Kritik von Sebastian am Jour-Fixe-Info und Antwort auf Kritik

Kritik von Sebastian am Jour-Fixe-Info

Sebastian schrieb am 15/06/2023 um 13:33 Uhr als Kommentar:
Ich lese seit vielen Jahren mit großem Interesse den Jour-Fixe-Newsletter, denn die Sammlung zu Entwicklungen der Arbeitsverhältnisse ist hervorragend. Leider ist seit einigen Jahren die Tendenz festzustellen, dass andere Themen einen immer größeren Raum einnehmen. Um nicht missverstanden zu werden: Ich finde es durchaus richtig, dass ein gewerkschaftslinkes Netzwerk auch andere politische Themen aufgreift. Die Frage ist aber welche Themen das sind und in welcher Weise diese behandelt werden.
Ich habe von Beginn an die Berichterstattung zur Corona-Pandemie kritisch gesehen und deshalb auch häufiger mit Dieter diskutiert. Die Hoffnung, dass sich mit weitgehendem Ende der Pandemie und Rücknahme der Maßnahmen im Newsletter wieder stärker auf genuin gewerkschaftslinke Themen konzentriert wird, hat sich leider nicht erfüllt. Das zeigt beispielhaft der Hinweis auf einen Beitrag, der überschrieben ist mit „Der ‚Alerta‘-Fraktion müssen Grenzen gesetzt werden“.
Darin geht es um die vermeintliche Cancel Culture einer angeblich regierungstreuen „Alerta“-Fraktion. Kritisiert wird darin, dass „sogenannte Antifa oder woke Aktivisten“ Künstlern mit kritischer Haltung zur Corona- oder Kriegspolitik der Bundesregierung das Leben schwer machen. Über zehn Ecken rekonstruiere man eine Rechtsnähe, heißt es in dem Beitrag. Diese zehn Ecken braucht es im Fall des verlinkten Beitrags freilich nicht. Es ist bedauerlich und erschreckend, dass diejenigen, die den Newsletter erstellen, es inzwischen offenbar egal
ist, dass sie auf offensichtlich rechte Seite verlinken.
Der Beitrag ist auf der Seite von Paul Brandenburg erschienen, der während der Pandemie etwa meinte, es gebe in Deutschland einen Merkel-Faschismus, allerdings keine Pandemie in Deutschland. Das hat das frühere FDP-Mitglied allerdings nicht davon abgehalten, mehrere Corona-Testzentren in Deutschland zu eröffnen, um ordentlich Kohle abzusahnen.
Auch ein exemplarischer Blick auf seine Twitter-Aktivitäten zeigt, wo Brandenburg politisch steht. Er kritisiert etwa, dass Friedrich Merz noch einmal betont hat, die Union dürfe nicht mit der AfD zusammenarbeiten, bezeichnet die taz und Innenministerin Nancy Faeser absurderweise als Linksextremisten, verweist auf Beiträge von Roland Tichy sowie der Jungen Freiheit und spricht mit Blick auf die aktuelle Debatte um Geflüchtete von einer „Migrationsflut“. Das alles ist nicht aus den vergangenen Jahren zusammengesammelt. Die aufgeführten Beispiele stammen allein aus Tweets von Brandenburg aus dieser Woche!
Leider ist das Beispiel des Links auf die Seite von Brandenburg nur ein Beispiel für die fragwürdige Entwicklung, die der Newsletter nimmt. Ich hoffe sehr, dass sich die Redaktionsmitglieder des Newsletters nicht mit solchen Positionen identifizieren und in Zukunft nicht weiter auf rechte Seiten verlinkt wird. Denn diese halte ich nicht nur für politisch falsch, sondern auch für Gift für Klassenkämpfe von unten. Ein Bündnis mit einem diffusen, in vielen politischen Fragen rechts stehenden Milieu, zu dem auch Brandenburg zu rechnen ist, schafft aus sozialistischer Sicht keine neue Möglichkeiten, sondern verhindert sie.
Mit solidarischen Grüßen

 

