Bericht der Kollegin Entisar (Amazon Winsen) auf dem 218. Jour Fixe am 2.12.2023

Hallo zusammen, ich bin Entisar und komme aus Eritrea. Ich bin die älteste von 8 Geschwistern. Meine Mutter hat sich damals entschieden, nach Deutschland auszuwandern, um uns eine bessere Zukunft zu ermöglichen. In Eritrea herrschte zu dieser Zeit ein Bürgerkrieg. Meine Mutter hat ihre gesamten Ersparnisse genommen und ist mit drei kleinen Geschwistern nach Deutschland gekommen. Zwei Jahre später sind wir dann mit vier Geschwistern und meinem Vater nachgekommen.
Unser erster Eindruck von Deutschland war sehr schön. Wir sind in die Hauptschule in die 7. Klasse gekommen. Wir konnten kein Deutsch verstehen, aber unsere Klassenlehrerin war politisch und sozial sehr engagiert und hat uns beigebracht, wie man sich in Deutschland zurechtfindet. In dieser Zeit gab es noch keine Sprachkurse, also mussten wir uns selbst durchschlagen. Glücklicherweise waren wir noch sehr jung und konnten uns schnell an die neue Sprache gewöhnen.
Kurz nach unserer Ankunft in Deutschland gab es die Wende 1989. In dieser Zeit war die politische Situation in Deutschland sehr angespannt. Es gab viele Neonazis und Rechtsradikale, die Ausländerheime anzündeten. Wir hatten sehr viel Angst. In den Medien waren viele Berichte über Neonazis, die Menschen auf der Straße oder Ausländer angriffen. Die Angst wurde immer größer, aber wir haben uns zu Hause versteckt und sind nicht rausgegangen. Meine Mutter hatte sogar überlegt, Deutschland wieder zu verlassen.
Ich hatte auch sehr viel Angst, aber ich musste weitermachen. Ich musste mich um meine Geschwister kümmern und mit ihnen lernen. Mein Bruder musste in eine andere Stadt ziehen, um eine Ausbildung zu machen. Dort wurde er von Neonazis zusammengeschlagen und schwer verletzt.
Diese Erfahrungen haben uns allen bewusst gemacht, dass wir uns viel mehr anstrengen müssen, um uns in Deutschland zu behaupten. Wir mussten uns vor Angriffen von Fremdenfeinden schützen. Es war nicht einfach, hier Fuß zu fassen. Wir hatten Schwierigkeiten in der Ausbildung und bei der Arbeit.
Ich habe schnell geheiratet, aber auch mit meinem deutschen Mann hatten wir Probleme. Wir sind in ein kleines Dorf bei Uelzen gezogen. Dort gab es eine starke Neonazi-Szene. Mein Sohn wurde in der Schule und im Kindergarten wegen seiner schwarzen Mutter belästigt und geschlagen. Er wurde sogar dazu aufgefordert, in seine Heimat Afrika zurückzukehren.
Ich war mir bewusst, dass wir dieses Dorf verlassen mussten. Als mein Sohn in der 4. Klasse war, wurde er von einem älteren Schüler im Bus zusammengetreten. Der Busfahrer und andere Leute haben nichts getan, um ihm zu helfen. Ich war schockiert und bin zur Schulleiterin gegangen. Sie hat sich entschuldigt und den Jungen aus der Schule geworfen. Aber ich wusste, dass wir nicht weiter in diesem Dorf bleiben konnten. Die Fremdenfeindlichkeit war zu stark.
Nach der Scheidung bin ich in eine andere Stadt gezogen. Ich wollte mein Glück versuchen, aber mit meinem ausländischen Namen konnte ich keine Wohnung finden. Erst als ich den Namen meines Mannes genannt habe, wurde mir ein Vorstellungsgespräch oder ein Besichtigungstermin vereinbart. Aber als ich dann vor Ort war, waren die Vermieter überrascht, dass ich so gut Deutsch spreche. Sie meinten, dass sie leider keine Wohnung für mich haben.
Bei der Jobsuche hatte ich das gleiche Problem. Sobald mein Name gelesen wurde, wurde ich nicht eingeladen. Deshalb habe ich einfache Arbeiten gemacht, wie Putzen. Das war zwar einfach, aber ich konnte mich nicht weiterentwickeln.
Ich bin aber eine Kämpferin, wie meine Mutter. Als ich arbeitslos und krank war, hatte ich das Glück, dass Amazon 2017 in Winsen eröffnet hat. Meine Mutter meinte, dass wir dort arbeiten sollten. Es war ein (guter) gutbezahlter Job und wir hatten Glück, dass wir eingestellt wurden.
Meine Mutter hat mit ihrer Sprachkenntnis vielen Menschen geholfen. Sie hat den Betriebsrat mitgegründet und viele ausländische Mitarbeiter unterstützt. Leider wurde sie nach zwei Jahren gekündigt, weil sie sich für die Rechte der Arbeitnehmer eingesetzt hat.
Ich bin im Betriebsrat geblieben und wurde nach vier Jahren zur Vorsitzenden des Wahlvorstandes für die Betriebsratswahlen gewählt.  Ich wollte etwas verändern und habe mich dafür eingesetzt, dass die Arbeitnehmer besser behandelt werden. Ich habe es geschafft, einen neuen Wind in den Betrieb zu bringen und die Zusammenarbeit zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern zu verbessern, damit sie  auf gegenseitigem Respekt beruht!
Ich arbeite  mit Menschen aus 95 Nationen zusammen und das gern. Ich fühle mich hier nicht mehr fremd. Ich fühle mich zu Hause. Jeder hilft dem anderen und ich bin hier gerne.
Die Gewerkschaftsarbeit ist sehr schwierig, aber sie ist es wert. Es ist wichtig, dass die Menschen ihre Rechte kennen und nicht ausgebeutet werden. Ich bin dankbar, dass ich die Chance bekommen habe, etwas zu verändern. Ich hoffe, dass ich auch weiterhin viel erreichen kann.
Vielen Dank für eure Einladung. Ich hoffe, dass ich euch mit meinem Bericht meine Situation etwas näher gebracht zu haben.

 

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