Raumentzug für Jour Fixe Gewerkschaftslinke und Hamburger Forum – Stellungnahme von Frank Bernhardt (GEW)

Wegen des Raumentzuges entstand ein Streit von Mitgliedern der GEW mit ihrem Vorstand. Mit der Folge der GEW-Veranstaltung am 10.1.24

Frank Bernhard: Zur GEW-Veranstaltung am 10. Januar 2024 „Rechtsoffen“ – reales Problem oder Kampfbegriff?
„Die Freiheit des Gespräches geht verloren“ (W. Benjamin) – Argumente gegen Denkverbote
„Die Wahrheit in den Fakten suchen!“ (gew-hamburg.de, 15.11.23) so die Aussage, doch noch mal W. Benjamin, der schreibt „Gewalt von Fakten“ steht gegen „Überzeugungen“, gerade in Vorkriegszeiten.
Klinisch saubere Gewerkschaften?
Ein Teil der „Antifa“ tadelt das Hamburger Forum, das in der hiesigen Friedensbewegung vertreten ist, weil bei den „Veranstaltungen … zunehmend rechte Zusammenhänge und für rechte Medien schreibende Autoren auftauchen“ (W. Svensson, hlz 9-10/23) sollen und keine „Abgrenzung“ stattfindet. Die Gewerkschaftslinke sieht sich mit ähnlichen Vorwürfen konfrontiert: Auf „Demonstrationen“ von Impfgegnern, die dann „Querdenker“ heißen, hätten Gewerkschafter*innen einfach nichts verloren.
Mit der über Jahre unentgeltlichen Nutzung von Gewerkschaftsräumen im Curiohaus ist es nun übrigens vorbei. Eine Selbstverständlichkeit wird gekappt, dass Gewerkschaftsmitglieder, ob aktiv oder nach Ende ihrer Tätigkeit, zumal sie z. T. auch noch Mitgliedsbeiträge bezahlen, Räume zur Arbeit in ihren Gruppen nutzen konnten.
Rechtspopulismus und Gewerkschafter*innen
Wie gehen Gewerkschaften mit dem seit Jahren bekannten Faktum um, dass „überdurchschnittlich viele Gewerkschafter AfD wählen“ (zeit.de, 10.5.22)? In der Tat, es bedeutet „eine Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft keine Immunität gegenüber Fremdenfeindlichkeit“ (boeckler.de 09/16), so eine Untersuchung des Politikwissenschaftler R. Stöss vor mehr als 10 Jahren. Und aktuell: „Die Rechtspopulisten erzielen besonders unter Gewerkschaftsmitgliedern Wahlerfolge“ (handelsblatt.com, 1.12.23) und im Osten der Republik sprechen Umfragen zu den bevorstehenden Landtagswahlen von 30 und mehr Prozent AfD-Wähler*innen.
Die Forderung des ehemaligen Chefs der IG Metall, Hofmann, lautet da: Wer „Unfrieden“ schafft mit „Fremdenfeindlichkeit“ erhält Berufsverbot. Ist das der richtige Weg? Mit Existenzvernichtung, die sonst in der Hand von Unternehmer*innen liegt, gegen rechtes Denken vorzugehen? Welcher Umgang wird sonst empfohlen? Was macht man mit den Millionen Wähler*innen? Vielleicht auf eine Insel verbringen, dann erledigt sich das Problem? „Remigration“ mal andersrum buchstabiert.
„59 Prozent der Erwachsenen“ misstrauen der Demokratie und über ein Drittel fühlt sich von „der Politik nicht vertreten“ (kulturshaker.de), sind das alles Spinner? Und wo bleibt der Diskurs, der doch dringend nötig wäre, wenn die materiellen Sorgen immer größer werden und diese Zeitgenossen in rechten Ideologien ihr Heil suchen? Die übrigens nicht prüfen, ob sie z. B. im Falle von wenigen oder gar keinen Ausländern in ihrem so geliebten Deutschland besser gestellt und nicht genau so einem tagtäglichen (Über)-Lebenskampf ausgesetzt würden? Oder man könnte mal nüchtern die Frage aufwerfen, nach welchen Kriterien ein Betrieb und der Handel Leute einstellen oder auch nicht?