Antwort auf Sebastians Kritik am Jour Fixe Info

Du hast eine allgemeine zum Jour Fixe Info (JFI) und eine spezielle Kritik zu einem konkreten Link im JFI 23-2023.
Die allgemeine bezieht sich wohl auf die letzten 3,5 Jahre, dem Beginn der Corona-Pandemie.
Wir haben im JFI von Anfang an zu den Corona-Regierungsmaßnahmen Stellung genommen, mit kritischen Artikeln dazu und in Anmerkungen. Wir haben die Methode der Regierung, das topdown-Prinzip kritisiert, die Verlautbarungen der „Regierungssprecher“ Lauterbach, Wieler und Drosten. Wir hatten die Idee, wie viele Kritiker, daß ein Beraterstab gebildet wird mit Mitgliedern verschiedener Fachrichtungen, nicht nur Mediziner und Virologen, und mit unterschiedlichen Einschätzungen. Aus deren Diskussionen hätte sich eine Annäherung an die gesamtgesellschaftlich reale Corona-Situation ergeben, eine Annäherung an eine wissenschaftliche Wahrheit. Eine „wissenschaftliche“ Wahrheit wurde aber von Lauterbach, Drosten, Wieler topdown verkündet und in Maßnahmen umgesetzt. Auch unter Umgehung des Parlaments.
(Zur Praxis des „Expertenrates“: https://www.velazquez.press/p/freigeklagt-die-geheimakte-corona ) Anmerkung: die 1. Sitzung des Expertenrates ist am 14.12. 2021

Die Maßnahmen haben besonders Kinder und Familien mit Kindern stark betroffen und auch KollegInnen in den Betrieben wegen des unzureichenden Gesundheitsschutzes.
Verwundert es dich, daß das über etliche Monate entsprechenden Platz im JFI eingenommen hat? Genau dies haben wir aber bei uns diskutiert, daß es ein Leben und unsere politische Praxis außerhalb der Corona-Pandemie und Corona-Maßnahmen gibt. Kritik der Corona-Maßnahmen nahm immer nur einen Teil des Platzes im JFI ein! Ich schätze jeweils 10-30 Prozent. Man kann es ja nachprüfen!
Ähnlich ist es jetzt seit 1,5 Jahren, dem Beginn des Ukraine-Krieges. Schwerpunkt im JFI sind originäre gewerkschaftliche Themen, die Betriebe, das Arbeitsleben. Auch das läßt sich quantitativ nachprüfen.
Für mich heißt links sein, seit ich gewerkschaftlich und politisch aktiv bin, mißtrauisch gegen Kapitalisten und Regierung zu sein. Das war so bei den Corona-Maßnahmen als auch jetzt im Ukraine-Krieg.
Für einige, die sich links nennen, scheint das nicht mehr zu gelten, ein zumindest punktuelles Zusammengehen mit dem Klassengegner ist möglich. Wie zB Anfang Januar 2022, als Olaf Harms (DKP) und Christiane Schneider (frühere Linkspartei-Abgeordnete in der Bürgerschaft) eine Demo gegen die Kunsthallendemos organisierte – vorneweg SPD, DGB, Grüne, dahinter 1.950 Linke und „Linksradikale“. Alles ganz normal?
Und jetzt die Waffenlieferungsspirale in die Ukraine, im Schlepptau der Regierung. Nach dem Motto: Der eine Linke denkt so und der andere so.
Deine spezielle Kritik bezieht sich auf das JFI 23-2023 mit dem Artikel von Eugen Zentner: Der „Alerta“-Fraktion müssen Grenzen gesetzt werden.
Dazu hast du zwei Kritikpunkte: Einmal bist du mit dem Artikel nicht einverstanden, so wenn du formulierst „vermeintliche Cancel Culture einer angeblich regierungstreuen „Alerta-Fraktion“„
Genau das, was der Verfasser Eugen Zentner beschreibt, ist uns vom Jour Fixe Anfang vorigen Jahres zum ersten Mal passiert, als wir die „gelbe Karte“ vom Geschäftsführer der GEW bekamen und vor einigen Wochen die „rote Karte“: Keine Raumnutzung mehr für Jour Fixe Gewerkschaftslinke der GEW-Räume im Curiohaus. Dasselbe ist dem Hamburger Forum passiert, auch in bezug auf das Curiohaus. Dasselbe den Nachdenkseiten Hamburg in der W 3 (Altona). Dasselbe attac AG Gesundheit in der W 3. Dasselbe Nachdenkseiten Hamburg und Orga-Kollektiv Kunsthalle bei einer Veranstaltung im Rudolf-Steiner Haus (Versuch gescheitert). Dasselbe Wolfgang Gehrke und Christiane Reimann bei einer geplanten Veranstaltung anläßlich eines von ihnen herausgegebenen Buches.
Soll ich noch weitere Beispiel aufzählen?
Für Deutschland und Österreich gibt es inzwischen Dutzende oder vielleicht schon Hunderte solcher Fälle – Aktionen, einer unerwünschten öffentlichen Diskussion den Raum zu nehmen, Künstler mit einer Anti-Mainstream-Haltung aus der Öffentlichkeit zu verdrängen.
Der Artikel von Eugen Zentner gibt die Realität, speziell das Vorgehen bestimmter Richtungen der Antifa gegen mißliebige Künstler, sehr gut wider, deshalb steht er im JFI!
Dann kritisierst du, daß wir diesen Artikel von Zentner genommen haben, verlinkt auf der Seite von Paul Brandenburg.
Uns kommt es auf den Inhalt an! Falls Zentners Artikel in der FAZ, der UZ oder in der Morgenpost erschienen wäre, hätten wir ihn auch genommen! (Wir hätten natürlich zum Paul-Brandenburg-Portal einen kritischen Hinweis plazieren können. Bei anderen Medien auch?)

