Richterin Samadizada-Ludwig spricht Ali Ahmed (Sprecher Lampedusa-Flüchtlinge) frei!

We are here to stay !
Bericht von Prozessbeobachter*innen von der mündlichen Verhandlung gegen Ali Ahmed vor dem Amtsgericht St. Georg am 30. März 2023

Am 30. März 2023 wurde vor dem Amtsgericht St. Georg gegen Ali Ahmed, einen der Sprecher der Gruppe Lampedusa in Hamburg, drei zusammengefasste Strafanzeigen aus dem Jahr 2018 verhandelt. Über die Jahre hinweg war der Prozess bereits einige Male verschleppt worden, nachdem der Angeklagte Ali Ahmed (Sudan) gegen die drei Anklagepunkte Einspruch eingelegt hatte.

Die vorsitzende Richterin Samadizada-Ludwig erinnerte den Staatsanwalt vor ihrer Eröffnung der Verhandlung daran, dass das Gericht bereit sei, das Verfahren mangels öffentlichen Interesses sofort einzustellen. Dies habe die Kammer der Staatsanwaltschaft im Laufe der Jahre bereits mehrmals erfolglos vorgeschlagen. Aber auch der heutige Vertreter der Anklage bestand darauf, dass das öffentliche Interesse durch den Angeklagten sehr wohl verletzt worden sei, so dass die Richterin das Verfahren eröffneten musste.

Zu Beginn gab Ali Ahmed ein sehr offensives Statement ab, mit dem er detailliert darstellte, welche unerträglichen Lebensbedingungen die Verantwortlichen der Stadt besonders den schwarzen Schutzsuchenden hier in Hamburg zumuteten, indem ihnen das Aufenthaltsrecht und die damit verbundenen sozialen Rechte seit Jahren verweigert werden, obgleich § 23 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes dies alles ausdrücklich ermögliche. Er kritisierte auch dass den „weißen” Geflüchteten aus der Ukraine alles zugestanden werde was den Schwarzen verweigert werde.

Er schloss mit der Frage an den Staatsanwalt, ob dieser ihm erklären könne, in welchem Verhältnis die Auswirkungen dieser dauerhaften Einschränkung ihrer Menschenrechte zu der Anwesenheit einer Isomatte im Kundgebungszelt der Gruppe Lampedusa steht.
Dem Staatsanwalt fiel offenbar nicht so schnell eine passende Antwort ein. Die Richterin tolerierte Alis langes Statement mit gespannter Aufmerksamkeit ohne zu unterbrechen und sagte, sie werde später darauf zurückkommen, wenn am Ende der Verhandlung Recht gesprochen worden sei.

In der Sache ging es um die Dauerkundgebung der Gruppe Lampedusa mit ihrem Zelt am Steindamm, die seit 2013 von der Versammlungsbehörde genehmigt, aber von der Polizei mit beinahe täglichen Kontrollen und „Nadelstichen“ erschwert worden war.

Das Kundgebungszelt diente schon seit 2013 als Ort der Information und Kommunikation von schwarzen Geflüchteten und hatte für diese einen hohen Wert als solidarischer Treffpunkt angesichts ihrer bedrohlichen Lebenssituation. Am 20. März 2020 war das Zelt unter Einsatz starker Polizeikräfte gegen Protest und Widerstand abgerissen worden.
In den Jahren zuvor waren Ali Ahmed und einige weitere Aktive der Gruppe Lampedusa auf Verlangen der Versammlungsbehörde auf einer Liste als Versammlungsleiter geführt worden, damit die Polizei des PK 11 am Steindamm stets einen „Vertreter” der Gruppe für mögliches „Fehlverhalten” von Anwesenden zur Verantwortung ziehen konnte. In den drei vorliegenden Strafbefehlen war die Polizei jeweils davon ausgegangen, dass Ali Ahmed seine „Aufsichtspflicht” durch zeitweilige Abwesenheit nicht „ordnungsgemäß” wahrgenommen hätte und daher einer Verletzung von Auflagen der Versammlungsbehörde schuldig sei. Der Vorwurf: Er hätte verhindern müssen, dass es in dem Zelt eine unerlaubte
„Schlafinfrastruktur“ gegeben habe.
An drei verschiedenen fünf Jahre zurückliegenden Tagen hatten Polizist*innen unter anderem protokolliert, dass sie nächtens einen Mann auf einem Stuhl schlafend im Zelt gesehen hätten und dass sich im Zelt auch Decken, Kissen und ähnliches Schlafzeug befunden hätten. Das Schlafen im Zelt sei aber verboten gewesen, weil es laut „Vereinbarung” mit der Versammlungsbehörde nicht Teil der Dauerkundgebung sein könne. (Viele Mitglieder der Gruppe Lampedusa waren damals und sind auch noch heute zeitweise oder dauerhaft wohnungslos. Die Au flage der Versammlungsbehörde besagte kein ausdrückliches Verbot im Kundgebungszelt zu schlafen, sondern untersagte die Einrichtung einer „Schla finfrastruktur”, was auch immer darunter zu verstehen war.)