Unvereinbarkeitsbeschlüsse und Berufsverbote
Es soll in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen und in Erinnerung gerufen werden, dass der LV vor nicht allzu langer Zeit eine wissenschaftliche Expertise zu den Berufsverboten unter dem Kanzler W. Brandt in den 70ern, von dem ja auch etliche Lehrer*innen betroffen waren, initiiert hat. Einige Länderparlamente haben sich daraufhin bei den Betroffenen entschuldigt, übrigens auch die Grünen, die jetzt wieder Überprüfungen vor dem Berufseinstieg einführen wollen. Von den ins Spiel gebrachten Entschädigungen ist bislang übrigens nichts bekannt geworden.
Auch die Unvereinbarkeitsbeschlüsse der Gewerkschaften wurden etwas später im Rückblick kritisiert, Entschuldigungen der Gewerkschaften ausgesprochen und ein unentgeltlicher Wiedereintritt in die Gewerkschaft angeboten. Wenn jetzt Gewerkschafter*innen Räume entzogen werden, was steht als nächstes auf der Agenda?
Kritik an staatlichen Maßnahmen = rechts – der Meinungskorridor wird ziemlich eingeengt
In Deutschland seit 2023 bedarf Dissidenz, also das Spektrum abweichender Meinungen zum Krieg in der Ukraine und im Gaza-Streifen, der Beaufsichtigung. Kampagnen von Politik und freier Presse, die auch der Kanzler als staatlich zu betreuenden Problemfall von „Desinformationskampagnen“ einordnet, nehmen an Fahrt auf. So werden die „Nachdenkseiten“ als „Schreibbrigade“ für S. Wagenknecht denunziert, die dann als ‚5. Kolone‘ des Feindes gilt.
Abweichende Positionen werden verunglimpft und vorgemerkt. „Kriegsrhetorik“, so die ehemalige Russland-Korrespondentin G. Krone-Schmalz, macht sich breit und „Kriegsmoral ist auf dem Vormarsch“ (N. Wohlfahrt, J. Schillo). Wer die Nato-Anbindung kritisiert, ist mit Faschisten im Bunde. In gleicher Weise schmäht der Kanzler die Friedensbewegten und Pazifisten, wer „als Friedenstaube umherläuft, ist ein gefallener Engel, der aus der Hölle kommt.“ (faz.de, 21.8.23).
Die Wissenschaftlerin und ehemalige Leiterin der Denkfabrik „Europäischer Rat für Auswärtige Beziehungen“ Ulrike Guérot wird zum Problemfall und entlassen. Wie auch der sonst gern in Talkshows gesehen ehemalige Merkel-Berater E. Vad in Ungnade gefallen ist, weil er sich wie Guérot für die Beendigung des Krieges ausspricht. Und bei den z. T. renitent protestierenden Bauern, die ihren Diesel nicht mehr bezahlen können und dadurch ihre Existenz gefährdet sehen, heißt es schon wieder das rechte Lager!
Zur heutigen Veranstaltung
Heute Abend findet deswegen eine Veranstaltung im Curiohaus statt zum Thema „Rechtsoffenheit als reales Problem oder Kampfbegriff“ in unserer Gewerkschaft? Die läuft im Rahmen einer Podiumsdiskussion zwischen A. Speit und P. Wahl. Speit gilt als „ein Kenner der rechtsextremen Szene in Deutschland“ (Wikipedia), er ist ein Journalist, der sich mit der „Neuen Rechten“ kritisch befasst und in verschiedenen Zeitungen, die als links oder linksliberal eingestuft werden, z. B. TAZ, Freitag, oder auf dem Zeit online Portal „Störungsmelder“ Rechte und ihre geplanten Aktionen ‚anprangert‘, auch bei der SZ, FAZ seinen Themenschwerpunkt einbringt und für die Bundeszentrale für politische Bildung (BpB) und die Zeitschrift „der rechte Rand, Magazin von und für AntifaschistInnen“ als Kolumnist schreibt, sowie als Referent bei der „Medienakademie von ARD/ZDF“ tätig ist. Das von ihm angeführte „Hamburger Bündnis gegen Rechts“ weist darauf hin, „zum Teil [gebe es] erhebliche Widersprüche zu Einzelfragen und Themen“ in ihrem Zusammenschluss.
