhebliche Zweifel, dass der „Offene Brief“ als Gastkommentar auf der Homepage von Jour Fixe Gewerkschaftslinke zu verstehen ist. Wer regelmäßig den Jour Fixe NL verfolgt, wird feststellen können, dass hinter dem „Offenen Brief“ nicht das breite vorgegebene Kollegen-Spektrum steht, sondern Vokabular und Stoßrichtung den bisherigen Jour Fixe Info Intentionen entsprechen.
Schon seit längerem, seit über 1 ½ Jahren, registriere ich, dass das Jour Fixe Info sich den Auffassungen von zweifelhaften Wissenschaftlern, Verschwörungsideologen, Esotherikern, Coronaleugnern und anderen Akteuren öffnet und diese verbreitet. Der aktuelle ‚Offene Brief‘ von der ‚Gruppe Hamburger GewerkschafterInnen‘, der sich gegen die Bündnis-Demonstration richtet, setzt diese Linie fort.
Man kann ja unterschiedlicher Auffassung sein, wie man zu den staatlichen Corona-Maßnahmen steht, aber den rechts-populistischen Einfluß in den Demonstrationen gegen die staatliche Pandemie-Politik auf ein Minimum herunter zu spielen und damit auszublenden, dass diese Bewegung massiv aus dem rechten Spektrum, u.a. von den Reichsbürgern, vorangetrieben wird, verkennt den eigentlichen Hintergrund dieser Bewegung. So wurde die Hamburger Demonstration vom 29.01.22, die vom Oberverwaltungsgericht verboten wurde, z.B. von den Reichsbürgern angemeldet. Auch Impfgegner, Leugner der menschengemachten Klimaveränderung und andere Mitläufer haben sich seit längerem mit dazu gesellt. Ganz bewußt werden dabei alle medizinisch notwendigen Abstands- und Hygienemaßnahmen von den ‚Spaziergängern‘ mißachtet. Und dann sehe ich, mit welchen Parolen aufmarschiert (neuerdings „spazieren gegangen“) wird: ‚Weg mit der Corona-Diktatur‘, ‚Impf-Terrorismus‘ oder auch der Vergleich mit den Vernichtungen in KZ‘s oder der Verwendung des Judenssterns zu Aussagen, wie z.B. mit der Spritze. Eine völlige Verdrehung der historischen Tatsachen. Dies ist mir alles völlig zuwider und ich finde es fatal, diese Zusammenhänge herunterzuspielen und als „Bewegung aus der Mitte der Gesellschaft“ heraus zu definieren.
Gleichzeitig wird der Demonstration und den Akteuren vom ‚Bündnis gegen Rechts‘ am 15.01.22 unterstellt, alle Defizite im staatlichen Gesundheitswesen und der staatlichen Corona-Politik auszublenden. Wer sich die Reden auf den Kundgebungen angehört hat, wird sehr wohl festgestellt haben, dass auch dazu etliches gesagt wurde. Außerdem befinden wir uns in einer heiklen pandemischen Lage, für die es in der Neuzeit keine Blaupause gibt. Ich habe von den „politischen Besserwissern“ der Demonstration gegen die staatlichen Corona-Maßnahmen bisher nicht erfahren, wie sich die Bekämpfung einer Pandemie bewerkstelligen läßt, und kein Land der Welt eine derartige Situation bisher gemeistert hat. (Und China ist bestimmt kein Beispiel dafür). Ich lass mich gerne belehren, wenn eine linke Gesundheitspolitik dies schon mal hingekriegt haben sollte.
Wenn ich demonstriere, sehe ich mir sehr genau an, mit wem ich ‚Schulter an Schulter‘ laufe. Dabei ist mir sehr wichtig, auf dem linken, alternativen oder auch sozialen Feld politische Mehrheiten zu unterstützen und mit zu tragen. Dazu gehören dann Fragen wie vorausschauende pandemiegerechte Konzepte, niedrigschwellige Impfangebote, keine Schließung von Krankenhäusern, wissenschaftsbasierte Pandemie-Prävention usw. (ich belasse es dabei….).
