Jour Fixe mit Orhan Akman: Nicht nur ein gelungener sondern ein begeisternder Abend

Das zeigte sich schon daran, daß alle hoch aufmerksam blieben bis zum Schluß um 22 Uhr 15 während es sonst ab 21 Uhr 15 bröckelt, ein Zeichen, daß man zum Schluß kommen muß. Und dann gingen noch viele mit Orhan in den Feldstern nebenan um weiter zu diskutieren!

Es war oft so, daß von unseren ständigen Jour Fixe TeilnehmerInnen diese sich bei späteren Diskussionen auf die Referenten früherer Jour Fixes bezogen: „Wolfgang Schaumberg/ Werner Rügemer/ Herbert Werner hat ja gesagt…“. Dies dürfte nach dem Jour Fixe mit Orhan auch der Fall sein. Wenn es in den nächsten Monaten und Jahren um Demokratie und den Weg der Gewerkschaften geht, wird man auf diesen Abend zurückkommen!

Hier ein Artikel von Orhan beim Gewerkschaftsforum Dortmund, der inhaltlich dem entspricht, was er uns an dem Abend vermittelte:

https://gewerkschaftsforum.de/raus-aus-der-sackgasse-die-gewerkschaft-verdi-steht-kopf-es-kommt-darauf-an-sie-wieder-auf-die-fuesse-zu-stellen-ein-plaedoyer/#more-15530

Orhan begann seinen Bericht, indem er schilderte, wie er als 11 Jähriger mit seinen Eltern nach Deutschland kam, nach Rheda-Wiedenbrück! Dort arbeitete er zwei Jahre bei Tönnies, war dabei mit acht Kollegen einen Betriebsrat zu gründen. Leider hatten sie in ihrer Gruppe einen Verräter, quasi einen Sozialpartner. Orhan wurde entlassen.

Orhan ist noch oft in Rheda-Wiedenbrück, besucht seine Mutter.

Wir schenkten ihm das von uns kürzlich herausgegebene Buch: Ist das System Tönnies passé? Welche Perspektiven haben Landwirtschaft, Schlachthöfe und Tierrechte?

https://diebuchmacherei.de/produkt/ist-das-system-toennies-passe/

Als Bundesfachgruppenleiter ist Orhan auch zuständig für Amazon.

Es waren mehrere Amazon-KollegInnen aus Winsen gekommen, auch ein verdi-Sekretär aus Bremen.

Viele der Anwesenden schilderten ihr Arbeitssituation und ihre konkrete Kritik an den Gewerkschaften, auch die Amazon-KollegInnen aus Winsen. Sie berichteten, wie es ihnen gelungen ist bei den Betriebsratswahlen im Mai 2022 mit verdi-Listen die Mehrheit zu erringen – gegen die bisherige BR-Vorsitzende, die eine Sozialpartnerschaft par excellenz praktiziert hatte!

Detlev, der neue Betriebsratsvorsitzende, war auch gekommen. Er ist schon gekündigt worden und wird am Mittwoch, 5. April seinen Prozeß vor dem Arbeitsgericht in Lüneburg haben. Wir wollen mit möglichst vielen nach Lüneburg fahren!

Wir vom Jour Fixe haben von Anfang an verdi dabei unterstützt, bei Amazon in Winsen eine Betriebsgruppe aufzubauen. Wir sind mehrere Jahre hingefahren, haben vor dem Betriebstor oder am Winsener Bahnhof Flugblätter verteilt, an Treffen mit Amazon-KollegInnen teilgenommen.

Die Arbeit der UnterstützerInnen fruchtete wenig! In drei Jahren waren wohl nicht viel mehr als 30 Amazon-Beschäftigte in verdi eingetreten! Unser Eindruck war, das wird noch viele Jahre dauern ehe Winsen sich an einem bundesweiten Streik gegen den Konzern wird beteiligen können! Und es zeigte uns auch auf, wie begrenzt die Unterstützungsarbeit als von außen ist!

Was vorhanden sein muß, daß sich bei den Beschäftigten eine – wenn auch kleine – Gruppe bilden muß, als Kern des Widerstands. Das war in der letzten Zeit in Winsen der Fall! Diese Gruppe arbeitete auf die Teilnahme an den Betriebsratswahlen Anfang 2022 hin, stellten mehrere verdi-Listen auf. Und errangen die Mehrheit.

