Die Flüchtlings- und Migrationspolitik in Dänemark

Anne Jessen vom antifaschistischen Verein DEMOS, www.demos.dk

Seit der letzten Parlamentswahl im Jahr 2022 wird Dänemark von einer Koalitionsregierung aus zwei liberal-konservativen Parteien und der Sozialdemokratie, die das Amt der Staatsministerin innehat, geführt.

Die Sozialdemokratische Partei, die aus den Wahlen als stärkste Partei hervorging, entschied sich dafür, gemeinsam mit den konservativen Parteien eine Regierung zu bilden – und nicht mit dem linken Flügel, was eine parlamentarische Option gewesen wäre. Dadurch konnte die sozialdemokratisch geführte Regierung die harte Flüchtlings- und Migrationspolitik fortsetzen, die Dänemark in den letzten Jahren gekennzeichnet hat.
Es ist bekannt, dass Dänemark eine der strengsten Ausländerpolitiken in Europa hat.
Warum ist das so?

Historischer Rückblick
Zweifellos hat die rechtspopulistische und ausländerfeindliche Dänische Volkspartei eine entscheidende Rolle gespielt. Die 1995 gegründete Partei erhielt bei der Parlamentswahl 1998

7,4 % der Stimmen und konnte sich damit den Einzug ins Parlament sichern. Um zu verstehen, warum es der Partei gelang, einen Platz in der öffentlichen Debatte und im Parlament zu erobern, muss man zehn Jahre zurückgehen. Mitte der 1980er Jahre begannen rassistische und nationalistische Gruppen, die dänische Flüchtlings- und Einwanderungspolitik zu kritisieren darunter die Regelungen zur Familienzusammenführung. Die größte Einwanderungsgruppe kam aus der Türkei und Pakistan, was bedeutete, dass die muslimische Kultur und Lebensweise ein Teil des öffentlichen Lebens wurde. Dies war der Beginn eines spezifischen antimuslimischen Rassismus. Den Danske Forening (der Dänische Verein) wurde 1987 gegründet mit dem primären Ziel, eine Kultur- und Wertedebatte zu iniziieren. Eine Debatte, die letztendlich dazu führen sollte, die Einwanderung und Flüchtlinge zu stoppen und die Abschiebung von Ausländern voranzutreiben. Die dänische Kultur wurde als Gegensatz zur Kultur anderer dargestellt – insbesondere die der Muslime. Die Akteure waren vorwiegend Intellektuelle, die sich bewusst von den Straßenrassisten der Nazi-Gruppen distanzierten. Einige der führenden Persönlichkeiten des Dänischen Vereins waren Mitbegründer der Dänischen Volkspartei. Sie übernahmen auch Führungspositionen in der Partei und saßen viele Jahre lang im Parlament. Mehr als zehn Jahre lang war der Boden gedüngt worden, so dass rassistische und antimuslimische Rhetorik normal und akzeptiert war, bevor die Dänische Volkspartei ihren Sitz im Parlament einnehmen konnte.

Als 2001 die liberal-konservative Regierung unter Anders Fogh Rasmussen (spätererer NATO-Generalsekretär) an die Macht kam, erlangte die Dänische Volkspartei realen Einfluss auf die Einwanderungsgesetzgebung. Ganz schnell wurde die Gesetzgebung zu Flüchtlingen, Migration, Familienzusammenführung, Aufenthaltsgenehmigungen und Staatsbürgerschaft verschärft. Auch die Terrorgesetze wurden verschärft – mit besonderem Fokus auf den Nahen Osten (Muslime), mehr Überwachung und härtere Strafen. Nach dem Anschlag auf die Twin Towers in New York im Jahr 2001 und der aktiven Beteiligung Dänemarks an den US-Kriegen in Afghanistan und im Irak sowie der Karikaturenkrise im Jahr 2005 flammte die Kultur- und Wertedebatte weiter auf. Der Westen gegen die muslimische Kultur, die als minderwertig und schädlich für die Gesellschaft angesehen wurde.
Bei der Eröffnungsdebatte des dänischen Parlaments am 2. Oktober 2001 sagte die damalige Vorsitzende der Dänischen Volkspartei, Pia Kjærsgaard:
Es wurde erwähnt, dass der 11. September der Anlass für einen Kampf zwischen den Zivilisationen war. Damit bin ich nicht einverstanden. Denn ein Kampf zwischen Zivilisationen würde voraussetzen, dass zwei Zivilisationen beteiligt sind, und das ist nicht der Fall. Es gibt nur eine Zivilisation und das ist unsere.“

