Anmerkung der Redaktion:
Es gibt im Umkreis von Jour Fixe Gewerkschaftslinke Hamburg und auch unter den Lesern des Jour Fixe Info seit Beginn der Corona-Pandemie und den Regierungsmaßnahmen eine Debatte mit sehr unterschiedlichen Standpunkten. Jetzt auch zum Ukraine-Krieg. Einiges der Debatte spiegelt sich auf unserer homepage unter „Kommentare“ wieder. Der Kollege Udo hat nun einen Beitrag geschickt, in dem er besonders auf den bei uns verlinkten Text von „Dancing Bulll“ eingeht, aber auch Kritik übt an unserem Standpunkt, zB was die Forderung nach Öffnung von Nordstream 2 betrifft.
Reaktionen auf den Beitrag von Udo werden gern veröffentlicht!
Ausgangspunkt von Udos Beitrag ist der von uns verlinkte Beitrag von Dancing Bull im JFI 46-2022:
Was das Framing „rechtsoffen“ alles verrät
— Eine Antwort auf den Beitrag zur Querfrontdiskussion :
„ Was das Framing rechtsoffen alles verrät“(1)
Der Vorwurf an die Antifa, die dem Hamburger Forum und anderen „Rechtsoffenheit“ bescheinigt, lautet, diese lebe nur in ihrer eigenen Blase und wolle autoritär bestimmen, was politisch akzeptiert wird und erhebe ein Kontaktschuldprinzip, wenn andere versuchen über diese enge Szene hinaus Gesprächsbereitschaft mit einer Bewegung suchen, die sich gegen die Pandemie- und Krisenpolitik der Bundesregierung gebildet hat.
Dem wird beispielhaft die Gelbwestenbewegung in Frankreich 2018-20 gegenübergestellt, „ die sich graswurzelartig selbst ermächtigten und autonome, egalitäre Strukturen entwickelten“.
Was unser Autor dazu beschreibt, kann ich nur bestätigen. In einem Umfeld von ca. 30% Le Pen Wählern entstand eine kraftvolle Bewegung, die auch diese rechten konservativen Menschen aufnehmen konnte und progressive Positionen und antiautoritäre Strukturen entwickelte. Die darüber hinaus in der Lage war, zeitweilig auch andere Bewegungen wie die gegen die Rentenreform, Schülerbewegung, betriebliche Streiks, Umweltbewegung, Proteste gegen einen Flughafenbau und andere zu integrieren.
Was unser Autor „ Dancing Bull“ leider vergaß zu beschreiben ist, die Gelbwesten waren zunächst in der Provinz beheimatet und richteten sich auch gegen den in Frankreich sehr zentralistischen Staatsaufbau, der unter Macron zunehmend demokratische Grundrechte abbaute, sie entwickelten auch deswegen sehr basisdemokratische Vorstellungen in Bürgerversammlungen, Parteien rechte -wie -linke wurden nicht geduldet. Beides verhinderte anfängliche Versuche des RN sich dort an die Spitze zu stellen. Faschistische Organisationen, die sich dennoch in die Demonstrationen mischen wollten, wurden teils gewaltsam -auch mit Hilfe der Antifa- heraus geprügelt.
An diesem Punkt stellt sich die Frage, was bedeutet der Begriff „Rechtsoffen“ ? Waren die Gelbwesten rechtsoffen, weil dort auch Le Pen Wähler mitmachten, oder waren sie es eben nicht, weil sie Positionen und Strukturen entwickelten, die es für Rechte unmöglich machten hier inhaltlich anzudocken ?
In Deutschland hat sich 2020 in der Pandemie eine Bewegung gebildet, die sich ebenso gegen einen zunehmend autoritären abgehobenen Staat zur Wehr setzt, der zentrale bürgerliche Rechte einschränkt oder gar aufhebt, verbunden mit Abwälzung der Krisenbewältigungskosten und sozialer Ausgrenzung bis hinein in die Mittelschicht. Dies nach jahrzehntelanger neoliberaler Durchdringung und Spaltung der Gesellschaft.
Was macht nun den Charakter dieser Bewegung aus, bestehend aus linken Einzelpersonen, Esoterikern und Impfgegnern, Kleinselbstständigen und allgemein sich gesellschaftlich abgehängt Fühlenden ?
Anknüpfen könnte man von linker Seite sicherlich an der Kritik einer zunehmend autoritären Staatlichkeit, sowie einer Kritik an den Medien, die die soziale Wirklichkeit vieler kaum noch abbilden und immer mehr gerade jetzt auch beim Ukraine Krieg ein moralisch geprägtes monolitisches Weltbild verbreiten. Zudem sind die berechtigten sozialen Proteste zu unterstützen, wenn die Corona Maßnahmen Kleinselbstständige in Existenznot gebracht haben oder wenn Krankenpflegerinnen auf ihre katastrophale Situation in den Kliniken aufmerksam gemacht haben.
Dennoch, wo sind bei diesen sog. „Querdenkerdemonstrationen“ solidarische demokratische Strukturen, Verbindungen mit anderen sozialen Bewegungen, fortschrittliche Ideen wie Gesellschaft gemeinschaftlicher funktionieren könnte, oder gar antikapitalistische Ansätze, wie sie bei den Gelbwesten entwickelt wurden ? Ich entdecke dort eher einen zutiefst individualistischen Freiheitsgedanken, verbunden mit Ausgrenzungen anderer, sowie, einer massiven Ablehnung der Klimabewegung, der größten Bewegung der letzten Jahre.
