Der Unterschied der aktuellen gewerkschaftlichen Kämpfe in Frankreich zu denen in Deutschland

Der Unterschied der aktuellen gewerkschaftlichen Kämpfe in Frankreich zu denen in Deutschland

Zu Frankreich:

Die besondere Stärke des französischen Protestes besteht in dreierlei. Die Gewerkschaften und damit die arbeitende Bevölkerung nehmen eine führende Rolle auch in Sozialprotesten wie der Bewegung gegen die Rentenreform ein.

Dabei steht zweitens der Zusammenschluss aller gegen das Kapital im Mittelpunkt. Auch die Jungen haben über die Perspektive Lebensarbeitszeit die Rente auf dem Schirm und beteiligen sich massenhaft an den Protesten. Migranten, Frauen, Umwelt- und Friedensaktivisten nehmen ihre Anliegen ernst und kämpfen gemeinsam!

Die heutigen Erfolge sind drittens der Tatsache geschuldet, dass die Linke die Gelbwestenbewegung seinerzeit nicht den Rechten überlassen hat und die Gelbwesten, gestartet als Sozialprotestbewegung gegen höhere Benzinpreise, nun auch an der Seite von Klimaaktivisten stehen.“ (Zitat von Peter Vlatten, Gewerkschaftslinke Berlin)

Es gibt allerdings eine Einschränkung:

Eine besondere Schwäche ist, dass die Belegschaften der großen Industriebetriebe noch nicht breit und nachhaltig genug in den Streik getreten sind, noch nicht in dem Umfang wie es seinerzeit 1968 die politische Wende brachte.“

Vergleich mit Deutschland

In Frankreich kämpfen alle 9 wichtigen Gewerkschaften gegen das Rentengesetz von Macron, auch die sozialpartnerschaftliche/sozialdemokratische CFDT!

In Deutschland haben sich die sozialpartnerschaftlichen DGB-Gewerkschaften sowohl bei den Protesten gegen die Corona-Maßnahmen als auch im Ukraine-Krieg auf die Regierungsseite geschlagen!

Dieser Fakt sagt eigentlich schon alles!

Auch schon die Gelbwestenbewegung bekam von den Führungen der DGB-Gewerkschaften keine Unterstützung sondern wurde diffamiert!

Sogar Bernd Riexinger, seinerzeit Vorsitzender der Linkspartei und vorher verdi-Vorsitzender in Stuttgart, äußerte mehrfach seine ablehnende Haltung gegen die Gelbwesten.

In Deutschland sind die DGB-Gewerkschaften auf Sozialpartnerschaft mit Staat und Kapital eingeschworen.

In Deutschland gibt es seit einem Jahr vermehrt Streiks, weniger im Bereich der IG Metall, mehr im Dienstleistungsbereich, Verdi.

Es ist Druck von unten da. Manchmal stehen auch Gewerkschaftssekretäre der unteren Ebene hinter den Streikenden! Wie zB in den Amazon-Lagern. Musterbeispiel Winsen/Luhe!

Wie mit kämpferischen Gewerkschaftssekretären umgegangen wird sehen wir an Orhan Akman, dem in der Zentrale in Berlin zuständigen Sekretär für Amazon, der jetzt für den Bundesvorstand kandidiert. Der Hauptvorstand will ihn loswerden.

Es gibt wenig Proteste in Deutschland gegen die Inflation die Waffenlieferungen in die Ukraine – nicht zu vergleichen mit dem landesweiten Aufstand in Frankreich.

Ich habe mehrere Artikel in linken Zeitschriften gelesen mit der Aussage gelesen: Von Frankreich lernen heißt siegen lernen.

Diese Beispiele aus Deutschland mit der Bedeutung von vermehrten Streiks und des Verdi-Aktivisten Orhan Akman sollen schlaglichtartig den Stand der Klassenkämpfe bei uns aufzeigen und den Unterschied zu Frankreich!