Deswegen sind wir beim ‚Bündnis gegen Rechts‘ mitgelaufen, werden auch weiter dort demonstrieren mit: „Impfen statt verunglimpfen“ und „Wer mit Nazis spaziert, hat nix kapiert!“. Wie sich meine weitere Zusammenarbeit dann mit dem Jour Fixe gestaltet, werde ich noch sehen….
Mit Grüßen, Rüdiger
Zum Kommentar von Rüdiger Granz:
1. Zutreffend ist, dass eine Zeitlang im JFI Wissenschaftler zu Wort kamen, deren Randpositionen von Coronaleugnern genutzt werden konnten. Auf heftige Kritik daran wurde dieses Thema länger ausgespart. Besonders in letzter Zeit allerdings trifft diese Kritik m. E. nicht mehr zu, im Gegenteil wird hier ein breites Spektrum zur Diskussion gestellt.
2. Die Einschätzung der letzten Anti-Corona-Demonstrationen in Hamburg teile ich nicht, sondern finde den Ansatz des ‚Offenen Briefs‘ plausibler. Zugegeben, ich war als Zuschauerin am 15.01. nicht unterwegs, habe allerdings einen längeren unkommentierten Demomitschnitt auf Youtube gesehen, den Bericht von Hanna Mittelstädt im JFI 3 gelesen sowie die 2-teilige Bilderserie (von attac HH an Interessierte verschickt) von der Demo am 8.01.22 angeschaut. Diese Beobachtungen aus 2. Hand decken sich mit den Diskussionen mit Freunden im Chiemgau, die durchaus potentiell zu den Teilnehmern hätten zählen können: Menschen aus der Mittelschicht, Lohnabhängige, die sich im Dschungel der Coronaregeln alleingelassen und z.T. als Soloselbstständige existentiell zunehmend wirtschaftlich bedroht fühlen, allerdings politisch völlig unerfahren sind, das kleine 1×1 eines gewerkschaftlich-linken Diskurses ganz und gar nicht kennen. Hinzu kommt eine Impfskepsis, sich selbst oder zum mindesten eigene kleine Kinder nicht impfen zu lassen… Am 15.01. wurde nach meiner Beobachtung weitgehend mit Abstand sowie Maske – der verschärften Pandemielage durchaus entsprechend – demonstriert, soweit dies bei der sehr großen Anzahl von Teilnehmern überhaupt realisierbar war. Die Transparente waren selbst gestaltet, von der inhaltlichen Aussage her akzeptabel und oft von Kindern getragen, viele junge Familien waren unterwegs. Dass sich unter diese vielen Menschen mit wenig oder keiner Demoerfahrung auch Rechte, Coronaleugner gesellten/ gesellen, ist ausgemacht. In der überwiegenden Mehrheit trifft die gängige Kritik der Linken (Faschos, Schwurbler,Coronaleugner) m.E. auf sie nicht zu.
3. Diese Demonstanten sind folglich in ihrer Mehrheit nicht meine Gegner, sondern es kommt darauf an, nicht zuzusehen, wie sie in die Arme der Rechten getrieben werden. Diesen Gedanken des ‚Offenen Briefes‘ finde ich rundum richtig.
4. Das Coronavirus hält sich nicht an Regeln, es mutiert und gibt Rätsel für die Zukunft in vielerlei Richtung auf… Die Regierenden verheddern sich, die Maßnahmen ändern sich ständig. Sogar der von der neuen Regierung im Dezember 2021 eingesetzte Expertenrat kritisiert: „Ein Mangel an Übereinstimmungen von verfügbaren Informationen, ihrer Bewertungen und den resultierenden Empfehlungen trägt zur Verunsicherung der Bevölkerung bei“ und „untergräbt das Vertrauen in staatliches Handeln.“(s. FAZ 1.02.22) Hinzu kommen die sich widersprechenden Aussagen zur Wirksamkeit der Impfungen, einzelner Impfstoffe. Immer mehr Menschen, zum mindesten diejenigen, die nicht einen politischen Hintergrund, verzweifeln. Es gelingt ihnen nicht, die Fülle von Informationen und Widersprüche in einen für sie verständlichen Zusammenhang zu bringen, und einige gehen dann auf die Straße. Diese werden offensichtlich immer mehr, was rechte Netzwerke selbstverständlich dazu ermuntert, unter diesen Menschen Unterstützung zu suchen.
