Braunschweiger Streikkonferenz: Riexinger lud ein und viele kamen!

Einschätzung zur Braunschweiger Streikkonferenz

von Dieter Wegner
aktiv beim Jour Fixe Gewerkschaftslinke Hamburg

Information vorweg:

Die Einrichtung der Streikkonferenzen, die erste im Februar 2013 in Stuttgart, verdanken wir Bernd Riexinger, der die Organisierung dieses Konzeptes gleich nach Beginn seines Partei-Vorsitzes der Partei „Die Linke“ im Jahre 2012 in Angriff nahm.
Verantwortlich für die Ausführung ist die Rosa-Luxemburg-Stiftung, die auch finanziell dazu beiträgt.

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Gedanken danach

Auf der Rückfahrt von der IV. Streikkonferenz vom 15. bis 17.2. in Braunschweig und bei Gesprächen in den letzten Tagen war man sich einig, daß es politisch wertvoll war, daß so viele, meistens jüngere KollegInnen gekommen waren. Ohne diese Konferenz hätte es „einen weißen Fleck“ gegeben wie ein Kollege sich ausdrückte. Aber es tauchte auch immer wieder die Frage auf, was das Motive für so viele war, ein ganzes Wochenende auf diese Weise zu verbringen.

Ist es nur Neugierde, ein politisches event zu erleben, Kollektivität mit einigermaßen Gleichgesinnten zu erleben?

Oder ist es die Einsicht in die Notwendigkeit von besserer Organisierung, Anworten auf Fragen zu erhalten, die vor Ort in bestehenden Zusammenhängen nicht gegeben wurden?

Es gibt bisher zwei Berichte, die sich kritisch mit der Streik-Konferenz auseinandersetzen. Einmal der Bericht bei „Klasse gegen Klasse“:
https://www.klassegegenklasse.org/streikkonferenz-in-braunschweig-groesser-als-je-zuvor-doch-mit-wichtigen-schranken/
Auf ihn soll im folgenden Text eingegangen werden.

Den zweiten Bericht, erschienen beim Jour Fixe Gewerkschaftslinke Hamburg findet ihr unten als link.

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Gewerkschaften zurückerobern

Wenn Professor Klaus Dörre (Jena), als Kenner der deutschen Gewerkschaften und die Genossen von Klasse gegen Klasse als Verfasser dieses Berichtes dafür eintreten, „unsere Gewerkschaften von der Bürokratie zurückzuerobern und als Beschäftigte selbst die Kontrolle auszuüben“, dann müssen wir wissen, gegen wen wir den Kampf aufnehmen!

Dieser Satz ist unstimmig! Nur sein zweiter Teil ist stimmig. Im ersten Halbsatz steht eine Untertreibung und damit Verharmlosung. Falls es nur um die Konstellation Bürokratie gegen Mitglieder ginge, wäre eine Zurückeroberung vorstellbar. Aber wer die Bürokratie angreift, greift die Führung an, die Sozialpartnerschaftsideologie, den nach 1945 geschlossenen Klassenkompromiß, der nicht nur von den DGB-Gewerkschaften verteidigt wird sondern auch von den Kompromißpartnern: Staat und Kapital! Wir müssen also wissen, gegen wen wir den Kampf aufnehmen.

Unser Klassenfeind weiß uns und unsere Schwächen einzuschätzen.

Auch wir müssen eine illusionslose Einschätzung unserer Gegner vornehmen!

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Wer sind unsere Gewerkschafts-Oberen – historisch und aktuell

Wir kämpfen gegen DGB-Gewerkschaftsführungen, die sich Mitte der 50er Jahre für die Westbindung, das heißt, Bindung an die USA und Nato, entschieden haben. Zu dieser Zeit wurde Viktor Agartz, der damals populärste und nach Hans Böckler einflußreichste Gewerkschaftsführer, verhaftet und wegen Hoch- und Landesverrat angeklagt, veranlaßt von Adenauer, der katholischen Kirche, dem CIA – im Einverständnis mit SPD- und DGB-Vorstand, deren Mitglied Viktor Agartz war. Er, der sich als marxistischer Sozialdemokrat verstand, war gegen die Westbindung und stand für eine kämpferische Gewerkschaftspolitik, zusammen mit seinen marxistischen Freunden Wolfgang Abendroth, Theo Pirker und Werner Hofmann.