Die Führungen der DGB-Gewerkschaften müssen zwar dem Druck von unten nachgeben, was sich dann in den Forderungen niederschlägt und den selbstgemalten Transparenten bei den Streiks. Aber die Kampfkraft der Streikenden wird dann nicht genutzt und es kommt schnell zu einem Kompromiß-Abschluß! Danach mit einer (unverbindlichen) Mitgliederbefragung wie jetzt bei verdi. Aber es gibt keine Urabstimmung, an die sich zu halten wäre!

Eine treffende Kritik an diesen deutschen Verhältnissen finden wir in dieser Einschätzung von Orhan Akman:

https://www.jungewelt.de/artikel/449774.tarifkampf-schlecht-verhandelt.html

Der Gegensatz zu Frankreich ist sehr ersichtlich! Hier: Undemokratisches Verhalten und Kinkerlitzchen, diese können sich die Gewerkschaftsführungen in Frankreich aufgrund des Drucks von unten nicht erlauben, selbst nicht sozialpartnerschaftlich eingestellte wie die CFDT!

Französische Verhältnisse, das sind erst mal Illusionen! Um „französische Verhältnisse“ zu erreichen, muß der Widerstand von unten erst aufgebaut werden. Innerhalb und außerhalb der Gewerkschaften. In Hamburg ist seit Herbst 2021 eine Bewegung gegen Coronamaßnahmen entstanden, die Kunsthallendemos, im Januar 2021 waren es 30.000 TeilnehmerInnen. Sie finden immer noch statt, am letzten Samstag im Monat, mit geringerer Teilnehmerzahl, mit veränderter Thematik: Gegen die Sanktionen gegen Rußland, gegen die Rüstungspolitik.

In der Antikriegsbewegung, die gegen die Waffenlieferungen in die Ukraine ist, für die Öffnung von Nordstream II, die kritisiert, daß tausenden Firmen die Pleite droht und KollegInnen die Arbeitslosigkeit und Konzerne in die USA abwandern wegen billiger Energiepreise.

Eine Besonderheit für Deutschland möchte ich noch aufzeigen, die noch zur Beruhigung der Beschäftigten beiträgt:

Das Mittel der Einmalzahlungen, die die Bundesregierung bis zu einer Höhe von 3.000 Euro für Unternehmen und Beschäftigte von der Steuer befreit, hat in den aktuellen Tarifrunden eine befriedende Funktion. Dann weitere sozialpolitische Maßnahmen wie Energiepreisbremse, Tankrabatt, Erhöhung des Wohngeldes. Der deutscher Staat ist dadurch zur Zeit noch in der Lage, sich Klassenfrieden zu erkaufen. Mit der Betonung auf noch.

Zur aktuellen Situation mit den vielen Streiks, besonders im Bereich von verdi, EVG und GdL:

Auch wenn in linken Medien euphorisch das Bild eines Streikfrühlings in Deutschland an die Wand gemalt wird, ist die Realität so, daß Deutschland im Vergleich in der EU weit unten in der Streikskala steht!

Es ist schon Druck von unten da, weshalb in Deutschland aktuell häufiger gestreikt wird. Die Gewerkschaftsführungen reagieren mit „konfliktiver Sozialpartnerschaft“! Dh, sie behalten ihre Grundhaltung der Sozialpartnerschaft bei, geben dem Druck von unter aber nach. Was die Partner in Regierung und Kapital sicher verstehen.

Aber ein Risiko besteht schon für die DGB-Führungen: Daß bei den Streikenden ein „Bewußtstein der eigenen Stärke“ entsteht. Ein Bewußtsein, daß sich gegen sie wenden kann…

Noch ein Wort zu den Kräfteverhältnissen. Nicht nur die DGB-Gewerkschaften sind auf Regierungsseite sondern auch linke Parteien und Gruppen. Eindrucksvoll und selbstenthüllend war das im Januar 2022, als über 100 „linke und linksradikale“ Gruppen eine Gegendemo gegen die Kunsthallendemos organisierten. Und in Eintracht marschierten mit den Führungen von DGB, SPD, Grünen, Politikern der Linkspartei und der DKP, Jungdemokraten. Anschaulicher konnte man nicht vorgeführt bekommen, wo unser „Linken“ und „Linksradikalen“ gelandet waren.

