Rede-Beitrag von VW-Arbeiter Lars Hirsekorn auf der Konferenz „Spur Wechsel“ am 03.10.2020 in Stuttgart

Ja, schönen guten Tag zusammen. Wie der Markus schon erwähnt hat, sitze ich hier auf dem Podium, weil ich im Juli 2019 auf einer Betriebsversammlung bei Volkswagen in Braunschweig eine Rede gehalten habe. In dieser habe ich sowohl das Elektroauto als ökologisch unsinnig kritisiert, als auch die Zukunft des Autos an sich in Frage gestellt.

Nach dieser Rede habe ich dermaßen viel Applaus und Zuspruch bekommen, das ich ehrlich gesagt stark daran zweifelte, ob die Leute mich überhaupt verstanden haben.

Deshalb habe ich kurze Zeit später einem alten Freund und Genossen vom Jour Fixe in Hamburg gebeten, die Rede einmal zu lesen und mir eine Kritik dazu zu geben.Zwei Tage später bekam ich dann die Rückmeldung, dass die Rede unbedingt veröffentlicht werden müsse, ob ich irgendwelche Einwände hätte. Hier der Link: https://gewerkschaftslinke.hamburg/2019/09/10/autokritische-rede-von-vw-arbeiter-lars-hirsekorn

So ist es also gekommen, dass ich hier sitze.

Grundsätzlich ist so eine Belegschaft in der Autoindustrie nicht gerade fortschrittlicher als der gesellschaftliche Durchschnitt. Im Gegenteil, nach über 20 Jahren (nationalistischer) Standortpolitik haben viele dieses „Wir zuerst“ voll verinnerlicht. Gleichzeitig haben wir in den Betrieben selten eine große fridays for future Bewegung. In Punkto Utopie für eine bessere Welt sind wir also nicht Durchschnitt, sondern weit rechts davon.

Meine Kolleginnen und Kollegen in der Kostenstelle sind da eher ein schwieriges Publikum. Ich sage immer ich habe die Wahl zwischen AFD und AKP (hier tue ich 5-6 Kolleg*innen unrecht, mit denen ich wirklich gut reden kann). Insgesamt würde ich sagen, das gute 95% die Produktion von Elektro-Autos für völlig falsch halten. Die einen sind wie gesagt durchaus der Meinung, wir könnten weitermachen wie bisher, die andere Hälfte ist davon überzeugt, dass die Produktion noch viel umweltschädlicher ist als die bisherigen. Das sehe ich genauso, gleichzeitig weiß ich aber auch, dass wir nicht weiter Autos produzieren können wie bisher, jeden Tag wenn ich aus dem Fenster schaue und die vertrocknenden Bäume sehe. Als Gewerkschafter muss ich doch aber auch eine Alternative zum Bestehenden entwickeln und kann nicht für etwas Werbung machen, an das ich persönlich nicht glaube. Wenn ich somit auch meinen eigenen Arbeitsplatz in Frage stelle, habe ich erst mal nicht besonders viele Freunde in der Debatte. Natürlich ist das nicht einfach, und macht auch nur selten Spaß. Aber wir haben doch gar keine andere Wahl zur Mobilitätswende. Davon bin ich fest überzeugt.

Jetzt stellt sich also die Frage, was getan werden müsste, damit meine Kolleginnen und Kollegen da auch mitmachen würden.

Das würde ich aufteilen in drei Punkte:

  1. Ausbau des ÖPNV im großen Stiel. Das Bündnis Verkehrswende fordert bis 2030 eine Verdoppelung des ÖPNV, damit er so attraktiv wird das Menschen umsteigen. Für unsere Region wäre wohl eher eine Verzehnfachung von Nöten.

  2. Löhne im ÖPNV müssen steigen, damit diese Arbeitsplätze auch für die Menschen aus der Automobilindustrie attraktiv werden.

  3. Ein Wohnungsbau, der die Preisentwicklung im Bereich der Mieten und der Bodenpreise zurückdrängt. Denn nur dies ermöglicht ggf. eine Reduzierung der Arbeitszeit ohne vollen Lohnausgleich.

