Stellungnahme von Jour Fixe Gewerkschaftslinke zur Diskussion mit dem GEW-Vorstand über „Rechtsoffen“

Stellungnahme von Jour Fixe Gewerkschaftslinke zur Diskussion mit dem GEW-Vorstand über „Rechtsoffen“

Antwort auf den Redaktionskommentar zu den Leser*innenbriefen der hlz 11-12/2023

Hitler hat den Menschen im Stande ihrer Unfreiheit einen neuen kategorischen Imperativ aufgezwungen: ihr Denken und Handeln so einzurichten, daß Ausschwitz nicht sich wiederhole, nichts Ähnliches geschehe“ (Theodor W. Adorno). Für die Wirksamkeit eines antifaschistischen Selbstverständnisses reichen dann keine Bekenntnisse, es muss sich in unserer Praxis widerspiegeln …“ (hlz 11-12/2023 S.31 1. Spalte unten)
Soweit herrscht unter uns wohl Konsens…
Die hlz-Redaktion anerkennt als antifaschistische Praxis nur das „Ziehen einer klaren Grenze gegen rechte Haltungen, Medien und Gruppierungen. Das ist aber keine Praxis, sondern ein ideologisches Bekenntnis.
Im Kampf gegen eine Entwicklung nach rechts in Richtung autoritärer Staat stehen wir dafür ein, dass die Gewerkschaften und alle Mitglieder sich vehement gegen den Abbau der
sozialen und politischen Grundrechte der lohnabhängigen Bevölkerung infolge der Krisen und Kriege wehren. Das kann und muss u. E. der unbedingte Inhalt unseres antifaschistischen Kampfes sein. Anders wird eine Entwicklung nach rechts nicht aufzuhalten sein.
Das
Ziehen einer klaren Grenze gegen rechte Haltungen“, so stellt(e) sich der Antifaschismus der bürgerlichen Parteien bis hin zur CDU/CSU auf. Ein solcher Antifaschismus ist bis in bürgerliche Kreise gern gesehen, denn er kostet die Herrschenden fast nichts. Ließen sich Wähler in der Vergangenheit noch durch solche Grenzziehungen schrecken, so ist die soziale und politische Unzufriedenheit eines Teils der arbeitenden Bevölkerung inzwischen so groß, dass solche Vorhaltungen weniger respektiert werden und auch Gewerkschaftsmitglieder vermehrt AFD wählen. Erinnern wir uns: Im einst „roten Hessen“ wurde die AFD jüngst mit 26 Prozent die meistgewählte Partei unter männlichen Gewerkschaftern.
Wollen wir verstehen, warum das
Ziehen einer klaren Grenze gegen rechte Haltungen“ erfolglos ist und bleiben wird, dann müssen wir die gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Entwicklung mit den Augen eines Lohnempfängers sehen:
Werfen wir also einen Blick auf die Demoskopie. Wir sind uns dabei bewusst, dass Umfragen nur Stimmungen widerspiegeln, die schnell umschlagen können:
Nach knapp drei Jahren enormer materieller und sozio-emotionaler Belastung durch die Pandemie, gefolgt vom Ukrainekrieg mit seinen wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Folgen, die durch den Krieg verschärfte Inflation, den im Oktober begonnen Nahostkrieg sehen laut Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach nur 28 Prozent der Befragten dem kommenden Jahr mit Hoffnungen entgegen. Das waren so wenige wie seit 1950 nicht mehr. (FAZ 21.12.2023)
Nach Allensbach glauben 50 Prozent der Deutschen, dass die BRD in zehn bis 15 Jahren nicht mehr zu den führenden Wirtschaftsnationen der Welt gehören wird. (FAZ 01.09.2023)
30 Prozent der Befragten insgesamt, 62 Prozent der AFD-Anhänger stimmen der Aussage zu: „Ich bin fest davon überzeugt, dass unsere Gesellschaft unaufhaltsam auf eine ganz große Krise zusteuert.“ (Allensbach FAZ 23.08.23)
Die Sorge um höhere Belastungen aufgrund neuer Vorgaben für das Heizen und eine bessere Energieeffizienz treibt 58 Prozent der Bevölkerung um, das entspricht rund 40 Millionen Menschen. In der Mittelschicht fürchtet sich jeder Dritte vor einer Überforderung, in den schwächeren unteren Schichten die Mehrheit. (Allensbach FAZ 18.05.23)