Meinst du dies als Möglichkeit im Ernst: „Ich hoffe sehr, dass sich die Redaktionsmitglieder des Newsletters nicht mit solchen Positionen identifizieren“ (gemeint sind Positionen Paul Brandenburgs. DW).
Meinst du diese Formulierung im Ernst „Ein Bündnis mit einem diffusen, in vielen politischen Fragen rechts stehenden Milieu, zu dem auch Brandenburg zu rechnen ist, schafft aus sozialistischer Sicht keine neue Möglichkeiten, sondern verhindert sie.“ Ein Bündnis mit rechten Kräften traust du uns ernsthaft zu?!
Das erinnert mich an die mails und twitter-twests von der Antifa und HBgR an den GEW-Vorstand, Jour Fixe sei rechtsoffen.
Verdrehte Welt. Du kritisierst nicht, daß (Januar 2022) 100 linke/linksradikale Grüppchen/Organisationen hinter den Herrschenden herlaufen, gemeinsam protestierend gegen die Kunsthallendemos, denen selbst Tschentscher zugestand, daß es Menschen aus der bürgerlichen Mitte seien und es deren Recht sei zu demonstrieren. Du kritisierst stattdessen diejenigen, auch uns, die dieses Recht wahrnehmen und
damit das Feld nicht den Rechtsextremen überlassen, die Einfluß nehmen wollen. Verdrehte Welt!!

Ja, wir diskutieren mit KollegInnen vom Orga-Kollektiv Kunsthalle und da gibt es auch Differenzen, z.B. wenn sie Redner für die Demos einladen, die wir nicht eingeladen hätten, z.B. den Berliner Arzt Paul Brandenburg.
Wir setzen beim Lesen des JFI den mündigen, emanzipierten Gewerkschaftskollegen voraus, der sich informieren will, durch Inhalte, ob aus der FAZ, Rote Fahne, von Eugen Zentner, auch im Abdruck von der homepage von Paul Brandenburg. Und wir setzen voraus, daß der/die die Quellen durchaus einzuordnen weiß. Wir haben auch schon Artikel – weil wir den Inhalt für die LeserInnen des JFI für wichtig hielten – aus den antideutschen Blättern Jungle World und Konkret verlinkt. Warum kritisierst du nicht die Benutzung dieser Quellen und FAZ, Rote Fahne?