Und sie beteiligten sich zum ersten Mal an den bundesweiten Streiks!

Mit berechtigtem Stolz berichteten sie, daß 500 KollegInnen in verdi eingetreten sind!

An diesem Abend sprang der Funke des Engagements und der Begeisterung über auf alle TeilnehmerInnen!

Zeigte uns doch Orhans Initiative und die Praxis der KollegInnen aus Winsen was möglich ist durch engagierte und beharrliche Gewerkschaftsarbeit im Betrieb – jenseits der Sozialpartnerschaftsideologie! Kein Mitgliederschwund enttäuschter KollegInnen („Nichtkämpfen kann ich auch allein!“) sondern den massenhaften Beitritt von KollegInnen, die sich wehren wollen.

Nur so hat verdi und alle anderen Gewerkschaften ebenfalls eine Zukunft. Alles nur durch Arbeit an der Basis, durch Druck von unten.

(Hier nochmal die Einladung: https://gewerkschaftslinke.hamburg/event/jour-fixe-205/)

Leider mußte die aktuelle halbe Stunde mit dem Bericht von Nosrat zum Aufstand im Iran ausfallen, weil er erkrankt ist. Hier sein Bericht!

https://gewerkschaftslinke.hamburg/2023/01/13/der-revolutionaere-aufstand-im-iran/

Hier die Einführung des Moderators:

Lieber Orhan,

wir haben dich eingeladen, auch weil wir vom Jour Fixe Gewerkschaftslinke viel gemeinsam haben mit deinen Vorstellungen. Nicht nur mit deinen Vorstellungen sondern auch, was unsere Praxisfelder betrifft, daß wir Amazon (Bad Hersfeld) seit 2013, dem ersten Streik unterstützen, daß wir vor fünf Jahren ein Bündnis von Anti-Tönnies-Initiativen gegründet haben. Beides, Tönnies und Amazon sind auch mit deiner beruflichen Laufbahn verbunden.

Es geht heute aber nicht um Einzelaspekte sondern um deine und unsere gewerkschaftlichen und politischen Ziele!

Du bist mit deinen gewerkschaftlichen Vorstellungen im verdi-Apparat in Berlin in Konflikte geraden und 2 mal fristlos gekündigt worden. Du kandidierst jetzt für den Bundesvorstand.

Du stellst in der Einladung die Frage:

„Sind sie Sozialpartnerschaftsorgane zur Befestigung des kapitalistischen Systems oder Klassenkampforganisationen mit dem Ziel einer sozialistischen Gesellschaft?“.

Einige wichtige Stationen der Sozialpartnerschaft:

a) Renate Dillmann schreibt in ihrem neuesten Buch „Der soziale Staat“, daß die Sozialpartnerschaft…

in der „Zusammenarbeit der antagonistischen Interessen von Kapital und Arbeit unter staatlicher Aufsicht“ im August 1914 offenkundig geworden sei, durch die Zustimmung der SPD zu den Kriegskrediten und dem Burgfrieden zwischen Kapital und Gewerkschaften.

Das Kaiserreich brauchte sein gesamtes Volk, auch die bis dahin bekämpften Sozialdemokraten und nicht zuletzt die Gewerkschaften, für den Krieg, der jetzt „total“ geführt wurde. Millionen deutsche Arbeiter wurden mit dem Segen des ADGB (als ADGB 1919 gegründet) in den Tod geschickt.

b) Eine weitere wichtige Etappe war die Zeit nach dem 2. Weltkrieg, als die Masse der ArbeiterInnen antikapitalistisch eingestellt war. Viktor Agartz war damals der beliebteste und einflußreichste Gewerkschaftsführer. Er stand für Klassenkampf, war ein Gegner der Westbindung und für Neutralität und Blockfreiheit der Bundesrepublik! Deshalb wurde er von Adenauer, der katholischen Kirche, CIA, Verfassungsschutz kaltgestellt durch die Anklage: Landes- und Hochverrat. (Das klingt wie Verschwörungstheorie, ist aber alles dargelegt im Buch von Viktor Agartz: Verraten und verkauft. Eine Abrechnung: Unter Pseudonym Hans G. Hermann)

Die DGB-Führung und die SPD-Führung, deren Mitglied Viktor Agartz war, ließen ihn fallen.