Zwanzig Jahre später am 18.5. 2020 schrieb sie in der Zeitung Information:
Wären wir … eine reichere, besser funktionierende und sicherere Gesellschaft ohne diese Ausländer aus nicht-westlichen Ländern? Die klare Antwort lautet: Ja!“
Seit den 1980er Jahren sind 40 Jahre vergangen, in denen der Druck auf Bürger nicht dänischer Herkunft, insbesondere aus muslimischen Ländern, ständig zugenommen hat. Ob man sich erst gerade im Land niedergelassen hat oder ob man schon seit Generationen hier lebt, spielt keine Rolle. Man gilt per se als nicht westlich, nicht integrierbar, unerwünscht.
Die langfristige Strategie, eine bestimmte Bevölkerungsgruppe als schädlich und unerwünscht abzustempeln, hat sich ausgezahlt. Die Haltung ist zum Mainstream geworden – in der öffentlichen Debatte, im Parlament und nicht zuletzt in der Gesetzgebung.

Die Flüchtlingspolitik
Dänemark war das erste Land der Welt, das 1952 die neue UN-Flüchtlingskonvention ratifizierte. Die Konvention entstand nach dem Zweiten Weltkrieg. Ziel war es, allen Flüchtlingen die allgemeinen Menschenrechte zu garantieren, die die Vereinten Nationen 1948 formuliert hatten.
1983 verabschiedete Dänemark ein sehr liberales Einwanderungsgesetz und war damit ein Pionierland, das sich für Menschenrechte und humanistische Ideale einsetzte. Doch seitdem hat Dänemark – nach 40 Jahren Lobbyarbeit der extremen Rechten – die restriktivsten Flüchtlingsgesetze in Europa verabschiedet. Die jüngste Gesetzgebung aus dem Jahr 2019 brachte eine deutliche Veränderung im Umgang mit Flüchtlingen mit sich. Der frühere Schwerpunkt auf die Integration von Flüchtlingen in die dänische Gesellschaft wurde nun auf eine Rückführungs- Agenda verlagert.

Generell wird allen Flüchtlingen und nachgezogenen Familienangehörigen nach dem neuen Gesetz nur ein vorübergehender Schutz gewährt. Die Einwanderungsbehörden müssen sich daher bei ihren Entscheidungen über Aufenthaltsgenehmigungen in erster Linie mit den Schutzbedürfnissen eines Flüchtlings im Hinblick auf die Sicherheitslage im Herkunftsland und den internationalen Verpflichtungen Dänemarks befassen. Dies führte zu Dänemarks erstem Rückführungsgesetz, das im Frühjahr 2021 in Kraft trat, als 453 syrischen Flüchtlingen mit vorübergehendem Schutzstatus und Familienzusammenführung die Aufenthaltsgenehmigung entzogen oder eine Verlängerung verweigert wurde, mit Verweis auf die vermeintlich verbesserte Sicherheitslage im Raum Damaskus. Dänemark und Ungarn waren die einzigen Länder, die die Situation in Syrien in bestimmten Gebieten als sicher genug einschätzten, um einige Flüchtlinge zurückzuschicken. Dies geschah trotz internationaler Proteste.

Von der Integration zur Abschreckung
Die dänische Flüchtlingsgesetzgebung ist ein politischer Versuch, im Rahmen der dänischen Abschreckungspolitik gegenüber Flüchtlingen aktiv Vorläufigkeit und Unsicherheit zu zeigen. In den letzten Jahrzehnten haben sich aufeinanderfolgende Regierungen ausdrücklich dafür eingesetzt, die Zahl der Menschen, die in Dänemark Asyl suchen, zu verringern. Das Ziel ist „null Asylbewerber“, wie Staatsministerin Mette Frederiksen am 22. Januar 2021 im dänischen Parlament erklärte, wobei die Zahl der Asylbewerber zu dem Zeitpunkt nur 1.547 ausmachte – die niedrigste Zahl seit 1998. (Im Jahr 2022 wurde 31.400 Ukrainern aufgrund eines Sondergesetzes eine befristete Aufenthaltsgenehmigung in Dänemark gewährt).
Im Jahr 2016 führte die damalige dänische Regierung das sogenannte Schmuckgesetz ein. Dies bedeutet, dass Asylbewerber, die über Vermögenswerte wie z.B. Schmuck verfügen, diese beschlagnahmt lassen können, um ihren Aufenthalt in Dänemark zu bezahlen. Das Gesetz erhielt international viel Aufmerksamkeit und Kritik, da man sich Schutz normalerweise nicht kaufen kann. Nach Angaben des Ministeriums für Einwanderung und Integration hat das Schmuckgesetz im Zeitraum vom 5. Februar 2016 bis zum 19. Mai 2022 in 30 Fällen zur Beschlagnahme von Vermögenswerten geführt.

