Stellungnahme zum gerichtlichen Vorgehen der Großschlachterei Tönnies gegen Jour Fixe Gewerkschaftslinke Hamburg

Jour Fixe Gewerkschaftslinke bekam am Freitag, 18.01.2019, einen 27-seitigen Brief vom Landgericht Hamburg. Veranlasser dieses Briefes ist die Großschlachterei Tönnies, Rheda-Wiedenbrück. Sie hatte die renommierte Anwaltskanzlei Schertz Bergmann (Berlin) mit der Forderung nach einer Unterlassungsverfügung beauftragt. (*)

Worum geht es? Wir hatten zum 9.1.2019 zu einem Jour Fixe eingeladen, bei dem es um Informationen und Aufklärung zu den Arbeits- und Wohnbedingungen der im Tönnies-Betrieb Kellinghusen Arbeitenden mit Werksvertrag geht.

In Kellinghusen (Kleinstadt 60 km nördlich von Hamburg) hatte im Juni 2018 im Bürgerhaus eine Informations- und Protestveranstaltung zu den Arbeits- und Wohnbedingungen der WerkverträglerInnen (meist RumänInnen) stattgefunden. Fast alle in dem proppevollen Saal waren empört über die Berichte zu den schlimmen Zuständen, die ausländischen KollegInnen zugemutet wurden. Von Arbeitszeiten von … bis … (**) Stunden am Tag war die Rede, von  Betten zu viert in einem Zimmer, teilweise mit Kakerlaken, herausgerissenen Leitungen, für 150 Euro pro Bett. Viele hatten von diesen Zuständen noch nichts oder noch nicht in so krasser Form gehört: Sie waren empört. Und sowas in unserem Kellinghusen!

Bericht von Jour Fixe zur Versammlung in Kellinghusen:

Protest gegen Groß-Schlachterei Tönnies,Subunternehmer und Vermieter Dethlefsen

Bericht des DGB-Schleswig-Holstein zur Versammlung in Kellinghusen: https://sh-nordwest.dgb.de/presse/++co++decdbfba-6fa2-11e8-9148-52540088cada

Kurz vorher hatte sich schon eine Ini für die WerkverträglerInnen gebildet mit Namen Stützkreis. Seit der Versammlung im Bürgerhaus fanden Treffen der Initiative statt. An denen nahmen wir vom Jour Fixe teil. Um den Stützkreis zu bestärken in seiner Forderung nach Normalarbeitsverhältnissen und menschenwürdigen Wohnungen für alle Tönnies-ArbeiterInnen luden wir zum Jour Fixe am 9.1.2018 ein. Es berichteten u.a. Anja Halbritter, Mitbegründerin des Stützkreises, Norbert Wagner, BR-Vors eines Chemie-Betriebes und DGB-Vorsitzender in Steinburg (ehrenamtlich), Inge Bultschnieder von IG Werkfairträge aus Rheda-Wiedenbrück und Michael Pusch vom Bündnis gegen die Tönnies-Erweiterung aus Gütersloh.

In der Einladung zu unserem Treffen stand die Formulierung, die Schertz Bergmann jetzt monieren: Daß „über … (**) rumänische KollegInnen als WerkverträglerInnen in Subunternehmen“ bei Tönnies arbeiteten.

Am 9.1., dem Tag unseres Jour Fixes, hatten wir schon per mail von Schertz Bergmann eine Abmahnung mit Unterlassungserklärung erhalten. Daraufhin änderten wir unsere homepage: „150 rumänische Arbeiter sind mittlerweise in der Stadt, berichtet der Bürgermeister. Ein großer Teil davon arbeitet im Tönnies-Schlachthof – angestellt bei Subunternehmen“, so wird der Kellinghusener Bürgermeister am 14.8.18 vom NDR zitiert.

Am 18.1. bekamen wir dann den oben erwähnten Brief vom Landgericht Hamburg.

Wir nannten in unserer Einladung zum Jour Fixe am 9.1. nach Auffassung der Firma Tönnies eine ungenaue bzw falsche Zahl der bei Tönnies beschäftigten WerkverträglerInnen. Der Unternehmer hat daraufhin gesetzlich das Recht, Kritiker mit hohen Strafandrohungen zu verfolgen. Was er schon gemacht hat bei der IG Werkfairträge in Rheda-Wiedenbrück, dem Hauptsitz von Tönnies: 2.500 Euro. Und beim Bündnis „Gegen die Tönnies-Erweiterung in Gütersloh“ (Kreisstadt in der Nähe von Rheda-Wiedenbrück) über 2.000 Euro.

Wieviel ausländische KollegInnen mit Werkvertrag bei Tönnies Kellinghusen arbeiten, wissen wir bis heute nicht. Es stehen die Zahlen des Kellinghusener Bürgermeisters im Raum.

Jedes Schwein und jedes Huhn wird in Deutschland gezählt, aber Tönnies braucht keine Auskunft zu geben wieviel WerkverträglerInnen bei ihm arbeiten.