Sein Gegenüber ist P. Wahl, Mitbegründer der NGO „Weltwirtschaft, Ökologie & Entwicklung WEED“ sowie „Gründungsmitglied von Attac Deutschland“ (Wikipedia), wo er als richtungsgebend für die „strategische Orientierung“ gilt. Er befasst sich nicht nur mit der herrschenden Politik, sondern setzt sich mit „außerparlamentarischen Bewegungen“ auseinander.
Der gesellschaftliche Zusammenhang
Wo der ‚Hase langläuft‘, ist schnell zu erfahren, wenn der „Überfall Russlands auf die Ukraine“ anders thematisiert und erklärt wird als dies regierungsamtlich sowie durch die Verantwortungspresse vorgegeben ist, nämlich als unprovozierter „Angriffskrieg“ Russlands gegen ein kleines, demokratisch aufstrebendes Land, der absolut zu verurteilen ist. Wird dieses Bekenntnis nicht vor jeder Diskussion abgegeben, wird man als „Putin-Versteher“ bloßgestellt. Oder wer im Falle Israels von einem „Vernichtungsfeldzug“ gegen die Hamas (nach ihrem Terrorüberfall vom 7.10.) und damit zwangsläufig gegen die palästinensische Bevölkerung spricht und ihn nicht als berechtigte „Selbstverteidigung“ bezeichnet, bekommt den Stempel „Antisemit“ verpasst und landet so unversehens im rechten Lager.
Erst kürzlich ist neben der vom Kanzler ausgerufenen „Zeitenwende“, weil die „Freiheit Europas“ bedroht ist durch den Krieg Russlands eine gewaltige Militarisierung ausgerufen worden ist, denn „ohne Sicherheit gibt es keine Freiheit“ (das erinnert an die Kampagne der CDUCSU „Freiheit statt Sozialismus“), so Scholz in der „Nationalen Sicherheitsstrategie, unter dem Motto „Wehrhaft. Resilient. Nachhaltig.“ Und natürlich hört es dann mit unser aller „Wohlstand“ auf, von dem die etwa 10 Millionen Niedriglöhner*innen und die 5,5 Millionen Bürgergeldempfänger*innen ein ‚Lied singen‘ können.
Und in Putin wird ein „neuer Hitler“ entdeckt, nach S. Milosevic im Jugoslawienkrieg und S. Hussein im Irakkrieg wieder einmal ein Wiedergänger. Da zählt nicht mehr die in der Schule vermittelte „Singularität“ des deutschen Faschismus, mit seinen Kriegen gegen die westlichen Nachbarn, dem Vernichtungskrieg gegen Russland und der industriellen Massenvernichtung der Juden, hier wird die Singularität, die sonst immer beschworen wird, einfach aufgegeben. So wird der Faschismus, diese „Form der bürgerlichen Herrschaft“ (R. Kühnl, Politikwissenschaftler), entpolitisiert, da ein kleine Verbrecherbande und ein von ihr verführtes Volk am Werk gewesen sein sollen.
„Der Kapitalismus trägt den Krieg in sich wie die Wolke den Regen“ (Jean Jaurès, französischer Sozialist, zu Beginn des imperialistischen 1. Weltkriegs, 1914)
Frank Bernhardt, Hamburg, GEW, Lehrer im Ruhestand

Infos zur Konferenz:

https://gewerkschaftslinke.hamburg/2024/01/12/jfi-02-2024/#a1

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