Zum ÖPNV:

Die Schaffung einer realen Alternative zum Auto ist die Grundvoraussetzung zur Durchsetzung und Akzeptanz einer Klimafreundlichen Politik. Die Vorschläge einiger Leute in der Umweltbewegung und hier insbesondere der Grünen zielen ja in erster Linie darauf ab, die Nutzung des Autos unattraktiv zu machen. Spritpreiserhöhung, höhere Parkgebühren und Einfahrtverbote seien hier die Stichworte. In Braunschweig werden Straßen künstlich verengt, damit längere Staus entstehen und damit die Innenstadt unattraktiver für die Autos wird. Dabei haben die Menschen die von außerhalb kommen, aber keinerlei Alternative zum Auto. Ich wohne in einem Dorf mit 1300 Menschen, 15 Kilometer entfernt von Braunschweig, 25 Kilometer bis Wolfsburg. Wir sind also weit entfernt vom „abgehängten Lande“, sondern leben im hochbegehrten Speckgürtel der Städte. Wenn ich mit dem Bus zur Frühschicht wollte, könnte ich das nicht, weil da nichts fährt. Nach der Spätschicht nach Hause? Fehlanzeige. Zur Nachtschicht hin oder morgens wieder zurück? Vergiss es.

Ich fahre die Strecke fast jeden Tag mit dem Fahrrad, aber eher weil es mir Spaß macht und persönlich gut tut, als dass ich glaube, damit die Welt zu retten. Und es kann auch nicht die Erwartung an die Masse der Bevölkerung sein.

Nach Wolfsburg pendeln täglich 78.000 Menschen zur Arbeit und nach Braunschweig sind es immer hin auch über 65.000 jeden Tag. Und für den Großteil dieser Menschen ist das Auto tatsächlich schon deshalb unersetzlich, weil Sie sonst nicht zur Arbeit kommen. Für die Region bedeutet dies, dass wir hier nicht über die Verdoppelung, sondern erst einmal über die Schaffung eines ÖPNV reden.

Das heißt nicht, dass es mein Ziel wäre, das die Leute aus den Dörfern später auf ihre Autos verzichten könnten, das wäre illusorisch. Mein Gesamtbetriebsratsvorsitzender hat in einem Interview glatt behauptet, die Umweltbewegung wolle den Menschen auf den Dörfern die Autos wegnehmen und dann könne die Mutti mit ihrem kranken Kind nicht mehr zum Arzt fahren. Das ist natürlich Quatsch, aber so wird halt mit der Angst der Menschen Politik gemacht.

Ich denke die Leute können ihre Autos durchaus behalten, aber die täglichen Wege, zur Arbeit und in die Stadt, die müssen mit Bus und Bahn stattfinden (können). Dann hält so ein Auto auch 30 Jahre und es müssen nicht ständig neue produziert werden. Wenn wir das schaffen würden, wäre das ein unglaublicher Erfolg.

Natürlich stellt das auch meinen eigenen Arbeitsplatz in Frage, das heißt aber auch, dass sowohl im Planung und Aufbau des ÖPNV, wie auch später im Betrieb tausende Menschen gebraucht werden.

Womit wir auch bei Punkt zwei wären, bei den Löhnen im ÖPNV

Bei dem Ausbau und Betrieb des ÖPNV werden in Zukunft viele tausend Menschen benötigt, so sollte es eigentlich nicht das große Problem sein, wenn in der Automobilindustrie nicht mehr so viele Menschen benötigt werden. Das grundsätzliche Problem dabei besteht natürlich in den relativ hohen Lohnunterschieden zwischen den Stammbelegschaften. Gleichzeitig besteht selbst bei denen, die bei einem Arbeitsplatzwechsel sogar finanziell gewinnen würden oftmals eine große Scheu vor dem Wechsel.

Es bestehen also zwei grundlegende Aufgaben. Nämlich zum ersten schon jetzt gemeinsam für gute Arbeitsbedingungen und Löhne im allen Arbeitsbereichen des ÖPNV-Ausbau zu kämpfen. Gleichzeitig muss auch denjenigen Informationen gegeben und Mut gemacht werden, für die sich ein Wechsel sofort lohnen würde. In Braunschweig sind das z.B. die Logistiker*innen der Volkswagen Group Service GmbH. Die fahren bei uns für 13-15 €/h, und das seit Jahren. Wenn wir es als IG Metall nicht schaffen, dass diese Kolleg*innen bei Volkswagen mehr Geld bekommen, dann sollten wir sie aktiv darauf hinweisen, dass es im ÖPNV durchaus bessere Arbeitsplätze gibt. (Ich habe über 15 Jahre darum gekämpft, dass die Kolleg*innen in den Haustarif übernommen werden, aber leider vergebens.)