Er hat eine weiße Weste, weist auf die Subunternehmer, die seien Schuld an den Arbeits- und Wohnverhältnissen der WerkvertragsarbeiterInnen.

So funktioniert unsere „marktkonforme Demokratie“ (Bezeichnung von Frau Merkel): Der Kapitalist wird gesetzlich bevorteilt oder geschützt, Kritikern, die für die Schwachen und Wehrlosen Partei ergreifen, wird die Kritik schwer gemacht.

Hier eine außerordentliche Rede von Prälat Peter Kossen (Lengerich, Westfalen)

Er bezieht sich darin auch auf seinen Bruder, den Arzt Florian Kossen (Goldenstedt, Landkreis Vechta) – beide kennen die Arbeits-, Wohn- und Lebensbedingungen der WerkvertragsarbeiterInnen in Großschlachtereien und speziell bei Tönnies. Diese Rede von Prälat Kossen: „Für Würde und Gerechtigkeit“ ist eine Anklage und Abrechnung. Selten wurden die Lebensbedingungen der WerkvertragsarbeiterInnen so klar und umfassend geschildert wie hier. Sie fällen ein Urteil über Tönnies und seine verantwortungslosen Machenschaften. Sie fordern einen Systemwechsel und fragen: „Wie weit reicht der lange Arm des Clemens Tönnies?“.

Tönnies wird Prälat Kossen wegen seiner radikalen Wort wahrscheinlich nicht vor den Kadi zerren, das traut er sich wohl nicht! Dann hätte er die katholische Kirche gegen sich und wohl auch die evangelische. So muß Tönnies die Beschreibung der Wirklichkeit aus kirchlichem Mund erdulden und aussitzen. Er traut sich nur an Initiativen wie uns ran: An das Bündnis gegen die Tönnies-Erweiterung in Gütersloh, die IG Werkfairträge in Rheda-Wiedenbrück und Jour Fixe Gewerkschaftslinke Hamburg. Da braucht es zur Unterlassungsforderung keine 12 seitige Rede, da reicht schon ein angeblich falscher Satz. Tönnies will seine „kleineren“ Kritiker mit Drohungen für Geldbußen und Anwaltskosten mundtot machen. Das läßt er sich was kosten und nimmt eine der renommiertesten und teuersten Anwaltskanzleien (Schertz und Berger).

Aber wie auch Peter und Floran Kossen aus einem humanistischen und solidarischen Menschenverständnis weiterkämpfen, tun wir das in unseren Initiativen auch.

Wir vernetzen uns – gemeinsam sind wir stark.
Das Jour Fixe am 9. Januar war ein wirksamer Schritt da hin!

Hier die 12 seitige informative Rede von Prälat Kossen:

https://www.wn.de/Muensterland/Kreis-Steinfurt/Lengerich/3602896-Fuer-Wuerde-und-Gerechtigkeit-Peter-Kossens-Rede-in-Stapelfeld

Zuckerbrot und Peitsche

Toennies spendet in Rheda-Wiedenbrück großzügig für diverse Einrichtungen und Anlässe im Ort. Damit will er sich einen guten Ruf verschaffen und Kritikern den Wind aus den Segeln nehmen. Und wenn Kritiker dann doch die Zustände in seiner Großschlachterei aufdecken und beschreiben, beauftragt er die renommierte und teure Medien-Kanzlei Schertz Bergmann aus Berlin, Kurfürstendamm, um diese mit Unterlassungserklärungen in finanzielle Verlegenheit zu bringen.

Alle Kosten, die Tönnies entstehen, müssen natürlich von den WerksvertragsarbeiterInnen mit ihrer Überausbeutung und ihren menschenunwürdigen Wohnverhältnissen bezahlt werden. Wie Prälat Kossen in seiner „Rede in Stapelfeld“ mehrfach feststellt, geht diese Behandlung der ausländischen KollegInnen finanziell zu Lasten der Kommunen und der deutschen Sozialkassen.

Außerdem macht er mit seinem Geschäftsmodell eine gewerkschaftliche Interessenvertretung durch Betriebsrat und Mitbestimmung fast unmöglich, unterläuft so das deutsche Arbeitsrecht.

Zu ihrem 100 jährigen Bestehen schreibt die ILO (Internationale Arbeitsorganisation): „Im 19. Jahrhundert rückte die Fabrik in den Mittelpunkt des Wirtschaftens… Unternehmer konnten schalten und walten wie sie wollten. Sie beuteten die Arbeiter rücksichtslos aus.“ Die Erbauer des ILO-Gebäudes in Genf meißelten die lateinischen Worte ein: „Si vis pacem, cole justitiam“. (Wenn Du Frieden willst, sorge für Gerechtigkeit).

Wahrscheinlich kann bei Tönnies niemand Latein und er ist mit seinen Geschäftspraktiken auf dem Weg ins 19. Jahrhundert, als „Unternehmer schalten und walten (konnten) wie sie wollten“.