Zur Verhandlung waren nun drei Polizeibeamte und eine Polizeibeamtin des PK 11 als Zeug*innen vorgeladen.
Alle vier litten unter Gedächtnislücken wenn sie gefragt wurden, ob Ali Ahmed an dem betreffenden Tag zur betreffenden Stunde tatsächlich der aktuelle Kundgebungsleiter gewesen sei. Auch räumten sie übereinstimmend ein, dass sie mit ihrem Schulenglisch nicht in der Lage gewesen seien, dem Angeklagten die angeblichen Verletzungen der Bestimmungen der Versammlungsbehörde, wie zum Beispiel den Begriff Schlafinfrastruktur „rechtssicher” darzulegen. Die Kommunikation mit Herrn Achmed sei mit diesen Sprachbarrieren immer schwierig gewesen, was aber wegen seines stets „unkomplizierten, kooperativen und friedlichen“ Verhaltens ihnen gegenüber problemlos gewesen sei.
Die Befragung der Polizist*innen durch die Strafverteidigerin Britta Eder, den Staatsanwalt und besonders detailliert seitens der Richterin beanspruchte gefühlte vier Stunden. Nach Abschluss der „Beweisaufnahme” plädierte der Staatsanwalt in einem der drei Fälle für schuldig und beantragte eine Strafe von fünfzehn Tagessätzen zu fünf Euro.

Alis Verteidigerin Britta Eder plädierte auf Freispruch, weil die Tatvorwürfe sich in keinem der drei Fälle bestätigt hatten.
Vor der Urteilsverkündung nahm Ali sein Recht auf eine persönliche Stellungnahme wahr, in der er noch einmal die rassistische Diskriminierung besonders der Schwarzen und der anderen People of Colour durch diesen Staat in Einzelheiten darstellte und deren Ende verlangte.

Das Urteil der Richterin lautete auf Freispruch in allen drei Fällen.

Bevor sie abschließend zur Urteilsbegründung kam betonte die Strafrichterin, dass sie persönlich ganz bei Alis Statements sei und seine Rassismuskritik aus eigenem Erleben teile. Ihre Eltern seien mit ihr als dreijährigem Mädchen vor dem Bürgerkrieg aus dem Iran nach Deutschland geflüchtet. Hier habe sie als Kind und als Jugendliche die gleiche Diskriminierung erfahren, wie die von der Ali berichtet habe. Sie erzählte auch von ihrem Sohn, der sie gefragt habe, ob es nicht Rassismus sei, wenn die weißen Geflüchteten aus der Ukraine alles bekämen was sie brauchen, das aber den Schwarzen, die mindestens ebenso bedürftig seien, verweigert wird. Mit dieser wirklich glaubwürdigen Ausführung erfüllte sie die Ankündigung, die sie vor dem Beginn der Verhandlung gemacht hatte. Sie betonte zugleich, dass dies nichts mit ihrer professionellen Aufgabe als Strafrichterin zu tun habe.

Es bleibt abzuwarten, ob die Staatsanwaltschaft gegen das Urteil Berufung einlegen wird.

Dafür hat sie eine Woche Zeit. Da sie über fünf Jahre hinweg immer wieder auf Verfolgung der Strafanzeigen gegen Ali Ahmed bestanden hatte, wird sie die Beweisaufnahme gründlich analysieren und nach Möglichkeiten einer Wiederaufnahme des Verfahrens suchen.

Ob es dazu kommt, oder ob das Urteil Bestand haben wird, wird nichts daran ändern, dass Ali mit seiner kämpferischen Offensive gegen den staatlichen Rassismus den Angriff gegen die Gruppe
Lampedusa zurückgewiesen und die Forderungen nach menschenwürdiger Behandlung und ihrem Bleiberecht auch vor Gericht selbstbewusst behauptet hat.
„We are here to stay!”
Christian Lehmann-Feddersen
Hamburg, 04. April 2023
 

One Reply to “Richterin Samadizada-Ludwig spricht Ali Ahmed (Sprecher Lampedusa-Flüchtlinge) frei!”

  1. Das deutsche Recht besteht aus dem Glück, einen neutralen, die Waage richtig haltenden Richter zu bekommen. Müsste nicht der anklagende Staatsanwalt für sein gebeugtes Rechtsverständnis angeklagt werden?

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