Eine weitere Abschreckung ist die Externalisierung. Im Jahr 2019 stellte die Sozialdemokratische Partei Pläne zur Einrichtung eines Aufnahmezentrums für Asylbewerber in Ruanda vor. Ein Aufnahmezentrum in einem Land außerhalb Europas sollte den Flüchtlings- und Migrantenstrom endgültig stoppen. Im ausländischen Aufnahmezentrum sollen die Asylbewerber nicht nur ihre Fälle bearbeitet bekommen, sondern auch bleiben, wenn ihnen Asyl gewährt wird. Der Vorschlag wurde von vielen als völlig unrealistisch angesehen. Doch tatsächlich ließ die Regierung ein Rahmenabkommen ausarbeiten, in dem sich Ruanda bereit erklärte, Asylbewerber aus Dänemark aufzunehmen.

Der Plan ist nun vorerst auf Eis gelegt worden. Die Regierung wartet darauf, dass sich die Stimmung in der EU den dänischen Ansichten nähert. Integrationsminister Kaare Dybvad Bek sagte am 23. Januar 2023 gegenüber Altinget: „…. In vielen europäischen Ländern gibt es Bewegung. Viele fangen an, ein sehr hartes politisches Spiel zu spielen, um eine strengere Asylpolitik in Europa durchzusetzen. Es gibt einen breiten Kreis von Ländern, die eine viel weitreichendere Lösung des Asylproblems fordern.“

Es gibt auch Pläne zur Externalisierung von Ausländern aus Drittländern, die zu einer Abschiebung verurteilt wurden. Im Jahr 2022 wurde ein Abkommen mit dem Kosovo über ein Anmieten von 300 Haftplätzen im Gefängnis von Gjilan unterzeichnet.
Das Dänische Institut für Menschenrechte bezeichnete das Vorhaben, Gefangene in den Kosovo zu überführen, als völkerrechtswidrig, da die neue Balkanrepublik weder an UN-Konventionen noch an die Europäische Menschenrechtskonvention gebunden sei.

Dänemark als Vorreiter
Nicht nur im Bereich der Flüchtlinge ist Dänemark Vorreiter. Auch im Bereich der Ausländer im Allgemeinen sind die Rechtsvorschriften Jahr für Jahr verschärft worden. Dies wird deutlich, wenn ausländische Mitbürger eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung oder die Staatsbürgerschaft beantragen wollen. Hier sind die Anforderungen an Arbeit, Sprachkenntnisse und Kenntnisse über Dänemark sehr hoch. Die Absicht ist eindeutig, die Zahl der Ausländer in Dänemark zu begrenzen. Bei der Verleihung der Staatsbürgerschaft muss jährlich festgestellt werden, woher die Personen, denen die Staatsbürgerschaft verliehen wird, stammen. Sie werden in Kategorien eingeteilt: nordische Länder, westliche Länder, nicht westliche Länder und MENAPT. Zur letzteren Gruppe gehören die muslimischen Länder des Nahen Ostens, Nordafrikas, Pakistans und der Türkei. Es gibt Überlegungen, die Verleihung der Staatsbürgerschaft zu begrenzen, wenn 25 % der Antragsteller aus Ländern außerhalb Europas kommen.
Pia Kjærsgaard verlangt einen vollständigen Stopp der Einwanderung aus diesen Ländern: „Einwanderer und Nachkommen aus den Menapt-Ländern belasten das dänische Sozialsystem enorm. Sie kosten viel Geld durch passive Sozialhilfe und Kriminalität. Und dabei haben wir noch nicht einmal die kulturelle Herausforderung durch die Islamisierung berücksichtigt.