Und bezüglich ÖPNV sehe ich tatsächlich die IG Metall und ihre Betriebsräte in der Pflicht. Zum einen muss die IG Metall unter ihren Mitgliedern und somit im Schwerpunkt natürlich auch in der Automobilindustrie Stimmung zur Unterstützung des ÖPNV machen. Und zum anderen wäre es meiner Meinung nach Aufgabe der VKL, Gewerkschafterinnen aus ÖPNV Betrieben einzuladen, damit diese die Löhne und Arbeitsbedingungen vorstellen können.

Das schafft Einblicke in Vor- und Nachteile der Arbeitsplätze und gibt gleich schon Ansprechpartner an die Hand.

Arbeitszeitverkürzung:

Wenn wir in Zukunft weniger Autos bauen und dann auch noch Elektro-Autos, werden in Zukunft wesentlich weniger Menschen benötigt. Eine Möglichkeit in der Frage der wegfallenden Arbeit ist natürlich die Arbeitszeitverkürzung.

Dankenswerter Weise hat ja der IG Metall Vorsitzende Jörg Hofmann im Sommer das Thema selbst auf die Tagesordnung gesetzt. Wahrscheinlich war er, ebenso wie viele von uns, selbst völlig überrascht von dem großen relativ positiven Echo auf seinen Vorschlag der vier Tage Woche.

In Braunschweig und in Wolfsburg rudern die IG Metall Funktionäre schon wieder zurück und sagen, das käme für uns nicht in Frage, das wäre ja nur als Notfall gedacht um Massenentlassungen zu verhindern.

Wer so argumentiert, nimmt sich selbst als Gestalter der Zukunft aus dem Rennen. Natürlich muss und kann eine Arbeitszeitverkürzung als gesellschaftliche Zukunftsperspektive gedacht werden. Und natürlich müssen da die gut verdienenden Firmen als erstes in die Pflicht genommen werden, denn dort dürften sich am ehesten die enormen Produktivitätszuwächse in Lohnausgleich realisieren lassen.

Realistisch gesehen wird kein 100%`iger Lohnausgleich drin sein, dafür kenne ich meine Gewerkschaft zu gut. Deshalb ist ein Punkt das absolute A und O, in dem sich die Gewerkschaften allesamt viel mehr einbringen müssen, und das ist die

Wohnungspolitik

Wenn die Miet- und Bodenpreise nicht effektiv zurückgedrängt werden, gibt es auch für die Kernbelegschaften keinen großen Spielraum um über Arbeitszeitverkürzungen zu diskutieren. Dies betrifft sowohl die Boden- und Wohnraumspekulation, als auch die teilweise völlig unsinnigen Auflagen und Vorschriften, die Neubauten unfassbar teuer machen.

So wie sich in den letzten Jahren die Situation entwickelt, werden die spärlichen Lohnerhöhungen allein durch die Margen der Wucherer aufgezehrt.

Hier muss eine Debatte innerhalb unserer Gewerkschaften stattfinden. Wenn wir in unseren Satzungen die „Interessen unserer Mitglieder“ als obersten Punkt aufführen, so ist doch klar, dass Wohnen eines der grundlegenden Interessen ist. Bis zum kläglichen Untergang der NEUEN HEIMAT war das auch unbestritten.

Es gibt tausende Möglichkeiten als Gewerkschaften hier aktiv zu werden. Es besteht die Möglichkeit selbst Genossenschaften zu gründen oder sich an bestehenden zu beteiligen oder, oder, oder.

Auf jeden Fall besteht hier dringendster Handlungsbedarf.

Wenn ich also gefragt werde, wo meiner Meinung nach etwas getan werden muss, damit meine Kolleginnen und Kollegen die Verkehrswende mitmachen (können), dann sind es diese drei Punkte:

  • Ausbau des ÖPNV im großen Stiel.

  • Aufwertung der Löhne und Arbeitsbedingungen im ÖPNV

  • und eine aktive Wohnungspolitik

Zu all dem wäre auch die IG Metall in der Lage, wenn wir es denn wollen.
Das Problem ist, dass wir jetzt anfangen müssen.

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