5. Eines ist klar: Eine vergleichsweise mäßig besuchte Gegendemo in Form eines ‚Bündnisses gegen Rechts‘, noch dazu unter Polizeischutz, birgt die Gefahr, dass rechte Kräfte in der verbotenen Demo mehr Zuspruch gewinnen. Die politische Klasse merkt, dass ihnen – teils infolge der unvorhersehbaren Umwege des Virus, teils durch handwerkliche Fehler – die Felle davonschwimmen und ihre Unterstützung in Teilen der Bevölkerung rapide schwindet. Deshalb sind sie so scharf darauf, dass die Linken ihnen die Kohlen aus dem Feuer holen. Dazu sollten wir uns nicht hergeben!
6. Angesichts der Schwierigkeiten und Widersprüchlichkeit der Materie, in der wir uns bewegen, sollten wir Widersprüche aushalten und faire Formen der Auseinandersetzung wählen. Wilde Beschimpfungen gegen den ‚Offenen Brief‘ auf Facebook „geistiger Bankrott des Jour Fixe… sind sich nicht zu schade, mit Fachos auf die Straße zu gehen…. eines JF-Teilnehmers nehme ich davon ausdrücklich aus! Der Jour Fixe HH ist ein lockerer Diskussionszusammenhang unter linken Gewerkschaftern, mehr zwar nicht, aber dann auch wieder ganz schön viel!
Barbara
Liebe Genoss*innen und Kolleg*innen,
als Rentner kann ich ja die Diskussion um die schwurbelden Corona-Dramatisierer in der Linken mit Erfahrungen aus der Anti-AKW-Bewegung verbinden. Damals in den 1970ern demonstrierten ja auch Nazis gegen AKWs. Die Ludendorffer sahen das arische Erbgut in Gefahr. Die waren auch noch in Vorläuferparteien der Grünen präsent und sind es vielleicht noch heute in der ÖDP. Die AKWs wurden dadurch aber nicht besser.
Marxisten dagegen sahen in der sozialen Bewegung meist Maschinenstürmer, die sich vergeblich gegen den Fortschritt der Produktivkräfte auflehnen. Wolfgang Pohrt schrieb noch in den 80ern brilliante Polemiken gegen die Verherrlichung der in seinen Augen traditionell reaktionären Landbevölkerung. Lediglich die sozialrevolutionär orientierte Linke griff nach der Platzbesetzung in Wyhl die Proteste auf. Diese autonomen Gruppen anarchistischer Zielsetzung (Terminus des Verfassungsschutzes) schafften es auch, der Bewegung einen antikapitalistischen Kontext zu geben. Die Maoisten zogen nach, als die Bewegung in Schwung kam um ihrerseits Einfluss zu gewinnen. Der Kommunistische Bund (KB) schaffte dies bei der Gründung der Grünen.
Nun werde ich den Erfolg einer Strategie des KB oder des Lander Marsch nicht an Personen wie z.B. Jürgen Trittin fest machen. Wichtiger ist mir die sozialen Bewegungen zu sehen.
In der Covid-Pandemie hat die Linke hier total versagt. Es gibt nur wenige Ausnahmen, wie das Rhein-Main-Bündnis gegen Sozialabbau oder einige trotzkistische Splitter. Der Mainstream war für den Staat, wenn nur ein einziger Nazi dagegen ist.