Organisiert und geführt wird diese Bewegung besonders in Ostdeutschland von faschistischen Teilen der AFD und noch weiter rechtsstehenden Gruppierungen. In Hamburg treten diese bei den Kunsthallendemos noch nicht so offen auf, aber auch hier nehmen rechte Einzelpersonen oder auch Teile der Partei die Basis maßgeblichen Einfluss, die eindeutig Kontakte zu weit rechts stehenden Strukturen besitzen. Diese behaupten, die Begriffe „ Rechts“ und „ Links“ seien veraltet, man müsse zusammen stehen. Was ist das anderes als Propagierung einer Querfront ?
Wenn von linker Seite dann mit letzteren organisierend zusammengearbeitet wird oder auch nur diese auf Friedensdemonstrationen als Teil begrüßt werden, werden rote Linien eindeutig überschritten. Hier geht es nicht mehr darum neugierig und offen Leuten gegenüber zu sein, die mit diesem System in Konflikt geraten, sondern es ist der Versuch über rechte Organisatoren Einfluss auf eine von diesen geführte Bewegung zu nehmen. Das nenne ich, neben bei bemerkt, den Versuch „ die Kontrolle und Macht“ zu übernehmen.
Mehr noch, es werden wahrscheinlich, um anschlussfähig zu sein, nationalistische Positionen übernommen: plötzlich müssen angeblich die deutschen nationalen Interessen gegen den US- Imperialismus verteidigt werden und die Öffnung von Nordstream 2 wird propagiert, um der Bevölkerung wieder günstige Energieversorgung zu ermöglichen. Sollen das linke Positionen sein ? Das hört sich mehr nach einem Schulterschluss mit dem deutschen Kapital an, leider verfolgt das ganz andere Ziele. Wieso werden da so reaktionäre Positionen eingenommen, statt an die Mietenbewegung ( Vergesellschaftung von Immobilien ) oder der Krankenpflegerinnenbewegung (Revergesellschaftung der Krankenhäuser) anzuknüpfen und dies auch für die Energieversorgung zu fordern, wo das System kollabiert und es ohnehin Verstaatlichungen gibt ( was allerdings noch lange nicht eine Überführung ins Gemeinwohl bedeutet)?
Ich teile hingegen die Kritik von „Dancing Bull“, dass die Linke in einer Blase gefangen ist. Aber das gilt nicht nur für die Antifa, sondern ebenso für den Teil der Linken, die sich noch auf gewerkschaftlich, betriebliche Arbeit beziehen. Bis auf wenige Einzelpersonen gibt es kaum organisierte Linke mehr in den Betrieben. Wenn sich diese, die hier verwurzelt sind, auf die Kunsthallendemos beziehen, halte ich das für einen verzweifelten Versuch eben aus dieser Blase heraus zu kommen.
Ebenso teile ich die Kritik, an dem weit verbreiteten Schwarz-Weiß denken. Wir müssen aufarbeiten, was in der Pandemie passierte, als es kaum eine andere Wahl in der linken Szene gab, sich bei den Verschwörungstheoretikern einzuordnen, oder staatliche Politik weitestgehend mit zu tragen. Wieso war es kaum möglich die Pandemie ernst zu nehmen, sich da solidarisch zu verhalten und gleichzeitig eine unsoziale autoritäre staatliche Politik oder das private Gesundheitswesen, anzuprangern ? Änliches passiert jetzt in der Kriegsfrage.
Es ist absolut geschichtsvergessen jede soziale Bewegung gut zu heißen, gleichzeitig ist es jedoch von Antifa Seite kopflos Menschen die auf den Kunsthallendemos mit marschieren, unterschiedslos als Nazis zu beschimpfen. Die Anliegen dieser Menschen sollten vielmehr ernst genommen und nach Antworten darauf gesucht werden.
Bei einem Anteil von bundesweit 15% AFD – Wählern hilft ein Entlarven und Anprangern nicht weiter. Auch hier stimme ich mit „ Dancing Bull“ überein. Das treibt diese Leute erst recht in die Arme von Faschisten und in eine Ecke, aus der sie nicht mehr herauskommen. Deswegen finde ich, auch wenn die Bedingungen in Deutschland andere sind, es wichtig, sich mit den Erfahrungen der Gelbwestenbewegung zu beschäftigen.
Es entstehen zur Zeit in vielen Städten Sozialbündnisse, die die Funktion auf die sozialen Probleme nach Antworten zu suchen, übernehmen können und werden. An den Demonstrationen dieser nehmen für manche noch enttäuschend wenige Leute teil, aber es ist immerhin ein guter Anfang, wenn kleinere Gruppen aus den Stadtteilen sich organisieren, vernetzen und so über die Vielfalt an Kraft gewinnen, statt es den Gewerkschaften zu überlassen die „richtigen“ Forderungen zu stellen.
Bei aller Kritik am Vorgehen vom Hamburger Forum und anderen, die ich ausdrücklich teile, einen Ausschluss dieser von unseren Demos und Bündnissen, wie es einige Gruppen verlangen, wäre absolut falsch. Da geht es nicht nur um Einzelpersonen, es wäre eine Spaltung der gesamten Linken. Gerade die entstehenden Sozialbündnisse sind auf Erfahrungen und Kontakte dieser eher aus dem betrieblichem und gewerkschaftlichem Spektrum Kommenden dringend angewiesen.
(1) https://eutopie.blackblogs.org/2022/11/06/was-das-framing-rechtsoffen-alles-verrät