Nach dem Verfahren vor dem Bundesgerichtshof, er wurde freigesprochen, war er aber politisch tot. Er wurde aus den Vorständen von SPD und DGB ausgeschlossen und verlor auch die Mitgliedschaften. Damit war in den Westzonen der Weg endgültig frei für die Westbindung und die Einbindung der Gewerkschaften in die Sozialpartnerschaft.

Um deutlich zu machen wie gefährlich Agartz für die Herrschenden und ihre Unterstützer war, hier seine Einschätzung der DGB-Gewerkschaften:

„Die politische und gewerkschaftliche Arbeiterbewegung ist heute ohne Führung im sozialistischen Sinne. Die Mitgliedschaft gleicht einem statischen Körper, der der Führung, dem Apparat, als ökonomische und gesellschaftliche Basis dient. Jede Diskussion, die der klassenpolitischen Aufklärung dient, wird unnachsichtlich geahndet, um die organisatorische Basis, die eigene Erwerbsposition, nicht zu gefährden. Trotzdem befinden sich Teile der Arbeiterschaft in Unruhe und Bewegung. Zwischen Führung und Masse besteht ein Bruch des Vertrauens, der sich zum Beispiel in der Frage der Atombewaffnung oder der innerdeutschen Verständigung bemerkbar macht… „

Zitat aus: Das dritte Leben des Viktor Agartz. Von Christoph Jünke.
https://www.globkult.de/geschichte/personen/973-das-dritte-leben-des-viktor-agartz

Agartz schrieb das 1959. Man könnte meinen, es sei eine Beschreibung des heutigen Zustandes, was das Vertrauen der Masse zur Führung betrifft. Er benennt die Gründe des damaligen Vertrauensverlustes.

Heute sitzen die DGB-Oberen angesichts sinkender Mitgliederzahlen etwas verunsichert in ihren Sesseln. Heute überhaupt von einem Vertrauensverhältnis zwischen Führung und Masse zu sprechen ist unangemessen. Man kann von Vertrauen in die Gewerkschaftsführungen genau so wenig sprechen wie von Vertrauen in die SPD.

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Organizing ist richtig, aber was dann?

Die Zahl der Mitglieder sinkt, in fast allen Gewerkschaften. Reflektion und Selbstkritik mit der Folgerung, kämpferischer zu werden angesichts der zunehmenden Angriffe durch Kapital und Staat auf die Beschäftigten scheidet aus angesichts der Selbstfestschreibung auf Klassenkompromiß und Sozialpartnerschaft.

Gegen das Mitgliederschrumpfen setzt man deshalb auf organizing. Mitglieder sind zu gewinnen, besonders durch überzeugende Organizer, durch Appellieren beim Einzelnen an den Instinkt, daß es besser ist, beim großen Haufen zu sein, denn allein. Daß Kollektivität und Solidarität Stärke verleiht. Und was passiert dann, wenn sie geworben sind und ihren satzungsgemäßen Beitrag bezahlen? So wie bei Amazon Bad Hersfeld vor 6 Jahren wird es selten sein: Nachdem zwei aufopferungsvolle Organizer die Grundlage gelegt hatten für eine aktive Betriebsgruppe, agiert diese seit damals sehr wirksam und eigenständig. Aber wie ist der Normalfall? Sind die Geworbenen dann mit der Bürokratie und der Sozialpartnerschaftsideologie allein? Und falls sie auf Fertigmacher (Union Busting) aus der Geschäftsführung oder einer beauftragten Anwaltskanzlei stoßen, passiert dann mehr als der Verweis an den gewerkschaftlichen Rechtsschutz?

Der Punkt ist doch: Die Apparat braucht solche engagierten jungen Organizer, die den Zugang zu jüngeren MalocherInnen finden, und kann froh sein, wenn diese auf solchen Konferenzen ein bischen Rückhalt, Austausch und Solidarität finden, damit sie ihr Engagement überhaupt länger durchhalten können. Und gefährlich für die Sozialpartnerschaft wird es ja erst, wenn größere Gruppen von Mitgliedern sich bewegen und so bewegen, daß sie nicht mehr so einfach vom Apparat zu steuern sind – und das erleben wir erst an wenigen Orten.