Faktisch war die Pandemie vom Anfang an eine Seuche für uns Alte. Das Heimatministerium von Horst Seehofer hatte daher auf die Dramatisierung von Covid gesetzt https://www.abgeordnetenwatch.de/blog/informationsfreiheit/das-interne-strategiepapier-des-innenministeriums-zur-corona-pandemie
Als Linke sind wir Homophil. Wenn laut RKI Menschen „an und mit“ Covid im Alter von durchschnittlich 86 Jahren sterben, die Armutsbevölkerung dagegen im Schnitt mit 72, dann schliessen wir uns Karl Lauterbach an, der jedes Leben retten will. Da wäre jede ökonomische Überlegung, mich rentenfreudlich sterben zu lassen in der Nähe von Euthanasie. Nur geht die Ökonomie gerade in eine andere Richtung. Da wird mir Lauterbach ebenso wie zuvor Jens Spahn ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben verweigern, damit ich bis zum letzten Atemzug den Profiten einer Pflegeindustrie diene.
Zu Beginn der Pandemie hätte es etwa drei Monate Sinn gemacht, den Ablauf zu verlangsamen. Seither hat es aber noch keine Verbesserung im Gesundheitswesen gegeben. Immer noch dürfen Aktienkonzerne Krankenhäuser betreiben und immer noch stützt sich ein Gesundheitssystem auf private Arztpraxen, statt auf staatliche Polikliniken.
Im April 2021 gab es Ausgangssperren, obwohl nie mehr als 0,2 Prozent der Bevölkerung auch nur positiv auf Covid getestet waren. Da diskutiere ich nicht über die Aussagekraft der Tests, stelle aber fest: Die Pandemiebekämpfung liegt von Staatsseite nicht in einer Verbesserung des Gesundheitssystems, sondern in einer ordnungspolitischen Kontrolle der Bevölkerung.
All diese Punkte hätte eine sozialrevolutionäre Linke thematisieren können. Eine Linke, die vor allem jedem AFDler eine Impfspritze in den Arsch rammen will ist lediglich staatsfromm.
Volker Ritter, ver.di Erwerbslosenausschüsse
Der offene Brief ist gelungen. Das hier wieder „Linke“ laut rumheulen („geht euch impfen….“) und mit ihren Diffamierungen anfangen („Ihr seid ja so schlimm wie Nazis….“), sollte euch bestärken! Es ist wirklich UNERTRÄGLICH, wie sich diese „Lifestyle-Linke“ äußert und verhält. Ich sag es euch online und auch ins Gesicht: Ich als Marxist möchte mit euch nichts mehr zu tun haben! Ihr habt alle roten Linien überschritten. Ihr seid keine Verbündeten, sondern ihr liegt mit Lauterbach, Scholz und Barbock im gleich Bett. Ekelhaft!
Ich möchte mich diesem Aufruf anschließen, doch das eine oder andere „aber“ einflechten.
Es ist notwendig, den Umgang mit der Querdenkerbewegung zu hinterfragen. Es hat sich die zur Zeit größte außerparlamentarische Opposition entwickelt, in der die Linke praktisch keine Rolle spielt. In Spitzenzeiten ist es ihr gelungen, mehrere hunderttausend Menschen auf die Straße zu bringen und die öffentliche Debatte zu dominieren. Die Motivation, auf die Straße zu gehen, ist vielfältig und da stellt sich die Frage, warum es der Linken nicht gelungen ist, die Unzufriedenheit und Unruhe der Menschen zu erkennen und in kollektive soziale Kämpfe zu führen. Es ist recht erbärmlich, wenn Linke jetzt am Rand stehen und die Demonstrierenden anpöbeln.