Allgemeine Anmerkung zu den Kunsthallendemos:

Wir haben es uns – von Anfang an – als Aufgabe gestellt, Betriebsbewegungen und Bewegungen auf der Straße zu unterstützen. Also auch die „Kunsthallendemos“, an denen sich zuletzt im Januar letzten Jahres 30.000 Menschen beteiligten. Der große Teil davon Lohnabhängige, „Menschen aus der bürgerlichen Mitte“ (Tschentscher). Der Hamburger Verfassungsschutz wird da in seinem Jahresbericht für 2022 natürlich genauer, wenn er feststellt: „Die Teilnehmenden der Kundgebungen gegen Corona-Schutzmaßnahmen sind nur zu einem sehr geringen Teil als extremistisch zu klassifizieren. Die Äußerung von scharfer oder auch polemischer Kritik und die Möglichkeit auf Protest sind grundrechtliche geschützt und wichtiger Bestandteil einer Demokratie“ … „Für Hamburg galt im Jahre 2022 weiterhin, daß Rechtsextremisten sich zwar als Einzelpersonen oder Kleingruppen an Versammlungen beteiligten, dabei aber weder ideologischen noch organisatorischen Einfluss erlangten. Dagegen haben Personen und Gruppen, die in ihrer Agitation mit linksextremistischen Narrativen arbeiten, relevanten Einfluß auf das Protestgeschehen entwickelt“.
Diese Sätze aus dem Verfassungsschutzbericht sind eine schallende Ohrfeige für die „Linken und Linksradikalen“, die gegen die Kunsthallendemos und ihre Unterstützer vorgehen! Eigentlich sollte nicht erst der Bürgermeister und der Verfassungsschutz linke AktivistInnen über den Charakter einer Bewegung aufklären sondern diese sollten sich neugierig einmischen!
Einige vom Jour Fixe Gewerkschaftslinke haben sich ab November 2021 an diesen Demos beteiligt.
Nun gibt es KollegInnen, für die die Kunsthallendemos nicht die richtige Bewegung darstellen, weil ihren Vorstellungen nach nicht die richtigen Menschen auf der Straße sind, weil die Demonstranten falsche Motive hätten.
Daß diese Menschen seit Herbst 2021 wegen ihrer unter Corona-Auflagen leidenden Kinder, wegen der Einschränkungen ihrer Grundrechte, auf die Straße gehen, ist für diese KritikerInnen kein hinreichender Grund. Für uns schon!
Wir stehen an ihrer Seite, wenn es gegen verfehlte Coronamaßnahmen der Regierung geht, oder wenn jetzt seit Monaten bei den Demos die Aufrüstungspolitik und die Waffenlieferungen in die Ukraine angeprangert werden.
Und im Gegensatz zu den „Linken und Linksradikalen“, die sich sowohl bei den Coronamaßnahmen als auch im Ukrainekrieg auf die Seite von Regierung und Kapital gestellt haben, stehen wir auf der Seite dieser Demonstranten. Nicht auf der Seite derjenigen, die von einem „3. Weg“ reden, der gefunden werden müsse.
Für uns gilt es, grundsätzlich mißtrauisch gegen Regierung und Kapital zu sein, denn unsere und ihre Interessen sind unvereinbar.
Die Nichtbeteiligung an einer Bewegung wie sie bei den Kunsthallendmos zu Ausdruck kam, war die Verweigerung von politischer Praxis.
Die Organisierung und Beteiligung an einer Gegendemo zu den Kunsthalendemos war eine politische Verirrung und konkret machte man sich gemein mit der Gegenseite!
Die Krönung war das Verhalten von einigen „Linksradikalen“ bei den Kunsthallendemos, wenn sie, schwarzgekleidet, am Rande stehend, die Demonstranten anbrüllten: „Nazis, Nazis. Wir impfen euch alle“. So ein Verhalten kann ich nicht einordnen.
Ein weiteres Zeichen, welcher Geist unter bestimmten „Linksradikalen“ herrscht, zeigt sich, wenn sie sich an der Kampagne regierungstreuer Organisationen wie den DGB-Gewerkschaften gegen Impfpflichtgegner und Kriegsgegnern beteiligen. Die Frage ist, ob es eine Umkehr von dieser Haltung gibt. Wahrnehmung der Realität und Reflektion des eigenen politischen Selbstverständnisses wären die Voraussetzung dafür. Und manchmal nützt es sogar, die Realitäten zur Kenntnis zu nehmen, die der Verfassungsschutz verbreitet – auch wenn das dem aktuellen eigenen Narrativ widerspricht.

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