Wir müssen akzeptieren wie wenige wir sind und das wir einen massenhaften Widerstand erst aufbauen müssen, durch die Vernetzung innerhalb der Gewerkschaften – und außerhalb!

In Frankreich haben sich organisierte Massen mit ihren Organisationen zusammengeschlossen zu einem Bündnis gegen Macron. In Deutschland stehen die diese Massen repräsentierenden Organisationen auf Seiten der Regierenden. Die unzufriedenen und leidenden Massen müssen sich in Deutschland erst organisieren, um dann ein Gegner der bei uns Herrschenden zu werden. Unsere Aufgabe ist, dazu einen Beitrag zu leisten.

Das macht deutlich wie sehr wir in Deutschland noch am Anfang stehen!

Wie es in Frankreich weitergeht, wird sich meiner Meinung nicht am 1. Mai zeigen! An diesem Tag werden in Frankreich sicher noch mehr Menschen auf die Straße gehen als bei den Protesttagen in den Monaten davor. Aber entscheidend wird die Frage sein: Was tut sich in den Betrieben!! Das Kapital in Frankreich und damit die Regierung werden nur unter schärfsten Druck gelangen durch betriebliche Aktivitäten: Streiks! Betriebsbesetzungen! Sabotage! Geiselnahme von Chefs (hat es in Frankreich in jüngerer Zeit einige Male gegeben!). Diese radikale Sprache verstehen die Herrschenden!

Die unbedingt zu begrüßende größere Mobilisierung am 1. Mai ist psychologisch für die Kämpfenden wichtig, aber noch keine Garantie für die Ablösung des Macron-Regimes. Auch die größten Massendemonstrationen lassen nach einiger Zeit nach!

Und was passiert danach?: Es gibt Wahlen. Die Kampfebene hat sich dann wieder von der Straße aufs Parlament verlagert. Und dort wird Klassenherrschaft durch Abstimmungen ausgeübt, notfalls am Parlament vorbei durch den § 46.3.

Wer wird die nächste Wahl gewinnen? Wieder Macron oder Le Pen? Ob ein linker Kandidat Chancen hat, kann ich nicht beurteilen!

Frankreich 2023 ist nicht die DDR 1989! Damals reichten einige Monate Montagsstreiks und das hochgerüstete Regierungssystem kapitulierte vor der Straße. Über die Gründe kann man nur spekulieren, ob es die Hemmung von Honecker&Co war, aufs Volk schießen zu lassen oder ob es keine Rückendeckung des großen Bruders mehr gab.

Jedenfalls hat das Verschwinden des Regimes nach einigen Monaten gewaltfreier Demonstrationen bei vielen Menschen, wohl weltweit, die Möglichkeit von friedlichen Revolutionen erzeugt. Aber die Konstellationen in der DDR 1989 waren wirkliche spezielle!

Meiner Einschätzung bestehen beim Regime Macron keine moralischen Hemmungen, Polizei oder Militär den Schießbefehl zu erteilen.

Wir haben eine kapitalistische Demokratie, also eine formale! Erst wenn die Produzenten von Mehrwert, das Proletariat, im Besitz der Produktionsmittel, der Betriebe sind, haben wir eine wirkliche Demokratie! Aber was jetzt schon gilt: Der Machtort in einer Gesellschaft ist der Arbeitsplatz, der Betrieb! Das gilt nicht nur in Frankreich, wo es sich aktuell am deutlichsten zeigt, wo es Spitz auf Knopf steht, sondern in jedem kapitalistischen Land, auch in Deutschland.

Schlußbemerkung zu Deutschland:

Die Neukonstituierung der Linken

Eine Linke muß sich also neu konstituieren. Es sind die Reste der früheren Linken, die weiter am Klassengegensatz Lohnabhängige gegen Kapital/Regierung festhalten und das Ziel einer sozialistischen/ kommunistischen Gesellschaft haben. Hinzukommen die Bewegungen, die angesichts der Corona-Politik der Regierung und der Aufrüstungspolitik und angesichts des Ukraine-Krieges in Gegensatz geraten sind zu Regierung und Kapital. Sie sind auf dem Weg nach links. Zu uns.

Dieter Wegner, 27./28.4.2023

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