Wenn diese Unzufriedenheit und Wut, die sich in dieser widersprüchlichen und merkwürdigen Bewegung zeigt, von Linken einfach nicht erwartet und im Vorfeld wahrgenommen worden ist, ist es ein Ruf, das eigene Millieu zu verlassen, um mitzubekommen, wie die Leute drauf sind, die sich bisher nicht für Politik oder Demos interessiert haben. Wenn man die gesellschaftlichen Zustände verändern will, muß man auch da hingehen, wo schmuddelig wird und die Leute anders reden und handeln, als man es gern hätte. „Der Revolutionär muss sich in den Volksmassen bewegen, wie ein Fisch im Wasser“ hat der olle Mao mal gesagt. Der kürzlich verstorbene Rainer Jansen, Mitbegründer der GoG Bettriebsgruppe bei Opel, formulierte es so: „Diese Sache des Links-Seins in der Gesellschaft (…) und das Up-to date-Sein in der Gesellschaft, ist etwas, das mit einem unheimlichen Aufwand von Freizeit und Mühe, Lesebereitschaft und dergleichen, begleitet wird. … Wenn wir die Leute nicht erreichen, können wir alles vergessen… Längerfristig wird es darum gehen, dass genau Leute mit fortschrittlichen Ideen auch in die Sümpfe reingehören, da wo Scheiße geredet wird.“
Ich schlage mich mit einer handvoll Leuten aus der Querdenkerbewegung herum, streite mich mit ihnen, höre zu und versuche zu verstehen. Dafür wurde ich von Linken als Querfrontspinner beschimpft. Ich ziehe es vor, mit ihnen einzeln zu reden, im Umfeld ihrer Bewegung muß ich es nicht haben. Ich kenne weitere Leute, die, wie die Verfasser des offenen Briefs, die Querdenkerproteste für eine Bewegung von unten halten, eine Art neuer Gelbwestenbewegung voller Chancen. Diesen Optimismus teile ich nicht (mehr).
Die Einordnungen als „Normalos“ oder „aus der Mitte der Gesellschaft“, aber auch „aus dem Pflege und Gesundheitsbereich“ sind für meine Ohren keine wohlklingende Einordnung. Während „Normalos“ für mich eher unangenehm sind, erscheint mir „die Mitte der Gesellschaft“ als purer Horror. Es hält sich die Vorstellung, es seien hauptsächlich langzeitarbeitslose, perspektivlose Ostdeutsche, die sich für rechte Parteien entscheiden würden, doch die größte Wählerschaft der Rechtspopulisten liegt bei der vom Absturz bedrohten Mittelschicht. Ich halte auch den Bereich der Medizin- und Heilbranche für nicht unproblematisch. In neoliberalen Zeiten gibt einen großen Bereich von Soloselbständigen und Kleinstbetrieben in der Banche und gemeinsame ökonomische Interessen haben eine Vernetzung von Ärzten, Therapeuten, Heilpraktikern, Heilern und Quacksalbern entstehen lassen mit Zeitschriften und Messen. Schon lange vor der Pandemie entwickelten sich unter Einfluß esoterischer Kreise Vorstellungen und Weltbilder, die zweifelhaft bis haarsträubend sind, doch in diesen Zusammenhängen unwidersprochen blieben. Wir haben es nun mit den Langzeitfolgen dieser Entwickungen zu tun.
Die Leute aus der Querdenkerszene, mit denen ich zu tun habe, sind alterstechnisch querbeet, von Grafitiszene über alleinerziehende Mutter bis zur Rentnerin. Was sie eint, ist ein irgendwie links-alternativer Hintergrund. Es ist alles dabei, ein anarchistischer Background, ein alternativer hippiemäßiger Hintergrund mit langjährigem Leben auf dem Land, oder auch Erfahrungen in Friedensbewegung, Anti-AKW Bewegung oder auch Frauenbewegung.
Ich würde es verstehen, wenn sie sich bestimmten Themen der Querdenkerbewegung zueigen machen würden (wie man die Gefahren einer Infektion oder einer Impfung einschätzt), doch dabei bleibt es nicht. Im Zusammenhang mit dem Sog der Querdenkerbewegung haben sie weitgehend ihr bisheriges Weltbild an den Nagel gehängt und ihren politischen Kompaß umgepolt.