Agartz, von Gustav Heinemann und Diether Posser verteidigt, bekam einen Freispruch 1. Klasse, aber politisch war er tot.

Die Wege für Adenauer zur totalen Westbindung und der Weg des DGB zur Sozialpartnerschaft waren frei, ein Haupthindernis beseitigt.

c) Als weitere Etappe ist die Jugend- und Studentenbewegung zu nennen, als tausende jüngere Menschen in die Betriebe gingen „um die Welt zu verändern“. Sie gerieten oft schnell mit den etablierten und sozialharmonischen Betriebsräten und Gewerkschaftsapparaten aneinander.

Jedenfalls war es eine Zeit von 10-15 Jahren, in der das Sozialpartnerschaftskonzept des DGB zumindest im Ansatz infrage gestellt wurde.

d) Ist heute der Gipfel der Sozialpartnerschaftsideologie erreicht, der Symbiose mit Kapital und der Regierung? Bestes und typisches Beispiel ist die DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi. Sie sagte: »Aber jetzt ist nicht die Zeit für grundsätzliche kapitalismuskritische Debatten«. Besser hätte es kein Kapitalist ausdrücken können!

Wenn man über Sozialpartnerschaft spricht, hat das leicht den anklagenden Ton: Das ist schlimm, was die Gewerkschaftsspitzen mit ihren Mitgliedern machen, wenn sie die Sozialpartnerschaftsideologie auf die Mitglieder herunterkippt. Denn zu einer Partnerschaft gehören zwei! In diesem Falle drei! Erstens die Kapitalisten, zweitens die Gewerkschaftsspitzen und drittens die Mitglieder der Gewerkschaften.

Aber warum lassen die Mitglieder es zu, daß Politik gegen ihre Interessen gemacht wird? Hoffen sie in unendlicher Geduld, daß die GewerkschaftsführerInnen eine bessere Politik machen? Leiden sie lieber als die Verantwortung zu übernehmen und zu kämpfen und „die da oben“ vom Sockel zu stoßen“? 

e) Ich bin jetzt bei meinem großen historischen Bogen bei dir angelangt, bei deinem Konflikt mit dem verdi-Bundesvorstand.

Deine fristlosen Kündigungen haben schon einiges öffentliche Interesse geweckt, die bürgerliche Presse wird sich auf deine Kandidatur zum Verdi-Vorstand stürzen.

Bisher haben sich die Kolleginnen an der Basis kaum um die Führungen in den Zentralen gekümmert. Ich weiß das auch von den Amazon-Kollegen in Bad Hersfeld. Ihnen ging es um den örtlichen Sekretär, ob der sie unterstützte oder desinteressiert war. (Die Hersfelder hatten übrigens großes Glück all die Jahre mit ihrer Sekretärin!).

Wie schätzt du es ein, werden nicht nur die Amazon-KollegInnen sich stärker für die Vorgänge „oben an der Spitze“ interessieren als bisher? Es sind ja einige Amazon-KollegInnen hier. Das können wir also gut diskutieren.

Es geht natürlich nicht nur um Amazon und verdi sondern um alle Gewerkschaftsmitglieder: Entsteht Widerstand gegen die Fahimis in den Spitzen unserer Gewerkschaften?

Literatur zum Thema:

Waldemar Bolze. Der Weg der Gewerkschaften. 181 Seiten. Herausgegeben von der Gruppe Arbeiterpolitik im Jahre 1948.

https://dewiki.de/Lexikon/Waldemar_Bolze

(Das Buch kann unter diesem link heruntergeladen werden!)

A. Enderle, H. Schreiner, J. Walcher, E. Weckerle: Das rote Gewerkschaftsbuch. 1932.. 192 Seiten. Herausgegeben von der Gruppe Arbeiterpolitik, Neuausgabe 1980.

https://docplayer.org/37197596-Das-rote-gewerkschaftsbuch.html (herunterladen)

Bestellung der beiden Bücher bei Gruppe Arbeiterpolitik:

https://arbeiterpolitik.de/kontakt/

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