Die DGB-Führungen unternehmen nichts gegen die Riexingerischen Streikkonferenzen. Im Gegenteil: Regionalorganisationen von Einzelgewerkschaften dürfen die Konferenz unterstützen. Viele Hauptamtliche besuchen unbehelligt die Konferenz. Kritik an der Politik der DGB-Gewerkschaften darf geübt werden, solange die Sozialpartnerschaftsideologie des DGB nicht zentral angegangen wird.

Wie werden die Streikkonferenzen von den Führungen der DGB-Gewerkschaftsführungen eingeschätzt?:
Als eher nützlich, weil sie ein linkes Klientel an die Gewerkschaften binden?
Haben solche Konferenzen derzeit noch Narrenfreiheit?
Dienen die Konferenzen als gutes Beobachtungslabor für die Gewerkschaftsspitzen?

Ehe wir dazu kommen, „die sozialpartnerschaftliche Ausrichtung der bürokratischen Führung“ zu bekämpfen „und in den Gewerkschaften selbst um die Führung kämpfen“, wie es in dem Text von Klasse gegen Klasse heißt, müssen wir als radikale Gewerkschaftslinke damit rechnen, von diesen Führungen wie in den 70er und 80er Jahren einzeln oder massenhaft aus unseren Gewerkschaften ausgeschlossen zu werden. Sie lassen sich nicht einfach verdrängen durch gute Basisarbeit unsererseits und weil wir die ehrlicheren GewerkschafterInnen sind! Sie lassen sich auch nicht durch noch so gute Argumente überzeugen einen anderen Kurs einzuschlagen. Sie werden ihr antikommunistisches und neoliberales Dogma nicht aufgeben und deswegen wie in den 70er und 80er Jahren mit dem jeweiligen Kapitalisten, mit SPD und Staatsorganen gegen Linke zusammenarbeiten.

Wie es war im Falle von Viktor Agartz und den Einzel- und Massenauschlüssen der kritischer werdenden jüngeren Gewerkschaftsmitglieder der 70er und 80er Jahre.

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Rote Linie: Kritik der Sozialpartnerschaft

Der Knackpunkt in unserer Auseinandersetzung mit den Gewerkschaftsvorständen ist immer die Kritik am Sozialpartnerschaftskurs und dem Bestehen auf Demokratie in der Organisation.

Die Gewerkschaftsspitzen verhalten sich allerdings, der politischen Situation angepaßt, sehr flexibel. So waren sie sehr beunruhigt und verunsichert beim Aufkommen der Jugend- und Studentenbewegung ab 1967.

Der Verfasser dieser Zeilen hat es miterlebt, wie in der Jugendbildungsarbeit ab 1969 ein Umbruch vorgenommen wurde. Die Jugendarbeit war ziemlich unpolitisch, Tischtennisseminare, wurde gespottet. Ich wurde mit einigen anderen SDS- bzw SHB-Genossen in Hamburg teamer bei Lufthansa-Lehrlingen. Wir bekamen Narrenfreiheit für die teamerei durch die Jugendbildungssekretäre der ÖTV, Herbert B und Eckehard S. Wir durften entscheiden, nach welchem Leitfaden wir teamten, welche Bücher wir an die Lehrlinge verteilten, vom „Kommunistischen Manifest“ bis zu „Sexfront“ von Amendt. Wir merkten allerdings erst nach unserem Ausscheiden, daß wir Narrenfreiheit gehabt hatten! Nach uns wurden dann Studenten mit DKP-Mitgliedschaft oder Trotzkisten als unsere Nachfolger eingesetzt, die waren aus Überzeugung dann wieder auf DGB-Linie.

Ähnlich war es mit dem 1969 durch beiden HWP-Studenten Reinhard Crusius und Manfred Wilke initiierten und einige Jahre außerordentlich erfolgreichen Hamburger Lehrlings-Jour Fixe. Als das Jour Fixe, nicht von oben gegründet und kein offizielles Gewerkschaftsorgan, mit seinen Aktivititäten zu aufmüpfig wurde gegen die Gewerkschaftsbürokratie und dazu noch erfolgreich in der ganzen BRD, wurden sie in einem Zusammenspiel von den Gewerkschaftsvorständen, SDAJ und (leider auch!) KB bekämpft und zogen dabei den Kürzeren! Alles hatte wieder seine bürokratische Gremienordnung.

