Leserbrief zu Mitgliedszahlen, Wilder Streik im Hamburger Hafen in Publik 7-2023

Betrifft: Publik 7-2023

An die Redaktion von Publik!

In jeder Ausgabe von Publik bringt ihr die Rubrik „Eintritte in den Bezirken“. Aber ihr bringt nicht die Rubrik „Austritte“. Warum nicht? So erweckt ihr den Eindruck: Wir werden immer mehr. Obwohl das Gegenteil der Fall ist!
Verdi schrumpft, wie auch die anderen DGB-Gewerkschaften. Seit Mitte der 90er Jahre haben Hunderttausende verdi verlassen.
Um gegenzusteuern, müßte erst mal soviel Ehrlichkeit sein, offen mit Mitgliedszahlen umzugehen. Um dann auf die Gründe zu kommen, warum KollegInnen in verdi eintreten – und austreten!
Viele treten aus, weil sie vom verdi-Apparat enttäuscht sind!
Der Druck in den Betrieben nimmt rasant zu. Das hat zur Folge, daß sich gottseidank (naturgemäß!) oft Widerstand dagegen entwickelt. („Da braut sich was zusammen“, wie ihr richtig auf der Titelseite schreibt!). Dabei wähnen die KollegInnen verdi an ihrer Seite. Und sind enttäuscht, wenn zu wenig oder keine Unterstützung vom Apparat kommt oder sie ausgebremst werden. Ich habe gehört, daß in etlichen Betrieben die aktiven KollegInnen Gespräche führen: „Wir brauchen eine bessere Gewerkschaft, sollte man nicht eine Betriebs-/Konzerngewerkschaft gründen?“
Die Diskussion über die aufkommende Stimmung unter aktiven KollegInnen sollte in Publik geführt werden!

Und jetzt zum „Wilden Streik“ im Hamburger Hafen.
Ihr habt in Publik 7/2023 einen Artikel dazu veröffentlicht: Das Herz des Hafens.
Für mich stellen sich anläßlich dieses Streiks in bezug auf die Rolle von verdi mehrere Fragen. Warum hat verdi diesen „Wilden Streik“ nicht übernommen und damit legalisiert? Er wäre dann nach drei Schichten nicht abgebrochen sondern fortgesetzt worden, sogar erweitert um die beiden anderen Containerterminals!
Verdi spielte eine widersprüchliche Rolle während des Streiks, die die Streikenden und alle anderen Hafenarbeiter irritiert hat!
Warum haben die Hafensekretäre nach Beendigung des „Wilden Streiks“ keine allgemeine Versammlung für alle Hafenarbeiter organisiert?! Um über das Gewesene zu reflektieren und zu überlegen wie es weitergeht!
Die Privatisierung der HHLA ist keine ausschließliche Hafenangelegenheit sondern geht alle HamburgerInnen an! Warum organisiert verdi nicht eine entsprechende Kampagne in Hamburg?
So blieb es Jour Fixe Gewerkschaftslinke Hamburg (am 13.12.) und der MLPD (am 16.12.) vorbehalten, eine Veranstaltung zum „Wilden Streik“ zu organisieren!
Warum ist das keine ureigene Sache von verdi?
Die HHLA-Betriebsrätin Jana Kamischke sagt in dem Artikel in verdi-Publik 7-23 „Das Herz des Hafens“: „Dazu brauchen wir aber die Unterstützung der HamburgerInnen, die uns gegen die Pläne des Senats unterstützen. Jetzt geht es um die Zukunft des Hamburger Hafens.“ Sie hat vollkommen Recht!

Warum macht verdi keine Kampagne?!
Warum werden in diesem ansonsten informativen Artikel nicht die widersprüchlichen Äußerungen von verdi-Funktionären und verdi-Gremien wiedergegeben, die die Streikenden sehr irritiert haben? Soviel Ehrlichkeit sollte sein!

Anbei:
Rede von Jürgen Bönig zum MSC-Deal
Auf der ver.di-Kundgebung der Hafen-Kolleg/innen auf dem Rathausmarkt am 11.11.2023 hat der Historiker Jürgen Bönig (Museum der Arbeit) eine sehr fundierte und vielbeachtete Rede zu den Hintergründen des HHLA-MSC-Deals und der berechtigten Kritik an diesem Deal gehalten.
https://www.sozonline.de/2023/11/die-interessen-von-msc-sind-nicht-die-interessen-der-stadt-hamburg-und-ihres-hafens/
Mit freundlichen Grüßen
Dieter Wegner, Verdi/ÖTV-Mitglied seit 1964

PS
Falls ihr diesen Leserbrief (gern auch als Artikel!) nicht beabsichtigt abzudrucken, bitte ich um Mitteilung!

Mailverkehr mit Chefredakteurin Petra Wetzel, Publik

Am 18.12.2023 um 18:46 schrieb Wetzel, Petra:
Lieber Dieter Wegner,
vielen Dank für deinen Leserbrief.
Was die „Eintritte in den Bezirken“ betrifft, sollen die vor allem motivieren. Und entgegen deiner Behauptung, schrumpft ver.di aktuell nicht. Ganz im Gegenteil werden wir dieses Jahr mit einem deutlichen Mitgliederzuwachs beenden. Ob wir das in den kommenden Jahren beibehalten können, wird sich zeigen. Denn natürlich verlieren wir auch jedes Jahr Mitglieder, die meisten durch den Eintritt ins Rentenalter. Wie der Arbeitsmarkt werden wir da in den nächsten Jahren möglicherweise auch eine größere Austrittswelle verzeichnen, wenn die sogenannten Boomer in Rente gehen, also die geburtenstarken Jahrgänge. Was uns im Moment positiv stimmt, ist der Zuwachs vieler junger Mitglieder. Unter dem in diesem Jahr eingetretenen Mitgliedern sind rund ein Drittel unter 28 Jahre alt.
Die Austrittsgründe sind tatsächlich vielschichtig, die Unzufriedenheit mit dem „ver.di-Apparat“, wie du es nennst, nur einer von vielen Gründen und keinesfalls der häufigste, eher ein seltener Grund.
Was den Hamburger Hafen betrifft, werden wir deine Fragen an den Fachbereich weitergeben, die dazu deutlich detaillierter Auskunft geben können.
In diesem Sinne erst einmal schöne Feiertage und besten Gruß

Petra Wetzel
Chefredakteurin
verdi publik, verdi.de, ver.di TV
ver.di Bundesverwaltung
www.verdi.de
www.publik.verdi.de

mail vom18.12.2023 um 21 Uhr 58:
liebe kollegin wetzel,
ich hatte auch die frage gestellt, ob ihr den leserbrief abdruckt.
gruß von
dieter wegner

mail von petra wetzel vom 18.12.23 um 22 uhr 13:
Lieber Dieter Wegner,
in ganzer Länge bestimmt nicht. Wir versuchen immer einen Querschnitt der eingegangenen Leserbriefe abzudrucken.
Besten Gruß
Petra Welzel

Die nächste Publik erscheint Anfang Februar 2024.
Ich bin gespannt, ob mein Leserbrief im „Querschnitt der eingegangenen Leserbriefe“ enthalten sein wird. Und auch darauf, was gekürzt wird.
Deshalb schon mal hier mein ungekürzter Leserbrief.

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