Wer von diesen Praktiken von Tönnies und seinen Subunternehmern erfährt, denkt, er sei auf einer Zeitreise, in die frühkapitalistische Epoche versetzt – als es noch kein Arbeitsrecht gab. Aber Tönnies&Co sind nicht die alleinigen Übeltäter: Schuld ist ebenfalls der Gesetzgeber, der mit der Möglichkeit der Werkverträge diese Behandlungsmethoden von Menschen begünstigt. Tönnies&Co kennen keine Skrupel, dies Staatsgeschenk anzunehmen. Konnte der Gesetzgeber so naiv sein, zu glauben, daß die Großschlachtereien und alle Firmen, die sich WerkvertragsarbeiterInnen besorgen, diese fair behandelt und nicht gemäß ihren Profitinteressen ausbeutet?

Für den Staat und Tönnies&Co sind die rumänischen WerksvertragsarbeiterInnen Sachmittel wie die Maschinen und Gebäude. Für uns hingegen sind es KollegInnen, die weit überdurchschnittlich ausgebeutet werden und deren Menschenwürde verletzt wird!

Prälat Peter Kossen stellt in seiner „Stapelfelder Rede“ die Systemfrage! Wir auch!

Fazit:

Unser Konflikt mit Tönnies sagt gesellschaftspolitisch Grundlegendes aus:

Zum Kapital

Wir fordern nur, daß KollegInnen nicht mehr als WerkverträglerInnen beschäftigt werden sondern in einem normalen Ausbeutungsverhältnis, in der Stammbelegschaft. Und wir fordern menschenwürdige Wohnungen.

Zum Staat

Es ist völlig legal, daß der Kapitalist versuchen darf, die Kritiker dieser Zustände mundtot zu machen, durch hohe Kosten für Unterlassungserklärungen und Androhung von Freiheitsstrafen.

Das stelle man sich vor: Der Staat gäbe uns die Möglichkeit, ähnlich wirksam gegen Kapitalisten vorzugehen, mittels adäquater Geldforderungen oder Freiheitsstrafen. ZB indem wir auf das Grundgesetz verweisen, wonach die Menschenwürde unantastbar ist und durch sklavenhalterähnliche Zustände verletzt werde. Aber bisher sind Justitia die Augen verbunden. So sieht sie nicht die gesellschaftliche Realität.

Die Gewerkschaften

Alle unsere Gewerkschaftsführer, die Politiker, die Medien, die gesamte „Elite“ des Landes sind stolz auf die sozialpartnerschaftlichen Gewerkschaften und ihre historischen Verdienste für die Gesellschaft. Aber wer das Schicksal und das Leben der WerksvertragsarbeiterInnen kennt, kann nur in ein irres Lachen ausbrechen, sich diese geschundenen Opfer als Partner dem Kapitalisten gegenüber vorzustellen!

Was übrig bleibt, ist, daß empathische Menschen aus der Zivilgesellschaft sich zu Fürsprechern dieser KollegInnen „da ganz unten“ machen. Das ist eine humane und soziale Aufgabe und ohne die Intention eines Systemwechsels (Prälat Kossen) ziellos!

Die KollegInnen von DGB, NGG und fair-mobility können sich da nur einreihen, manchmal auch initiativ sein wie im Fall Tönnies Kellinghusen, einen originär gewerkschaftlichen Kampf zu führen, ist Gewerkschaften nicht möglich – mangels Basis.

Die Merkelsche marktkonforme Demokratie kommt am Beispiel der SchlachthofarbeiterInnen zu sich selbst, wird kenntlich in ihrem Wesen: Markt ist alles, Demokratie ist nichts.

Jour Fixe Gewerkschaftslinke Hamburg

(*) In der Forderung nach einer Unterlassungserklärung steht: „…beantragen wir den Erlass einer einstweiligen Verfügung – wegen der besonderen Dringlichkeit ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss – für die wir folgenden Tenor vorschlagen:
1. Dem Antraggegner wird bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 Euro, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, untersagt, zu veröffentlichen und/oder zu verbreiten und/oder veröffentlichen und/oder verbreiten zu lassen:“…

(**) Die Zahlen dürfen hier wg. der Strafandrohung nicht mehr genannt werden.

Prälat Peter Kossen sagte in seiner Stapelfelder Rede: „Das erste Wort, das Arbeitsmigranten in unserer Sprache lernen, ist „Schneller!“ Ärzte wie mein Bruder berichten sehr eindrücklich, was das mit Frauen und Männern macht, wenn sie 6 Tage in der Woche, 12 Stunden am Tag bei minus 18 Grad arbeiten oder immer den gleichen Schnitt durch einen Tierkörper machen oder 30kg-Kisten schleppen“. Prälat Kossen bezog sich mit diesen Zahlen natürlich nicht auf Tönnies Kellinghusen sondern auf seinen Kenntnis-Bereich. Wir haben dem nichts hinzuzufügen!

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