Verwundert nicht folgende Situation?: Von den Mitgliedern der DGB-Gewerkschaften wählt nur eine Minderheit SPD und nur eine Minderheit ist gar Mitglied der SPD. Und dennoch hatten über die Jahrzehnte fast alle Vorsitzenden das SPD-Parteibuch in der Tasche. Ähnlich ist es bei den Vorständen der DGB-Gewerkschaften. Erst unten an der Basis sind einige Hauptamtlich in keiner oder in der Linkspartei.

Nicht verwundern sollte es uns daher, wenn die Vorstände der Einzelgewerkschaften seit 1918 und wieder nach 1945 rigoros gegen linke Tendenzen in „ihren“ Gewerkschaften vorgehen, der historischen Situation angemessen, mal mit sanften Maßnahmen wie mit einfachen Ausschlüssen, mal im Zusammenspiel mit Polizei und Verfassungsschutz in massiver Verfolgung.

Augenblicklich ist die Situation so, daß es oft Schwierigkeiten gibt, die offenen Sekretärsposten mit Nachwuchskräften zu besetzen, es werden auch Linke genommen mit der Hoffnung, daß diese sich anpassen. Außerdem droht heute keine Jugend- oder Studentenbewegung, es gibt fast keine Alternativen Listen oder Oppositionsgruppen in den Betrieben. Da reicht es zu beobachten und die Krallen eingefahren zu lassen.

Bei den Gewerkschaftsausschlüssen, besonders in den 80-er-Jahren, ging es hauptsächlich um 2. Listen zu den BR-Wahlen. Sie waren aus der Sicht des Apparates damals notwendig, weil es tatsächlich um Posten und Macht in Betrieben ging, die letztlich auch Posten und Macht in den Apparaten stützten. Heute haben sie solche Ausschlüsse nicht so nötig, es gibt in den Betrieben gar nicht mehr so wirksame „Alternativen“ – in Form von Betriebsratslisten/Fraktionen und in den Belegschaften. Mit dem Zusammenbruch des sozialistischen Lagers hat das Bewußtsein von der „Alternativlosigkeit“ der bestehenden Verhältnisse gewaltig Vorschub erhalten.

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Den Kampf aufnehmen – unter Berücksichtung der Realitäten

Diese Realitäten müssen wir bedenken, wenn wir unsere Gewerkschaftsopposition aufbauen wollen, nämlich „klassenkämpferische, antibürokratische Basisgruppen in den Gewerkschaften“, wie im Artikel von Klasse gegen Klasse beschrieben.

Diese „Gewerkschaftsopposition“ sollte eine eigenständige Organisation sein, in und neben den bestehenden Gewerkschaften als Sammlung aktiver KollegInnen und UnterstützerInnen.

Da helfen, wie auf der Streikkonferenz, „Expertendiskussionen von Hauptamtlichen“ wie im Artikel zu Recht kritisiert, in der Tat nicht weiter. Der einzige Weg ist Basisaktivität, die sich allerdings dann bei Gelegenheiten wie der Streikkonferenz auch ausdrücken muß.

Zukünftige Streikkonferenzen, sollten den Charakter haben, daß sie Ausdruck der aktuellen und gerade abgelaufenen Kämpfe sind, Orte der Vernetzung der AkteurInnen dieser Kämpfe!

Die AkteurInnen der Kämpfe haben im Mittelpunkt zu stehen, die Hauptamtlichen sind nur Dienstleister.
Referenten wie Dörre und McAlevey sind dabei hochwillkommene ReferentInnen, sie weiten und vertiefen den Blick!

Ob die Versammlung der 800 vom 15. bis 17. Februar in Braunschweig der Vorbote für Aufbruch und Erneuerung und der Beginn der Zurückeroberung der Gewerkschaften ist, wird sich erst bei zukünftigen Konferenzen zeigen, falls bei den in den Betrieben Kämpfenden die Einsicht in die Notwendigkeit es erheischt, zu diskutieren, sich zu vernetzen und Strategien für zukünftige Klassenkonflikte zu erarbeiten.

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Hier auch der Bericht über die Streikkonferenz auf unserer homepage:
Wie geht’s weiter nach der Braunschweiger Streikkonferenz?
https://gewerkschaftslinke.hamburg/2019/02/22/wie-gehts-weiter-nach-der-braunschweiger-streikkonferenz/

 

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