Die Querdenkerbewegung hat etwas sektenhaftes. Die Zugehörikeit bietet etwas, was man in diesen Zeiten nicht mehr kennt und was die Linke nicht zu bieten hat. Alle waren eher neoliberal Vereinzelte und ohne Einfluß auf den Lauf der Welt. Doch plötzlich sind sie Teil einer Massenbewegung, sie versetzen Medien und Politik in Angst und Schrecken. Und in dieser Bewegung steckt auch das Versprechen, daß ein Umsturz der Verhältnisse möglich ist. Es wird in den Aufrufen und Parolen recht klar formuliert: Es ist Massenbewegung, die einen demokratischen Widerstand leistet gegen ein gerade entstehendes diktatorisches Regime.
Das Sprachrohr und Massenblatt der Bewegung heißt „Demokratischer Widerstand“ https://demokratischerwiderstand.de/, herausgeben von ehemals Linken Anselm Lenz und Hendrik Sodenkamp aus der Kulturszene. Ihnen ist es gelungen, in linker Verpackung rechte Inhalte zu vermitteln. Da klingt alles irgendwie nach Basisbewegung, APO, Widerstand gegen die da oben, gegen diktatorische Tendenzen und für Freiheit. Das Gemeinschaftsgefühl der Bewegung, die Erfolge des Zivilen Ungehorsams, und die scheinbare Ratosigkeit der Politiker sind so mitreißend, da will man nicht mehr hinter die Oberfläche dieser Versprechen blicken.
Diese heterogene Bewegung ist nicht mit den Gelbwesten vergleichbar und sie ist keine Basisbewegung, wie sie es vermitteln möchte. Es gibt da klare Führungsstrukturen und die liegen in keinen guten Händen.
Es hätte nie so weit zu kommen brauchen. Nach den ersten Lockdownmaßnahmen zeigte sich an verschiedenen Stellen Unzufriedenheit, Unruhe und Widerspruch. Zuallererst waren es Alleinerziehende in systemrelevanten Jobs, die arbeiten sollten, die Kitas waren aber dicht. Es gab nicht nur ökonomische Probleme und Ängste, es gab auch des Gefühl, es in der eigenen Bude nicht mehr auszuhalten.
Die Schwurbler haben diesen Leuten ein offenes Mikrophon gereicht. Die Linken haben nicht zugehört und forderten eine strengere Einhaltung der staatlichen Maßnahmen als der Staat selbst. Die staatlichen Verlautbarungen und Maßnahmen wurden für jeden sichtbar immer widersprüchlicher. Auch da wußten die Schwurbler anzusetzen, während es von links stramm staatstragend klang.
Wir haben es nun mit einer Situation zu tun, die wir selbst verbockt haben. Auch die einfachen Muttis, die noch nie zuvor demonstriert haben, wiederholen das Querdenkermotto: „Wir lassen uns nicht spalten.“ In der Praxis heißt es: „Wir demonstrieren weiter mit Nazis.“
Egal wieviele rote Fahnen und Transparente mit guten Parolen auf ihren Märschen auftauchen mögen, ich glaube nicht daran, damit das politische Klima in dieser Bewegung spürbar verändern zu können.
Ich hoffe auf ein Abflauen der Bewegung mit den Rücknahmen der Coronamaßnahmen. Ich werde weiter mit den Leuten reden, die sich in diese Richtung verirrt haben. Und ich hoffe, daß die Linke aus diesen Erfahrungen lernt, sie sich weniger mit sich selbst beschäftigt und Kämpfe organisiert, die sich gegen „die da oben“ richten, also die Politik der Wirtschaft und Regierung, die wir alle zu spüren bekommen. Wir sollten aufhören, unzufriedene, verwirrte und verirrte Menschen als Gegner zu behandeln und in die Arme der Rechten zu treiben.
Der Zustand des Gesundheitswesens, das Wohnen oder die Situation in der Arbeitswelt sind Themen, über die kann man auch mit Menschen diskutieren, die nicht links sind.
Mit solidarischen Grüßen
Kuddel