Während die Inflationsrate mit rund fünf Prozent kurz vor Kriegsausbruch bereits höher als in den 30 Jahren zuvor lag, erklomm sie im Jahresverlauf Schritt für Schritt Werte von erst sieben und später im Herbst 2022 sogar von über zehn Prozent und bedeutete damit Preissteigerungen auf einem Niveau, das es seit über 70 Jahren in Deutschland nicht gab. Diese enormen Preisanstiege gingen mit erheblichen finanziellen Belastungen der Menschen in Deutschland einher, sodass viele Menschen darauf mit Einschränkungen beim Konsum reagierten, insbesondere Haushalte mit geringen Einkommen. (Nr. 76 · Policy Brief WSI · 03/2023)
Einer aktuellen Umfrage der Wirtschaftsauskunftei Schufa zufolge hat ein Fünftel der privaten Haushalte seine Rücklagen aufgebraucht. Über die Hälfte der Befragten gab an, in ihrer Wahrnehmung weniger Einkommen zu haben. Seit 2020 sind die Reallöhne dem Statistischen Bundesamt (Destatis) zufolge in jedem Jahr gesunken. Die Abwärtsspirale konnte in diesem Jahr erst einmal angehalten werden. Die Verluste aus den vergangenen Jahren seien aber nicht aufgeholt worden. Derzeit bewegen sich die Reallöhne demnach auf dem Niveau von 2016. (Tagesschau 27.12.2023)
Mehr als ein Viertel der Beschäftigten in Deutschland hat Zweifel, die aktuelle Berufstätigkeit ohne Einschränkungen bis zum Rentenalter durchhalten zu können. (WSI 27.06.2023)
Warum besonders Eltern während der Pandemie auf die Straße gingen, dazu gibt uns der WSI Report Nr. 73 März 2022 Hinweise. Er befindet, dass die Instrumente zur Abfederung der Corona-Folgen nicht geeignet waren, Familien vor Extrembelastungen zu schützen, dass die unzureichende Absicherung und Individualisierung der Sorgearbeit besonders der Mütter mit besorgniserregenden politischen Vertrauensverlusten einhergingen.
Die Befürchtungen der arbeitenden Bevölkerung vor finanzieller Überforderung, Angst vor Abstieg und Zukunftsangst setzten das Krisenmanagement der Regierungskoalition unter enormen Druck. Eine Untersuchung des WSI kommt zu dem Ergebnis, dass im November 2022 nur noch 15 Prozent der Befragten „großes oder sehr großen Vertrauen“ in die Bundesregierung äußerten. Für die Gewerkschaften, deren Apparate durch ein Netz von feinen Äderchen mit einzelnen Parteien in der Regierung verbunden sind, ging der Wert von 24 Prozent im Oktober 2021 auf nur noch 19 Prozent im April 2022 zurück und kehrte auf 24 Prozent wieder zurück, nachdem die Bundesregierung umfangreichre Entlastungen versprochen hatte. Auffallend, dass nur bei den Gewerkschaften noch neun Prozent mit „weiß nicht“ antworteten. 29 Prozent vertrauen den Gewerkschaften wenig bis überhaupt nicht, 38 Prozent nur mittelmäßig. (Nr. 76· Policy Brief WSI 03/2023)
Wir als aktive Gewerkschafter im Jour Fixe Gewerkschaftslinke ziehen aus der geschilderten Entwicklung den Schluss, dass, wo immer Teile der arbeitenden Bevölkerung in Bewegung kommen, also für politische Fragen und Diskussionen und mögliche gemeinsame Aktionen offen werden, wir uns unbedingt einmischen müssen und unseren bescheidenen Einfluss auf die Gewerkschaften und die Gewerkschaftsmitglieder in diesem Sinne nutzen müssen. Letztlich kann nur die gemeinsame Verteidigung der sozialen und politischen Grundrechte der arbeitenden Bevölkerung die weitere Rechtsentwicklung aufhalten. Selbstverständlich sucht die Rechte bis hin zu den Faschisten diese Verunsicherung ebenfalls für sich zu nutzen.
Wir stehen auf der Seite der ErzieherInnen, der Pflegekräfte, der Eltern, die sich an den „Kunsthallendemos“ in Hamburg beteiligten. Die als Hauptleidtragende der Pandemie ihre Unzufriedenheit mit dem Krisenmanagement der Bundesregierung auf die Straße trugen und ihr politisches Grundrecht auf Versammlungsfreiheit wahrgenommen haben.
Selbstredend bieten wir unsere Unterstützung – wie schon seit über 19 Jahren – auch bei kollektiven Arbeitskonflikten an, ohne Rücksicht darauf, ob die Auseinandersetzungen von Gewerkschaftsgremien legitimiert worden sind. Nur wenn wir in diesem Sinne mehr selbstständig denkende und handelnde Gewerkschafter gewinnen, werden wir die Rechtsentwicklung und den Niedergang der Gewerkschaften aufhalten können.

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