Daher ist die Schlussfolgerung ganz einfach: Dänemark muss den Zustrom von Menschen aus diesen Ländern so weit wie möglich begrenzen. Ein Einwanderungsstopp aus den Menapt-Ländern sollte eine Selbstverständlichkeit sein. (avisendanmark, 18.12.2021).
Im Jahr 2018 wurden erste Initiativen gegen sogenannte Ghettogebiete eingeführt, d.h. Stadtteile, die aufgrund der Zusammensetzung der Bewohner als besonders problematisch eingestuft werden. Die Kriterien sind die Anzahl von Ausländern aus nicht westlichen Ländern, Kriminellen, Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern. Jedes Jahr werden Listen von Stadtvierteln veröffentlicht, die als Parallelgemeinden eingestuft werden und zu denen Maßnahmen zur Lösung des Problems ergriffen werden müssen. Die Fokussierung auf Bewohner aus nicht westlichen Ländern hat – auch international – zu Kritik geführt. Schon die Bezeichnung „nicht westlich“ als eines der Kriterien zeigt die ethnische (und damit rassistische und diskriminierende) Einteilung der Bewohnergruppe.

In seinem Länderbericht zu Dänemark schreibt CERD, Comitee on the Elimination of Racial Discrimination (UNO-Ausschuss zur Beseitigung der Rassendiskriminierung) vom 3. Dezember 2021 u.a.:
Der Ausschuss ist besorgt darüber, dass die Begriffe „westlich“ und „nicht westlich“, wie sie in der Gesetzgebung und Politik des Vertragsstaats ohne vernünftige Begründung verwendet werden, zu einer Marginalisierung und Stigmatisierung derjenigen führen können, die als „nicht westlich“ eingestuft werden, und dass dadurch eine Unterscheidung zwischen denjenigen, die als „echte Dänen“ gelten, und den „anderen“ geschaffen werden könnte“.
Auch ECRI, The European Commission against Racism and Intolerance, beschreibt in ihrem Bericht vom Juni 2022 die Aufteilung der Bevölkerung in den Kategorien westlich, nicht westlich, europäisch und echt dänisch als diskriminierend.
Dennoch haben ausländische Politiker die dänische Migrations- und Ausländerpolitik als vorbildlich hervorgehoben.

Am 7. Januar 2024 war Integrationsminister Kaare Dybvad Bek als Hauptredner zum Jahreskongress der deutschen CSU in Bayern eingeladen. Der dänische Minister sollte über die Herausforderungen der irregulären Migration und den Vorschlag der dänischen Regierung für neue Lösungen zur Schaffung eines „humaneren“ europäischen Asylsystems sprechen.
Auch auf dem äussersten rechten Flügel Deutschlands wird Dänemark gelobt. René Springer, MdB der Alternative für Deutschland, schreibt auf deren Website am 27. Dezember 2021:
„… fordern wir seit Jahren eine Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung sowie Sachleistungen statt Geldleistungen für Asylbewerber. Deutschland darf kein Sozialstaats-Eldorado für Armutsmigranten sein.
Die dänische Regierung ist hier offenbar voll auf AfD-Linie. Man kann nur an die Bundesregierung appellieren, ihre ideologiegetriebene Politik der offenen Grenzen zu überwinden und dem strikteren Kurs Dänemarks in der Migrationspolitik zu folgen.“
Auch die konservative schwedische Regierung bezeichnet die dänische Asylpolitik als „beeindruckend“.

Die Menschenrechte
In den letzten vier Jahrzehnten ist es zunächst den Rechten und dann, dicht gefolgt von den Sozialdemokraten, gelungen, die Einstellung und die Gesetzgebung radikal zu ändern, weg von Schutz, Aufenthalt, Sicherheit und Würde für Flüchtlinge und Migranten hin zu geschlossenen Grenzen, Rückführung, Rassismus und Diskriminierung.
Es ist zu befürchten, dass der nächste Schritt darin bestehen wird, unter anderem die internationalen Konventionen zum Schutz der Menschenrechte zu demontieren und neu zu verfassen. Der rechte Flügel hat bereits begonnen, über einen Rückzug Dänemarks aus den Konventionen zu sprechen, die ihren Interessen zuwiderlaufen. Morten Messerschmidt, derzeitiger Vorsitzender der Dänischen Volkspartei sagte am 6. Februar 2024 im Altinget, dass „internationale Regeln für Ausländer unsere Demokratie untergraben“. Er bezeichnet die Konventionen als „schädliches Menschenrechtsdogma“.
Im Namen der Demokratie will er (und andere aus dem rechten Lager) da aushebeln, worauf die Demokratie beruht, nämlich den Grundsatz der Gleichheit, der Rechtsstaatlichkeit und der Menschenrechte.
Dänemark war einst ein Vorreiter in Sachen Menschenrechte, Humanismus, Toleranz und Einhaltung internationaler Konventionen.
Nun loben viele Dänemark als Pionierland, weil es genau das Gegenteil tut.

 

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